Change-ProzesseKein Veränderungserfolg ohne Schirmherren des Wandels
Die Ausgangslage
Ein moderner Konzern mit internationalem Management erwarb auf seiner „Einkaufstour“ einen mittelständischen, streng patriarchalisch geführten Dienstleister mit etwa 500 Mitarbeitern. Der 44-jährige Geschäftsführer hatte bereits seine Ausbildung dort durchlaufen. Nun hegte die Muttergesellschaft enorm hohe Erwartungen an die Performance des zu integrierenden Tochterunternehmens. Kurzerhand stellte sie dem Patriarchen einen zweiten Geschäftsführer „zur Seite“ – 32 Jahre alt, vier Jahre Berufserfahrung.
Diese Konstellation war an sich schon brisant. Zusätzlich sorgten große Unterschiede in den Weltbildern der Mitarbeiter, in den Führungsstilen und den Kernbotschaften der Unternehmen für weiteres Spannungspotenzial. Das Vorhaben, diese ungleichen Partner zu einem schlagkräftigen Team zu vereinen, schien deshalb zum Scheitern verurteilt.
Fünf Herausforderungen
Auf dem Weg zu einer einheitlich agierenden Unternehmensfamilie ergaben sich fünf Herausforderungen, die in der spezifischen Kultur des Familienbetriebs begründet lagen:
- Der Patriarch versuchte bisher alle Prozesse selbst zu steuern. In der Folge standen die Mitarbeiter nicht immer hinter den Entscheidungen von oben. So auch im Fall der Übernahme, denn die Frage nach dem Warum war für sie unbeantwortet geblieben.
- Statt einer klaren Strategie lautete das Management-Credo: „Carpe diem“. Weder Führungskräften noch Mitarbeitern war bewusst, wer ihre Zielkunden waren oder welche Märkte den größten Erfolg versprachen.
- Kunden galten eher als „Störfaktoren“ denn als „Arbeitgeber“. Sie wurden mehr verwaltet als gewonnen oder entwickelt.
- Dem Patriarchen einen jungen Geschäftsführer zur Seite zu stellen, war per se eine brisante Konstellation.
- Stärken der Mitarbeiter wurden kaum zielgerichtet gefördert. Auch fehlte ein klares Führungsleitbild. Die Konsequenz: Jede Führungskraft legte ihre eigenen Maßstäbe an die Leistungen der Mitarbeiter an.
Insgesamt also eine vielschichtige Entwicklungsaufgabe. Zunächst galt es, eine gemeinsame Vision zu erarbeiten und geeignete Strategien aus ihr abzuleiten. Der erste Erfolgsfaktor dabei war, die Leitungsteams beider Unternehmen zu einem schlagkräftigen Team zu vereinen und sie als Schirmherren der Veränderung aufzustellen. Denn nur wenn sie den Schulterschluss vorlebten und gemeinsam vorangingen, gab es eine realistische Chance, dass auch die übrigen Beteiligten die neue Vision akzeptierten.
Die Aufgaben der Schirmherren
Die Hauptaufgabe bestand darin, Vision und Umsetzungsstrategien an die Basis zu transportieren. Vor allem die Mitarbeiter des übernommenen Betriebs, die mehrheitlich abwehrend gestimmt waren, mussten sie für die Neuausrichtung gewinnen. Denn nur mit ihnen als Multiplikatoren der Unternehmenskultur würde die neue Strategie mit großer Verbindlichkeit umgesetzt und das neue Image wirkungsvoll nach außen transportiert werden. Es galt, jedem Mitarbeiter seinen Wert für den Kunden bewusst zu machen. Dafür musste zunächst ein Umdenken in Gang gesetzt werden – und das würde nur stattfinden, wenn es gelang, den patriarchalischen Führungsstil zu verändern.
Wie viele anstehende Veränderungen brachte auch diese in vielerlei Hinsicht Unklarheiten für die Mitarbeiter mit sich – Auswirkungen, die schwer greifbar waren. Dem mussten die Schirmherren wirkungsvoll begegnen:
- Unlängst hatte sich das „Flurgespräch“ etabliert: Weil es an klarer Information mangelte, begannen die Mitarbeiter, die „Fakten“ selbst zu schaffen. So entzogen sich die Botschaften im Unternehmen bald dem Einfluss der Geschäftsführung.
- Viele Mitarbeiter fühlten sich übergangen und zum Spielball der Mächtigen degradiert. Einige begannen, Fronten gegen die Veränderung zu bilden, andere zeigten sich aus Angst davor demotiviert, sorgten sich oder resignierten.
Insgesamt befürworteten nur sehr wenige Mitarbeiter die Fusion. Umso wichtiger war es für die Geschäftsführung, die Botschaften im Unternehmen wieder selbst zu bestimmen und mehr Mitarbeiter für die Veränderung zu gewinnen. Eine erfolgreiche Veränderung benötigt mindestens 20 Prozent der Mitarbeiter als Unterstützer. Dieser Gedanke leitet sich aus einer Studie von Capgemini ab, die eine typische Akzeptanzverteilung einer anstehenden Veränderung ermittelte: 5 Prozent Befürworter, 40 Prozent Skeptiker, 40 Prozent Besorgte und 15 Prozent Gegner – jeweils aus einer Mischung von persönlichen oder fachlichen Einwänden.
