CrowdsourcingDas People’s Car Project von Volkswagen

Volkswagen nutzt unzählige Ideen seiner Webseitenbesucher in China für das Auto der Zukunft. Der Autobauer zeigt, wie Open Innovation mit Hilfe von Crowdsourcing funktioniert.

Der Automobilmarkt in China wächst unaufhörlich. Und gleichzeitig stellt er viele ausländische Autobauer noch immer vor Rätsel. Die Vorlieben und Wünsche der westlichen Autofahrer unterscheiden sich erheblich von denen der chinesischen. Das Modell Passat ist ein Beispiel dafür, wie sich Volkswagen an unterschiedliche kulturelle Gegebenheiten anpasst. Das Fahrzeug unterscheidet sich in China in einigen Details. Beispiel: Für das Auge kaum sichtbar sind die Lautsprecheröffnungen durch stilisierte Ying-Yang-Muster geprägt. Wenn die ausländischen Hersteller solche kleinsten kulturspezifischen Details beachten, dann honorieren chinesische Konsumenten das besonders.

Ideen für das Auto der Zukunft

Um noch mehr Wünsche chinesischer Konsumenten zu erkennen und außerdem Ideen für neue Innovationen zu bekommen, hat Volkswagen eine Online-Crowdsourcing-Plattform mit dem Namen "People’s Car Project" ins Leben gerufen. „A car can be anything“, heißt es in einem der durch virales Marketing auf dem chinesischen Youtube Pendant Youku verbreiteten Video. Diese viralen Videos sollen die chinesischen Internetuser zum Besuch der Webseite zaoche.cn animieren. „ZaoChe“ bedeutet übersetzt: „ein Auto bauen“. Dahinter verbirgt sich eine eigens von der Volkswagen Group China entwickelte Social Media Plattform, auf der die Besucher ihre Konzeptideen für den „Volkswagen der Zukunft“ einreichen können. Ziele der Plattform sind:

  • Volkswagen soll als emotionale und innovative Marke platziert werden.
  • Das Unternehmen will die Wünsche und Bedürfnisse der chinesischen Konsumenten besser verstehen.
  • Es will im Internet Marktführer aller in China vertretenen ausländischen Automarken sein.
  • Die Marketer und Entwickler von Volkswagen wollen mit Hilfe der Webseitenbesucher Ideen sammeln, um Mobilitätsfragen der Zukunft zu bewältigen.

Die Besucher können auf der Webseite Konzepte und Anregungen zu den Themen Design, Personalisierung, Konnektivität und Umwelt einreichen und einbringen.

So betreibt Volkswagen Online-Crowdsourcing

Die Ideen werden dabei in drei Kategorien erfasst. Mit dem „Car Creator“ kann ein Nutzer der Webseite ein komplettes Fahrzeug entwerfen. Er darf sich online anhand zahlreicher Kriterien (Motorisierung, Innenraumausstattung etc.) sein virtuelles Wunschfahrzeug zusammenstellen. Laut Volkswagen werden diese Ergebnisse dann an die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns in Wolfsburg weitergeleitet.

Mit der Kategorie „Inspire“ will die Plattform die Kreativität der Nutzer anregen. Hier können ungewöhnliche Mobilitätsideen virtuell konstruiert werden. In einer dritten Kategorie werden den Besuchern konkrete Fragen zu ihrem Mobilitätsverhalten gestellt. So will VW herausfinden, welche Farben bevorzugt werden oder für welche Zwecke der eigene PKW genutzt wird.

Die eingereichten Vorschläge werden zunächst durch die Community und in einem zweiten Schritt durch Experten bewertet. Zentrales Element im People’s Car Project ist ein Voting-System, das die Relevanz der einzelnen Ideen kennzeichnet und dem Marketing wertvolle Einsichten geben kann, was andere Besucher schätzen und gut finden. Die Autoren populärer Ideen werden dann über ein Incentive-System belohnt; ihre Vorschläge werden in der Community vorgestellt und sie können Sachpreise wie iPads gewinnen. Schließlich meldet Volkswagen zurück, was mit den einzelnen Ideen passiert und welche Aspekte verwertet werden können.

