CEO und Vorstand als Team der Führung

Der Unternehmenserfolg hängt auch davon ab, wie CEO und Vorstandsteam zusammenarbeiten. Denn Top-Teams sind keine Kuschelgruppen, die immer harmonieren.
Von Dr. Kai Dierke

Frau Dr. Houben, Herr Dr. Dierke, Sie beraten und coachen Vorstände internationaler Großunternehmen. Hat die Banken- und Finanzkrise das Denken der Top-Manager verändert?
Dierke: Ja, seitdem beschäftigen sich viele Top-Manager mit der Frage, wie sie ihr Unternehmen besser gegen extreme Risiken absichern können. Diese Risiken nennt der libanesische Philosoph und Mathematiker Nassim Taleb „Schwarze Schwäne“. Aber dieser Blick auf die äußeren Risiken lenkt häufig von den inneren ab.

Welchen Risiken sind das zum Beispiel?
Dierke: Zum Beispiel das Leadership-Risiko, das den Unternehmenserfolg mindestens ebenso stark gefährdet wie die äußeren Risiken.
Houben: Das wir, weil wir es alltäglich beobachten, das Risiko der „Weißen Schwäne“ nennen.

Können Sie das konkret erläutern?
Houben: Das Leadership-Risiko besteht darin, dass Führung und Zusammenarbeit auf der Top-Ebene des Unternehmens nicht optimal wirksam sind. Top-Manager sind heute aufgrund der Globalisierung, des rapiden technologischen Wandels und ständig neuen Situationen am Markt mit einer extremen Komplexität konfrontiert. Gerade bei CEOs beobachten wir immer wieder typische Verhaltensweisen, wenn sie unter Druck stehen.

Um welche Verhaltensweisen geht es dabei?
Dierke: Sie wählen eher den Alleingang als die konsequente Arbeit im Vorstandsteam, lassen wenig Dialog, geschweige denn Feedback zu. Hier liegt das ganz alltägliche, aber hohe Risiko für den Unternehmenserfolg.

Können Sie hierfür ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit nennen?
Dierke: Prominente Beispiele wie Wiedeking bei Porsche, von Pierer bei Siemens oder Fuld bei Lehmann Brothers sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie haben ihre Unternehmen vorangebracht, setzten diese aber auch enormen Risiken aus. Ihre Alleingänge wurden nicht durch das „Team at the Top“ ausbalanciert.
Houben: Auch in unserer täglichen Arbeit mit Vorständen und Geschäftsführungen lassen sich genügend Beispiele für das Leadership-Risiko finden, etwa disfunktionales Verhalten und Abkapselung unter Stress. Das sind sehr menschliche Reaktionen, die das Dilemma von Top-Managern angesichts zunehmender Komplexität zeigen.

Um noch einmal auf das oben angesprochene Verhältnis von CEO und Vorstandsteam zurückzukommen. Welche Verhaltensweisen beobachten Sie hier?
Dierke: Die Quasi-Entmachtung des Vorstandsteams durch den CEO gibt es in vielen Varianten. Drei Verhaltensweisen sind besonders verbreitet: Erstens der „Klassische Held“. Er reagiert auf Komplexität mit einer Dramatisierung der Situation und Schwarz-Weiß-Rhetorik. Nur bei einem Turnaround ist dies ein absolut angemessenes Verhalten. Zündet der CEO – oder hier ebenso häufig der CFO – aber ständig die Bühne an, um sich als Retter der Firma zu bestätigen, hat das Folgen: Gemeinsame Analyse und Dialog im Top-Team finden nicht statt, das Team folgt dem Helden auf dem Pfad des Aktionismus. Top-Team und Organisation werden auf Dauer „sauer“ gefahren. Der „Anti-Held“, der Probleme leugnet und im Team Appeasement-Politik betreibt, ist genauso kontraproduktiv. Er kommt aber aber deutlich seltener vor.
Houben: Der zweite Typ nennt sich „Erfahrener der ersten Stunde“. Er will die komplexen Probleme der Zukunft mit erprobten Erfolgsrezepten der Vergangenheit lösen nach dem Motto: „Das hat immer funktioniert. Warum nicht auch morgen?“ Gerade in globalisierten, technologiebasierten Märkten liegt hier ein immenses Risiko. Denn solche Typen suchen nach der Bestätigung ihres Erfahrungswissens, das in heutigen Zeiten nur noch eine sehr kurze Halbwertzeit hat. Besser wäre es, die unterschiedlichen Sichtweisen des Teams zu nutzen. „Erfahrene der ersten Stunde“ blenden bewusst die Komplexität aus und stellen sich nicht konsequent den neuen Realitäten. Sie erzeugen damit eine wachsende Verunsicherung im Top-Team und bei Top-Nachwuchskräften auf den nächsten Ebenen.

