Führung und Coaching der Mitarbeiter

Was macht moderne Führung aus? Die Förderung der Mitarbeiter oder vielleicht doch primär die Umsetzung vorgegebener Ziele? Unser Expertengespräch zeigt unterschiedliche Ansichten von Führung.

Herr Korsten, Herr Heselschwerdt, der Gallup-Engagement-Index 2010 stellt den Führungskräften ein schlechtes Zeugnis aus, wenn es um die Berücksichtigung der zentralen Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Mitarbeiter geht. Sind denn tatsächlich immer die Vorgesetzten schuld an der mangelnden Motivation der Mitarbeiter?

Harald Korsten:
Schuldig ist nur, wer vorsätzlich handelt. Das unterstelle ich natürlich niemandem. Allerdings sind Vorgesetzte verantwortlich für die mangelnde Motivation von Mitarbeitern und die damit verbundenen Auswirkungen. Unsere langjährigen Erfahrungen als Managementtrainer decken sich hier mit den Aussagen der Gallup-Studie. Nach unseren Beobachtungen sind Chefs meist auch die Verursacher von Demotivation und Dienst nach Vorschrift.

Friedrich Heselschwerdt: Die allgemeine Bezeichnung Führungskräfte sollte zunächst differenziert betrachtet werden. Führungskräfte sind eben auch Vorstände und Firmeninhaber, diese führen auch Menschen und verfolgen Ziele. Ein Großteil der Führungskräfte, die vermutlich in der Studie angesprochen werden, sind wohl Angestellte in der berühmten Sandwich-Position.

Zu Ihrer Frage: Wenn Menschen miteinander arbeiten und es zu Differenzen kommt, ist meist davon auszugehen, dass auf beiden Seiten etwas verkehrt läuft. Dann stellt sich die Frage nach dem sachlichen Hintergrund und der jeweils daraus entstehenden Gefühls- oder Beziehungslage. Entscheidend ist der Umgang zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Läuft das nur mit Druck und Drohung oder auch mit Verständnis und Einfühlungsvermögen ab? Oft wird von der Führungskraft nur das nach unten durchgereicht, was von höherer Stelle vorgegeben wird. Die Motivationsarmut von Mitarbeitern liegt oft in einer grundsätzlichen Verunsicherung begründet: Was wird aus mir in diesem Unternehmen? Die Folgen sind dann oft Vorsicht und Zurückhaltung sowie Dienst nach Vorschrift. Da hat es die direkt vorgesetzte Führungskraft natürlich schwer.

Welche prinzipiellen Aufgaben schreiben Sie Führungskräften im Allgemeinen zu?

Korsten: Eine Führungskraft fördert und entwickelt die Talente und Fähigkeiten der ihr anvertrauten Mitarbeiter, kontinuierlich und systematisch. Natürlich auch die eigenen. Wer das nicht will, mag ein Vorgesetzter sein, aber keine Führungskraft. Geförderte Mitarbeiter arbeiten deutlich motivierter, engagierter und eigenverantwortlicher. So etwas ist die Grundvoraussetzung für die drei weiteren prinzipiellen Führungsaufgaben: Entscheidungen treffen und für Entscheidungen sorgen, den eigenen Verantwortungsbereich organisieren und kontinuierlich verbessern einschließlich der Kommunikations- und Informationsstrukturen sowie die Zusammenarbeit mit Kunden, Lieferanten und anderen Fachbereichen.

Heselschwerdt: Führungskräfte verfolgen Ziele und setzen diese in vorgegebenen Zeiträumen um. Dabei hat die Führungskraft auf alle ihr zur Verfügung gestellten Ressourcen sorgfältig und mit Verantwortung zu achten. Die ihr überantworteten Mitarbeiter bedürfen ihrer besonderen Sorgfalt. Dabei hat sie auf Eignung, Befähigung, Belastung, Arbeitszeit und Aufwand zu achten. Außerdem muss eine Führungskraft auf die Einhaltung der Regeln, Normen und Werte, denen sich das Unternehmen verschrieben hat, achten.

Führungskräfte müssen vorgegebene Ziele erfüllen und gleichzeitig Personalverantwortung übernehmen. Sind da Rollenkonflikte nicht vorprogrammiert?