Aus Ideen werden Prototypen

Ein Jahr nach dem Start des People’s Car Projects wurden auf der China Auto Show im Mai 2012 drei Prototypen präsentiert, die auf den eingereichten Ideen basieren. Darunter befand sich das sogenannte "Music Car", das über Leuchtdioden die Außenfarbe wechselt, je nachdem welche Musik der Fahrer gerade hört. Als zweiten Prototyp präsentierte Volkswagen einen Zweisitzer, der emissionsfrei über elektromagnetische Straßen gleiten kann, das "Hover Car". Außerdem wurde ein sogenannter "Smart Key" vorgestellt, ein Schlüssel mit hochauflösendem Display, der den Fahrer über Tankfüllung, Klima und Sicherheit seines Fahrzeugs am jeweiligen Standort informiert. Zudem soll der Smart Key eine Echtzeit-Kamera-Übertragung per Satellit ermöglichen, damit der Fahrer aus der Vogelperspektive sein Auto jederzeit im Blick hat.

Diese drei Gewinner-Vorschläge sind Konzepte, die VW in anschauliche Modelle übertragen hat. Es sind noch keine funktionsfähigen Produkte. Volkswagen kann sich aber vorstellen, sie mit vorhandenen oder zukünftigen technischen Mitteln in die Realität umzusetzen; sie könnten dann zur Marktreife gebracht werden. Dass die Volkswagen Group China ernsthaft an den Ideen der Plattform-User interessiert ist, zeigt das Beispiel des „Hover Cars“. Hier haben Studenten der Tongji-Universität mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Volkswagen-Konzerns zusammengearbeitet und überprüft, mit welchen technischen Mitteln ein schwebendes Auto zu konstruieren ist. Als Vorbildtechniken dienten unter anderem die Magnetschwebetechnik des Transrapids und die Fahreigenschaften eines Segways.

Nicht nur diese drei exemplarischen Ideen wurden genauer evaluiert, sondern jeder einzelne von den Plattform-Usern eingebrachte Vorschlag. Das zeigt, dass Volkswagen ein echtes Interesse an den im People’s Car Project entstandenen Ideen und an deren technischer Umsetzung hat.

Risiko: Social Media muss überwacht werden

Crowdsourcing und Social Media Projekte wie das People’s Car Project unterliegen in China einer besonderen staatlichen Kontrolle. Im Vergleich mit westlichen Ländern wird hier die Meinungsfreiheit im Internet sehr restriktiv gehandhabt. Deshalb sind die bekanntesten westlichen Social Media Plattformen Facebook, Twitter, Youtube und Flickr vollständig gesperrt. Dafür gibt es chinesische, staatlich streng kontrollierte Kopien dieser Webangebote.

So ergeben sich für Volkswagen besondere Herausforderungen bei der Umsetzung und beim Betrieb der Plattform. Den umfassenden politischen Vorgaben für solche Mitmach-Plattformen muss sich auch Volkswagen unterordnen. Das bedeutet, VW muss gewährleisten, dass die Anwender keine regierungskritischen oder jugendgefährdenden Inhalte veröffentlichen. Besonders das permanente Screening nach unerwünschten Inhalten ist sehr arbeitsintensiv und kann nur schwer automatisiert werden.

Risiko: Nutzungsrechte klären

Im Allgemeinen wird der von den Internet-Usern geschaffene Wert beim Crowdsourcing dem Initiator zur freien Nutzung abgetreten. Dieses klassische Crowdsourcing-Vorgehen wendet Volkswagen bei dieser Plattform nicht an. Der Ideengeber behält immer die Rechte. Im Fall der auf der China Auto Show vorgestellten Prototypen wurden die jeweiligen Ideengeber ausdrücklich genannt und in die Präsentation mit eingebunden. Bei der Video-Präsentation des Hover Cars wurden mit Chengdu die Heimatstadt der Ideengeberin Wang Jia als Kulisse sowie ihre Eltern als Testpiloten gewählt.

