FührungskräfteentwicklungÜber den Umgang mit Komplexität
Wenn Unternehmensergebnisse schlechter werden, Mitarbeiter über Stress klagen und Veränderungsprozesse nicht zum gewünschten Ziel führen, dann liegt das insbesondere an der Zunahme von Komplexität und Dynamik. Im Folgenden werden die Herausforderungen beschrieben, die komplexe Situationen insbesondere für Führungskräfte im mittleren Management schaffen, und Wege gezeigt, damit umzugehen.
Der Unterschied zwischen Komplexität und Kompliziertheit
Fälschlicherweise werden die Begriffe Komplexität und Kompliziertheit oft synonym gebraucht. Das Wissen darüber, dass sich beide unterscheiden, hilft, Fehler zu ermitteln, die gerade in komplexen Situationen gemacht werden. Daraus ergeben sich konkrete Anforderungen für den erfolgreichen Umgang mit Komplexität.
Kompliziert ist etwas, das aus vielen Teilen besteht, die alle bekannt sind. Es gibt Bedingungen, Verknüpfungen und Beziehungen, die klar definierbar sind und sich normalerweise nicht verändern. Beispiel: Der Airbus A 380 ist kompliziert, aber Experten könnten ihn in seine rund 3,5 Millionen Einzelteile zerlegen und sie wieder zusammenbauen, so dass er wieder fliegen kann. Komplexe Sachverhalte hingegen sind nicht einfacher oder schwieriger, sondern anders. Sie bestehen aus vielen Teilen, die möglicherweise nicht alle bekannt, die untereinander vernetzt sind und sich irgendwie beeinflussen. Sie können ihre Eigenschaften verändern, Eigendynamik entwickeln und dann Zusammenhänge und letztlich Ergebnisse verändern.
Mit dem Flugzeug Gewinne zu erwirtschaften ist eine komplexe Herausforderung. Relevante Einflussgrößen für den Gewinn sind auch Veränderungen auf Beschaffungs- und Absatzmärkten, politische Entscheidungen und der Wettbewerb. Diese sind kaum beeinflussbar und schwer planbar. Treten hier Veränderungen auf, müssen neue Entscheidungen getroffen werden, die direkte Auswirkungen auf andere Elemente haben - komplexe Entscheidungen eben.
Typische Probleme und Fehler in komplexen Situationen
In komplizierten Situationen passieren Fehler, weil für solche Probleme das notwendige Wissen fehlt. Es lässt sich aber aneignen oder erforschen. Schon 1958 haben Charles Kepner und Benjamin Tregoe Denkprozesse und Instrumente zur Situationsanalyse, Ursachenanalyse, Ideenfindung, Entscheidungsfindung und zum Projektmanagement entwickelt, die bei der Lösung komplizierter Probleme unterstützen. In komplexen Situationen wiederum fehlt ebenfalls Wissen, aber es werden zusätzlich andere Fehler gemacht:
Unterschätzen von Komplexität und Neuartigkeit
Spontane Übernahme von Lösungen aus der Vergangenheit, die nicht mehr passen
Handeln ohne ausreichende Situationsanalyse
Selektive Informationssammlung, ausgelöst durch Informationsüberflutung
Fehlendes Wissen über die relevanten Elemente und die Beziehungen untereinander
Fehlendes ergebnisorientiertes Denken
Unklare oder keine Ziele
Unvollkommene Alternativensuche
Keine Ergebniskontrolle, kein Lernen aus Erfahrungen
Nichtberücksichtigung von Fern- und Nebenwirkungen
Prognosefehler bezüglich Zeit und Kosten
Aktionismus
Flucht in Projekte: erst einmal etwas isoliert tun, einfach einmal anfangen
Tendenz zur Überdosierung von Maßnahmen unter Zeitdruck
„Einsame“ Entscheidungen
Betroffene werden nicht frühzeitig beteiligt, was zu Veränderungswiderständen führt
Gefahr des „Groupthinking“: Tendenz in einer Gruppe, sich selbst zu bestätigen; gruppeninterne Kritik wird durch Konformitätsdruck unterbunden, Kritik durch Außenstehende überrascht
Ein entscheidender Unterschied zwischen komplizierten und komplexen Problemen liegt in der Zielerarbeitung und im ergebnisorientierten Denken. Die Frage, wie man den A 380 mit 560 Tonnen Startgewicht zum Fliegen bringt, erfordert komplizierte fachliche Leistungen. Fragen jedoch, ob man diesen Flieger überhaupt braucht, welche Konsequenzen das nach sich zieht oder ob die Entwicklungskosten wieder erwirtschaftet werden können, führen zu komplexen unternehmerischen Entscheidungen. Hierbei spielen Einschätzungen und Bewertungen, also Werte, eine besondere Rolle.
Führungskomplexität in Unternehmen
Unternehmerische Entscheidungen sind immer komplex. Jede Unternehmensleitung weiß, wie schwierig es ist, den Ertrag zu halten oder zu steigern beziehungsweise Entscheidungen über zukünftige Ertragspotenziale zu treffen. Das betrifft nicht nur Großprojekte, sondern gerade Unternehmen, die viele Produkte an viele Kunden unter Wettbewerbsdruck verkaufen. Eine repräsentative Untersuchung der Unternehmensberatung A. T. Kearney zeigt: Rund 84 Prozent dieser Unternehmen entstehen höhere Kosten, weil die Komplexität durch ein großes Produktportfolio und den damit zusammenhängenden Prozessen in Produktion, Einkauf, Marketing und Vertrieb zu groß wird.
