Customer TouchpointErfahrungen und Erlebnisse der Kunden managen

Viele Unternehmen kennen die wichtigen Kundenkontaktpunkte gar nicht. Trotz aller Bekundungen zur Kundenorientierung verstehen sie ihre Kunden zu wenig, weil sie sich nicht mit den Mikroprozessen befassen.

Der Kunde – noch immer das unbekannte Wesen? Trotz aller Befragungen, Studien und Analysen gewinnt man häufig den Eindruck: Unternehmen kennen ihre Kunden nicht. Testfrage: Was tut Ihr Kunde in den drei Minuten bevor und in den drei Minuten nachdem er mit Ihrem Unternehmen, mit Ihrem Produkt oder mit Ihrem Servicemitarbeiter in Kontakt kommt?

Beispiel Thomson Reuters

Das Unternehmen versorgt unter anderem Medien und Banken mit Wirtschaftsinformationen. Die Kunden bekommen die Daten und importieren diese gleich in ihre Excel-Tabellen. Die werden dann angepasst und neu formatiert. Als die Produktmanager von Thomson Reuters das erkannten, entwickelten sie Werkzeuge (Excel-Plugin), um den Import und die Formatierung erheblich zu vereinfachen. Das Ergebnis: Der Umsatz mit den Daten zog sofort deutlich an.

Aus dieser einfachen Drei-Minuten-Technik lässt sich eine Fülle von Maßnahmen ableiten, die dem Unternehmen helfen, die Kundenzufriedenheit zu verbessern, die Kundenbindung zu erhöhen, Umsätze zu steigern oder innovative Produkte zu entwickeln.

Ein ganz simples Beispiel kann das illustrieren. Sicherlich kennen Sie die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer beim Betreten eines Lebensmittelgeschäfts keinen Einkaufswagen oder Einkaufskorb nehmen. Stattdessen stapeln sie ihre Einkäufe auf ihren Unterarmen, bis sie nichts mehr tragen können und deshalb schnell zur Kasse eilen. Leicht gestresst sind sie froh, wenn sie ihre Last endlich an der Kasse abladen können. Viele von ihnen hätten vielleicht noch etwas mehr gekauft, wenn ihre Ladekapazität nicht erschöpft gewesen wäre. Die Lösung: Einzelhändler sollten im Geschäft einfach an mehrere Stellen Einkaufskörbe anbieten.

Unternehmen zwingen ihre Kunden in ausgedachte Abläufe

Was der Kunde mit dem Produkt, der Dienstleistung, dem Service oder dem Mitarbeiter des Unternehmens erlebt, ist ganz entscheidend für seine Einstellung und Bewertung. Daraus leiten sich die Kundenzufriedenheit, die Kundenbindung, die Kundenloyalität und auch die Markenidentifikation ab. Der Marketingexperte und Professor am Institut für Marketing der Universität St. Gallen, Marcus Schögel, fasst es im Interview mit der Zeitschrift Marketing Review (2/2010) prägnant zusammen:

„Der Kauf ist für das Unternehmen der Endpunkt, für den Kunden ist er aber erst der Beginn.“

Doch viele Unternehmen haben das immer noch nicht erkannt. Trotz aller Bekundungen zur Kundenorientierung und dem mantraartigen Wiederholen der Floskel: „Der Kunde ist König.“ Christian Belz, ebenfalls Professor in St. Gallen, weiß:

„Auch Touchpoints werden quasi als Angebot definiert und es wird oft versucht, den Kunden in diese Kontaktpunkte und ausgedachte Abläufe zu zwängen. Man würde gut daran tun, das natürliche Verhalten der Kunden zu nutzen.“

Und doch sind diese Kundenkontaktpunkte der Schauplatz, an denen sich Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden. Denn nur hier macht der Kunde die Erfahrungen, die seine Einstellung und Beurteilung zum Produkt, zum Unternehmen und seinem Service festlegen. Ihnen widmet die Zeitschrift Marketing Review mit der Ausgabe 2/2010 einen Schwerpunkt.

