FührungZu viele Visionäre ruinieren Unternehmen

Jedes Unternehmen braucht Leader, Manager und Experten mit Führungsaufgaben. Eine gute Führungskraft sollte alle drei Rollen in sich vereinen, meint Change-Management-Experte Georg Kraus.

Jedes Unternehmen braucht Leader. Das sind Personen, die für die Organisation eine Vision entwickeln, die sagen, wohin die Reise gehen soll, und die Mitarbeiter für ihre Ideen entflammen. Neben diesen Motoren für ein quantitatives und qualitatives Wachstum braucht jedes Unternehmen aber auch Manager, die aus den Ideen der Leader Projekte und Maßnahmenpläne ableiten und diese zum Erfolg führen. Sie sorgen im Betriebsalltag dafür, dass die richtigen Prioritäten gesetzt werden und die Organisation die zum Erreichen der Ziele erforderlichen Leistungen erbringt.

Jedes Unternehmen braucht aber auch die klassischen Vorgesetzten oder Fachexperten mit Führungsaufgaben, die sicherstellen, dass die für die Gesamtleistung des Unternehmens erforderlichen Teilleistungen zuverlässig und mit der gewünschten Qualität erbracht werden. Sie leiten ihre Mitarbeiter bei der Arbeit an, organisieren und strukturieren deren Zusammenarbeit und sanktionieren, wenn die vereinbarten Normen nicht erfüllt werden. Nur wenn Unternehmen über den richtigen Mix an Leadern, Managern und Fachexperten mit Führungsaufgaben verfügen, sind sie langfristig erfolgreich. Soweit die Theorie.

Startups vergessen oft den Aufbau nötiger Strukturen

Im Betriebsalltag lässt sich aber meist nicht so klar zwischen Leader, Manager und Fachexperte mit Führungsaufgaben unterscheiden. Denn faktisch muss jede Führungskraft diese Rollen in sich vereinen – wenn auch in einer abhängig von ihrer Position verschieden starken Ausprägung.

An der Spitze vieler, zunächst erfolgreicher Startups, die in den vergangenen Jahren die Segel strichen, standen Leader. Teilweise hatten diese aber so viele Ideen, dass es in ihren Unternehmen nur noch Baustellenschilder gab. Sie vergaßen, dass es zum Bauen eines Hauses nicht genügt, eine Baugrube auszuheben. Man muss auch ein Fundament legen, Wände hochziehen, Fenster und Türen einbauen, ein Dach auf den Rohbau setzen, um schließlich mit dem Innenausbau beginnen zu können. Sie schufen also nicht die nötigen Strukturen, damit ihre Ideen auch umgesetzt und die Früchte der Arbeit geerntet werden konnten.

Die Folge: Chaos. Es gab niemanden, der die nötigen Strukturen schuf. Sämtliche Ansätze von Ordnung wurden von den Leadern sofort wieder zerstört, weil sie – kaum waren die Baustellenschilder aufgestellt – das Interesse an den einzelnen Vorhaben wieder verloren. Stattdessen initiierten sie wieder neue Projekte. Auf den rasanten Aufstieg vieler Startups folgte deshalb deren abrupter Fall. Zwar setzten die visionären Ideen der Gründer in der Startphase viel Energie frei, sie wurden aber nicht kanalisiert.

Viele Führungskräfte sehen sich primär als Leader

Ähnliche Tendenzen entdeckt man zuweilen in etablierten Unternehmen. So baten wir einmal im Rahmen eines Management-Audits die 250 mittleren und oberen Führungskräfte eines Konzerns, eine Selbsteinschätzung ihres Führungsverständnisses vorzunehmen. Fast 90 Prozent sahen sich primär als Leader. Sie betrachteten das Entwickeln von Zukunftsvisionen als zentrale Aufgabe und Fähigkeit einer guten Führungskraft. Angesichts dieses eindimensionalen Führungsverständnisses war es kein Wunder, dass die Unternehmensspitze über gravierende Qualitätsprobleme klagte. Meist wurden die in Projekten definierten Ziele nicht erreicht, denn niemand fühlte sich dafür verantwortlich.

Deshalb: Jedes Unternehmen braucht neben Leadern und Managern auch klassische Vorgesetzte. Und: Jede gute Führungskraft vereint letztlich alle drei Führungstypen in sich. Egal ob der oberste Unternehmenslenker ein Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzender ist: Zu seinen originären Aufgaben gehört das Entwickeln von Visionen, die dem Unternehmen den Weg in die Zukunft weisen. Doch was nutzt einem Unternehmen eine Vision, wenn die oberste Führung nicht zugleich die Meilensteine auf dem Weg zum Ziel markiert? Wenn sie nicht sicherstellt, dass die nötigen Strukturen geschaffen werden, um die aus dem Ziel resultierenden Aufgaben zu erfüllen?

Dann bleiben die Visionen Tagträume, und die verantwortlichen Unternehmensführer können sich in absehbarer Zeit neue Stellen suchen, weil auch ihre Leistung letztlich an den Ergebnissen gemessen wird. Also müssen sie zusätzlich über die Fähigkeiten eines Managers verfügen. Sie müssen zudem sanktionieren, wenn etwas in die falsche Richtung läuft und jemand seinen Job nicht adäquat erfüllt. Im Bedarfsfall haben sie also auch Fachaufgaben zu erledigen, sonst nehmen sie ihre Steuerungsfunktion nicht wahr.

Auch Schichtleiter brauchen Visionen

Genauso verhält es sich bei den Führungskräften am Fuße der Hierarchie, wie etwa bei Schichtleitern in der Produktion. Zunächst müssen sie primär dafür sorgen, dass ihr Team funktioniert. Daneben brauchen sie aber auch Manager-Qualitäten, denn sie müssen die Prozesse in ihrem Bereich so gestalten, dass die einzelnen Fachaufgaben effektiv ausgeführt werden. Schlussendlich müssen sie allein oder im Dialog mit ihren Vorgesetzten oder Mitarbeitern eine Vision für ihr Team entwickeln können. Das heißt: Auch Führungskräfte der unteren Hierarchie müssen alle drei Führungstypen in sich vereinen – obwohl sie ursprünglich ganz andere Aufgaben als die Unternehmenslenker haben.

Keinesfalls sollte man deshalb den Leader, den Manager und den Fachexperten mit Führungsaufgaben gegeneinander ausspielen. Zielführender sind Fragen wie:

  • Welche Bedeutung haben die drei Rollen aufgrund meiner Funktion in der Organisation grundsätzlich für mein Führungshandeln?
  • Welche Relevanz haben sie in der aktuellen Führungssituation?
  • Wo sollte ich aufgrund meiner Persönlichkeit und Verhaltenspräferenz an mir und meinem Verhalten arbeiten?

Diese nüchterne Betrachtung bringt Unternehmen und Führungskräften mehr als die Idealisierung einzelner Führungstypen oder Führungsrollen. Dies würde nämlich – abhängig vom Zeitgeist – dazu führen, dass alle Führungskräfte entweder nur noch Manager oder Leader sein möchten oder sich, gerade in Krisenzeiten, nur noch als (autoritäre) Vorgesetzte gebärden. Das zerstört die Führungsbalance im Unternehmen, die für das Bewältigen von Herausforderungen nötig ist.

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