Und der dritte Typ?
Houben: Hier beobachten wir den so genannten „Meinungsstarken Unbeirrbaren“. Er begründet sein Verhalten mit den Verhältnissen nach dem Prinzip: Es geht nicht anders, ich habe keine Alternative. Entweder seid ihr für oder gegen mich. Der „Meinungsstarke Unbeirrbare“ benutzt das rationale Totschlagsargument und fordert zugleich bedingungslose Loyalität. Teamarbeit und echter Dialog auf Top-Ebene finden auch hier nicht statt. Der CEO stellt das Team vor eine Scheinwahl. Innere Emigration und Demotivation sind häufig das Resultat.

Warum ist es so schwer, das Leadership-Risiko zu vermeiden? Sind die Unternehmen Opfer der Hybris ihrer CEOs?
Dierke: Nein, dazu ist das Phänomen viel zu verbreitet. Das Leadership-Risiko hat – neben einer persönlichen Prädisposition – zwei Gründe: Erstens sind die Denkmuster von Top-Managern nun einmal leistungs-, ergebnis- und damit auch wettbewerbsorientiert. Der Alphatier-Habitus ist ihr Erfolgsrezept, um an die Spitze zu gelangen und dort zu überleben. Viele CEOs sind autokratisch, also wenig auf Dialog und die Annahme von ehrlichem Feedback getrimmt. Dieser Tunnelblick verstärkt sich in Zeiten zunehmender Komplexität.
Houben: Ein weiterer Grund für das Leadership-Risiko sind Strukturen und Systeme, die der Teamarbeit im Vorstand entgegenwirken. Bereichsvorstände sind auf die Optimierung des eigenen Bereichs fokussiert, das ist ihre Kernaufgabe. Auch die Kompensations-, Zielerreichungssysteme und Budgets sind in erster Linie bereichsorientiert definiert. Das heißt: An der Firmenspitze ist die Konkurrenz aufgrund der letztendlichen Verantwortung für einzelne Geschäftsbereiche besonders stark ausgeprägt. Deshalb gibt es dort keine natürliche Entwicklung in Richtung eines Teams.

Sie machen also den CEO für mangelnde Performance des Top-Teams verantwortlich?
Dierke: Nein, auch wenn er die größten Einflussmöglichkeiten hat. Jeder im Team trägt die Verantwortung, das Unternehmen gemeinsam zu führen. Akzeptiert das Team eine reaktive Rolle und damit eine faktische Ent-Verantwortung, ist es nicht mehr „on task“. Jeder muss den produktiven Konflikt mit dem CEO und anderen Mitgliedern suchen.

Ein Team ist also keine Kuschelgruppe?
Dierke: Es ist ein beliebter Irrtum, dass es in Teams immer Harmonie geben sollte. Auch Teams sind kein Selbstzweck.
Houben: Das Team auf der Top-Ebene ist eine Leistungsgemeinschaft mit einer klaren Zielausrichtung. Erfolgreiche Teams unter Geschäftsdruck fordern sich untereinander. Sie erarbeiten sich eine gute Balance zwischen kritischen Fragen und Entscheidungen, und sie reflektieren konsequent die eigene Zusammenarbeit im Team. Diese gemeinsame Verpflichtung auf ein Teamergebnis bei gegenseitiger Inverantwortungnahme macht sie so wirksam. Der produktive Konflikt ist also nicht nur unumgänglich, sondern auch ein wichtiger Geburtshelfer für ein wirksames Team. Mit einem Kuschelkurs hat das wenig zu tun, wohl aber mit wechselseitigem Vertrauen, offenem Feedback und Disziplin. Genau das ist die Herausforderung.