Stichwort

Kundenkontaktpunkte und Customer Touchpoints

Kundenkontaktpunkte oder Customer Touchpoints sind alle Berührungspunkte eines Unternehmens und seiner Produkte und Mitarbeiter mit dem potenziellen oder bestehenden Kunden. Sie erstrecken sich von den sogenannten Vor-Kauf-Erfahrungen durch Werbung, Internet-Auftritt, Sponsoring oder Bewertungen in den Medien über die Verkauf-Erfahrungen mit Verpackung, Kompetenz des Personals oder Ausgestaltung des Verkaufsraums bis hin zu den Nach-Kauf-Erfahrungen mit der Rechnung, Gebrauchsanleitung oder Hotline.

Es gibt unzählige Gelegenheiten, mit dem Kunden in Kontakt zu kommen – und dem entsprechend viele Chancen und Risiken, es als Anbieter eines Produkts oder einer Dienstleistung richtig oder falsch zu machen. Ein paar Beispiele:

  • Der Kunde möchte sich über ein Produkt informieren, das er kaufen will, bekommt aber nur sehr allgemeines Werbe-Blabla.
  • Der Kunde würde gerne seinen Mobilfunkvertrag ändern und aufstocken, wird aber erst einmal fünf Minuten in der Warteschleife festgehalten.
  • Der Kunde will seinen TV-Receiver für seine Lieblingsserie programmieren, muss sich aber erst einmal durch unverständliches Fachchinesisch der 200-seitigen Bedienungsanleitung quälen (Wo war das nochmal?).

Franz-Rudolf Esch und sein Forscherteam an der Universität Gießen unterscheiden die Kundenkontaktpunkte nach folgendem Schema:

 

direkt

indirekt

zweiseitig

persönlicher Verkauf

Call-Center, Hotlines

Schriftverkehr, E-Mail

persönliche Kommunikation auf Messen und Events

Mundpropaganda

Blogs und Communities

einseitig

Werbung

Produktverwendung

Promotionen

Point of Sale-Gestaltung

Product Placement

Verpackungen

Gebrauchsanleitungen

Zeitung

Fachzeitschriften

Fernsehen

Internet

[Quelle: Franz-Rudolf Esch et al.: Customer Touchpoints marken- und kundenspezifisch managen, Marketing Review, 2/2010]

Alle indirekten Kontaktpunkte kann das Unternehmen mit seinem Marketing nur schwer oder gar nicht beeinflussen. Was sich dort tut, kann aber wichtige Hinweise liefern, wenn es Defizite im Verhältnis zum Kunden gibt (Radarfunktion). Die direkten Einflussfaktoren lassen sich aktiv gestalten. Je stärker der Kunde dabei mit einbezogen wird – das sogenannte Kunden-Involvement – desto besser lassen sich seine Bedürfnisse und Anforderungen sowie Verbesserungspotenziale erkennen.

Die Mikrokundenprozesse erkennen und verstehen

Das Problem ist, dass die Kontaktpunkte gar nicht so leicht zu identifizieren sind. Vieles spielt sich beiläufig oder im Verborgenen ab. Worauf es ankommt, sind die Mikrokundenprozesse, also die Details und Feinheiten, wenn der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt kommt. Um sie zu erkunden, braucht es eine genaue Beobachtungsgabe. Ethnologen haben das gelernt. Sie interpretieren das Verhalten der Menschen, das sie beobachten, vor dem Hintergrund von Umfeld, Werten, Einstellungen oder Kompetenzen und können daraus ableiten, warum sich jemand so verhält, wie er es gerade tut. Wenn die Menschen Kunden eines Unternehmens oder Anwender eines Produkts sind, dann können Ethnologen erklären, was diese gerade beim Kontakt beschäftigt.

Beispiel Stromrechnung

Jedes Jahr erhält der Kunde von seinem Stromlieferanten eine Rechnung. Er reißt das Kuvert auf und versucht herauszufinden, was er nachbezahlen muss. Bekommt er eine Gutschrift, freut in das umso mehr. Warum also die Abschläge nicht gleich so kalkulieren, dass im Normalfall am Jahresende immer eine Gutschrift rausspringt? Dann will er wissen, warum er so viel bezahlen muss: Was hat er verbraucht? War das mehr oder weniger als in den vorigen Jahren? Was kostet die Kilowattstunde? Was sind die Grundgebühren? Was hat sich hier im Laufe des Jahres verändert? Zentrale Frage ist: Wo lässt sich das in der Rechnung in all den Tabellen und Zahlen erkennen? Am Ende heftet der ordentliche Kunde seine Rechnung ab (ist sie schon gelocht?) und merkt sich sein Erlebnis und seine Erfahrung mit diesem Anbieterkontakt.

