AutoindustrieFinanzkrise lenkt von nicht gemachten Hausaufgaben ab
40 Milliarden Euro Kredithilfe, Verschrottungsprämien, Kaufanreize für Neukäufe und Steuererleichterungen für CO2-arme PKW: Aus Sicht von Ökonomen der Universität Hohenheim werde die gerade in Brüssel beschlossene Staatshilfe für Autobauer auch dazu benutzt, Fehler in der Produktpolitik einzelner Unternehmen zu kaschieren.
Mit ihrem Kredithilfe-Paket habe die EU die Finanzkrise als Chance genutzt, um die eher zögerliche Autoindustrie zur Aufholjagd gegenüber der umweltfreundlicheren Konkurrenz zu ermuntern. Michael Ahlheim Inhaber des Lehrstuhls für Umweltökonomie sowie Ordnungs-, Struktur- und Verbraucherpolitik der Universität Hohenheim meint:
„Wenn schon Kredite zu Sonderkonditionen an einen speziellen Wirtschaftssektor wie die Automobilindustrie vergeben werden, dann ist es sicherlich sinnvoll, sie zugleich an die Erfüllung strengerer Umweltnormen durch neu entwickelte Modelle zu binden. Würde die EU mit ihrer Kredithilfe einfach nur die Spekulations- und Absatzrisiken der Automobilindustrie abfedern, so wäre dies marktverzerrend und kontraproduktiv.“
In dieselbe Richtung, nämlich kurzfristig notwendige Konjunkturpolitik und langfristig richtige Umweltpolitik miteinander zu verbinden, wirke auch die bis zu zweijährige Steuerbefreiung, die die Bundesregierung für umweltfreundliche Neuwagen angekündigt hatte.
Politiker zwingen Autoindustrie zu umweltfreundlichen Produkten
Unter dem Vorwand der Finanzkrise werde Europas Autobranche von der Politik viel mehr zur Aufholjagd im versäumten Trend zu umweltfreundlicheren Fahrzeugen gezwungen. Ein taktisches Manöver, das die Gefahr berge, die Ausweitung zur Wirtschaftskrise herbeizureden. Bestätigung erhalten die Ökonomen von Hohenheimer Kommunikationswissenschaftlern, die ähnliche Muster wie in der Ölkrise von 1972/73 erkennen.
Mit Sicherheit durchschreite auch die Auto-Branche - wie manch anderer Industriezweig - eine Talsohle, zu der auch die Finanzkrise ihren Teil beitrage, meint Hans-Peter Burghof, Professor und Bankenexperte der Universität Hohenheim. Tatsächlich sei ein Krisenpaket nach einem Monat reichlich verfrüht und verleite eine schwächelnde Branche dazu, die Folgen ihrer teilweise unerledigten Hausaufgaben auf die Finanzkrise zu schieben, statt die wirklichen Fehler zu korrigieren.
Auch sein Kollege Markus Voeth, Professor für Industriegüter-Marketing, bestätigt:
„Dass es der Branche nicht gut geht, zeigt schon der Blick in die Auftragsbücher der Zulieferer. Viele Aufträge wurden storniert, generell meldet die Branche zum Teil bis zu 40 Prozent Auftragsrückgang. Tatsächlich ist der Auftragseinbruch aber schon nach der Sommerpause erfolgt - also zu einem Zeitpunkt, als die Finanzkrise noch gar nicht hochgekocht war.“
Verfehlte Modellpolitik und fatales Weiter-so: Die Branche hat auch selbst Fehler gemacht
Zu den Versäumnissen von Unternehmen der Branche zählen die Ökonomen eine verfehlte Modellpolitik und die Philosophie, gegen den Markttrend, auf große, schnelle und verbrauchsintensive Fahrzeuge zu setzen. Unternehmen wie Opel oder BMW haben beispielsweise schon seit einiger Zeit Probleme in der Modellpolitik.
Verschärft würde die mangelnde Nachfrage durch die Verunsicherung der Käufer, wie sich die neue KFZ-Besteuerung nach CO2-Ausstoß auswirken werde, und durch die hohen Ölpreise des vergangenen Sommers: Die Branche dachte, beim Spritverbrauch geht es weiter wie bisher. Beim Verbraucher habe der Blick auf die Zapfsäule ganz andere Zukunftswünsche reifen lassen, meint Voeth.
Positiv-Beispiel Audi: Bestes Ergebnis der Firmengeschichte im September
Als Bestärkung ihrer Einschätzung sehen die Ökonomen die Positiv-Beispiele der Branche: Während BMW und einige andere Firmen Leute nach Hause schicken müssten, habe Audi im September das beste Ergebnis seit Firmenbestehen eingefahren - dank vorbildlicher Modellpolitik und einer Strategie, die statt auf den US-Markt auf Russland und China setzte.
Gefahr, dass die Krise herbeigeredet wird
Gleichzeitig sehen viele Ökonomen den Schachzug von Politik und Wirtschaft als nicht ungefährliches Spiel mit dem Feuer. Die Finanzkrise sei vornehmlich eine Vertrauenskrise, urteilt Bankenexperte Burghof. Wenn die Finanzkrise als Vorwand für jede wirtschaftliche Fehlentwicklung missbraucht werde, bestehe die Gefahr eines Self-Fulfilling-Prophecy-Mechanismus, der die Krise auf immer neue Branchen ausweitet.
Eine Gefahr, die auch der Kommunikationswissenschaftler Professor Frank Brettschneider nach Analyse der Fernseh-Berichterstattung zur Finanzkrise von Mai bis Oktober sieht:
„In der Bankenkrise haben sich die Medien bislang sehr verantwortungsbewusst verhalten. Nun laufen wir Gefahr eines Wettlaufs immer neuer Horror-Meldungen aus anderen Branchen. Nach beunruhigenden Meldungen aus der Automobilbranche werden jetzt die Auswirkungen auf die Zulieferer thematisiert. Als nächstes kommt dann die Tourismus- oder eine andere Branche dran.“
Fatale Parallelen zur Ölkrise von 1972/73
Ein Szenario, bei dem Brettschneider bedrohliche Parallelen zur Ölkrise von 1972/73 sieht. Damals gab es bei der Rohölförderung keine nennenswerte Verknappung für den deutschen Markt. Doch als die ersten Spekulationen in den Medien aufkamen, reagierten die Autofahrer mit Hamsterkäufen. Als Folge sei die Weiterverarbeitung von Rohöl zu Benzin zusammengebrochen. Das Resultat waren Autoschlangen an den Tankstellen und eine Dynamik in der Berichterstattung, die die Krise immer weiter ausweitete.
An einer echten Öl-Krise sei Deutschland 1978 dagegen weitgehend unbemerkt vorbeigeschlittert: Damals gab es wirklich eine Öl-Verknappung, die von den Medien allerdings nicht aufgegriffen wurde. In der Rückschau habe diese Krise sich dann noch einmal von selbst gelöst.
Die Professoren der Universität Hohenheim haben dazu einen Aufruf verfasst, mit dem sie alle Akteure in der Krise zur Besonnenheit mahnen: „Keine Wirtschaftskrise herbeireden!“
[jf; Quelle: Universität Hohenheim; Bild: Fotolia.com]