ErfolgsmessungDie irreale Frage nach dem ROI von Social Media
Früher war Werben noch leicht, weil es nur wenige Kundenkontaktpunkte zu meistern gab: Anzeigen, TV-Spots, Werbebriefe und die eigene Webseite zum Beispiel. Auch die Messung des Return on Investment (ROI) war vergleichsweise einfach. Ein Mailing und er ließ sich problemlos errechnen. Ein solches eindimensionales Vorgehen funktioniert inzwischen nicht mehr, denn heute sind die Touchpoints, also die Berührungspunkte mit den Produkten, Services und Mitarbeitern eines Unternehmens dort, wo die Kunden ihre Zeit verbringen: auf Zickzackkurs zwischen physischer und virtueller Welt, „sozial“ und „mobil“ vernetzt. Die Zahl der Touchpoints ist dabei kräftig gestiegen, denn die durchgängige Verschmelzung von Online und Offline steht an. Mixed Reality wird dies auch genannt.
Die „Customer Journey“ aus Kundensicht
Ursprünglich stammt der Begriff „Customer Journey“ aus dem E-Commerce. Er beschreibt den Weg des Nutzers beim Surfen im Web über Views und Klicks bis zum Kauf. Was bei dieser Betrachtung gerne vergessen wird: Im Web verquicken potenzielle Kunden die reale mit der virtuellen Welt. Mobile Endgeräte machen dieses Vorgehen für die Nutzer einfach.
Auf der Anbieterseite hingegen zeigt sich ein zunehmend komplexes Szenario: Eine eindeutige Zuordnung, welcher Touchpoint bei der Entscheidungsfindung am Ende ausschlaggebend war, ist meist gar nicht mehr möglich. Dennoch wird zum Beispiel beim „Last-Cookie-Wins“-Prinzip willkürlich festgelegt, dass der letzte vom Kunden angesteuerte Kontaktpunkt der Hauptauslöser für die Kaufentscheidung sei. Falsche Folgeentscheidungen sind so zwangsläufig vorprogrammiert.
Heutzutage braucht es meist mehrere Berührungspunkte zwischen Unternehmen und Kunden, um einen Kundenwunsch auszulösen. So hat beispielsweise eine Schweizer Marktstudie des internationalen Beratungs- und Researchunternehmens Accelerom und des Marketing-, Verkaufs- und Dienstleistungsunternehmens PubliGroupe herausgefunden, dass im Durchschnitt 17 Kontaktpunkte für die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung kaufentscheidungsrelevant sind. Wie soll man unter solchen Umständen den erzielten Absatzerfolg einer einzigen Aktion beimessen, um daraufhin den ROI zu ermitteln?
Beeinflusser lassen sich nicht einfach messen
Die wirkungsvollsten Kaufauslöser stecken schon längst nicht mehr in den vom Marketing in Eigenregie bespielten Touchpoints, denn die Unternehmen haben ihr Kommunikationsmonopol weitgehend verloren. Inzwischen hat sich mit digitaler Mundpropaganda ein Phänomen etabliert, das zunehmend kaufbestimmend wird und deshalb in Berechnungen des ROI einbezogen werden muss. Es offenbart sich vorzugsweise an den indirekten Touchpoints im Social Web, und diese sind von den Marktteilnehmern nur mittelbar steuerfähig.
Am Anfang und am Ende eines Kaufprozesses geht es vermehrt um die O-Töne von Weiterempfehlern. Sie sind der Presales-Phase vor und der Aftersales-Phase nachgelagert. So lässt sich ein potenzieller Kunde vor dem Kauf durch die Meinung Dritter beeinflussen, und nach dem Kauf wird er selbst zum Beeinflusser. Dieses Phänomen kann sich ein Anbieter nicht mit simplen Aktionen und Investitionen in Werbung erkaufen, sondern nur durch gute Taten bewirken.
Deshalb lässt sich das eindimensionale ROI-Modell aus klassischen Werbewirkungsanalysen auch nicht eins zu eins auf Social Media übertragen. Vielmehr braucht es eine Erkenntnis jenseits aller Zahlenmanie: Das Social Web ist ein Netzwerk voller Menschen, die, wenn Unternehmen den richtigen Weg finden, dessen Zukunft freiwillig mitgestalten. Keinesfalls sind soziale Netzwerke nur ein weiterer Verkaufskanal zum Abgreifen von Zahlungsbereitschaften!
Kunden sind keine Datenpakete
Eine gern gestellte Frage im Web lautet: Wie viel sind ein Fan und sein „Like“ eigentlich wert? Doch kann man die Qualität einer Kundenbeziehung überhaupt in Zahlen ausdrücken? „Wenn Du eine Messe besuchst oder ein Networking-Event, so läufst Du auch nicht rum und notierst Dir einen Wert zu den Menschen, die Du triffst“, sagt Norbert Weider von der Ragazzi Group in einem Blogbeitrag. Anstatt in Statistik-Tools und Tracking-Software zu investieren, sollten Unternehmen lieber ihre Mitarbeiter schulen, menschlicher sein, freundlicher kommunizieren und Beziehungen aufbauen.