Um die richtigen Stellhebel zu erkennen und zu verbessern, muss das Marketing systematisch vorgehen. Folgende Schritte sind hilfreich:

  1. Bestandsaufnahme: An welchen Punkten kommt das Unternehmen mit dem Kunden in Kontakt? Hier kommt es auf die möglichst penible Identifizierung aller Kundenkontaktpunkte an. Da möglicherweise nicht alle Kundenkontaktpunkte gleichermaßen aufwendig analysiert werden können, muss eine Priorisierung und Auswahl erfolgen.
  2. Interne Analyse: Wie sind diese Kontaktpunkte gestaltet? Welche Faktoren beeinflussen die Kundenerfahrung? Das sind im Allgemeinen psychografische und demografische Merkmale des Kunden, genauso wie das Leistungsangebot und das Umfeld, in dem es präsentiert wird.
  3. Externe Analyse: Was ist dem Kunden selbst besonders wichtig, wenn er mit dem Unternehmen an dieser Stelle in Kontakt kommt? Was sind seine Erwartungen, Wünsche, Anforderungen? Wichtig ist auch, die spezifische Situation zu erkennen, in der sich der Kunde gerade befindet (siehe Drei-Minuten-Technik).
  4. Vergleich: Die Ergebnisse der internen und externen Analyse müssen miteinander verglichen werden, um besondere Stärken und die Schwächen zu erkennen. Wo passen Angebot und Nachfrage in Bezug auf die Kontaktpunktgestaltung nicht zusammen? Wo sind die Mitarbeiter nicht kompetent? Wo fehlen wichtige Informationen? Wo fehlt dem Kunden die Übersicht? Wo wird der Kunde durch das Angebot und die Gestaltung des Kontaktpunkts enttäuscht?
  5. Maßnahmenplanung: Wenn die Verbesserungsbereiche sichtbar sind, lassen sich konkrete Maßnahmen ableiten und planen. Es sind Projekte und Veränderungen zu initiieren und umzusetzen, die dazu führen, dass das der Kunde positive Erlebnisse und Erfahrungen sammeln kann.
  6. Maßnahmenkontrolle: Immer wieder muss geprüft werden, welche Effekte die einzelnen Maßnahmen haben in Bezug auf Kundenzufriedenheit, Kundenbindung, Innovationswirkung oder Markt- und Markenpräsenz. Was keine Wirkung hat, kann eingespart werden.

Bei der externen Analyse ist besonders wichtig, dass wirklich der Kunde selbst die Anforderungen formuliert. Einige wird er benennen können, andere sind eher mit unbewussten Gefühlen zu vergleichen, die sich nur indirekt erschließen lassen – etwa durch Beobachtung (ethongrafische Methoden) oder durch ein offenes Gespräch und Erzählungen von Erlebnissen.

Kundenkontaktpunkte: Unerschöpfliche Quelle für Ideen und Erfolg

Ziel ist, alle Kundenkontaktpunkte so zu gestalten, dass der Kunde eine klare Botschaft erhält und ihren Inhalt auch erlebt. Diese Botschaft leitet sich aus der Strategie, der Unique Selling Proposition und der Markenidentität ab, die das Unternehmen mit seinen Leistungsangeboten verfolgt. Wer sich Service auf die Fahnen schreibt, sollte das nicht nur in der Werbung kommunizieren. Der Kunde muss das beim Betreten des Ladengeschäfts, im Kontakt mit dem Verkaufspersonal, beim Lesen der Gebrauchsanleitung, beim Anruf der Hotline, beim Studieren der Rechnung oder beim Besuch der Internet-Seite spüren und erleben.

Je mehr Kontaktpunkte, desto größer die Chancen den Kunden zu begeistern; desto größer aber auch die Risiken, den Kunden zu enttäuschen. Tröstlich ist, dass jeder Fehler und jedes negative Erlebnis wichtige Quellen für Verbesserungen, manchmal sogar für neue Geschäftsideen sind – wenn sie denn erkannt und abgestellt oder genutzt werden.

