Change-Projekte und Veränderungen in Unternehmen

Immer schneller, immer weiter - viele Unternehmen sind mit permanenten Change-Prozessen überfordert. Woran das liegt, erklärt unser Experte im Interview.

Mitarbeiter vieler Unternehmen klagen über großen Veränderungsdruck, unter dem sie stehen. Was hat sich im vergangenen Jahrzehnt in den Unternehmen konkret verändert?

Fast alles, von der Organisationsstruktur über die Arbeitsprozesse und Arbeitsbeziehungen bis hin zur Unternehmenskultur.

Was war der wesentliche Treiber dieser Veränderung?

Der technische Fortschritt, insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Er ermöglichte es, die Arbeits- und Kommunikationsprozesse in den Unternehmen und zwischen ihnen ganz neu zu gestalten. Damit war er der Motor der Veränderung sowie der Globalisierung. Ohne die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie wäre die Globalisierung, wie wir sie erleben, nicht möglich gewesen. Wobei mich als Organisationsberater im Rückblick selbst immer wieder überrascht, wie rasant sich diese Entwicklung vollzogen hat.

Warum überrascht sie das?

Vor zehn Jahren waren in den meisten Unternehmen gerade einmal die Büroarbeitsplätze mit PCs ausgestattet, und die Betriebe waren noch vollauf damit beschäftigt, diese zu vernetzen, um die internen Arbeitsprozesse zu optimieren. Das Internet jedoch steckte noch in den Kinderschuhen und die Sozialen Netzwerke wie beispielsweise Facebook waren noch nicht einmal erfunden. Heute ist eine Kommunikation der Unternehmen via Internet selbstverständlich, was ja ganz neue Formen der Zusammenarbeit, auch weltweit, ermöglicht. Sie kommunizieren auch mit ihrer Umwelt via Internet sowie zunehmend über Social Media.

Inwiefern haben sich hierdurch die Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen in den Unternehmen verändert?

Vor zehn Jahren waren die meisten Betriebe noch sehr hierarchisch strukturiert. Sie waren weitgehend darum bemüht, die einzelnen Bereiche wie zum Beispiel die Produktion zu optimieren. Heute hingegen haben fast alle Großunternehmen eine Matrix-Organisation.

Um die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu forcieren?

Richtig. Daraus resultieren auch neue Anforderungen an die Mitarbeiter. Nehmen Sie das Beispiel Team- und Projektarbeit: Vor zehn Jahren waren die meisten Unternehmen noch damit beschäftigt, diese in einzelnen Bereichen einzuführen. Heute hingegen ist die bereichs- und vielfach auch unternehmensübergreifende Team- und Projektarbeit in vielen Betrieben bereits die Regelarbeitsform.

Inwiefern hat sich durch die veränderte Organisationsstruktur auch die Kultur der Unternehmen gewandelt?

In der Organisationsstruktur eines Unternehmens spiegelt sich dessen Kultur wider. Deshalb hat ein Wandel der Organisationsstruktur sowie der Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen auch einen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Mein Eindruck ist jedoch: In vielen Unternehmen hinkt die Kultur der Entwicklung der Organisationsstruktur hinterher. Dies ist ein zentraler Hemmschuh für ihre weitere Entwicklung.

Warum ist das Ihrer Ansicht nach so?

Weil man sie im Gegensatz zur Organisationsstruktur nicht „top down“, oder salopp formuliert, per Vorstandsbeschluss, verändern kann. Damit sich die Kultur eines Unternehmens wandelt, müssen die für sie tätigen Personen ihre Einstellungen sowie Denk- und Verhaltensmuster ändern. Dieser Prozess vollzieht sich nicht von heute auf morgen, denn den meisten Menschen fällt ein Verändern ihrer Denk- und Verhaltensmuster schwer.

Was sind die Gründe dafür?

Ihre Einstellungen sind ein Teil ihrer Persönlichkeit und ihre Verhaltensmuster vermitteln ihnen Sicherheit. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Alle Betriebe stehen vor dem Dilemma, dass sie einerseits eine gewisse Hierarchie und ein bestimmtes Regelwerk brauchen. Zugleich steht dieses Regelwerk ihren Mitarbeitern aber vielfach im Weg, wenn sie die gewünschten, neuen Verhaltensmuster zeigen möchten. Hier stets aufs Neue die richtige Balance zu finden, ist für alle Unternehmen eine große, permanente Herausforderung.

