Ethische Unternehmensführung senkt Kosten und verbessert Bilanz
Über den österreichischen Schriftsteller Karl Kraus erzählt man sich folgende Geschichte: Bei einer Begegnung mit einem Student antwortet dieser auf die Frage, was er denn studiere: „Ich studiere Wirtschaftsethik.“ Darauf soll Karl Kraus gesagt haben: „Junger Mann, da sollten Sie sich aber für eines von beiden entscheiden.“ Fragt man Führungskräfte heute nach Ethik, dann bekommen nicht wenige Manager einen leicht verklärten Blick und seufzen: „Ach ja, ganz wichtig.“ Danach wird erst einmal argumentiert, dass Ethik eine Sache sei, die man sich bei dem Wettbewerbsdruck nicht so ohne weiteres leisten könne. Auf die Frage, was denn Ethik sei, kommen dann Antworten wie: „Das ist sehr wichtig für das Zusammenleben“ oder: „Das hat etwas mit Menschlichkeit zu tun“.
Schlagzeilen über das moralische Fehlverhalten von Unternehmen reißen nicht ab: Bankenkrise, Hartz-Affäre, Korruption bei BMW oder Prostitutionsskandal beim Versicherungskonzern Ergo. International hat der Skandal um Enron die Börsenwelt erschüttert und zum Zwang ethischer Richtlinien der börsennotierten Unternehmen in den Vereinigten Staaten geführt. Da stellt sich die Frage: Sind hemmungsloser Egoismus und Bereicherungssucht die erfolgreichen Motive der Zukunft? Die Antwort muss lauten: nein! Denn nicht nur aus moralischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen macht ethisch motiviertes Verhalten Sinn. Das ist heute leicht nachweisbar.
Ethische Führung senkt die Kosten und ist bilanzwirksam
Dauerhaft erfolgreiche Unternehmen unterscheiden sich von weniger erfolgreichen eigentlich nur durch einen einzigen Umstand: Sie schaffen es, die Sicherstellung eines sozialverträglichen Miteinanders im Unternehmen sowie die Verwirklichung der unternehmerischen Aufgaben mit einem Minimum an Aufwand zu vereinen. Konkurrieren diese Ziele jedoch miteinander, behindert das den Gesamterfolg eines Unternehmens. So macht es wenig Sinn, einerseits eine gute Ertragslage, aber gleichzeitig ein mieses Klima zu haben. Andererseits macht es ebensowenig Sinn, sich gut miteinander zu verstehen, jedoch gleichzeitig am Rande der Pleite zu stehen.
Ethisch motivierte Führung ist kostensenkend. Eine Untersuchung des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup hatte schon 2005 festgestellt, dass 73 Prozent der Mitarbeiter bei ethischer Führung einen optimalen Arbeitseinsatz zeigen, bei unethischer, rein funktionaler Führung, waren es nur 10 Prozent. Spaß an der Arbeit haben bei guter Führung 84 Prozent, bei schlechter nur 14 Prozent. Der durchschnittliche Krankenstand belegt, dass schlechte Führung teuer ist: Elf Tage sind Mitarbeiter im Durchschnitt krank, wenn sie unethisch geführt werden, bei ethisch motivierter Führung sind es nur fünf Tage. Ethik ist also auch bilanzwirksam.
Es wird oft diskutiert, dass sich Unternehmen in einem wettbewerbsorientierten Markt Ethik nicht leisten könnten. Als Einziger ethisch verantwortungsvoll zu handeln bedeute, aufgrund des harten Wettbewerbs schon bald vom Markt verdrängt zu werden. Daraus folgt: Es muss geklärt werden, ob die Kosten für ethisch motiviertes Handeln von einem Unternehmen überhaupt getragen werden können. Würden sämtliche Unternehmen am Break-Even-Point produzieren, wären die Kosten zu hoch. Dies ist nicht der Fall. Solange Unternehmen versuchen, eine günstigere Situation herzustellen und gleichzeitig Gewinne machen, sind Aufwendungen für ethisch orientiertes Handeln zunächst einmal möglich:
Finanzielle Aufwendungen
Das Unternehmen erbringt zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel Spenden, Umweltschutz oder verzichtet auf die Produktion von Waren, die in der Regel ethisch nicht verantwortet werden kann. Diese Leistungen sind ethisch erlaubt.