Gerade deshalb ist es wichtig, die für den Kunden und die Kundenbeziehung entscheidenden Kontaktpunkte zu kennen und richtig zu organisieren. Maßgeblich sind dabei:

  • die Kontaktqualität, die unter anderem ausdrückt, wie ansprechend der Kontaktpunkt gestaltet ist und wie freundlich und kompetent die Mitarbeiter sind;
  • die Prozessqualität, die sicherstellt, dass der Kunde nicht lange warten oder suchen muss und sein Anliegen richtig gelöst wird.

Um die verfügbaren Marketing- und Servicebudgets effektiv einzusetzen, muss man wissen, welche Kontaktpunkte und welche einzelnen Maßnahmen am besten dafür geeignet sind, um in beiden Qualitätsdimensionen gute Leistungen zu zeigen.

Dabei gilt es auch, neue, bislang vom Unternehmen noch nicht genutzte Kontaktpunkte ins Kalkül zu ziehen. Beispiele dafür sind die sogenannten Social Media-Angebote wie Facebook oder Twitter und der Bereich Mobilität (Beispiel Apps für das iPhone). Gerade solche neuen Wege und Kontaktpunkte bergen ein großes Risiko. Manche Unternehmen fragen zu wenig: Erreiche ich dort überhaupt die für mich wichtigen Kunden? Erwartet der Kunde von mir, dass ich ihn darüber erreiche? Bin ich in der Lage, das Medium so zu beherrschen, dass die Kontakt- und Prozessqualität jederzeit gewährleistet ist?

Checkliste: Fokussieren Sie sich auf die relevanten Kundenkontaktpunkte

Die Unternehmensberatung Accelerom hat ein Beurteilungsraster entwickelt, mit dessen Hilfe sich die wichtigen Kontaktpunkte und mögliche Maßnahmen finden und entwickeln lassen. Das sind die zentralen Fragen, die Sie sich stellen sollten:

  • Welches sind die aus Kundensicht 30 wichtigsten Kontaktpunkte des Unternehmens?
  • Welche 10 innovativen Kontaktpunkte sind für das Unternehmen in den nächsten zwei Jahren relevant?
  • Über welche Kontaktpunkte werden sehr viele potenzielle oder bestehende Kunden erreicht?
  • Über welche Kontaktpunkte kann die Kundenbeziehung besonders verstärkt und gefestigt werden?
  • Welche Maßnahmen sind dort jeweils besonders wirksam?
  • Und welche Maßnahmen sollten daraufhin überprüft werden, ob sie sie überhaupt nötig sind?
  • Über welche Kontaktpunkte unterscheidet sich das Unternehmen positiv von seinen Wettbewerbern?
  • Was sind die Schlüsselkontaktpunkte?
  • Was muss dort in Bezug auf Kontakt- und Prozessqualität in jedem Fall sichergestellt sein oder verbessert werden?
  • Über welche Kontaktpunkte können neue Kunden angesprochen und gewonnen werden?
  • Welche Kontaktpunkte eignen sich besonders für die Bindung der Kunden?
  • Welche Kontaktpunkte vermitteln und stärken ein markentypisches Kundenerlebnis?

Fazit

Nicht die Fülle der Kundenkontaktpunkte ist entscheidend, sondern deren Qualität. Oft ist weniger mehr. Denn die Kontrolle über das, was Kunden im Zusammenhang mit dem Unternehmen erleben, erfahren und verbreiten, haben die Unternehmen schon lange nicht mehr. Die Chance besteht darin, den Kunden an den entscheidenden Stellen so zu berühren, dass er sich dem Unternehmen mit einer positiven Einsicht zuwendet. Marketing-Professor Christian Belz drückt es so aus:

„Wir brauchen nicht ein Marketing, welches sich auf Befragungen von Kunden stützt, die sich ihr Verhalten und ihre Kaufkriterien ausdenken. Wir brauchen nicht ein Marketing, dem losgelöst von der Realität kreative Ansätze einfallen. Wir brauchen reales Marketing, welches sich auf reales Kundenverhalten stützt.“

Und das weiß ganz genau, was der Kunde drei Minuten vor und drei Minuten nach dem Kauf denkt, fühlt und tut.

Dazu im Management-Handbuch

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