Also handeln Top-Teams in Ihren Augen nicht diszipliniert und rational...
Houben: Das ist eher die Ausnahme. Teams entwickeln mit der Zeit disfunktionale Verhaltenweisen: Konflikte werden vermieden, Eigeninteressen verfolgt oder Entscheidungen nicht sachbezogen, sondern politisch motiviert getroffen. Ein Team ist ein Mikrokosmos menschlichen Verhaltens. Es ist eine Fiktion anzunehmen, Teams an der Spitze würden automatisch einen High-Performance-Status entwickeln. Sie müssen sich diesen systematisch und diszipliniert erarbeiten. Unsere Aufgabe als externe Berater ist es dann, die Disfunktionen im Team deutlich zurückzuspiegeln. Erst wenn das oberflächliche „Harmonie-Kartell“ gebrochen ist, kann das Team eine höhere Stufe der Performance erklimmen.

Knirscht es denn bei diesem Prozess im Top-Team nicht zuweilen?
Dierke: Ja, denn es ist ein mühsamer Prozess, sich als Team einen produktiven und effizienten Modus zu erarbeiten – und es ist genauso mühsam, diesen aufrechtzuerhalten. Es gibt kein Team, das immer gleich leistungsfähig ist und bleibt. Die zentrale Herausforderung für jedes Top-Team ist, sich durch konsequente Reflexion der eigenen Funktionalitäten und Disfunktionalitäten in einem Dialog über sich selbst zu halten. Das Team muss die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln. Dann kann es das Leadership-Risiko verringern.

Wie offen sind Top-Manager für Feedback und eine Auseinandersetzung über ihre Wirksamkeit?
Dierke: Zwei Dinge sind hier wichtig: Am Beginn steht immer die Einsicht des CEOs und seiner Kollegen, dass die Leistungsfähigkeit als Team nicht der natürliche Modus einer Gruppe an der Spitze eines Unternehmens ist. Ein wirksamer Team-Modus muss immer wieder neu erarbeitet werden. Zweitens ist die Einsicht wichtig, dass die Wirksamkeit des eigenen Verhaltens nur ehrlich durch andere beurteilt werden kann. Es braucht immer externe Impulse im Sinne von „Confront the Brutal Facts“.
Houben: Nun ist ja der Raum auf der Top-Ebene sehr Feedback-intensiv – die Leistung der Vorstände börsennotierter Unternehmen steht ständig öffentlich auf dem Prüfstand. Auf der anderen Seite ist er aber nahezu Feedback-frei, was ihre eigene Wirksamkeit in Führung und Zusammenarbeit angeht. Die Kunst besteht darin, kontinuierlich Feedback in die eigenen Verhaltensweisen zu integrieren und Impulse von dritter Seite bereits dann aufzunehmen, wenn man als Führungskraft umsteuern muss, und nicht erst, wenn man auf dem Riff sitzt.

Wer ist der beste Feedbackgeber für Top-Teams?
Dierke: Das Top-Team selbst. Wir unterstützen Teams häufig darin, Feedback als Bestandteil eines permanenten Entwicklungsprozesses in Richtung auf High Performance zu nutzen. Genauso wichtig aber ist, dem Vorstandsteam zurückzuspiegeln, welchen „Shadow of the Leaders“ es wirft.

Also welche Verhaltensmuster die Top-Manager der Organisation vorleben...
Dierke: Ja. Das Verhalten im Top-Team wird nun einmal auf den nächsten Ebenen kopiert – im negativen und positiven Sinne. Wenn CEOs und Top-Teams das Leadership-Risiko systematisch angehen, dann erhöhen sie nicht nur die Zusammenarbeit untereinander, sondern auch die Wirksamkeit der gesamten Organisation.

Frau Dr. Houben, Herr Dr. Dierke, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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