ConsultingWas Berater von morgen mitbringen müssen
Globale Krisen und rasender Fortschritt prägen unsere Zeit. Bahnbrechende Veränderungen sind schon fast an der Tagesordnung. Verständlich also, wenn Unternehmenseigner zur Lagebeurteilung auf externe Berater zurückgreifen. Doch wie wertvoll ist die Leistung der elegant gekleideten und unnahbar scheinenden Gestalten wirklich, die eines Tages in der Firma auftauchen und an über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen rütteln? Man kommt über die Legitimation ins Grübeln: Wer kann garantieren, dass die Berater wirklich das Interesse der Firma im Sinn haben?
Berater sind das Symbol für eine Krise
Schon immer wurde das Erscheinen von Beratern – zynische Zungen behaupten, der Begriff gehe auf „Raten“ zurück – mit gemischten Gefühlen beobachtet. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, dass frisches Wissen in die Firma fließt und bestehende Prozesse vielleicht einmal kritisch analysiert werden. Auf der anderen Seite gelten Berater als sicheres Omen dafür, dass sich eine handfeste Krise anbahnt – oder schon seit langem vorherrscht.
Umso wichtiger ist es, dass sich die Berater vom ersten Moment an um das Vertrauen der gesamten Firma bemühen. Sollte man meinen. Mit anderen Worten, dass sie nicht nur den Chef von ihrem Wissen, ihrer Expertise und ihrer Empathie überzeugen, sondern auch die ganze Belegschaft durch sämtliche Hierarchiestufen. Unter einer Fehlentscheidung leiden schließlich alle: Für den Vorstand stehen große Geldsummen auf dem Spiel, für die Mitarbeiter der Job. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, wer das größere Risiko trägt. Man darf jedoch nicht vergessen, dass der einzelne Mitarbeiter in der Regel wenig Einfluss auf die Firmenlage nehmen kann und somit stark unter der Unsicherheit leidet.
Woran wir denken, wenn wir „Berater“ oder Consultant“ hören
All das erscheint logisch. Wie aber kommt es dann, dass die Berater großer, namhafter Consulting-Unternehmen aus Distanzierung und Undurchsichtigkeit eine regelrechte Tradition gemacht haben? Welches Bild malt unser Kopf, wenn wir Worte wie „Berater“ oder „Consultant“ hören? Vielleicht das folgende?:
Ein riesiger schwarzer Porsche legt zwischen den Dacias zweier Mitarbeiter an und entlädt eine hochgestylte Gestalt im maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug. Ohne nach links oder rechts zu sehen, stiefelt diese zum Firmenleiter, nickt fünfzehn Minuten lang, lässt sich ein eigenes Büro geben, klappt das Notebook auf und zeigt sich in den kommenden Tagen nur noch, wenn der Kaffee leer ist. Nach Ablauf der Frist knallt sie dem Firmenleiter einen Lösungskatalog auf den Schreibtisch – und verschwindet, um nie wieder zurückzukehren. Es sei denn, das Projekt läuft vorteilhaft, dann holt sie ihre Empfehlungen ab. Ob die erarbeiteten Lösungen aber am Ende umgesetzt werden oder nicht, ist Sache des Firmenleiters.
Dieses Bild ist extrem überspitzt, keine Frage. Doch es zeigt uns eines deutlich: Es gibt oft einen Graben zwischen Consultant und den Mitarbeitern des Kunden. Der Berater baut eine Fassade der Unnahbarkeit auf, die er pflegt, weil sie Teil seiner Identität ist – oder vielmehr der Corporate Identity seines Arbeitgebers. Da fragt man sich: Woher kommt diese Distanz?
Gescheiterte Projekte machen schnell die Runde
Der Weg, den ein junger Mensch vom Studium zum vollwertigen Berater zurücklegt, ist lang und steinig. Die wenigen, die das Ziel erreichen, fühlen sich logischerweise als Mitglieder einer besonderen Elite, die nicht jedem Zugang gewährt. Für große Beratungsunternehmen ist dieses Bild von Vorteil, da es bedeutet, dass die Besten der Besten miteinander konkurrieren, um Zugang zu einer der begehrten Beraterstellen zu bekommen. Und das wiederum klingt in den Ohren der Kunden sehr attraktiv – schließlich möchte man doch lieber von einem ambitionierten Profi als von einem unerfahrenen Dilettanten beraten werden.
