Bilanzkennzahlen analysieren und interpretierenLiquidität und Zahlungsfähigkeit aus der Bilanz ermitteln

Mit den Kennzahlen zur Liquidität soll die Bilanz sichtbar machen, ob das Unternehmen in der Lage ist, alle Verpflichtungen gegenüber seinen Beschäftigten, Gläubigern und anderen Stakeholdern zu erfüllen. Das ist ein wesentlicher Zweck der Bilanz. Zur Berechnung der Zahlungsfähigkeit werden mehrere Liquiditätsgrade unterschieden.

Bedeutung der Liquidität

Grundlage für jedes Unternehmen ist ausreichende Liquidität, also genug Geldmittel, um alle anstehenden Auszahlungen durchführen zu können. Nur wenn die Liquidität gegeben ist, können alle Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden; ansonsten droht die Insolvenz. Aus einzelnen Bilanzwerten lässt sich ermitteln, in welchem Maß die Liquidität gesichert ist. Sie ist Voraussetzung, um auch in Zukunft das Geschäft des Unternehmens und notwendige Investitionen zu finanzieren. Und sie ist notwendig, um mögliche Verluste zu kompensieren.

Um über die Liquidität Aussagen machen zu können, muss analysiert werden, in welchem Maße ein Unternehmen das in Vermögensgegenständen gebundene Geld (liquide Mittel oder Barmittel) freisetzen kann, also wieder in Geld überführen kann. Das wird dann sichtbar, wenn klar ist, ob das Geld in den Vermögensgegenständen kurzfristig oder langfristig gebunden ist.

Stichwort

Liquidität

Unter Liquidität versteht man die Ausstattung eines Unternehmens mit Zahlungsmitteln oder Barmitteln wie Kassenbestände, Postwertzeichen, Sichtguthaben oder Sichteinlagen bei Banken. Finanzanlagen, die keinen Schwankungen unterliegen und ohne Weiteres in Barmittel umgewandelt werden können, zählen ebenfalls zur Liquidität des Unternehmens. Die Liquidität ist zwingende Voraussetzung, damit das Unternehmen allen Zahlungsverpflichtungen termingerecht und betragsgenau nachkommen kann.

Goldene Bilanzregel – Deckungsgrade und Fristenkongruenz

Mit Kennzahlen zum Deckungsgrad wird ermittelt, ob die Fristigkeit der Bilanzpositionen auf der Aktivseite und auf der Passivseite zueinander passen. Die Positionen auf beiden Seiten, die eine gleiche Fristigkeit haben, sollten in etwa gleich groß sein; es sollte Fristenkongruenz gegeben sein. Hintergrund ist die „Goldene Bilanzregel“. Sie  besagt, dass das langfristige Vermögen auch langfristig finanziert sein soll. Kurzfristiges Vermögen wie das Umlaufvermögen kann auch kurzfristig finanziert sein.

Daraus lassen sich dann die Deckungsgrade und die Fristenkongruenz bestimmen, die Kennzahlen dafür sind, ob und in welchem Maß die Goldene Bilanzregel eingehalten ist. Es werden drei unterschiedliche Deckungsgrade A, B und C aus den Angaben der Bilanz berechnet – je nachdem wie strikt die Fristigkeit gesehen wird und wie flexibel einzelne Bilanzpositionen aus dem Fremdkapital, aus dem Anlagevermögen oder sonstigem Vermögen aufgelöst und in Barmittel mit kurzer Fristigkeit gewandelt werden können.

Deckungsgrad A
=   Eigenkapital / Anlagevermögen

Deckungsgrad B
=   (Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital) / Anlagevermögen

Deckungsgrad C
=   (Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital) / (Anlagevermögen + sonstiges langfristiges Vermögen)

Liquiditätsgrad

Kurz- und mittelfristig muss die Liquidität eines Unternehmens ausreichen, um den Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die Liquidität ist durch die Zahlungsmittel und den Finanzmittelfonds gegeben.

Stichwort

Zahlungsmittel

Liquide Mittel oder Finanzmittelfonds umfassen alle Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente.

Zahlungsmittel sind: Barmittel wie Kassenbestände, Postwertzeichen, Sichtguthaben oder Sichteinlagen bei Banken, noch nicht eingelöste Schecks (abzüglich selbst ausgestellter, aber noch nicht eingelöster Schecks).

Zahlungsmitteläquivalente sind: Finanzinvestitionen, die ohne Weiteres in Zahlungsmittel umgewandelt werden können und keinen nennenswerten Wertschwankungen unterliegen.

Deshalb werden im Rahmen der Bilanzanalyse die Positionen miteinander verglichen, die zum einen die Zahlungsmittel oder den Finanzmittelfonds sichtbar machen und zum anderen die Verbindlichkeiten und das Fremdkapital, das bedient werden muss. Das betrifft die Kapitaldienstfähigkeit gegenüber Banken, Zahlung der Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten und Zahlungen für Steuer und Sozialabgaben. Je nach Fristigkeit und Möglichkeit, Umlaufvermögen in Zahlungsmittel zu verwandeln, werden drei Liquiditätsgrade unterschieden.

