FührungFührungskräfte mit Herz
Vor kurzem in einem Restrukturierungsprozess: Der CEO erfährt vom Konzern, dass die bisher vorgenommenen Einsparungen nicht ausreichen. Die gesamte Produktion soll geschlossen und verlegt werden. Das Aus für sehr viele Arbeiter. Endgültig. Der CEO hatte gekämpft, überlegt, umgeschichtet, vieles probiert – und scheiterte letztlich doch. Er fühlte sich betrogen, ausgenutzt, war wütend und traurig zugleich. Und entschuldigte sich für seinen Ausbruch bei mir, der externen Beraterin.
Warum eigentlich? Es ist doch großartig, wenn es an der Spitze von Betrieben noch Menschen gibt, die das volle emotionale Spektrum empfinden können. Die sich ärgern können, die betrübt oder unglücklich sind, die auch mal den Mut verlieren und sich den Frust von der Seele schreien. Denn nur dann können sie jene verstehen, die meist auf der anderen Seite stehen. Jene, die von den vielen derzeit stattfindenden organisatorischen Veränderungen betroffen sind. Die ihren Job verlieren, ihre Sicherheit und ihre Zuversicht.
Klare Worte zählen mehr als PowerPoint-Vorlagen
Nur wer selbst gefühlvoll agieren und reagieren kann, versteht andere Menschen in deren emotionaler Lage; eine wesentliche Voraussetzung für eine richtige und passende Kommunikation. Schließlich ist Kommunikation heute eine der Kernaufgaben von Führungskräften. Manager, die selbst erfühlen, wie weh manch eine Veränderung tut, werden sich nicht mit sanften, geschliffenen Retortenreden zur Lage des Betriebs abgeben. Sie wissen, dass ein klares Wort, eine eindeutige Aussage mehr zählt als schöne PowerPoint-Vorlagen.
Empathische Menschen wissen, was es in welcher Situation braucht. Viel öfter in unserer Wirtschaftswelt würde es Ehrlichkeit brauchen. Ich höre immer wieder den Satz: „Das können wir unseren Mitarbeitern nicht zumuten.“ Als wären Mitarbeiter unmündige kleine Kinder. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Gerade in einer globalisierten Welt, des Lebens in sozialen Netzwerken, der Industrie 4.0 ist Wahrheit ein Gut, das wir auf keinen Fall in Frage stellen dürfen.
Ohne Gefühle kein Leadership
CEOs, die ab und an einen Wutanfall bekommen, sind aus meiner Erfahrung auch stärker zu positiven Gefühlen fähig: zu Freude und Fröhlichkeit, zu Lust und Leidenschaft, zu Engagement und Begeisterung. Sind das nicht die besten Voraussetzungen, um Teams zu motivieren und sie zu Höchstleistungen anzuspornen?
Also: Hören Sie auf, Ihre Gefühle regulieren zu wollen, wie das manche Führungskräfte-Ratgeber meinen. Gefühle sind wichtig. Ohne sie fehlt in der Beurteilung von „sachlich richtigen“ Tatsachen etwas. Ohne sie findet keine Orientierung statt. Ihr Bauch weiß das. Denn wer sagt Ihnen etwa bei zwei identischen Angeboten, welches besser zur Organisation passt? Ohne Gefühle können Sie auch nicht motivieren oder ein Team von neuen Ideen und Richtungen überzeugen.
Gefühle gehören in die Führungsetage! Mit einer kleinen, aber wichtigen Anmerkung: Emotional werden heißt nicht, jemanden beleidigen zu dürfen. Der Grad zwischen emotionaler Authentizität und cholerischem Auftreten ist schmal. Während eine Führungskraft, die ihre Unausgeglichenheit durch Cholerik für alle spürbar artikuliert – und die dadurch vielleicht die Führungsstiege nach oben fällt – weiß eine emotional intelligente Führungspersönlichkeit, dass gegenseitiger Respekt auch in Zeiten wütender Ausbrüche unantastbar ist.
Gefühle der anderen aushalten
Führungskräfte, die ihre eigenen Gefühle zeigen können, sind besser in der Lage, sich empathisch in Mitarbeiter und deren emotionale Lage hineinzuversetzen. Wenn es um Standortverlagerungen geht. Wenn es um Zusammenlegungen von Abteilungen geht. Wenn es um Einsparungen geht. Da heißt es oft: die Gefühle aushalten und ansprechen können. Ja, das ist Aufgabe von Führung. Ein Beispiel: Herr Müller hat gerade einen Kredit für ein Einfamilienhaus aufgenommen, das ideal zwischen seiner Firma und den Schulen seiner Kinder liegt. Dass er über die Fusion seiner Abteilung und deren Verlegung in eine andere Stadt nicht erfreut ist, ist klar. Also blockiert er Sitzungen mit Endlosreden, erledigt seine Aufgaben nicht mehr qualitativ gut, fehlt öfter mal und macht länger Pause.
Dass hinter diesem – als widerspenstig erkennbaren – Verhalten Wut und Ärger liegen, weil er zu spät oder nur gerüchteweise über die Veränderung informiert wurde, dass vielleicht Angst im Spiel ist, die Familie seltener zu sehen, oder Sorge, die Kinder würden einem Wechsel in eine neue Stadt nicht zustimmen, sehen nur Führungskräfte mit empathischen Fähigkeiten. Sehen ist der erste Schritt. Die Gefühle von Herrn Müller unter vier Augen zu besprechen, das erfordert auch für eine Führungskraft Mut. Dass bei solch einem Gespräch emotionale Ventile geöffnet werden können, die mitunter in Angriffen müden, müssen gute Führungskräfte aushalten.
Fühlen Führungsfrauen anders?
Gefühlsausbrüche von Frauen wiederum werden immer noch anders konnotiert. Ein Mann, der mit der Faust auf den Besprechungstisch haut, wird oft als stark bezeichnet. Die gleiche Geste bei einer Frau lässt sie als nervlich schwach erscheinen. Aus meiner Sicht ist die emotionale Grundlage bei Männern und Frauen gleich. Die Interpretation der Umwelt aber eine ganz andere.
Jetzt könnten wir weiblichen Führungskräften empfehlen, bei der Wahl ihrer emotionalen Gestik die Sicht der Umwelt zu berücksichtigen. Das widerspricht aber gleichzeitig dem Ruf nach Authentizität in den oberen Management-Etagen. Was also soll Frau tun? Gefühle verstecken oder zeigen, ausdrücken oder unterdrücken? Fragen Sie doch mal Ihren Bauch! Öfter mal auf den Bauch hören ist ein Tipp für alle, die als Führungskräfte gerade erst beginnen, Gefühle zu zeigen. Machen Sie es wie der Ex-Fußballstar Andreas Möller, der einmal meinte: „Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl.“
Übrigens: Der CEO vom Beginn der Geschichte hat sich vor seine gesamte Belegschaft gestellt, berichtet, was Sache ist, und wie es ihm dabei geht. Einfach ist es ihm nicht gefallen. Laut eigener Aussage schlingerte er durch eine emotionale Achterbahn. Heute, mit etwas Abstand, sagt er: „Dass ich ehrlich war, dass ich all meinen Leuten sagen konnte, wie es mir geht, hat mir viel Achtung eingebracht. Ich konnte meinen Leuten bis zum letzten Tag der Produktion in die Augen sehen. Das ist Lebensqualität.“