Bei der Umsetzung der vom Berater erarbeiteten Resultate gelten letztendlich die gleichen Prinzipien, die antike Consulting-Spezialisten wie das Orakel von Delphi oder Nostradamus berühmt gemacht haben: Ging das Projekt auf, waren alle glücklich und der Berater konnte den Verdienst für sich beanspruchen. Funktionierte es nicht, hatte der Auftraggeber die Ratschläge falsch umgesetzt – und der Berater musste für die in den Sand manövrierte Rettungsmaßnahme keine Verantwortung übernehmen.
In Zeiten von Internet, Social Media und genereller Konnektivität ist es natürlich kaum noch denkbar, dass ein solches Debakel nicht die Runde macht. Der Zusammenbruch bekannter, seit Jahrzehnten existierender Unternehmen wie Grundig oder Praktiker lenkte die Aufmerksamkeit auch auf die dort tätigen Berater. Allmählich begann man sich zu fragen, wie viel Verantwortung man diesen Spezialisten anlasten könne – deren Aufgabe ja eigentlich war, das Unternehmen zu retten.
Die volle Aufmerksamkeit muss dem Kunden gelten
Dass die Beraterbranche einen grundlegenden Wandel dringend nötig hat, steht also außer Frage. Bloß: In was soll sie sich verwandeln? Betrachtet man die generellen Trends, die den Markt derzeit dominieren – Individualisierung, rasche Kommunikation, Fokus auf Service –, gibt es keinen Grund, die Ratschläge, die praktisch für alle Dienstleister gelten, nicht auch auf die Consulting-Branche anzuwenden.
Der Berater von morgen muss sich stärker bewusst machen, dass er eine Verantwortung trägt. Seine volle Aufmerksamkeit sollte dem Kunden gelten, ohne dessen uneingeschränktes Vertrauen das Projekt ohnehin zum Scheitern verurteilt ist. Das geht beim ersten Treffen los: Kommuniziert der Berater mit dem Firmenchef auf Augenhöhe? Hört er wirklich zu, wenn das Problem geschildert wird? Holt er auch die Meinung der Mitarbeiter ein? Inwieweit bezieht er den Auftraggeber in die Erarbeitung seiner Lösungsvorschläge ein?
Spezielle Kundenbedürfnisse rücken in den Fokus
Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht befinden wir uns in einem Zeitalter gewaltiger Umwälzungen. Die deutlichen Spuren, die wir durch unser Such- und Einkaufsverhalten im World Wide Web hinterlassen, ermöglichen es Unternehmen, detailgenau auf den Kunden zugeschnittene Angebote zu erstellen. Auch bei Personal Computern, die zu Beginn noch fix und fertig aus der Fabrik kamen, ist es inzwischen Standard, sich ein Gerät nach eigenen Vorstellungen zusammenbauen zu lassen.
Dies ist kein Trend, der ewig anhalten wird – jede Kurve erreicht irgendwann ihren Höhepunkt und schwingt wieder zurück. Dennoch ist doch davon auszugehen, dass die speziellen Bedürfnisse einzelner Kunden in den kommenden Jahren immer stärker in den Fokus rücken und Universalangebote in den Hintergrund verdrängen werden.
Was bedeutet das für die Beraterbranche? Dass sie bei ihren Kunden mit Consulting von der Stange nicht mehr lange punkten können wird. Die Begründung, dies habe bei anderen Unternehmen auch ganz gut funktioniert, zieht nicht mehr. Firmenchefs möchten individuelle Lösungen auf dem Tisch sehen, die auch die Charakteristika des Unternehmens einbeziehen. Und dafür wiederum ist es erforderlich, dass sich der Berater mit seinem Kunden mehr als nur oberflächlich auseinandersetzt.