Neben dieser öffentlichen Vorstellung der Ideengeber sieht das Incentive-System vor, dass von den Besuchern besonders gut bewertete Ideen durch Sachpreise entlohnt werden. Doch die meisten Teilnehmer machen aus intrinsischen Motiven mit und haben Spaß daran, auf der intuitiv und einladend gestalteten Plattform Vorschläge zu kreieren.

Trotz dieser Anreize birgt der offene Umgang mit den Urheberrechten der eingereichten Vorschläge auch Gefahren. Nach der öffentlichen Präsentation des Smart Keys ist Volkswagen-Konkurrent Nissan auf den Inhaber der Idee zugegangen und hat versucht, ihn abzuwerben. Nach internen Beratungen sah man bei Volkswagen keine Möglichkeit, auf rechtlichem Weg den Verkauf zu verhindern. So wechselte die ehemals für Volkswagen entwickelte und finanzierte Visualisierung der Idee für umgerechnet rund 380.000 Euro den Besitzer. Die Volkswagen Group China als Crowdsourcing-Initiator bekam keine Entschädigung.

VW lässt sich Crowdsourcing etwas kosten

Zurzeit sind rund 100 Personen ständig mit dem People’s Car Project beschäftigt. Volkswagen übernimmt die Koordination und Steuerung der Maßnahmen. Für die konkrete Umsetzung sorgen zahlreiche externe Agenturen. Das sind beispielsweise die Strategie- und Brandmanagementagentur Greenkern, von der die erste Idee für das Projekt stammt. Außerdem sind die Brandmanagementagentur BBDO Proximity, die Marketing- und Innovationsagentur Trommsdorff & Drüner und die Kreativagenturen Goodstein & Partners, weareflink und contra beteiligt. Diese externen Partner sind für die technologische Entwicklung und Weiterentwicklung der Plattform sowie für das Prozessmanagement verantwortlich. Trommsdorff und Drüner entwickelt und misst unter anderem Key Performance Indicators (zum Beispiel zum Opinion Mining und Social Media Controlling).

Das Marketing für die Plattform selbst spielt ebenfalls eine große Rolle. Die Webseite wurde in erster Linie durch Suchmaschinenmarketing, Suchmaschinenoptimierung und virales Marketing bekannt gemacht. Außerdem wurden neben dem Videoportal Youku von Beginn an die anderen bedeutenden chinesischen Social Media Kanäle Renren (Soziales Netzwerk ähnlich wie Facebook) und Weibo (Microblogging-Dienst ähnlich wie Twitter) in die Plattform integriert.

Laut Volkswagen gibt es vergleichsweise wenig Expertise in der chinesischen Kreativwirtschaft und es gibt nur wenige Kreativagenturen, die den hohen Anforderungen von Volkswagen an das People’s Car Project genügen. So wurde überwiegend auf ausländische Partner gesetzt. Die genannten Agenturen stammen alle – mit Ausnahme von Goodstein & Partners – aus Deutschland und haben sich das Vertrauen von Volkswagen als Auftraggeber zum Teil schon durch frühere Aufträge und langjährige Partnerschaften erarbeitet.

