Change ManagementWarum Unternehmen nicht alt werden (dürfen)
Im Mai 2013 veröffentlichte die Wirtschaftswoche eine Exklusiv-Studie des Münchner Wirtschaftsprofessors und Unternehmensberaters Bernd Venohr über die ältesten deutschen Weltmarktführer. Darunter finden sich nur wenige Konzerne wie die Deutsche Post (gegründet 1490) oder Merck (gegründet 1668). Die 20 ältesten Unternehmen sind in Umsatz- und Eigentümerstruktur eher mittelständisch geprägt. Viele dieser Unternehmen schrammten auch schon mal an einer Insolvenz vorbei, haben den Turnaround aber immer wieder geschafft. Im Bundesdurchschnitt erreichen gemäß Creditreform jedoch weniger als 2 Prozent aller Unternehmen ein Alter von 100 Jahren oder mehr.
Unternehmensalter und Unternehmeralter als Risikofaktor?
Das Durchschnittsalter der Unternehmen schätzte die Wirtschaftsauskunftei 2013 laut Wirtschaftswoche auf nur 18 Jahre. Dies ist einerseits durch die „natürliche Lebensdauer“ von kleinen, inhabergeführten Unternehmen bedingt, die nicht alle übergabefähig sind. Eine Analyse der KfW vom Dezember 2014 zeigt: Mehr als 70 Prozent der über 60-jährigen Unternehmer sind in Betrieben tätig, die bereits länger als 20 Jahre bestehen. Im Mittel sind diese Unternehmer seit 28 Jahren im jeweiligen Unternehmen tätig und haben dies meist auch mitgegründet. Dabei handelt es sich vornehmlich um kleine Unternehmen des Dienstleistungssektors.
Der Generationenwechsel ist damit eine Schicksalsfrage für den deutschen Mittelstand: Rund 580.000 mittelständische Unternehmen suchen bis 2017 einen Nachfolger, wie die Förderbank KfW in einer weiteren Studie ermittelte. Danach planen in diesem Zeitraum die Chefs von zirka vier Millionen Beschäftigten die Übergabe oder den Verkauf an einen Nachfolger. Das wäre jeder sechste Mittelständler in Deutschland und beträfe rund zehn Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.
Dabei stellt sich insbesondere das „Nicht-Loslassen-Können“ als große Gefahr für das Überleben des Unternehmens dar: Ältere Firmeninhaber, so die Erkenntnisse der KfW-Studie, ziehen sich mit steigendem Alter aus Investitionen zurück und die Innovationstätigkeit lässt nach. Dies mag einerseits kurzfristige Gewinne und damit auch Kaufpreiserwartungen der Eigner steigern, beschädigt aber mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Ertragskraft des Unternehmens. Das Fazit der Studie: „Je älter der Inhaber, desto wahrscheinlicher ist ein Substanzverlust.“ Die folgende – sicher nicht repräsentative – Übersicht ist mahnendes Beispiel, dass der Generationenwechsel in von Inhabern und Managern geführten Unternehmen nicht immer gelingt:

Häufig lösten verschleppte Führungswechsel oder hektische Richtungswechsel der neuen Führungsmannschaft strategische Krisen aus, die über sinkende Wettbewerbsfähigkeit und Liquiditätskrise schließlich in Profitabilitätskrisen und die Insolvenz führten.
Erfolgsfaktoren eines erfolgreichen Unternehmens(über)lebens
Wie aber haben es die eingangs genannten Unternehmen über Jahrhunderte mit Krisen, Kriegen und drastischen Marktveränderungen an die Weltspitze geschafft – und sich dort gehalten? Der ehemalige Shell-Manager Arie de Geus beschreibt in seinem Buch „The Living Company“ vier Faktoren für erfolgreiche Unternehmensentwicklung und deren Entkopplung vom Wechsel der Eigentümer oder einzelner Führungspersönlichkeiten:
Agilität und Veränderungsfähigkeit
Langlebige Unternehmen sind sensibel für Entwicklungen in ihrem Umfeld und richten ihr Kerngeschäft rechtzeitig immer wieder neu aus.
Innovation und Offenheit
Diese Unternehmen erlauben ihren Mitarbeitern Freiräume und tolerieren auch exotische Experimente abseits des Kerngeschäfts, solange diese die Existenz nicht gefährden.
Robuste Geschäftsmodelle
Diese Unternehmen betreiben eine konservative Finanzierungs- und Ausgabenpolitik mit wenig Abhängigkeit von Banken. Aufgrund ihrer gefüllten Kasse können sie beim Betreten von Neuland oder der Übernahme anderer Unternehmen unabhängiger agieren.
Transparenz und Authentizität ihrer Werte (Integrität)
Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch Transparenz ihrer Werte und ausgeprägte Identifikation aller Mitarbeiter – nicht nur der Führung – mit diesen aus.
Das hervorstechendste Merkmal alter Unternehmen sieht auch William O’Hara, emeritierter Professor der Bryant University im US-amerikanischen Rhode Island, in der Verpflichtung auf einen Integritätsstandard: „Dieser Wert unterscheidet sie von der Konkurrenz. Sie sind bekannt für Verlässlichkeit und haben sich einen Ruf erarbeitet, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Menschen vor Ort fair zu behandeln.“ In Familienunternehmen kann – Porsche hin, Volkswagen her – das Vertrauen unter den Familienmitgliedern, die Fähigkeit zur Konfliktlösung und die Leidenschaft oder das Pflichtgefühl, die Tradition fortzuführen, ein zusätzlicher positiver Faktor sein.