Kostenneutrale Ethik
Aktivierung der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit der Führungskräfte und eine Aktualisierung von Tugenden wie Wohlwollen, Geduld, Nachsicht und Vertrauen.
Verzicht auf Differentialrente
Regelwidrig erworbene Geschäftsgeheimnisse werden nicht verwendet.
Verzicht auf ethisch nicht vertretbare Praktiken
Hier handelt es sich zum Beispiel um Bestechung oder unlauteren Wettbewerb.
Kann der Bestand eines Unternehmens nur durch Zahlung von Bestechungsgeldern aufrecht erhalten werden, dann ist auch der Hinweis auf Arbeitsplatzverlust nicht stichhaltig. Das Unternehmen arbeitet volkswirtschaftlich nicht effizient und verhält sich ethisch nicht vertretbar. Somit ist der Konkurs volkswirtschaftlich und ethisch vorzuziehen.
Auch der Soziologe Fred Edward Fiedler wies schon in den 1960er Jahren nach, dass unethische Führung teuer ist. Mit seinem so genannten „Leistungsbusen“ zeigte er den Zusammenhang zwischen Leistung und Unzufriedenheit auf. Er wies nach, dass die Unzufriedenheit eines Mitarbeiters durchaus belastbar ist. Überschreitet sie jedoch eine Grenze, fällt die Leistung ab. Bei weiterer Zunahme der Unzufriedenheit steigt die Leistung kurzfristig noch einmal stark an, fällt danach jedoch endgültig auf den Nullpunkt und der Mitarbeiter verweigert sich total. Fiedler stellte in diesem Zusammenhang fest, dass ethisch motivierte Führung mindestens drei bilanzwirksame Vorteile hat:
- Die Transaktionskosten sind geringer. Werden Absprachen nicht eingehalten oder Verträge verletzt, einigen sich die Betroffenen bei ethisch motivierter Führung kostengünstiger. Die Wiedergutmachung wird nicht bis zum Letzten durchgefochten. Das gilt auch für Lieferanten und Kunden.
- Die Migrationskosten sind geringer. Ethisch gut geführte Mitarbeiter, Lieferanten oder Kunden wollen nicht wechseln. Warum sollten Sie auch?
- Die Interaktionskosten sind geringer. Ethisch motivierte Führung erzeugt weniger Reibungsverluste und bedarf weniger Absicherungsaktivitäten.
Leider tauchen diese Kosten nicht explizit in der Bilanz auf. Infolgedessen werden sie auch nicht genügend beachtet, obwohl sie ein Unternehmen an den Rand des Ruins treiben können.
Führung braucht ethische Kompetenz
Wie können wirtschaftliches Handeln und soziales Miteinander im Unternehmen konkret verträglich gestaltet werden? Zunächst sollte sich eine Führungskraft um ethische Kompetenz bemühen. Die bisher bekannten Benimmregeln des „Code of Conduct“, „Integrity Code“ oder „Business Conduct Guideline“ werden von verschiedenen Unternehmen derzeit missbräuchlich als Ethik-Kodex bezeichnet. Bei genauerer Untersuchung solcher Benimmregeln stellt sich heraus, dass eine fast willkürlich informelle Unternehmenskultur („Wie macht man das bei uns?“) zu einer Ethik hochstilisiert wird.
Der amerikanische Discounter Wal-Mart, einige Jahre auch auf dem deutschen Markt tätig, war dafür ein bekanntes Beispiel. Es steht zu befürchten, dass bei willkürlichen Ethik-Regeln Mitarbeiter in ihrem Verhalten so stark normiert werden, dass für Persönlichkeit kein Platz mehr bleibt. Die Gefahr der ethischen Gleichmacherei steht im Raum, und die Gefahr des Denunziantentums. In manchen Ethik-Richtlinien werden Mitarbeiter angeregt, ihre Vorgesetzten oder Kollegen zu bespitzeln.