Einfach nur zuhören
Einen ersten Einblick in die Prozesse, Traditionen und Herausforderungen eines Unternehmens erhält der Berater, wenn er einfach nur zuhört. Die Informationen werden ihm gewissermaßen von alleine zugetragen, er muss sie nur abholen. Das beginnt bereits beim Erstgespräch mit dem Firmeninhaber, endet dort jedoch keinesfalls. Um ein vollständiges Bild zu zeichnen, sollte der Berater allen Hierarchieebenen einen Besuch abstatten. Was denken die Teamleiter über die Lage? Was der Vertrieb, die IT, der Kundendienst? Was die Abteilung für Social Media?
Nun hat der Berater die Ohren aufgesperrt und eine Fülle an Informationen gesammelt. Was nun? Selbstredend kommuniziert er offen und transparent mit dem Kunden, sodass dieser ebenfalls einen Überblick über das Projekt gewinnt. Auf diese Weise schneidet er möglicherweise weitere Themenbereiche an, die ansonsten nie zur Sprache gekommen wären. Mit seiner Sicht auf das Gesamtbild findet er den idealen Weg für seinen Kunden, der nicht das Gefühl hat, sein Geld zum Fenster rauszuwerfen – kein ganz unwichtiger Punkt, wenn man bedenkt, dass die meisten Berater nicht nach Erfolg bezahlt werden.
Expertise von außen einholen
Wir fassen zusammen: Der Berater von morgen hört dem Kunden aufmerksam zu und erarbeitet Lösungen stets in enger Absprache mit ihm. Dazu gehört auch, dass er die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten kennt. Kann er an einer Stelle mit seiner Expertise nicht mehr helfen, setzt er den Auftraggeber umgehend darüber in Kenntnis. Idealerweise hat er die Kontaktdaten von Kollegen parat, die besser zu den Anforderungen und dem Kunden passen.
Eine realistische Beurteilung des eigenen Könnens schafft zudem die Möglichkeit, Teams zu bilden. Anstatt sich dem Rest der Branche gegenüber abzuschotten und Kunden eifersüchtig zu bewachen, baut der moderne Consultant ein Berater-Netzwerk auf, mit dem er seine Kunden bestmöglich bedient. Bei Projekten, die seinen Kenntnis- oder Erfahrungsstand überschreiten, holt er Kollegen mit entsprechenden Skills hinzu und muss das Projekt nicht aufgeben.
Außerdem hält er die Erfahrungen vergangener Projekte – erfolgreiche wie gescheiterte – fest, um diese dann einfließen zu lassen, wenn er neue Unternehmen berät. So erweitert er sein Know-how stetig, denn ein guter Berater schließt sein eigenes Wachstum niemals ab. Der Markt hört bekanntermaßen auch nicht damit auf, sich zu verändern.
Der Berater als Partner
Das Wichtigste ist jedoch, dass sich der Berater seiner Verantwortung bewusst ist und sein Handeln dem Kunden gegenüber transparent darstellt. Auch die möglichen Gefahren. Nur so kann der Auftraggeber eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen. Ein gescheitertes Beratungsprojekt hat für den Berater kaum negative, für seinen Kunden jedoch verheerende Folgen: Finanzielle Verluste und Massenkündigungen gehören zu den häufigsten Nachwirkungen. Der Berater, der das Wohl des Kunden in den Vordergrund stellt, muss diesen also auch über die Risiken informieren, die das Projekt mit sich bringt. Nur so kann er Entscheidungen treffen, die tatsächlich verantwortungsvoll sind.
„Wer nur raten, nicht auch helfen will, ist ein halber Feind“, sagt ein altes deutsches Sprichwort. Berater sollten es sich über die Bürotür hängen. Ein Consultant, der nur seine eigenen Interessen im Sinn hat – Honorar, Profilierung, Erfahrungszuwachs – wird schon bald feststellen, dass sein Telefon allmählich Spinnweben ansetzt.
Der Berater von morgen muss alle Entscheidungen daran messen, ob sie dem Kunden helfen. Er ist kaum mehr Dienstleister, sondern vielmehr Partner, der ein strauchelndes Unternehmen dabei begleitet, ein steiniges Stück Weg hinter sich zu bringen. Danach gehen beide nicht etwa für immer auseinander. Die Erinnerung an einen wertvollen Weggefährten hält Optionen für spätere Aufträge mit neuen Herausforderungen offen. Wer als Berater so agiert, macht sich nicht nur heute und morgen einen Namen, sondern besteht auch übermorgen noch fest im Markt.