Angst in Verhandlungen
Welche Ängste mussten beispielsweise die Entscheidungsträger in der Kubakrise überwinden? Man stand kurz vor einem dritten Weltkrieg – und trotzdem mussten die agierenden Personen ihre Verhandlungsposition glaubwürdig vertreten. Die ausgeklügeltsten Strategien und Taktiken helfen bei einer Verhandlung nicht, wenn der Verhandler nicht in der Lage ist, seine Ängste zu überwinden. Die Überwindung der Angst macht den Unterschied. So mussten die Verhandlungsführer in der Kubakrise erst ihre Todesangst überwinden, um den eigenen Standpunkt glaubwürdig vertreten zu können.
Ohne Angst eigenen Standpunkt glaubwürdig vertreten
Natürlich ist es nicht notwendig, sich bei jeder Verhandlungssituation gleich mit Todesängsten auseinanderzusetzen. Aber die zentrale Frage lautet: Welche Ängste müssen Sie überwinden, um Ihren Standpunkt glaubwürdig zu vertreten? Wer sich gut vorbereitet und strikt seinem Plan folgt, kann das Risiko minimieren, von seinen Ängsten übermannt zu werden. Doch die Gefahr bleibt, dass wichtige Entscheidungen während einer Verhandlung anders getroffen werden als es der Fall sein sollte. Und das häufig nur, um Angstszenarien zu vermeiden.
Genau im Vermeidungsverhalten liegt der Knackpunkt. Jeder von uns hat schon die Erfahrung gemacht: Es passiert einem genau das, was man mit aller Kraft vermeiden möchte. Das hat einen evidenten Grund. Gelingt es Ihnen nicht, sich von Ihren Ängsten gedanklich zu trennen, verschafft Ihnen Ihre Psyche die Möglichkeit, diese Trennung in der Realität vorzunehmen. Dazu müssen Sie das Schreckensszenario erleben, das heißt es passiert genau das, was Sie vermeiden wollen. Die gedankliche Überwindung der Angst ist in jedem Fall die bessere Alternative. Sie müssen sich also, so gut es geht, von angstbehafteten Gedanken trennen.
Wie aber kann man dafür sorgen, dass Ängste zum einen berücksichtigt werden und zum anderen nicht die Überhand gewinnen? Was ist Angst überhaupt?
Beispiel:
Wer sich auf eine Verhandlung mit seinem Chef vorbereitet, die im Fall des Scheiterns den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet, ist unentwegt der Angst vor Jobverlust ausgesetzt. Aufgrund der assoziativen Funktionsweise des Gehirns ist eine Angstsituation mit weiteren Angst- und Schreckensszenarien verbunden. Diese werden wie in einer Kettenreaktion abgerufen. Häufig erlebt deshalb ein Job-Verhandler gleichermaßen Existenzverlustangst und je nach Lebenserfahrung weitere Ängste, in manchen Fällen sogar Todesangst.
Fest steht: Wir können die Angst nicht ohne Weiteres ignorieren. Sie hat eine Signalwirkung – und diese kann berechtigt sein. Wer Angstsignale falsch deutet oder verkennt, läuft immer Gefahr, sich zu überschätzen oder fahrlässig zu handeln. Wenn aber andererseits die Angstsituation vom Verhandler als nicht zu meistern oder das Schreckensszenario als nicht hinnehmbar empfunden wird, so wird die Person versuchen, die Angstsituation erst einmal nur mental zu bewältigen. Das Resultat dieses Bestrebens ist eine permanente, mentale Auseinandersetzung mit der Angstsituation. Der Verhandler versucht, die Angst gedanklich zu überwinden.
Dieser Prozess hilft allerdings nur selten dabei, die Angst auch tatsächlich zu überwinden. Was passiert ist, dass wir nun permanent an die Angst- und Schreckensmomente denken. Die Angst taucht vor unserem geistigen Auge auf und wir versuchen deren Prognose, also die schmerzhafte Situation, zu vermeiden. Da das Unterbewusstsein des Menschen keine Negation versteht, registriert diese gerade bei der Entscheidungsfindung immens wichtige Instanz nur unsere Angst und die Schreckensbilder. Gleichzeitig ist das Bewusstsein ebenso unentwegt der Angstsituation ausgesetzt, weil wir uns beharrlich damit beschäftigen.