Stichwort
2005 untersagte das Arbeitsgericht Wuppertal dem Handelskonzern Wal-Mart Teile seiner damaligen Ethik-Richtlinie. In seinem Kodex schrieb das Unternehmen seinen Beschäftigten vor:
„Sie dürfen nicht mit jemandem ausgehen oder in eine Liebesbeziehung zu jemandem treten, wenn Sie die Arbeitsbedingungen dieser Person beeinflussen können oder der Mitarbeiter Ihre Arbeitsbedingungen beeinflussen kann.“
Außerdem sollten Wal-Mart-Mitarbeiter dazu angehalten werden, direkt oder anonym über eine Hotline „Fehlverhalten“ oder die Verletzung der Ethik-Richtlinien durch Kollegen zu melden. Das Gericht lehnte diese Praxis, ebenso wie Drogentests bei der Einstellung neuer Mitarbeiter als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ab.
Es geht vor allem um ethische Kompetenz. Ethische Kompetenz erlange ich, wenn ich mir eine Synopse verschiedener Ethiken erarbeite. Beispielhaft seien hier genannt:
- Gesinnungsethik: Die gute Absicht zählt.
- Ergebnisethik: Das erreichte Ziel ist entscheidend.
- Handlungsethik: Die Vorgehensweise steht im Mittelpunkt.
Der zweite notwendige Aspekt ethischer Führung ist die Führungsvollmacht. Wer gibt jemandem das Recht, Mitarbeitern zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben? Dafür gibt es drei Interpretationsmöglichkeiten:
1. Ich bin zum Führen geboren
Nicht selten meinen Führungskräfte, führen könne man nicht lernen. Man kann es oder eben nicht. Wenn dem so ist, dann müsste diese Führungskräfte der Blitzstrahl der seligen Erkenntnis in der Wiege getroffen haben.
2. Das Unternehmen gehört mir
Hier geht es um das Recht anderen zu sagen, was sie tun sollen. Führungsvollmacht leitet sich aus dem Kapitalbesitz ab, was oft in einem Führungsstil nach eigenem Gutdünken endet, allenfalls begrenzt durch Gesetze und einen als lästig empfundenen Betriebsrat.
3. Die Vollmacht habe ich durch meine Mitarbeiter
Mit der Unterschrift unter einen Arbeits- oder Dienstvertrag haben Mitarbeiter das Recht an ihren Chef delegiert, ihnen zu sagen, welche Aufgaben sie zu erledigen haben.
Wahrscheinlich kann nur die dritte Vollmacht zu ethisch motivierter Führung anleiten, denn nur sie berücksichtigt, dass ich auch den Mitarbeitern, den Kunden und Lieferanten gegenüber meine Führungshandlungen verantworten muss.
Ethik ist nicht wirklich kostenintensiv: Es kostet nichts, die Kommunikationsfähigkeiten seiner Mitarbeiter zu fördern und sich redlich und anständig im Umgang mit ihnen zu verhalten. Es kostet nichts, seine Kunden und Lieferanten fair zu behandeln. Die Grenzmoralkurve zeigt genau das.
Grenzmoral
Grenzmoral meint: Wer sich moralisch einwandfrei benimmt, wird dafür vom Kunden mit Aufträgen belohnt. Wer sich moralisch daneben benimmt, wird von ihm gemieden, also abgestraft. Wer ein Vertrauensklima erzeugt, wird als zuverlässiger Partner unterstützt. Wer ein Misstrauensklima erzeugt, wird gemieden oder es wird versucht, sich mit hohem Aufwand abzusichern. Das kann hohe Kosten nach sich ziehen.