Um diese kritische Masse von 20 Prozent zu erreichen, mussten die Schirmherren ihre Konzentration auf Skeptiker und Besorgte richten und einige davon „umstimmen“. Wie dies gelang, skizziert der folgende Projektablauf.
Veränderungstreiber Kulturwandel
1. Sinnbotschaft transportieren: Eine Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aller Ebenen und Fachbereiche definierte die neue Zielrichtung und -kultur. Dabei war die Glaubwürdigkeit der beteiligten Führungskräfte erfolgskritisch, denn ihre Offenheit war ungewohnt und schürte Misstrauen. Deshalb bediente man sich des Graves-Modells, mit dem sich Diskussionen um unterschiedliche Weltbilder weitgehend bewertungsfrei gestalten lassen. Damit stand den Teilnehmern quasi eine „Sprache“ zur Verfügung, mit der sie sich wertschätzender über ihre gemeinsame Zukunft unterhalten konnten.
Das Ergebnis der Diskussionen war eine Sinnbotschaft, die alle mittrugen:
Mit diesem Unternehmen kann ich auch als Einzelner etwas bewegen!
2. Mannschaft mobilisieren: Botschaft und Umsetzungspläne wurden in einer Großveranstaltung ins Unternehmen getragen. Dabei traten „offene Rechnungen“ der Mitarbeiter zutage: Nicht erfüllte Versprechungen der Führung hinsichtlich Beförderungen oder Weiterbildung hatten viel Frust und Demotivation ausgelöst. Nach intensiven Diskussionen konnte eine gute Ausgangsbasis für weitere Schritte erreicht werden: Nach anfänglicher Skepsis erkannten viele Arbeitnehmer nun die attraktiven Seiten der Übernahme, wie etwa das transparente Karrieresystem, als Chance für sich selbst.
3. Landkarte der Veränderung: Anschließend wurden Ist- und Zielkultur mithilfe einer Onlinebefragung verglichen, um die Botschaft in die Kultur zu integrieren. Wie erwartet war der Kontrast zwischen der durch Autorität geprägten Ist-Kultur und der Zielkultur, die Leistung und Integration von Unterschiedlichkeit anstrebte, enorm groß. Aus dieser Erkenntnis wurden detaillierte Entwicklungsschritte abgeleitet. So entstand eine Landkarte der Veränderung, die den Schirmherren ein wertvolles Instrument an die Hand lieferte: Jeder im Unternehmen kannte nun seine Rolle und Verantwortung im Change-Prozess.
Im weiteren Verlauf traten zwei Bausteine als besonders wichtig hervor: die individuelle Weiterentwicklung der Führungskräfte, die ihr Repertoire erweiterte, und die regelmäßige Beobachtung der Entwicklungsrichtung durch stichprobenartige Mitarbeiterinterviews.
Nach anderthalb Jahren trägt diese Entwicklung Früchte: Das Engagement der Mitarbeiter ist gestiegen, eine Lernkultur entstanden, die angestrebte „Kundenpartnerschaft“ wird tatsächlich gelebt.
Kurzum: Die Schirmherren haben ihre Aufgaben sorgfältig erledigt, die Fusionspartner sind zu einer schlagkräftigen Einheit zusammengewachsen.
Dennoch ist mit diesen Erfolgen das „Projekt Kulturwandel“ längst nicht beendet. Vielmehr gilt es jetzt, das Erreichte zu stabilisieren.
Fünf Erfolgsfaktoren für das Zusammenwachsen
Aus diesem Beispiel lassen sich fünf Erfolgshebel ableiten. Setzen ein oder mehrere Veränderungs-Verantwortliche diese Faktoren zielgerichtet um, können sie einen Change-Prozess nachhaltig mit Erfolg krönen:
1. Vermittelbares, attraktives Zielbild: „Keep it short and simple“, lautete hier die Devise. Erfolgsentscheidend war eine einprägsame Formulierung. So konnte jeder sofort seinen Beitrag und seinen Nutzen aus der Sinnbotschaft ableiten und sich mit ihr identifizieren.
2. Klare strategische Grundausrichtung und konsequente Umsetzung: Dank des klaren Zielbildes kannte jeder Einzelne im Unternehmen die Bedeutung seiner eigenen Aufgabe. Die Umsetzung war nachhaltig, weil jede Abweichung von der gewählten Philosophie unmittelbar Konsequenzen nach sich zog.
3. Stetiges Commitment der Geschäftsführung: Maßgeblich war, dass die einmal eingeschlagene Linie ohne Wenn und Aber beibehalten wurde – auch in schwierigen Projektphasen, in denen massive Problemstellungen sichtbar wurden.
4. Konsequenz: Die unabdingbare Bereitschaft, auch in problematischen Personalfragen absolut konsequent zu bleiben, machte das Management berechenbar für die Mitarbeiter. Sie konnten sich darauf verlassen, dass ihre Leistung auch tatsächlich an den vorgegebenen Kriterien gemessen wurde.
5. Offene, wertschätzende Kommunikation: Das Credo „Kommunikation ist unsere Aufgabe“ wurde tatsächlich umgesetzt. Das war den meisten sehr wichtig. Denn das Gefühl, stets im Bilde zu sein, nannten sowohl Mitarbeiter als auch mittlere Führungskräfte am häufigsten als Grund für die Trendwende der Kultur – und damit als Ursache für den Gesamterfolg.