Wir wollen im Grunde unser Bewusstsein dazu programmieren, sich mit der Angstsituation abzufinden, indem wir es kontinuierlich der Angst aussetzen. So gut unsere Absicht ist, wir verfolgen dabei den falschen Ansatz. Denn: Wie soll man in diesem Zustand noch eine gute Entscheidung treffen? Bevor Sie in eine Verhandlung ziehen, um für Ihre Standpunkte zu kämpfen, müssen Sie sich also zunächst um Ihre Ängste kümmern.
Eine gute Vorbereitung verhindert Ängste
Wenn Sie schon kämpfen wollen, fangen sie erst einmal mit dem Kampf im eigenen Kopf an! Hier gilt es, die Angst zu überwinden. Dazu müssen Sie den aus der Angst entstandenen Antrieb kontrollieren, indem Sie ihn kanalisieren. Es gibt viele Momente im Leben, in denen wir etwas akribisch vorbereiten, wenn wir die Angst vor Augen haben. Eine gute Verhandlungsvorbereitung ist das beste Mittel, um die entstandene Energie konstruktiv zu lenken. Jeder Vorbereitungsschritt hilft Ihnen, die Angst zu verringern. Wer dazu noch absichernde Maßnahmen plant, wird das Risiko des Auftretens der Angstszenarien weiter minimieren.
Wenn die Strategie feststeht, die Maßnahmen geplant und genügend Informationen eingeholt worden sind, gilt es, die Angst beiseite zu schieben. Das ist wie bei einem Bergsteiger, der eine Steilwand bezwingen will. Wenn er sich optimal vorbereitet hat und mitten in der Wand hängt, wäre es fatal, würde er immer wieder hinunterblicken und daran denken, was passieren könnte, wenn er herunterfällt. Die pausenlose und unkontrollierte gedankliche Konfrontation mit der Angstsituation ist Ihr Blick nach unten.
Beispiel:
Einem Vertriebsmitarbeiter wird gekündigt. Sofort sieht er aufgrund seiner privaten Situation seine Existenz bedroht. Nun hofft er wenigstens auf eine angemessene Abfindung. Da er seit vier Jahren bei dem Unternehmen tätig ist, rechnet er mit einem Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, also vier Monatsgehältern sowie einem Entgegenkommen des Unternehmens. Sein Ziel ist, mit sechs Monatsgehältern auszuscheiden.
Von Freunden erfährt er, dass ihm als Familienvater nicht ohne Weiteres gekündigt werden könne. Es gebe eine Sozialauswahl und er habe eigentlich Vorrang vor Vertriebsmitarbeitern, die keine Unterhaltsverpflichtung haben oder weniger als vier Jahre im Unternehmen sind. Doch er hat die Rechnung ohne seinen Chef gemacht: Bevor der Vertriebsmitarbeiter die soziale Komponente vorbringen kann, erwähnt sein Vorgesetzter Unregelmäßigkeiten bei der Reisekostenabrechnung und wirft ihm vor, die Firmenkreditkarte privat genutzt zu haben. Der Mitarbeiter ist verwirrt und beteuert seine Unschuld. Dann legt ihm sein Vorgesetzter Kopien von Ausgaben auf den Tisch, die am Vorabend einer Geschäftsreise getätigt worden waren. Der Mitarbeiter pocht weiterhin auf seine Unschuld.
Als sein Anwalt ihm eröffnet, er müsse belegen, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits für die Firma unterwegs war, bekommt der Vertriebler Angst, alles zu verlieren. Er scheint zu kapitulieren. Am liebsten würde er einfach das Abfindungsangebot von drei Monatsgehältern annehmen und einen entsprechenden Aufhebungsvertrag unterschreiben. Doch sein Anwalt rät genau das Gegenteil. Er solle einfach vorgeben, ein stabiles finanzielles Polster zu haben, denn helfen werde ihm die Geschäftsleitung sowieso nicht, da sie ihn loswerden wolle.
