EinkaufGleichberechtigter Partner statt Abnicker

Ein gut organisierter Einkauf trägt zum Unternehmenserfolg bei. Teil eins des Zweiteilers über typische Schwachstellen und Erfolg versprechende Lösungen.

Hand aufs Herz: Wie ist Ihr Einkauf im Unternehmen positioniert? Handelt es sich dabei um einen eigenständigen, unabhängigen Geschäftsbereich, der als gleichberechtigter Partner der Fachabteilungen operiert und nach innen und außen ein klares Bild abgibt? Oder unterschreibt er als Funktionsträger lediglich Verträge oder Bestellungen, die andere schon längst ausgehandelt haben? Sollte Letzteres der Fall sein, liegt die Vermutung nahe, dass Marktmechanismen ungenutzt bleiben und Preisspielräume nicht ausgereizt werden. Höchste Wirksamkeit erzielt eine Einkaufsorganisation, deren spezielle Rolle im Unternehmen verankert, akzeptiert und genutzt wird und die sich mit klaren Zuständigkeiten und Prozessen am Erfolg orientiert. In einem solchen Geschäftsmodell werden Einkäufer zum Beispiel bei Neuentwicklungen oder Projekten frühzeitig aktiv eingebunden und zeichnen sich durch Sachkenntnis und Verfügbarkeit aus.

Nachfolgend wird aufgezeigt, in welchen Kernprozessen der Einkaufsleiter denken, handeln und vor allem führen sollte. Hier kann jeder selbst überprüfen, wie es um die Qualität der Abläufe im eigenen Unternehmen bestellt ist und wo der dringendste Handlungsbedarf besteht. Der Text setzt sich zusammen aus typischen Analysen der praktischen Erfahrung und enthält Ansatzpunkte für Verbesserungen. Die Diskussion um Tools wird dabei ganz bewusst nicht aufgegriffen, denn klare Abläufe und Zuständigkeiten führen fast automatisch zu den passenden IT-Lösungen.

Prozesse: Bedarfsermittlung und Marktanalyse

Ein strategisch gut ausgerichteter Einkauf ist willkommener Diskussionspartner im Bedarfsermittlungsprozess, speziell in der Frage „make or buy“. Auch wenn ein Unternehmen günstige Voraussetzungen für ein „make“ hat, kann das „buy“ aus Kosten-, Auslastungs- oder Logistikgründen die wirtschaftlichere Variante sein. Häufig wird entschieden, über das eigentliche Kerngeschäft hinaus Komponenten selbst zu entwickeln und herzustellen, die der Markt bereits bietet. Das bindet wertvolle Unternehmensressourcen, die an anderer Stelle gewinnbringender eingesetzt werden könnten.

Einkäufer, die den Prozess „Marktanalyse“ beherrschen und im Unternehmen mitwirken dürfen, bringen hier ihr aktuelles Wissen über weltweite Märkte und Zulieferfirmen ein – gleichgültig, ob es um Produktkonzeption, Komponentenfertigung, Montage, Softwareentwicklung oder Dienstleistungen geht. In der Praxis jedoch reicht dafür oft die Personaldecke nicht aus und die Kapazität für solche strategischen und zukunftsgerichteten Aktivitäten werden eher dem Tagesgeschäft geopfert. Dieser Fehler rächt sich spätestens dann, wenn Mitbewerber am eigenen Unternehmen vorbeiziehen, weil sie flexibler sind und sich Marktentwicklungen schneller zunutze machen.

Auch die Bündelung von Bedarfen ist ein wichtiger Prozessschritt bei der Bedarfsermittlung. Planen mehrere Unternehmensteile ähnliche Beschaffungen, macht es Sinn, diese zusammenzuführen und über größere Abnahmemengen zu günstigeren Konditionen zu kommen. Aufgabe des Einkaufs ist es, dies inhaltlich und terminlich zu koordinieren. Bleiben Bündelung und Koordination seitens des Einkaufs aus, kann das dazu führen, dass verschiedene Bereiche eines Unternehmens um dieselbe Ressource bei einem Zulieferer konkurrieren und den Preis hochtreiben. Eine für den Anbieter sehr komfortable Situation, für das beauftragende Unternehmen hingegen wirtschaftlich nachteilig und in der Außenwirkung peinlich.