Korsten: Warum vorgegebene Ziele? Es geht auch anders: Führungskräfte setzen sich mit ihren Chefs zusammen, um ihre Zielvorschläge abzustimmen und zu vereinbaren. Anschließend informieren sie ihre Mitarbeiter über ihre Leistungsziele, die gleichzeitig die Ziele für den Fachbereich sind. In diesem Rahmen formulieren die Mitarbeiter wiederum ihre Ziele und stimmen diese mit ihren Führungskräften ab. In der Folgezeit werden sie von ihren Führungskräften bei der Zielerreichung unterstützt, effektiv und systematisch. Diese Kaskadenprogramme sind bekannt: Sie heißen Management by Objectives oder Performance Leadership Process und unterstützen förderndes Führungsverhalten, also Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das ist echte Personalverantwortung und nicht bloß Theorie. Rollenkonflikte sehe ich da nicht, auch nicht für Führungskräfte, die vorgegebene Ziele erfüllen müssen.

Heselschwerdt: Diese sogenannten Rollenkonflikte sind nicht neu, sondern gehören zur Arbeit der Führungskraft schon immer dazu. Der Konflikt entsteht erst, wenn die Aufgaben nicht oder nur sehr schwer zu bewältigen sind: zu viel, zu schnell, zu wenig Zeit, schlechte Rahmenbedingungen, nicht geeignete Ressourcen. Oder wenn Mitarbeiter nicht ausreichend ausgebildet sind und auf ihre Aufgabe nicht ausreichend vorbereitet wurden.

In vielen Unternehmen stehen sich Mitarbeiter und Führungskräfte diametral gegenüber. Es herrscht eine Kultur des Misstrauens. Ein Relikt aus preußischen Zeiten, historisch verankert, sollte man meinen. Was machen diese Unternehmen falsch?

Korsten: „Was soll ich machen? Die kommen doch wegen jedem Mist zu mir gerannt,“ sagte mir ein Chef neulich. Auch würden seine Anweisungen nie so ganz in seinem Sinne befolgt, weshalb er Vieles am liebsten selber mache. Dadurch sei er permanent überlastet. Merkwürdigerweise hatte er einen triumphierenden Klang in der Stimme. Er strahlte die Selbstzufriedenheit eines Menschen aus, der sich für unentbehrlich hält. Wochen zuvor hatte ich einen Workshop mit seinen Mitarbeitern durchgeführt. Sie charakterisierten seinen Führungsstil mit „Spinne im Netz – alles muss über seinen Tisch laufen“, „Misstrauischer Kontrollfreak“, „Obersachbearbeiter“ oder gar „Blockwart“.

Obersachbearbeitermentalität ist das Gegenteil von Führung. Wer Ratschläge gibt, übernimmt Verantwortung. Solche Chefs halten Mitarbeiter konstant in einer demotivierenden Nicht-Verantwortlichkeit. Selbsterfüllende Prophezeihung in Reinkultur, wenn sie sich dann noch über unselbständige Mitarbeiter beklagen. Was hilft, ist eine Führungskultur des Förderns: Hilfe zur Selbsthilfe statt Ratschläge. Offene Fragen stellen, nachfragen, gelegentlich zusammenfassen und wirklich zuhören. Ziele, Lösungen und Maßnahmen zur Umsetzung vom Mitarbeiter selbst erarbeiten lassen, flankiert von Wertschätzung und konstruktiver Kritik. Das ist der eigentliche Paradigmenwechsel im Führungsverhalten. Dieses fördernde Verhalten wird seit 1992 auch Coachingverhalten genannt und Führungskräften seitdem leider immer wieder abgesprochen, da es ausschließlich für ausgebildete Coaches reserviert sei. Was für ein Unfug!

Heselschwerdt: Misstrauen entsteht, wenn sich Menschen nicht aufeinander verlassen und sich nicht vertrauen können, wenn sie sich ausgenutzt und missverstanden fühlen. Auch dann, wenn Führungskräfte etwa die Arbeit ihrer Mitarbeiter nicht anerkennen, gute Leistungen sich selbst zuschreiben oder Kritik an sich den Mitarbeitern zuschieben. Es scheint, dass Führungskräfte nicht ausreichend auf ihre Rolle und die Arbeit mit Menschen vorbereitet werden. Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit Verantwortung, Empathie oder Kommunikationsfähigkeit waren lange Zeit nicht explizit gefragt. Dies hat aber im Grunde nichts mit preußischen Zeiten zu tun. Einige dieser Tugenden würden heute auch nicht schlechter aussehen. Tugenden wie beispielsweise das "Handeln des Hanseatischen Kaufmanns“ sind natürlich nicht nur bei einer Führungskraft gefragt, sondern auch bei den Mitarbeitern.

