Burnout durch Wertemanagement verhindern
Fußballtrainer Ralf Rangnick hatte es, Fernsehkoch Tim Mälzer auch. Das Burnout-Syndrom macht sich immer häufiger in unserer Gesellschaft breit, besonders bei Führungskräften – und bleibt doch häufig so lange unsichtbar. Burnout taucht nicht plötzlich aus dem Nichts auf, sondern kündigt sich durch unterschiedlichste körperliche und psychische Signale eher schleichend an. Wie ein raffinierter, unsichtbarer, lautsloser Schädling verweilt es zunächst und sorgt dafür, dass erste Anzeichen gar nicht als Burnout-Symptome wahrgenommen werden. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass es schon so oft, zu oft thematisiert wurde und viele Menschen aus diesem Grunde eine intuitive Abwehrhaltung einnehmen.
Trotzdem müssen sich Unternehmen diesem Thema stellen. Die verantwortlichen Arbeitgeber fragen sich zurecht, wie sie ihre Führungskräfte und Mitarbeiter dabei unterstützen können, sich mit dem Thema Burnout-Vermeidung in einem angemessenen Maße zu befassen – also ohne es überzustrapazieren.
Hierzu gibt es in der betrieblichen Praxis unterschiedliche Ansätze. Viele Unternehmen investieren etwa in Maßnahmen wie Gesundheitschecks, Aufklärung über gesunde Ernährung, innerbetriebliche Sportangebote oder auch Stressmanagementseminare, um ihre Mitarbeiter für das Thema der mentalen und physischen Gesundheit zu sensibilisieren. Allesamt wichtige Bausteine zur allgemeinen gesundheitlichen Prophylaxe, denn Mitarbeiter profitieren davon meistens auch für ihr privates Umfeld. Wenn sich mittel- und langfristig Erfolge einstellen, erhöht dies die Motivation und Leistungsfähigkeit. Bleibt allerdings eine wichtige Frage offen:
Nehmen die am ehesten gefährdeten Führungskräfte beziehungsweise Mitarbeiter diese Maßnahmen auch wahr?
In der betrieblichen Praxis kaum. Entweder sie finden dafür keine Zeit oder glauben, dass es sie nicht betrifft. Warum ist das so? Engagierte Führungskräfte neigen dazu, ihre persönlichen Befindlichkeiten häufig hintenanzustellen. Wenn sie das Gefühl haben, in ihrem Führungsverhalten oder in der Leitung ihres Bereichs gäbe es noch Optimierungsbedarf, versuchen sie sehr schnell Lösungen zu finden. Dabei können das die unterschiedlichsten Themen sein: unmotivierte Mitarbeiter, neue Strukturen, finanzielle Veränderungen im Unternehmen, veränderte Aufgabenstellungen oder Anforderungen. Meistens geht es um das Unternehmen und seine Mitarbeiter, aber nicht um sie selbst. Bei allem Streben nach Lösungen und Erfolg verlieren manche Führungskräfte dann den Blick für sich, den Zugang zu sich selbst.
Wenn Erfolge unglücklich machen
Vielleicht klingt es sogar ein wenig widersprüchlich, aber die Fakten belegen es: Gerade besonders erfolgreiche Menschen sind burnoutgefährdet oder leiden bereits unter dem Syndrom. In der Vorphase, wenn sich noch kein Burnout-Syndrom manifestiert hat, äußert es sich bei manchen Führungskräften in einer großen, nicht zu definierenden Unzufriedenheit. Obwohl sie ihre Ziele erreichen, verschiedenste Varianten der Anerkennung bekommen, einen gewünschten Status erreicht haben und gebraucht werden.
Und obwohl sich diese Manager eigentlich in einem Idealzustand befinden, verspüren sie wenig oder keine Glücksgefühle, sondern fühlen sich eher unausgeglichen oder müde. In dieser Situation kommen häufig noch Selbstvorwürfe hinzu: Bei so viel Erfolg könne man doch eigentlich gar nicht unglücklich sein. Für viele erfolgreiche Führungskräfte ist dieser Zustand schwer zu ertragen, da weder ein Management-Tool noch gut ausgeprägte Softskills an dieser Stelle zur „Spontanheilung“ und zum „Glücklichsein“ verhelfen beziehungsweise eine schnelle Lösung bringen.
Was kann also getan werden, wenn Erfolge sozusagen unglücklich machen? Es ist ein wenig wie das paradoxe Phänomen einer jungen Braut, die am Altar vor dem finalen Ja-Wort steht und weinen muss. Sie weint nicht, weil sie so glücklich ist, sondern weil sie weiß, dass sich dieser Moment so niemals wiederholen wird. Dieser Moment, der lange herbei gesehnt, mit Mühen vorbereitet wurde und nun in wenigen Minuten beendet sein wird. Der Mann an der Seite ist bald der Ehemann und der Erfolg ist schon wieder vorbei.
