Employee AssistanceMitarbeiter und Vorgesetzte auf der Couch
Wer in befristeten oder prekären Arbeitsverhältnissen steht, immer mehr Aufgaben und Projekte gleichzeitig bewältigen und permanent erreichbar sein muss, für den wird Arbeit zur täglichen Belastungsprobe. Irgendwann stellen sich gesundheitliche Probleme ein. Betroffen sind davon nicht mehr nur Geringqualifizierte, sondern auch Facharbeiter, Ingenieure und Führungskräfte.
Fehlzeiten sind immer häufiger psychisch bedingt
Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) stellt im Fehlzeiten-Report 2012 fest, dass Arbeitnehmer durch die zeitlich und räumliche Flexiblisierung der Arbeitswelt an ihre psychischen Belastbarkeitsgrenzen stoßen. Inbesondere bei ständiger Erreichbarkeit, häufigen Überstunden, wechselnden Arbeitsorten und langen Anfahrtswegen zur Arbeit litten Beschäftigte zunehmend an psychischen Beschwerden. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis: Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent gestiegen.
Nach einer Hochrechnung des WidO, bezogen auf mehr als 34 Millionen gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten in Deutschland, waren 2011 mehr als 130.000 Personen wegen eines Burnouts krankgeschrieben. Das führte laut Angaben der Autoren des Fehlzeiten-Reports zu insgesamt 2,7 Millionen Fehltagen. „Flexibel und mobil zu arbeiten bietet sowohl jedem Einzelnen als auch den Unternehmen Vorteile, wenn es mit mehr Wahlfreiheit und Handlungsautonomie verbunden ist“, sagt Helmut Schröder, Herausgeber des Fehlzeiten-Reports und stellvertretender Geschäftsführer des WidO in der dazugehörigen Presseinformation.
Belastungen am Arbeitsplatz führen zu Leistungsminderung
Auch der Fürstenberg Performance-Index 2011 in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut forsa kommt zum Ergebnis, dass sich vier von fünf Arbeitnehmern in Deutschland (79 Prozent) in ihrer Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz eingeschränkt fühlen. Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) beziffert die daraus resultierenden Einbußen durch Leistungsminderung auf insgesamt 364 Milliarden Euro. Als Gründe für diese Leistungsminderungen am Arbeitsplatz wurden körperliche Beschwerden, psychische und soziale Probleme, familiäre Sorgen sowie arbeitsplatzbezogene Belastungen genannt.
Nicht von ungefähr mahnt Susanne Klein, Vorstandssprecherin des Bundesfachverbandes Betriebliche Sozialarbeit (BBS), in einem Bericht auf vdi-nachrichten.com, betriebliche Sozialarbeit sei kein Liebesdienst, sondern eine Investition in die Mitarbeiter und das Unternehmen. Was sind also die geeigneten Mittel, um psychisch angeschlagenen Mitarbeitern wieder auf die Beine zu helfen?
Betriebliche Sozialarbeit hat in Deutschland Tradition. Die ersten Grundlagen für die Methoden und Arbeitsformen entstanden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; Unternehmen wie Siemens oder Merck zählen zu den Vorreitern. Dabei entwickelten sich zwei Stränge heraus, die von der Wissenschaft als „klassische Methoden“ bezeichnet werden:
- Einzelfallarbeit
- Soziale Gruppenarbeit
Beide Formen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus den USA übernommen und bewirkten einen Wandel beziehungsweise eine Bereicherung der bis dahin existierenden Methoden. Diese beschränkten sich zu sehr auf das Individuum und die Behebung seiner materiellen Notlage, während das Modell der Gruppenarbeit aus der Neuen Welt auch erstmals psychosoziale Aspekte in die praktische betriebliche Sozialarbeit einbezog.
Verstecke Hierarchien in Teams entlarven
Die Einzelfallhilfe ist die am meisten verbreitete Form, mit der versucht wird, psychisch belasteten Mitarbeitern zu helfen. Wichtigstes Werkzeug: die Gesprächsberatung, in der die Sozialarbeiter die Probleme des Mitarbeiters ergründen wollen. Zuhören, stabilisieren und Vertrauen aufbauen, darum geht es. Lag der Fokus der betrieblichen Sozialarbeit in der Anfangszeit noch auf der Unterstützung alkoholkranker Mitarbeiter, geht es heute meist um persönliche Krisen und psychische Störungen – oft verursacht durch die Auswirkungen der modernen Arbeitswelt.