Personalverantwortung im 21. Jahrhundert sollte doch aus mehr bestehen als nur den Mitarbeiter auf seine Fehler oder Leistungsdefizite hinzuweisen, oder?

Korsten: Allerdings. Personalverantwortung heißt Entwicklungsverantwortung.
Moderne Führungskräfte entdecken Fähigkeiten und Talente ihrer Mitarbeiter und entwickeln diese systematisch weiter. Dieses Führungsverhalten gibt Selbstvertrauen und Rückhalt. Eine fördernde Führungskraft signalisiert Mitarbeitern ständig, dass sie ihre Aufgaben mehr und mehr eigenständig erfüllen. Das funktioniert aber nur über Coachingverhalten. Wer wirklich wissen will, wie seine Mitarbeiter ticken, ist neugierig und interessiert, möchte wissen, was sie ermutigt oder einschüchtert, was sie sich zutrauen, welche Vorschläge, Ideen, Pläne und Ziele sie haben und hört wirklich zu.

Heselschwerdt: Das ist richtig. Aber wie schon gesagt, muss das von den Führungskräften gelernt und im Unternehmen gewünscht sein. Führung bedeutet auch Verständnis für die Mitarbeiter, Empathie, Verantwortung und Motivation, Erkennen von Überlastung sowie fachlichen und menschlichen Defiziten bei den Mitarbeitern.

Wenn wir annehmen, dass die Entwicklung des Personals zu den unbedingten Aufgaben einer Führungskraft gehört, haben Vorgesetzte dann überhaupt genügend Zeit, um dies zu leisten?

Korsten: Wer Mitarbeiter systematisch entwickelt, hat bereits nach drei Monaten mindestens 30 Prozent mehr Zeit gewonnen. Jeder, der schon einmal in einem Unternehmen gearbeitet hat, weiß: Wer ständig Hinweise, Ratschläge oder Anweisungen bekommt, neigt dazu, Aufgaben nicht mit dem erforderlichen Einsatz und der notwendigen Konzentration zu erledigen. Besonders auffällig ist das bei vorgegebenen Problemlösungen. So geführte Mitarbeiter neigen dazu, immer häufiger nachzufragen, einerseits aus resignativer Bequemlichkeit, andererseits aus Unsicherheit. Verunsicherung führt zu Absicherungsmentalität. Absicherungsmentalität ist Ausdruck von Verantwortungslosigkeit, beides produziert von Chefs. In vielen Unternehmen verbringen diese Chefs über 60 Prozent ihrer Arbeitszeit mit selbst verschuldeten, vermeidbaren Kontroll-, Prüf- und Nachbesserungsaufgaben.

Also: Coachingverhalten statt Ratschläge! Führungskräfte erkennen so ihre „Hamsterräder“ und schon nach drei Monaten sind die meisten Kontroll-, Prüf- und Nachbesserungsaufgaben verschwunden. Was kann ihnen Besseres passieren als zunehmend motivierte und eigenverantwortliche Mitarbeiter? Sie haben nun mehr Zeit für wirkliche Führungsaufgaben wie Projekte voranbringen, sicher entscheiden, proaktiv planen, Mitarbeiter entwickeln oder Marktaktivitäten voranbringen. Übrigens: In vielen Unternehmen qualifizieren sich Führungskräfte erst dann für höhere Weihen, wenn sie sich in ihren gegenwärtigen Positionen überflüssig gemacht haben. Ohne Entlassungen und Abteilungsauflösungen, versteht sich. Es ist überflüssig zu betonen, dass diese Unternehmen ausnahmslos erfolgreich am Markt sind.

Heselschwerdt: Es geht dabei auch um das Rollenverständnis der Führungskraft. Ist sie nur der erste oder der beste Sachbearbeiter der Abteilung, treten geradezu zwangsläufig Probleme auf. Nimmt die Führungskraft aber die eigentliche Aufgabe der Führung wahr – und dazu gehört eben auch die Personalentwicklung – dann findet sie dazu auch genügend Zeit. Entwickelt sie ihr anvertrautes Personal nicht, muss sie sich auch nicht wundern, wenn Defizite entstehen. Es entsteht ein Teufelskreis. Solche Situationen, die es leider sehr häufig gibt, stellen dann den richtigen Ansatz für ein Coaching dar.