Wie kann man diese Erfolgsfaktoren der Vergangenheit in die Zukunft übersetzen? Es gibt immer weniger Branchen und Unternehmen, die noch keine digitale Transformation ihrer Geschäftsmodelle erfahren haben beziehungsweise zukünftig nicht davon profitieren könnten. Die Charakteristika digitaler Transformation lassen sich in drei miteinander eng und wechselseitig verbundene Themenfelder gliedern:
Technologiegetriebene Geschäftsmodelle
Durch Cloud-Lösungen und Mietmodelle lassen sich nicht nur Fixkosten reduzieren, sie sind auch leichter skalierbar und erleichtern beispielsweise die temporäre Zusammenarbeit mit externen Mitarbeitern oder mit unterschiedlichen Endgeräten – zu jeder Zeit und überall. Doch Mietmodelle boomen nicht nur im B2B-Bereich. Auch immer mehr private Kunden folgen dem Ruf der Share Economy und teilen Autos, Heimwerkergeräte oder Gästebetten in Privathaushalten statt sie zu kaufen. Den Überblick über die Verfügbarkeit sowie den Zugang ermöglichen Apps und smarte Telefone jederzeit an jedem Ort. Die dabei entstehenden Daten können wiederum – auch in anonymisierter Form – zur Muster-Erkennung in Nutzerprofilen und damit für maßgeschneiderte Werbung und Diensteangebote genutzt werden.
Flexibilisierung von Organisationsstrukturen
Wenn sich die Bedeutung der IT von der Support-Funktion zum zentralen Wettbewerbsfaktor wandelt, dann lohnt ein Blick auf die zentralen Prinzipien, mit denen die Hard- und Software-Industrie immer kürzere Innovations- und Vermarktungszyklen realisiert. Ein zentrales Prinzip des Innovationsmanagements und Change Managements ist das „Unternehmen beziehungsweise die Organisation der zwei Geschwindigkeiten“.
Grundidee dahinter ist, dass Innovationen sich nicht von Beginn an selbst finanzieren und deren Entwicklung und Vermarktung anderen Regeln folgen müssen als die inkrementelle Verbesserung bestehender Lösungen, Dienste oder Produkte. Die meisten IT-Abteilungen in Großunternehmen trennen daher auch Anwendungsentwicklung und Anwendungsbetrieb. Während im Anwendungsbetrieb vor allem Optimierung durch Automation und Lerneffekte im Vordergrund steht, entstehen immer mehr wichtige Innovationen in der Anwendungsentwicklung durch neue Formen der Zusammenarbeit.
Agilität und Integrität in der Zusammenarbeit
Agile Entwicklungsmethoden wie Scrum zielen nicht nur auf die starke Interaktion mit dem Kunden, um dessen Bedürfnisse besser zu verstehen und bedienen zu können. Vielmehr werden Mitarbeiter als motivierte Individuen verstanden, denen ein geeignetes Umfeldes und die notwendige Unterstützung bereitgestellt werden soll, die von diesen für die effektive Aufgabenerfüllung benötigt werden. So schrieben die 17 Erstunterzeichner 2001 in das agile Manifest:
„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir die folgenden Werte zu schätzen gelernt:
- Menschen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans“
Zukunft ist, die richtigen Dinge richtig tun
Was diese Beispiele verdeutlichen: Nur wenn sich Unternehmen regelmäßig an ihre veränderte Umwelt anpassen, können sie überleben. In einer Studie der Managementberatung Horváth & Partners aus 2014 bestätigen 70 Prozent der rund 150 in der DACH-Region befragten Führungskräfte die zentrale Bedeutung der Gestaltung und Weiterentwicklung des Geschäftsmodells für ihre Strategiearbeit. In einer zehn Jahre zuvor durchgeführten Studie spielte das Thema hingegen in nicht einmal einem Drittel der Unternehmen eine Rolle.
Die Geschwindigkeit des Wandels wird sich auch jenseits der IT-Industrie weiter beschleunigen. Es lohnt sich daher auch für Unternehmen anderer Branchen, agile Prinzipien, die Interaktion mit Kunden sowie Kooperationen mit Wettbewerbern daraufhin zu prüfen, ob diese nicht die Robustheit des eigenen Geschäftsmodells steigern können. Permanentes Weiterentwickeln und Denken in Entwicklungspfaden oder -szenarien wird damit zu einem neuen Leitparadigma, das es strukturell und kulturell in der Organisation zu verankern gilt. Projektmanagement und Change Management – der Umgang mit Veränderung – entwickeln sich in der Folge zu strategischen Schlüsselkompetenzen erfolgreicher Unternehmen. Job-Rotation in der Stammbelegschaft und der gezielte Einsatz von externen Mitarbeitern helfen, das „not-invented-here“-Syndrom zu vermeiden und die notwendige Offenheit zu entwickeln, um die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit in eine erfolgreiche Zukunft zu „übersetzen“.
Jubiläen sollte man feiern – aber mit der notwendigen Demut, dass eine goldene Vergangenheit allein kein Garant für eine goldene Zukunft sein muss. So gesehen können „125!“ Jahre, gemäß einer Mercedes-Werbung aus dem Jahr 2011, als Mahnung verstanden werden, immer wieder das Beste zu geben – und auch außerhalb des eigenen Unternehmens danach zu suchen, um auch morgen noch erfolgreich zu sein.