Mit dem Aufkommen von Teamarbeit hat sich die Waage in Richtung sozialer Gruppenarbeit verschoben, denn: In Teams treffen Mitarbeiter mit unterschiedlichen Interessen und Zielen aufeinander, Konflikte sind oft vorprogrammiert. Für den Sozialarbeiter muss es dann darum gehen, verdeckte Gruppenprozesse und auch Hierarchien zu entlarven, die neben der offiziellen Unternehmenshierarchie bestehen. In der betrieblichen Sozialarbeit lassen sich folgende Formen der Gruppenarbeit unterscheiden:
- Inszenierung und Etablierung von Selbsthilfegruppen, die ein bestimmtes Problem aufgreifen (etwa chronische Krankheiten oder Alkohol).
- Themenorientierte Gruppenangebote, die sich aus bestimmten Situationen im Unternehmen ergeben und Bezug zum Privatleben haben (etwa Stressbewältigung oder Kommunikation).
- Gruppen zur Umsetzung personalentwicklungsspezifischer Maßnahmen (etwa Mitarbeitergespräche).
Vorurteile gegenüber internen Sozialberatern
In der Gruppenarbeit geht es vor allem darum, Bedürfnisse von Mitarbeitern zu befriedigen und um die Entwicklung von emotionalen und sozialen Kompetenzen, ohne die eine effektive Teamarbeit nicht möglich wäre. Bei der Einzelarbeit hingegen geht es meist um akute Lebenskrisen, um familiäre Probleme oder auch um Mobbing. Der betroffene Mitarbeiter muss sich dabei einer ihm zunächst völlig fremden Person anvertrauen – oft von der Angst geplagt, seine Probleme würden sich schnell im ganzen Unternehmen herumsprechen. Nicht von ungefähr werden Sozialberater daher oft misstrauisch beäugt und als verlängerter Arm der Unternehmensführung gesehen.
Um dem zu entgehen, können Unternehmen auf externe Berater zurückgreifen. Was in den USA und Großbritannien bereits seit über 20 Jahren im Rahmen sogenannter Employee-Assistance-Programme (EAP) praktiziert wird – rund 85 Prozent der Fortune-500-Unternehmen im angloamerikanischen Raum greifen auf solche Unterstützungsprogramme für ihre Mitarbeiter zurück – ist hierzulande noch relativ unterentwickelt und meist unbekannt.
Schenkt man aber den Anbietern solcher Programme Glauben, erfährt die Branche allmählich einen Aufschwung. Juliane Barth, Geschäftsführerin des Kieler EAP-Anbieters Corrente, sagt gegenüber dem Magazin manage_HR: „Der Markt in Deutschland ist jetzt reif. Mussten wir Anfang 2000 mit unserem Produkt noch hausieren gehen, kommen die Unternehmen inzwischen mit gezielten Anfragen auf uns zu.“
Externe Beratungsprogramme als Alternative
Die Entwicklung der Nachfrage nach EAP-Leistungen hängt auch direkt mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen. Entlassungen und die damit verbundenen persönlichen Folgen sind nicht selten ein Grund für Unternehmen auf EAP zurückzugreifen. Vor allem aber der Wandel der Arbeitswelt mit Merkmalen wie ständiger Erreichbarkeit sowie räumlicher und zeitlicher Flexibilität führt heute zu psychischen Belastungen bei Mitarbeitern und Führungskräften. Viele halten dem Zeit- und Leistungsdruck nicht stand. Hinzu kommt eine weit verbreitete soziale Unsicherheit. Stresssymptome, von Schlafstörungen über Depressionen bis hin zu Burnout sind die Folge.