Prozesse: Angebotsanfrage und Beschaffung

Erfolgreiches Einkaufen setzt die klare Spezifikation eines Bedarfs seitens der Fachabteilungen voraus. Wer zum Beispiel Kommunikationsleistungen benötigt und diese ausschreibt, darf sich nicht wundern, wenn er Angebote von der Buschtrommel bis zum iPhone bekommt. Ein eindeutiges Lastenheft ist der Grundstein für jede Beschaffung. Je mehr Aufwand Fachabteilungen in Vollständigkeit und Detaillierung investieren, umso gezielter kann ein Einkauf tätig werden und umso höher ist der Nutzen in Form von passgenauen Angeboten, die als Entscheidungsgrundlage dienen können. Versierte Einkäufer steuern den Prozess der Angebotsanfrage sorgfältig, um den oder die besten Anbieter zu finden und die Mechanismen des Marktes gewinnbringend zu nutzen: 

  • Ist eine Ausschreibung der richtige Weg?
  • Muss sie EU-weit erfolgen?
  • Kann die Anfrage über ein Online-Bidding-Verfahren platziert werden?
  • Nach welchen Kriterien werden die eingehenden Angebote verglichen und ausgewertet?

Es empfiehlt sich, die technischen Aspekte entweder durch technische Einkäufer oder Fachabteilungen bewerten zu lassen und die kaufmännischen durch den Einkauf. Rechtliche Punkte sollten durch Juristen bewertet werden, die der Einkauf koordiniert. Für den kompletten Angebotsvergleich bietet sich die Nutzwertanalyse mit gewichteten Kriterien und Erfüllungsgraden an, mit der die Bildung eines Rankings möglich ist. So ergibt sich eine transparente Entscheidungsgrundlage, die der Unternehmensleitung abgesichert, nachvollziehbar und insgesamt überzeugend präsentiert werden kann.

Total Cost of Ownership und Lieferantenanalyse

Bei der Angebotsprüfung sollte an heute und morgen gedacht werden. Ein günstiger Preis ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Das vollständige Bild ergibt sich durch eine Total-Cost-of-Ownership-Analyse (TCO), die die Kosten über die komplette Einsatzdauer eines Produkts – Betriebskosten, Zuverlässigkeit, Energie, Wartung, Ersatzteile – bis hin zur Entsorgung berücksichtigt. Ein verantwortungsbewusster Einkäufer wird genau hier auf den Unterschied zwischen „billig“ und „preiswert“ achten und versuchen, für das Unternehmen absehbare Folgekosten zu minimieren. Auch gibt der genaue Blick auf und hinter einen Anbieter wertvolle Entscheidungskriterien:

  • Welche Gesellschaftsform hat der mögliche Vertragspartner?
  • Wie ist seine bisherige Performance?
  • Über welche Quellen lassen sich seine finanziellen Randbedingungen wie zum Beispiel Eigenkapital, Ertragslage, Liquidität und Zahlungsverhalten ausloten?
  • Auf welche Zulieferer ist ein Anbieter seinerseits angewiesen und wie geht er damit um?

Fehlen solche Analysen in der Praxis, führt dies später zu Problemen und zusätzliche Ausgaben. Unternehmenslenker sollten daher TCO- und Lieferantenanalysen von ihren Einkäufern einfordern, wenn Sie den Prozess „Risikomanagement“ wirklich ernst nehmen.

Prozess: Verhandlung

Nach der Vorauswahl und der Dokumentation in einem Ranking, stehen die Verhandlungen mit den besten Anbietern an. Dabei ist schon die sorgfältige Vorbereitung einer Einkaufsverhandlung sehr bedeutsam und vorentscheidend für den Erfolg. In der Praxis jedoch jagt ein Termin den nächsten, es bleibt kaum Zeit für interne Vorgespräche und die Nachbereitung kommt zu kurz. Vor einer Verhandlung sollten aber gemeinsam mit den Fachabteilungen die wichtigsten Punkte geklärt werden:

  • Welche Ziele gilt es zu erreichen?
  • Wie ist es um die eigene Machtposition bestellt?
  • Wie stark könnte der Verhandlungspartner sein?
  • Nach welcher Strategie wird verhandelt, zum Beispiel aggressiv, defensiv oder nach dem Harvard-Konzept?
  • Könnte eine Rollenverteilung nach dem Prinzip „Good Guy, Bad Guy“ zielführend sein?
Stichwort

Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept ist die Methode des sachbezogenen Verhandelns. Ziel ist eine konstruktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen. Das zu erzielende Ergebnis soll über persönlichen Befindlichkeiten stehen. Da ein Win-Win-Ergebnis angestrebt wird, soll ein klassischer Kompromiss überwunden werden. Somit steht der größtmögliche beiderseitige Nutzen im Vordergrund. Neben der sachlichen Übereinkunft soll für beide Verhandlungsseiten auch die persönliche Beziehung gewahrt bleiben.

Quelle: Wikipedia

Manchmal sind es die wenig beachteten Randbedingungen, die den Verhandlungsverlauf im eigenen Sinne positiv beeinflussen, zum Beispiel die Sitzordnung, die Gesprächsmoderation oder der Wechsel in die Muttersprache eines ausländischen Anbieters. Das setzt spezielle Persönlichkeitsstrukturen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Einkaufsmitarbeitern voraus. Kreative Ideen können in einer Verhandlung zu überraschenden Ergebnissen führen. Spontane Belohnungen für Erfolge, Schulungsmaßnahmen und offener Erfahrungsaustausch zwischen Kollegen können an dieser Stelle ungeahnte Potenziale freisetzen, die dem Unternehmen direkt zugutekommen.

Compliance

Die Loyalität eines Einkäufers zu seinem Unternehmen wird manchmal auf eine harte Probe gestellt, versuchen gute Verkäufer doch immer wieder, Einkäufer zu beeinflussen. Bestechung ist zweifelsfrei streng verpönt, aber es gibt raffinierte und subtile Vorgehensweisen von Lieferanten mit dem Ziel, Abhängigkeit herbeizuführen und Entscheidungen in die gewünschte Richtung zu lenken. Hier ist es hilfreich, Einkäufern klare Regeln zu geben und in Compliance-Fragen auch dann zu schulen, wenn das Unternehmen noch keinen durchgängigen Verhaltenskodex aufgestellt hat. Jeder Einkäufer muss sich zu jedem Zeitpunkt bewusst sein, welches Risiko er durch Vorteilsnahme eingeht. Er muss jedem Lieferanten klar und deutlich signalisieren, dass der Versuch der persönlichen Einflussnahme eher zum Gegenteil führt.

Diese Haltung ist spürbar, vor allem wenn sie als Kultur in der Einkaufsorganisation verankert ist und vorgelebt wird. Jeder Vorgesetzte sollte sich daher überlegen, ob er die vom Lieferanten gesponserte Einladung zu einer hochkarätigen Veranstaltung annimmt. Ein gutes Vorbild ist der Chef, der sich nach einem Verhandlungsabschluss nicht einladen lässt, sondern sein Essen selbst bezahlt. Moderne Unternehmen mit ausgeprägtem Compliance-Bewusstsein gehen in letzter Zeit noch einen Schritt weiter und verpflichten ihre Lieferanten zu entsprechenden Regelungen in der vorgelagerten Lieferkette.

Fazit

In allen beschriebenen Bereichen, in denen ein guter Einkauf wirksam ist, geht es um Chancen. Damit trägt der Einkauf direkt zum Geschäftserfolg bei und prägt das Erscheinungsbild des Unternehmens nach außen. Grund genug, dieser Funktion mehr Aufmerksamkeit zu widmen oder ein kleines Team von Einkäufern aufzustellen, zu einem fähigen Bereich zu entwickeln und auf Leitungsebene zu etablieren. Entscheidend ist die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells eines Unternehmens, angefangen mit einer objektiven IST-Analyse und der qualifizierten Gestaltung der wesentlichen Einkaufsprozesse, passgenau für das individuelle Unternehmen. Diesem einmaligen Aufwand stehen Einsparungen gegenüber, die sowohl kurz- als auch mittelfristig wirken und das Unternehmensergebnis nachhaltig verbessern.

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