Wirtschaftsethik wird erst dann zur Wirkung kommen, wenn sich die Teilnehmer der Wirtschaft selbst der von ihnen vorausgesetzten ethischen Grundlagen des Handelns bewusst werden. Das Elend der Ethik, insbesondere der Wirtschaftsethik, besteht nicht darin, dass wir keine Werte, keine Tugenden oder Leitlinien hätten. Im Gegenteil: Wir ersticken geradezu in einer Flut von Werten und Normen. Allein uns fehlt ein Bewusstsein dafür, dass wir uns an manche von ihnen halten müssen. Woher aber soll dieses Bewusstsein kommen?
Die entscheidende Prämisse für ethisches Handeln steckt im Selbstverständnis eines jeden Unternehmers. Es ist die Prämisse der Freiheit. Kein Unternehmer möchte sich in einer Welt bewegen, die von Determinismus bestimmt ist. Aus diesem Grund erwächst aus dem Selbstverständnis des Unternehmertums die maßgebliche ethische Forderung: Wir sind aufgrund des Bedürfnisses, uns als freie Menschen wahrnehmen zu wollen verpflichtet, nach Wegen der bewussten Gestaltung unserer Umwelt zu suchen. Andernfalls überlassen wir alles der blinden Notwendigkeit, den strukturellen Sachzwängen, dem zufälligen Recht des Stärkeren, der Willkür und dem Chaos. Aus dem Unternehmertum selbst folgt also die ethische Vorgabe, die Welt nicht kritiklos so anzuerkennen, wie sie zufällig gerade ist, sondern an ihrer Veränderung zu arbeiten. Mit dieser Vorgabe ist der Auftrag verbunden, Werte zu setzen und in eine plausible Form zu gießen.
Beispiele: Ethische Unternehmenskultur kann sich lohnen
Die Verankerung verpflichtender ethischer Leitlinien in die Unternehmenskultur kann den Unternehmenserfolg durchaus beflügeln. Ein Beispiel ist die Kosmetikkette „The Body Shop“. Mit Produkten aus natürlichen Inhaltsstoffen und einem Verzicht auf Tierversuche besetzte das Unternehmen eine grüne Nische. Diese Idee war für die Konsumenten so glaubwürdig, dass der Unternehmenswert in 26 Jahren auf 190 Millionen Euro anstieg. 2006 wurde „The Body Shop“ von L’Oréal gekauft, das dieses Konzept übernahm.
Ethische Verantwortung betrifft aber nicht nur die eigenen Produkte; sie betrifft auch das direkte Umfeld des Unternehmens: So verpflichtet beispielsweise der Otto-Konzern seine Lieferanten weltweit auf Kinderarbeit zu verzichten, Überstunden zu bezahlen, keine Zwangsarbeit durchzuführen und Sicherheitsstandards einzuhalten. Da diese Standards nicht automatisch von jedem Lieferanten eingehalten werden, wurden Schulungs- und Kontrollprogramme entwickelt, um die Auftragnehmer systematisch an die sozialen Vorstellungen des Konzerns heranzuführen.
Gerade die Unternehmen, die sich in ihrem Business einer moralischen Wertorientierung verpflichtet fühlen, schaffen mehr Wert. Beispiel Henkel: Der Konzern erwirtschaftete 2003 eine Bruttowertschöpfung von rund 2,9 Milliarden Euro durch den Einsatz von 9,3 Millionen Kubikmeter Wasser. Vergleichbare Unternehmen in der EU kamen beim Einsatz der gleichen Wassermenge nur zu einer Bruttowertschöpfung von 380 Millionen Euro. Die Überlegenheit Henkels auf diesem Gebiet hatte Auswirkungen auf das Nachhaltigkeitsranking der Research-Agentur Scoris. Im Jahre 2005 belegte Henkel dort den ersten Platz. Im „Dow Jones Sustainability Index“ des Jahres 2010 ist das Unternehmen zum vierten Mal in Folge „Sustainability Leader“ im Marktsektor „Non-durable Household Products“. Wiederholt wurde es auch in die Liste der „World’s Most Ethical Companies” des Ethisphere Institute und des Forbes Business Magazine aufgenommen.