Hier setzt die externe Mitarbeiterberatung an, der nachgesagt wird, beim betroffenen Mitarbeiter eine größere Anonymität zu erzeugen und dadurch die Bereitschaft zu steigern, sich dem externen Berater besser öffnen zu können als einem Sozialarbeiter des eigenen Unternehmens. Standardmäßig umfasst ein EAP folgende beispielhafte Beratungsleistungen beziehungsweise gibt Hilfe bei folgenden Situationen:
- Beratung bei arbeitsbezogenen Fragen
- Umgang mit Stress
- Zeit- und Selbstmanagement
- Umorganisationen
- Beratung in Sachfragen
- Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche
- Schulprobleme der Kinder
- Finden von richtigen Ansprechpartnern, etwa bei Behörden
- Psychologische Beratung
- Bearbeitung emotionaler, persönlicher und arbeitsbezogener Probleme beziehungsweise Hilfestellung bei Konflikten oder Lebenskrisen
- Suchtberatung
- Unterstützung von Führungskräften
- Hilfestellung und Ratgeber bei Schwierigkeiten mit auffälligen oder psychisch kranken Mitarbeitern
- Beantwortung von Fragen der Mitarbeiterführung
Vorteile und Probleme externer Beratungsprogramme
Die Vorteile, die EAP in solchen Fällen bieten kann, liegen nach Expertenmeinungen in der Kostenkontrolle für das Unternehmen, das die Beratung selbst bezahlt. In der Regel werden hier Pauschalbeträge vereinbart, abhängig von der Mitarbeiterzahl und dem Umfang der Beratung. Aus der Sicht des betroffenen Mitarbeiters besteht bei einer externen Beratung zudem nicht die Gefahr einer Beeinflussung durch das Unternehmen beziehungsweise durch unternehmerische Strukturen und Hierarchien.
EAP-Anbieter argumentieren auch mit einer Win-Win-Situation: Externe Beratungen würden nicht nur den betroffenen Mitarbeitern zu Gute kommen, sondern auch den Unternehmen selbst, die nach erfolgreich abgeschlossener Beratung wieder leistungsbereite und leistungsfähige Mitarbeiter hätten. Doch so einfach wird es den Unternehmen bei der Auswahl des geeigneten EAP-Anbieters nicht gemacht. Der Grund: fehlende Standards. Qualitätsunterschiede sind damit vorprogrammiert. Juliane Barth gegenüber manage_HR: „Das Unternehmen sollte sich genau überlegen, warum es ein Employee-Assistance-Programm im Betrieb einführen möchte und was es von der Dienstleistung erwartet.“
Im Anschluss müsse überprüft werden, inwieweit der Service der einzelnen Anbieter diesen Zielen dient. Entscheidend sei vor allem auch die fachliche Ausrichtung, ob ausgebildeter Psychotherapeut oder Sozialpädagoge. Es hänge vom jeweiligen Unternehmen ab, wer am besten als Berater in Frage kommt. Wer einen externen Berater im Rahmen von EAP engagieren möchte, sollte auf folgende Dinge achten:
- Erfahrung des Beraters mit Wirtschaftsunternehmen und deren Strukturen
- Erfahrung des Beraters als Arbeitnehmer oder Führungskraft
- Qualifikation
- Fähigkeit zu konstruktiver Kritik
- Kenntnis lokaler Ressourcen beziehungsweise Hilfsmöglichkeiten
- Erreichbarkeit für die Betroffenen
- Ausstattung der Räumlichkeiten des Anbieters
- Organisation der Telefonberatung (Callcenter oder direkte Verbindung zum Berater?)
- Flexibilität in der Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen
Mitarbeiter präventiv entlasten
Ob betriebliche Sozialarbeit oder externe Beratung: Heute geht es nicht mehr nur um Hilfe bei persönlichen, individuellen Lebenskrisen, sondern zunehmend auch um das Abfedern der negativen Folgen einer immer rasanter werdenden Arbeitswelt. Mit dem enormen Leistungs- und Zeitdruck, der heute in vielen Branchen selbstverständlich geworden ist, können nur wenige Mitarbeiter wirklich Schritt halten. Diejenigen, die es nicht können, sehen sich immer öfter mit sozialer Unsicherheit konfrontiert, und diejenigen, die sich darauf einlassen, erhalten nach geraumer Zeit die gesundheitliche Quittung.
Unternehmen sollten sich also überlegen, bereits im Vorfeld gegen psychisch bedingte Erkrankungen ihrer Mitarbeiter vorzugehen, eigene Ursachenforschung zu betreiben und – falls nötig – die Firmenkultur entsprechend zu überdenken. Es ist wichtig, auch einen konsequent präventiven Ansatz zu verfolgen, der Mitarbeiterfürsorge schon dann betreibt, bevor psychische Erkrankungen durch die konkrete Arbeitssituation überhaupt erst entstehen können. So ließe sich tatsächlich von einer Win-Win-Situation sprechen. Susanne Klein vom BBS drückt es gegenüber vdi-nachrichten.com so aus: „Die technologische Entwicklung lässt sich nun mal nicht zurückdrehen. Gerade deshalb sollte betriebliche Sozialarbeit mehr sein als nur ein Pflaster.“