Darüber hinaus kooperiert Volkswagen mit der Tongji-Universität Shanghai bei der Evaluation der eingereichten Ideen. Diese Evaluation erfolgt in drei Stufen:

  • Zunächst picken sich Studenten der Universität einzelne, interessante Ideen heraus.
  • Dann werden diese Ideen in Zusammenarbeit von Tongji mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Volkswagen-Konzerns auf den Aspekt der technischen Umsetzbarkeit mit bereits heute oder in Zukunft zur Verfügung stehenden Mitteln untersucht.
  • In einem dritten Schritt erfolgt in einem Workshop der Universität und der Forschung und Entwicklung von Volkswagen eine genaue Analyse dieser ausgewählten Ideen. Dabei wird vor allem untersucht, wie die Ideen fassbar gemacht werden können und welche Trends aus den Vorschlägen abgelesen werden können. Maßgeblich dabei ist immer der Kundennutzen.

Crowdsourcing und Open Innovation als Werkzeuge des Innovationsmanagements

Crowdsourcing bedeutet: „The act of taking a job traditionally performed by a designated agent (usually an employee) and outsourcing it to an undefined, generally large group of people in the form of an open call“ (Jeff Howe: The Rise of Crowdsourcing, in: Wired-Magazine, 2006). Beim People’s Car Project handelt es sich um eine Open Innovation-Maßnahme auf Basis der Crowdsourcing-Technik, bei der sich zudem wertvolle Marketing-Erkenntnisse gewinnen lassen. Bei Open Innovation lassen sich drei Arten unterscheiden:

Outside-in-Prozess

Hier wird das interne Wissen eines Unternehmens durch Open Innovation mit dem externen Wissen von Kunden, Lieferanten oder Partnern angereichert. Der Transfer von Technologien aus anderen Unternehmen oder Universitäten zählt ebenfalls dazu.

Inside-out-Prozess

Hier werden eigene Ideen durch Lizenzierung extern kommerzialisiert. Dadurch können unter Umständen Ideen schneller auf den Markt gebracht und multipliziert werden, als dies durch eine interne Ausbeutung möglich wäre.

Coupled-Prozess

Hier werden Outside-in- und Inside-out-Prozesse zum Zweck der gemeinsamen Entwicklung in strategischen Allianzen oder Innovationsnetzwerken miteinander verknüpft. Der Erfolg dieses Prozesses ist entscheidend durch eine Balance von Geben und Nehmen der beteiligten Partner bedingt.

Das People’s Car Project ist als Outside-in-Prozess einzuordnen, bei dem sich Volkswagen des externen Wissens der chinesischen Internet-User bedient. Doch neben dem Input für die Forschung und Entwicklung war ein wichtiger Grund bei der Einführung des Projektes, die Wünsche und Präferenzen der chinesischen Konsumenten besser kennenzulernen. Das Voting-System nimmt dafür eine zentrale Stellung ein. Insofern ist das Projekt auch eine Marketing-Maßnahme zur Marktforschung und zur Kundenbindung.

Fazit

Trotz einiger Risiken und trotz eines erheblichen Aufwands wird das Projekt von Volkswagen als großer Erfolg gewertet. Die Kennzahlen lassen auf eine überragende Resonanz schließen. Von insgesamt 470 Millionen Online-Usern in China besuchten 11,6 Millionen eindeutige User (Unique Visitors) die Webseite zaoche.cn. Die Ziele, die mit dem Projekt verbunden sind, sind aus Sicht von Volkswagen alle erreicht worden. Vor allem das Ziel „Marktführer aller in China vertretenen ausländischen Automarken im Internet“ zu werden, lässt sich leicht überprüfen: Bereits zehn Wochen nach dem Start konnte Volkswagen die Konkurrenz BMW, Mini und Mercedes-Benz hinter sich lassen (Mediacom/ Media Owner Reported Data 2/12).

Ein Indikator für die Zufriedenheit der Volkswagen Group China mit dem People’s Car Project ist die unbefristete Verlängerung des ursprünglich nur für ein Jahr geplanten Projekts. Volkswagen sieht ein großes Potenzial im Bereich Social Media Marketing und plant, seine Aktivitäten in China und in anderen Märkten noch auszubauen.

Werbe-Video von Volkswagen zum People's Car Project

Dazu im Management-Handbuch

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