Angenommen, Sie sind Vorgesetzter und ein Mitarbeiter schildert Ihnen ein Problem, das aus seiner Arbeit resultiert und das auch Sie angeht. Wie reagieren Sie?

Korsten: Ich höre zu und stelle offene Fragen, etwa nach den Ursachen, bisherigen Problemlösungen oder den Zielen. Der Mitarbeiter denkt nach und findet Antworten. Wenn die Zuständigkeit nur beim Mitarbeiter liegt, halte ich meine Expertenklappe. Ich gebe bewusst keinen Ratschlag und lasse die Verantwortung da, wo sie hingehört. Für diese Regel gibt es nur eine Ausnahme: Der Mitarbeiter weiß nicht weiter. Nur dann gebe ich einen Hinweis. Wenn der Mitarbeiter berufliches Neuland betritt, sorge für seine rasche und effektive Unterstützung. Ist das Coaching? Ja. Dürfen Führungskräfte das? Selbstverständlich. Das müssen sie sogar!

Heselschwerdt: Zunächst wäre ich als Führungskraft froh, dass sich der Mitarbeiter an mich wendet, denn Unstimmigkeiten oder Probleme zwischen beiden können nicht immer vermieden werden. In einer geschützten Umgebung und mit gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Vertrauen lassen sich diese aber sicher ausräumen. Erst muss es um die Sache, um die Situation gehen, dann um die Gefühle und die Beziehung. Wichtig ist jedoch, solche Probleme schnell auszuräumen, bevor diese zu weiteren Unstimmigkeiten und zur Verschlechterung des Klimas in der ganzen Abteilung führen.

Blicken wir nach vorne. Wie muss Führung in Zukunft aussehen beziehungsweise brauchen wir ein neues Verständnis von Führung, gerade vor dem Hintergrund globaler Märkte?

Korsten: „Führung 2.0“ ist losgelöst von Statusbewusstsein und –symbolen, von Einschüchterungsritualen, Machtarroganz, Ignoranz und Autoritätsgehabe. Echte Führungskräfte der Gegenwart und der Zukunft sind offen, neugierig, selbstbewusst, veränderungsbereit, selbstreflexionsfähig und sozial hoch kompetent. Sie sind ehrlich interessiert an den Sichtweisen Anderer und können wirklich zuhören. Aufgrund dieser Fähigkeiten sind sie entscheidungsstark, kooperativ und wach. Ihr Führungsverständnis basiert auf Hilfe zur Selbsthilfe, eben auf Coachingverhalten. In Meetings und Gesprächen sorgen sie dafür, dass Durchsetzungsstrategien, Rechthabereien und Abwertungen der Vergangenheit angehören. Sie sorgen dafür, dass andere, neue oder abweichende Meinungen nicht sanktioniert, sondern wertgeschätzt werden, weil nur so Lernbereitschaft und Innovationsfähigkeit entstehen. Diese Führungskultur ist bereits gelebte Praxis in vielen Unternehmen. Der Paradigmenwechsel ist in vollem Gange.

Heselschwerdt: Die Führung von Menschen ist eine uralte Angelegenheit. Führung darf sich nicht eindimensional an Zahlen und Wachstum, an immer mehr, besser und weiter orientieren. Hier muss ein Umdenken einsetzen, wie es auch schon in vielen Kreisen und auch an Universitäten diskutiert wird. Den Beteiligten muss auch die Sinnhaftigkeit ihres Tuns vermittelt werden. Jeder Mitarbeiter sollte einen Eindruck davon haben, an was er im Unternehmen mitwirkt.

Führungskräfte müssen in Zukunft besser auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Dabei sind die interkulturellen Verknüpfungen genauso wichtig wie Fragen zu Werten und Ethik, zur Sozialkompetenz und zur Kommunikationsfähigkeit der Menschen. Leider überwiegt hierzulande immer noch die Ausbildung von Fachwissen. Ein Schuss mehr Philosophie oder Psychologie, gut dosiert und angepasst an zukünftige Führungskräfte, wäre dazu ein erster Schritt. Das heißt nicht, Ziele aus dem Auge zu verlieren, sondern als erstrebenswerte Aufgabe verstehen lernen.

Herr Korsten, Herr Heselschwerdt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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