Liquidität 1. Grades
=   Zahlungsmittel
/ kurzfristiges Fremdkapital

Liquidität 2. Grades
=   (Zahlungsmittel + kurzfristige Forderungen +  Wertpapiere)
/ kurzfristiges Fremdkapital

Liquidität 3. Grades
=   (Zahlungsmittel + kurzfristige Forderungen +  Wertpapiere + Vorräte)
/ kurzfristiges Fremdkapital

Liquidität ist Grundlage für Investitionen

Aus liquiden Mitteln kann ein Unternehmen die Investitionen tätigen, die für die zukünftige Entwicklung notwendig sind. Das kann Ersatz für veraltete Maschinen und Anlagen sein; es kann aber auch die Finanzierung der Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte sein.

Berechnen Sie dazu, in welchem Maße die Netto-Anlageinvestitionen durch die bestehende Liquidität und den Cashflow finanziert werden können. Das ist die Kennzahl Nettoinvestitionsdeckung.

Nettoinvestitionsdeckung
=   Cashflow / Netto-Anlageinvestitionen

Cash Burn Rate als Kennzahl für die Ausstattung mit Liquidität

In bestimmten Phasen eines Unternehmens kann es sein, dass Verluste entstehen und der Cashflow negativ ist. Das kann auch so geplant und kalkuliert sein – etwa bei einer Unternehmensgründung oder einer Produkteinführung im Markt. Denn zunächst entstehen Aufwendungen und Kosten (verbunden mit Auszahlungen), bevor Kunden das Produkt kaufen und Umsätze generiert werden (verbunden mit Einzahlungen). Die Zeit dazwischen muss das Unternehmen überbrücken, was nur mit ausreichender Kapitalausstattung und ausreichend liquiden Mitteln gelingt.

Die Kennzahl, die zeigt, wie lange eine solche Phase dauern darf, ist die sogenannte Cash Burn Rate. Eine hohe Cash Burn Rate kann ein Indikator für eine stabile Situation bei solider Unternehmensfinanzierung sein; sie zeigt eine hohe Liquiditätsfähigkeit an. Dagegen weist eine niedrige Cash Burn Rate auf künftige Liquiditätsengpässe hin und signalisiert Schwierigkeiten, allen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Cash Burn Rate
=   Liquide Mittel und geldnahe Mittel / (negativer) operativer Cashflow

Liquidität sichern und verbessern

Weil die Liquidität für jedes Unternehmen so wichtig und grundlegend ist, muss sie aktiv gemanagt werden. Ist sie zu knapp, droht Zahlungsunfähigkeit. Ist sie zu umfangreich, ist zu viel Kapital gebunden, was die Wirtschaftlichkeit verringert. Deshalb müssen Unternehmen ständig prüfen, wie sie die Liquidität optimieren und die unterschiedlichen Ziele ausbalancieren.

Die Maßnahmen für diese Form des aktiven Managements und der damit verknüpften Bilanzpositionen werden als Working Capital Management zusammengefasst. Mehr zum Thema „Optimierung des Umlaufvermögens“ finden Sie im Handbuch-Kapitel Working Capital Management.

Praxis

Deckungsgrad berechnen

Mit den folgenden Excel-Vorlagen werden die einzelnen Bilanzpositionen des Umlaufvermögens, der Rückstellungen, der Verbindlichkeiten, der Rechnungsabgrenzungsposten und der latenten Steuern analysiert und bewertet, welcher Anteil davon kurzfristig und welcher langfristig ist.

Daraus werden die Deckungsgrade A, B und C berechnet und die Fristigkeit der einzelnen Positionen in Beziehung gesetzt (Fristenkongruenz und Goldene Bilanzregel).

Liquiditätsgrad berechnen

Mit der folgenden Excel-Vorlage stellen Sie die dafür relevanten Bilanzpositionen und die Daten zusammen, bewerten die Fristigkeit (kurz) und berechnen die Liquidität 1., 2. und 3. Grades.

Investitionen finanzieren

Mit der folgenden Excel-Vorlage wird über einen Zeitraum von fünf Jahren und im Vergleich für mehrere Unternehmungen in einem Diagramm dargestellt, in welchem Maße die Netto-Anlageinvestitionen durch die Liquidität und den Cashflow finanziert werden können. Das ist die Kennzahl Nettoinvestitionsdeckung.

Cash Burn Rate

Mit der folgenden Excel-Vorlage wird die Cash Burn Rate für fünf Jahre und für unterschiedliche Unternehmungen (zum Vergleich) berechnet und in einem Diagramm dargestellt.

Halten Sie dann fest:

  • Wie beurteilen Sie die Liquidität Ihres Unternehmens?
  • Wodurch könnten in Zukunft Risiken für die Zahlungsfähigkeit entstehen?

Die Liquidität wird insbesondere dann gesichert, wenn das Unternehmen aus seinem operativen Geschäft ausreichend Cashflow generiert. Im folgenden Abschnitt geht es um die Analyse unterschiedlicher Cashflow-Kennzahlen auf der Grundlage der Bilanz.

Dazu im Management-Handbuch

Weitere Kapitel zum Thema