Diese nicht ganz ernst gemeinte Parallele zeigt: Die von guten Führungskräften häufig erzielten Erfolge werden immer als einmalig und endlich erlebt. Jeder Erfolg, der gelebt wird, bedeutet gleichzeitig Abschied vom Zustand sich darauf zu freuen. Gegen diese diffuse Unzufriedenheit lässt sich aber vorbeugen. Es gilt, die eigenen Grundwerte, die in Situationen des erfolgreichen Agierens häufig verschüttet sind, wieder hervorzuholen. Dazu ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, welche Dinge im eigenen Leben wirklich von Bedeutung sind.
Unternehmen sollten Unternehmenswerte definieren
Es sind Werte wie Erfolg, Bescheidenheit, Gesundheit, Ehrlichkeit, Zusammenhalt, Freunde haben, Toleranz, Ehrgeiz, Liebe oder auch Partnerschaft, die Menschen sehr häufig als ihre Werte bewusst aufschreiben. Dabei fällt auf, dass manche Werte nicht immer gleichzeitig gelebt werden können und erst recht nicht immer zusammen passen, sondern in Konkurrenz zueinander stehen. Gerade beruflich relevante Werte können untereinander oder mit privaten kollidieren. In diesem Fall liegt dann ein Wertedilemma vor. Wenn dieses negiert oder verdrängt wird, kann es zu Unzufriedenheit und in der Folge zu psychischen Belastungen kommen.
Nun gehört es aber nicht selbstverständlich zur Tagesordnung einer Führungskraft, über persönliche Werte nachzudenken. Obwohl Werte unsere Einstellungen prägen und diese wiederum unser Handeln, ist dies nicht automatisch im Bewusstsein der handelnden Personen verankert. Unternehmen können das jedoch aktiv unterstützen, indem sie ihre eigenen Unternehmenswerte definieren.
Doch meist wird die Diskussion nach der Wertedefinition beendet. Werte wie Umsicht oder Ehrlichkeit werden dann ausformuliert in Sätze wie „wir agieren umweltbewusst“ oder „wir kommunizieren transparent und zeitnah“. Mitarbeiter und Führungskräfte sollten die Werte ihres Unternehmens aber nicht nur kennen und verstehen, sondern diese auch mit ihren persönlichen Werten abgleichen und sich mit ihnen auseinandersetzen können.
Unternehmenswerte wie Leistungsorientierung, Schnelligkeit, Kreativität, Freude, Kooperation oder Transparenz können sich je nach Situation ebenfalls widersprechen. Umso komplexer wird es dann, wenn die individuellen Werte der Mitarbeiter hinzukommen. So einfach die Lösung auch klingen mag, aber über Werte und ihre Dilemmata sollte im Arbeitsumfeld gesprochen werden. Denn Menschen, die über einen längeren Zeitraum in einem (manchmal unbewussten) Wertedilemma stecken, erleben eine hohe psychische Belastung, die zu einem Burnout-Syndrom führen kann. Dann, wenn das Wertedilemma nicht aktiv bearbeitet wird.
Hinweis
Nicht das Vorhandensein eines Wertedilemmas ist das Problem, sondern der Umgang damit! Wer sich in einem Wertedilemma befindet, sollte eine Entscheidung treffen und dazu stehen. Das fortdauernde Hadern mit den eigenen Entscheidungen ist häufig Auslöser für psychische Belastungssymptome.
Um erfolgreiche Führungskräfte und Mitarbeiter für die Burnout-Prophylaxe zu sensibilisieren, können Unternehmen folgendermaßen vorgehen:
- Die Leitung des Unternehmens muss die Bereitschaft mitbringen, in eine Burnout-Prophylaxe für Leistungsträger zu investieren. Häufig wird dies nämlich als Widerspruch gesehen, da bei Leistungsträgern ja alles gut läuft.
- Der Umgang mit dem Thema Burnout darf kein Tabu sein, es muss darüber gesprochen und aufgeklärt werden. Wichtig hierbei ist, den Zusammenhang zwischen Unzufriedenheit, eigenen Werten und Burnout-Syndrom zu erläutern.
- Die Unternehmensleitung muss Raum geben und gleichzeitig Vorbild sein, über potenzielle Wertedilemmata, die immer in Unternehmen existieren, zu sprechen.
- Eigene Werte und die Werte des Unternehmens kollidieren in vielen Fällen gar nicht zwangsläufig, sondern können auch im Unternehmen positiv miteinander verknüpft und kommuniziert werden. Wenn eine Führungskraft viel Wert auf Fairness legt und dies einen wichtigen persönlichen Wert darstellt, so wird sich das auch auf das Führungsverhalten auswirken und mit einem Unternehmenswert wie zum Beispiel „transparente Kommunikation“ im Einklang stehen. Dies wirkt sich wiederum motivierend aus.