An dieser Stelle gilt es, Ängste zu überwinden. Der Vertriebsmitarbeiter will das Eintreten der Angstszenarien, die er vor den Augen hat, unbedingt vermeiden. Doch nun muss er genau das Gegenteil tun: Er muss ihr mögliches Eintreten hinnehmen! Wichtig dabei: Der Versuch, das Eintreten der Angstszenarien zu vermeiden, findet zunächst auf der geistigen Ebene statt, in unseren Gedanken. Wir versuchen, auf dieser Ebene den angstbehafteten Gedanken einfach „wegzuhaben“. Wir starten einen inneren Dialog mit unserer Angst mit dem Ziel, die Stimme der Angst zu beseitigen. Das hat allerdings zur Folge, dass sich die Angst noch intensiver in unserem Gehirn verfestigt.
Um es einmal bildhaft zu beschreiben: Der Angst ist es egal, ob wir negativ oder positiv mit ihr kommunizieren. Solange wir uns gedanklich mit ihr beschäftigen, stärken wir ihre Position – in unseren Gedanken, und damit auch bei der Entscheidungsfindung. Es gibt nur einen Weg: Wir müssen akzeptieren, dass die Angst nicht verschwindet. Wir müssen sie gedanklich ignorieren!
Wir alle wünschen uns einen Zustand der Angstfreiheit, doch den erreichen wir nicht. Die Freiheit liegt lediglich in der Entscheidung. Zwar ist es denkbar, dass gewisse Angstszenarien durch das wiederholte Erleben der Angstsituation und dem Ausgesetztsein der Situation in der Intensität nachlassen, zum Beispiel in Seminaren zur Flugangst. Aber die völlige Angstfreiheit, wie wir sie uns in belastenden Verhandlungsmomenten wünschen, ist eine Illusion – und jedes Bemühen in diese Richtung vergebens.
Bereitschaft zu großen Verlusten
Damit schließt sich der Kreis zum Fall des Vertriebsmitarbeiters. Dieser will alles, was gedanklich mit dem möglichen Verlust von Hab und Gut einhergeht, am liebsten „weghaben“. Doch um der Empfehlung seines Anwalts zu folgen, also vorzugeben, er habe ein finanzielles Polster, muss er sich mit dem Verlust von allem, was er hat, abfinden. Er muss innerlich, also gedanklich bereit sein, alles zu verlieren. Hier müssen wir sehr genau differenzieren: Es geht nicht darum, den Verlust zu suchen oder zu wollen. Es geht nur um die Bereitschaft zum möglichen Verlust. Dies wird vor allem durch den Verzicht auf das, was wir behalten und bewahren wollen, erreicht!
Der Vertriebsmitarbeiter aus dem Beispiel muss durch diese Situation nun durch. Schweren Herzens entschließt er sich, der Empfehlung seines Anwalts zu folgen. Er pokert und signalisiert der Geschäftsleitung, er hätte selbst bei einer Kündigung keine finanziellen Probleme. Die Geschäftsleitung, die fest damit rechnet, dass der Familienvater angesichts der fristlosen Kündigung und dem anschließenden Gerichtsprozess in die Knie geht, ist nun verunsichert und sucht eine Einigung.
Der Anwalt des Unternehmens warnt indes den Geschäftsführer vor den Folgen eines für ihn negativen Ausgangs vor Gericht und drohender Nachzahlungen. Er warnt ihn vor der Nichtberücksichtigung der arbeitsrechtlichen Sozialauswahl, da einige Vertriebsmitarbeiter beschäftigt werden, die nicht so lange wie der betroffene Mitarbeiter im Unternehmen seien. Außerdem seien zwei davon nicht einmal verheiratet.
Am Ende kommt es zu einer Einigung und der Vertriebsmitarbeiter erhält neun Monate Abfindung. Dies wiederum erhöht die Chancen des (im Grunde) verängstigten, aber mutig handelnden Familienvaters, auf dem Arbeitsmarkt in aller Ruhe einen neuen Job zu finden. Der Mitarbeiter hat seine Angst zwar nicht tilgen können, aber er hat die Entscheidung anders – angstfrei – treffen können, und das wurde belohnt.