Können Sie für dieses Dilemma ein Beispiel nennen?

Viele Unternehmen fordern von ihren Mitarbeitern eigenverantwortlicher zu handeln und mehr Eigeninitiative beim Suchen neuer Problemlösungen zu zeigen. Tun dies die Mitarbeiter dann, stellen sie oft fest, dass ihnen das firmeninterne Regelwerk dabei im Weg steht. Im Extremfall werden sie sogar sanktioniert, wenn sie das entsprechende Verhalten zeigen. In der Folge behalten sie ihre alten Verhaltensmuster bei, auch wenn in den Firmenverlautbarungen etwas anderes verkündet wird. Insgesamt ist mein Eindruck als Organisationsberater: Viele Unternehmen stoßen an ihre Grenzen, wenn es um das Bewältigen der Herausforderungen geht, die aus dem Wandel des Unternehmensumfelds resultieren. Sie hinken der Entwicklung stets hinterher.

Der Grund dafür liegt in der Vielfalt der Veränderungen und darin, dass sie sich so schnell vollziehen. Daraus resultiert eine Komplexität, die nur noch bedingt zu erfassen und zu managen ist. Nehmen Sie das Beispiel Social Media: Welche Konsequenzen sich aus ihrem Siegeszug für die Unternehmen in den nächsten Jahren ergeben, ist heute für alle Betriebe nur bedingt vorhersehbar. Entsprechend schwer können sie sich sozusagen präventiv darauf einstellen. Deutlich spiegelt sich diese Veränderung im Projektmanagement wider. Vor zehn Jahren lautete das Credo vieler Unternehmen noch: Nach einem Veränderungsprojekt muss zunächst einmal wieder Ruhe einkehren, damit sich die Organisation wieder stabilisieren kann. Getreu der alten Maxime von Kurt Lewin: „Erst auftauen, dann verändern, dann einfrieren“. Heute ist dieses „Einfrieren“ in vielen Unternehmen nicht mehr möglich, weil ein Change-Projekt das andere jagt und sich diese wechselseitig überlappen und bedingen.

Der Change ist also zum Dauerzustand in den Unternehmen geworden?

Ja. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Viele Projekte sind heute nicht mehr vom Ziel her planbar, weil sich im Projektverlauf die Rahmenbedingungen so stark ändern, dass das Ziel neu definiert werden muss.

Was folgt daraus für die Unternehmen?

Sie müssen mehr Reflexionsschleifen in die Projekte einbauen, in denen sie überprüfen, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befinden oder ob sie das Vorgehen oder gar das Ziel ändern müssen. Unternehmen müssen viel stärker als früher die Intelligenz der Organisation nutzen, um ihr Ziel zu erreichen.

Früher genügte es, wenn einige Experten im Unternehmen, zum Beispiel im Bereich Organisationsentwicklung, fit in Sachen Changemanagement waren. Heute hingegen muss, überspitzt formuliert, jeder Mitarbeiter eine gewisse Grundkompetenz im Umgang mit Veränderungen haben. Das haben viele Unternehmen erkannt.

Woran können Sie das erkennen?

Unter anderem daran, dass heute viele Unternehmen nicht nur ihre Projektmanager, sondern auch ihre Führungskräfte als Change-Manager ausbilden lassen. Zudem ist das Thema Changemanagement inzwischen ein fester Bestandteil jedes Führungskräfteentwicklungsprogramms. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich diesbezüglich ein Bewusstseinswandel vollzogen hat, ist die Tatsache, dass viele Großunternehmen in den zurückliegenden Jahren interne Consultingbereiche aufgebaut haben.

Steckt dahinter nicht primär das Motiv, externe Beraterhonorare einzusparen?

Nein, dies wird zwar vielfach in der Beraterszene so diskutiert, ist jedoch eine Fehleinschätzung. Faktisch steckt dahinter die Erkenntnis: Wir stehen, wenn es darum geht, unsere Organisation zukunftsfit zu machen, vor einem so großen Change-Bedarf, dass wir diesen mit externen Beratern allein nicht stemmen können. Wir brauchen mehr Kompetenz in Sachen Changemanagement im eigenen Haus. Und diese Einschätzung ist richtig, weshalb wir als Organisationsberater den Aufbau interner Consultingbereiche begrüßen.

Herr Scholten, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Dazu im Management-Handbuch

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