Wie kann das nun im Unternehmensalltag umgesetzt werden? Am besten geeignet für die Platzierung des Themas sind beispielsweise Workshops, in denen Führungskräfte die Möglichkeit erhalten einen persönlichen „Boxenstopp“ einzulegen. Die Teilnehmer sollten die Gelegenheit bekommen vor allem über die Erfolge, aber auch Misserfolge des Unternehmens und die ihres Verantwortungsbereichs in der Vergangenheit und über die erlebte Unternehmenswirklichkeit zu diskutieren.
Hier geht es nicht darum, eigene Missstände oder das Fehlverhalten Anderer aufzuzeigen, sondern darüber zu sprechen, in welchen Situationen sich die Führungskräfte eher wohl oder unwohl fühlen. Dies können sehr verschiedene Situationen sein, da sie individuell erlebt werden. So kann beispielsweise der Einkaufsleiter einerseits darüber erfreut sein, dass er bei einem Lieferanten neue Konditionen erzielt hat, die dem Unternehmen Geld sparen. Gleichzeitig kann er die Situation als „unfair“ gegenüber dem Lieferanten erleben, weil er ihn massiv unter Druck gesetzt hat. Wenn dies beim Lieferanten langfristig zur Beeinträchtigung seiner Qualität oder womöglich bis zur Existenznot führen kann, stellt es möglicherweise eine Belastung dar.
Führungskräfte sind ständig mit Wertedilemmata konfrontiert. Egal, ob es um die Entlassung eines so genannten „Low Performers“ geht oder um die Entscheidung, die Familie in bestimmten Situationen hintenanzustellen. Für viele Führungskräfte stellt auch das Jonglieren zwischen Informationsweitergabe an die Mitarbeiter und der gleichzeitig vorhandenen Loyalität dem Vorgesetzten gegenüber ein Spannungsfeld dar, da immer Informationen existieren, die nicht unmittelbar weitergegeben werden dürfen.
Führungskräfte müssen lernen zu Entscheidungen zu stehen
Über eigene Werte zu sprechen ist für Führungskräfte meist neu und unbekannt. Deshalb ist es wichtig sich bewusst zu machen, dass erfolgreiches Führungsverhalten häufig mit der Herausforderung einer Entscheidung zwischen verschiedenen (manchmal kollidierenden) Werten verbunden ist. Diese Dilemmata sind normal, menschlich und nicht zu vermeiden. Wenn Führungskräfte das erkennen, reduziert sich meist schon die oben erwähnte Unzufriedenheit und die damit verbundene psychische Belastungssituation.
Der Schlüssel stellt dabei die persönliche Kernkompetenz dar, zu seiner Entscheidung zu stehen. Denn Führungskräfte geraten oft in Situationen, in denen es nicht nur die eine richtige Lösung gibt, sondern meist verschiedene Wege. Zu den Konsequenzen seiner Entscheidungen zu stehen führt zu Klarheit und Gradlinigkeit – für die Führungskraft selbst und für die Menschen, die davon betroffen sind. So kann es zum Beispiel Situationen geben, in denen jemand verletzt wird, um dafür den Wert „Ehrlichkeit“ leben zu können. Es hilft, sich die Konsequenzen vor Augen zu führen, was in den jeweiligen Situationen passiert, würde man den Wert Ehrlichkeit umsetzen oder es bleiben lassen, weil man nicht verletzen möchte. Es handelt sich also durchaus nicht um eine passive Ausgangslage, in der die Führungskraft steckt.
Oft sind nicht die diversen Handlungsoptionen beziehungsweise alternative Lösungen das eigentlich Wichtige. Der Erfolgsschlüssel liegt vielmehr in der Auseinadersetzung mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen, die sich immer hinter den Grundwerten befinden. Oft reicht es schon aus, zu seinen Bedürfnissen wieder Zugang zu bekommen, um zu einer neuen Richtung in möglicherweise eingefahrene Denkmuster zu gelangen. Diese Auseinandersetzung führt oftmals wieder aus der subjektiv empfundenen Fremdbestimmung hin zur Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortlichkeit.
Zufriedene Führungskräfte fühlen sich nicht fremdbestimmt, sondern sind sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst, stehen zu ihren Entscheidungen, aber auch Fehlern. Das reduziert die Belastung in Situationen, in denen Wertedilemmata existieren. Die Zufriedenheit führt zu mehr Gelassenheit und damit zu „gesunder“ Leistungsfähigkeit. Dies sollte für die meisten Unternehmen ein guter Grund sein, sich dem Thema intensiv zu widmen. Denn zufriedene, gesunde Führungskräfte bilden die Säulen eines erfolgreichen Unternehmens.