Kunden sind keine Datenpakete. Sie wollen nicht von Anbietern gemanagt werden – und sich auch nicht in vorgedachte Abläufe hineinzwängen lassen. Anstatt also weiter in den Big-Data-Gräbern ihrer CRM-Programme nach Erfolgsrezepten zu suchen, nähmen Unternehmen besser die Kundengespräche im Social Web unter die Lupe. Anstatt das Werben um Kunden nach alter Manier zu messen, sollten sie sich lieber einem qualitativen Beziehungsaufbau widmen.
Social Media deckt Schwachstellen ungeschminkt auf
Die aktuelle Debatte um einen ROI von Social Media entspringt dem gleichen falschen Gedanken, wonach der Aftersales-Service als Kostenblock und nicht als Investment in dauerhafte Kundenbeziehungen gesehen wird. Auch die sozialen Medien sind keine Melkmaschine, sondern ein Sprachrohr, ein Reputationsmacher, ein Verbundenheitskatalysator, ein digitaler Bezauberer von Interessenten und ein Optimierer von Kundenbegeisterung.
Ferner ergeben sich positive Effekte auf die Kundenloyalität, auf virale Mundpropaganda und verbesserte Platzierungen bei Suchmaschinen. Darüber hinaus helfen Meinungen in Echtzeit aus dem Web bei der Früherkennung, etwa von Problemherden. Ungeschminkt lassen sich Schwachstellen aufdecken, Missstände entlarven und neue Trends erschließen. Vor allem dafür sollte sich das Top-Management interessieren, wenn von Social Media die Rede ist.
Denn aus dem eigenen Haus erhält es meist nur solche vorgefilterten Informationen, von denen die Mitarbeiter „unten“ glauben, sie wollten „oben“ gehört werden: politisch gefärbt und diplomatisch serviert. Heilige Kühe werden gar nicht erst angefasst. Dem Kunden allerdings sind heilige Kühe völlig egal. Wenn ihm etwas nicht passt, bleibt sein Portemonnaie einfach zu. Im Web allerdings erzählt er der ganzen Welt, warum das so ist.
Der wahre Return on Social Media
Egal, ob Unternehmen die Kommunikation im Social Web beziehungsweise online gezielt anstoßen oder dem „Online-Buzz“ nur aufmerksam lauschen: Die Erkenntnisse aus einem regen Online-Monitoring an möglichst vielen relevanten Touchpoints lassen sich in unterschiedlichen Unternehmensbereichen nutzen:
- Produktverbesserungen und Serviceideen
- Aufspüren von Markenmissbräuchen
- Früherkennung von Trends im Kundenverhalten
- Vorbereiten, Testen und Optimieren von Kampagnen
- Einblick in den Kundenalltag und die Kundenseele (Customer Insights)
- Aufspüren von Krisenherden und schnelle Reaktion
- Konkurrenzbeobachtung, Markt- und Wettbewerbsanalysen
- Sichten von Vorinformationen über Gesprächspartner
- Zügige Erfassung und Lösung etwaiger Probleme
- Kostenersparnisse, wenn Kunden Kunden helfen
- Früherkennung von Bonitätsproblemen
- Suche und Evaluierung von Bewerbern
- Einsatz interaktiver Wissenstools
Schon dieser Überblick zeigt: Die simple Frage nach dem direkten geldwerten Rückfluss investierter Social-Media-Budgets ist viel zu kurz gedacht. Zudem passiert die Umwandlung von Interessenten in Kunden meist gar nicht im Social Web, sondern auf der eigenen Webseite oder in der realen Welt.
Fazit
Es braucht Zeit und viele kleine Interaktionen, um eine Kundenbeziehung aufzubauen. Nach alter Manier aus vollen Kanonen zu schießen, um punktuelle Soforttreffer zu landen, funktioniert heute fast nicht mehr. Unternehmen müssen gut sein in dem, was sie tun, und die Menschen dazu bringen, dies engagiert weiterzuerzählen. Nicht Paid Content, also bezahlte Werbung, sondern kostenlose Mundpropaganda, die sich Unternehmen durch ihre Taten verdienen, wird in Zukunft der Haupterfolgstreiber sein.
Social-Media-Plattformen sind in erster Linie ein idealer Schauplatz, um seine Reputation zu stärken, Kauflust auszulösen, Kundenloyalität auszubauen und von seinen Kunden zu lernen. Wenn schon ROI, dann sollten besser der „Return on Interaction“ sowie der „Return on Advocacy“ gemessen werden; aber auch der „Return on Ignorance“, der dann zum Tragen kommt, wenn das Social Web ignoriert wird. Die große Aufgabe der Controller wird es sein, diese neue Wertewelt in ein passendes Zahlensystem zu packen.