Deshalb investieren Unternehmen viel Zeit und Geld in Markt- und Wettbewerbsanalysen sowie die Auswertungen der immer detaillierteren Betriebsdaten. Die Informationsflut wird durch den Einsatz von Computertechnik bis hin zum Data Mining geordnet. Kennziffern und Analysen von Entwicklungen und Zusammenhängen machen Komplexität überschaubar. In Strategien und Budget- oder Geschäftsplänen werden getroffene Entscheidungen dokumentiert.
Was auch immer die Leitung entscheidet, umgesetzt wird es im mittleren Management. Und dort wird die Komplexität der Führungsfunktion völlig unterschätzt. Wer Ziele erreichen soll, die immer herausfordernder werden, über Aufgaben, die immer mehr Professionalität erfordern, mit Mitarbeitern, die immer höhere Erwartungen an Führung haben, dabei Kosten senken und Qualität, Schnelligkeit und Kundenorientierung steigern soll, hat es mit Komplexität zu tun. Sie wird noch gesteigert durch innerbetriebliche Informationsvernetzungen und permanente Veränderungsprozesse.
Diese Führungsfunktionen haben außerdem einen wesentlichen Einfluss auf Mitarbeiterbindung und Mitarbeitermotivation. Hier entscheidet sich, ob der Aufwand für Employer Branding und Recruitment eine sinnvolle Investition war oder ob Versprechungen nicht eingehalten werden. Auch dieser Aspekt erhöht die Führungskomplexität. Führungskräfte auf dieser Ebene sind meistens sehr gute Fachspezialisten, können also komplizierte Fachprobleme gut lösen. Mit der Komplexität ihrer Führungsfunktion besser umzugehen müssen sie aber erst noch lernen.
Kaum ein Führungstraining hilft beim Umgang mit Komplexität
In den meisten klassischen Führungskräfteseminaren werden Kompetenzen wie die Verbesserung des Kommunikationsverhaltens und Persönlichkeitsbildung vermittelt. Nur die wenigsten thematisieren Komplexität, wie eine Analyse von 40 zufällig ausgewählten Führungstrainings gezeigt hat. Ursache dafür ist ein veraltetes Paradigma von Führungskräften im mittleren Management: Danach werden Führungsentscheidungen entweder von oberen Führungskräften getroffen und deshalb auf dieser Ebene „nur“ umgesetzt, oder die Führungskräfte sollen für sich in Anspruch nehmen „einsame Entscheidungen“ aufgrund von Erfahrung, Wissen und Positionsmacht zu treffen. In beiden Fällen würde es dann ausreichen, die richtigen Kommunikationsstrategien zu beherrschen, um die Mitarbeiter ins Boot zu holen.
Früher traf das vielleicht zu, heute aber nicht mehr. Dies zeigt etwa eine Studie des Beratungsunternehmens Development Dimensions International (DDI), die besagt, dass die größten Herausforderungen aus Sicht von Führungskräften darin bestehen, Veränderungsprozesse zu steuern, Strategien umzusetzen und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Gerade die Kundenzufriedenheit ist nicht nur Angelegenheit des Vertriebs, sondern das Ergebnis guter Arbeit und Zusammenarbeit aller Unternehmensbereiche, also ein komplexes Problem. Wir trainieren Führungskräfte in der (wichtigen) direkten Führung der Mitarbeiter, in Fragen der Kommunikation, des respektvollen Verhaltens oder der Teamorientierung. Indirekte Führung, also wie sie ihren Verantwortungsbereich so gestalten, dass Wertschöpfungsbeiträge für Unternehmen und Mitarbeiter erreicht werden, lernen sie nicht.
„Management heißt, Bedingungen schaffen, die der Mannschaft das Arbeiten erleichtern.“ Diese Forderung des britischen Historikers und Soziologen Cyril Northcote Parkinson stammt zwar aus dem vorigen Jahrhundert, ist aber heute noch aktuell. Wenn Führungskräfte Probleme mit ihrer Führungskomplexität haben, wie wollen sie dann andere komplexe Situationen bewältigen? Wissen mittlere Führungskräfte nicht, wie sie mit Komplexität umgehen sollen, hat das direkte Auswirkungen auf Strategieumsetzung, Motivationssteigerung und Führungserfolg!
Erfahrungen aus der Praxis und Forschungsergebnisse zeigen aber, wie mit Komplexität umgegangen werden kann. Dies lässt sich auch direkt auf die Komplexität von Führung übertragen. Es gibt vier Bedingungen, die im Umgang mit komplexen Problemen berücksichtigt werden müssen und die erfolgsrelevant sind:
1. Intensive Zielerarbeitung und Ergebnisorientierung
Wenn für komplexe Herausforderungen Lösungen gefunden werden sollen, ist nach einer Situationsanalyse die Definition der Ziele der entscheidende Schritt. Hierbei werden Einschätzungen und Bewertungen deutlich, die Handlungsfelder können daraus abgeleitet werden und erst dann werden alternative Lösungswege abgeleitet. Für viele Führungskräfte heißt das umzudenken, denn das aktionsorientierte Denken in Aufgaben ist weit verbreitet. Die Konsequenz für Trainings: Ergebnisorientiertes Denken muss unterstützt und entwickelt werden.
2. Mehr Zeit in Analyse, Zielfindung und Planung investieren
Das ist einfacher gesagt als getan, denn je komplexer eine Führungssituation und je größer Dynamik und Veränderungsdruck sind, desto weniger Zeit bleibt für diesen „produktiven Umweg“. Das Tagesgeschäft hat in der Regel Vorrang. Nur wenn Zeit übrig ist, wird sie für Planung, Abstimmung und Lernen genutzt. Die Konsequenz für Trainings: Die Planungs- und Lerneffizienz muss verbessert werden.
3. Mitarbeiter und Führungskraft werden zu Beteiligten
Gerade komplexe Zusammenhänge können nur begriffen werden, wenn man sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild davon machen kann, sie also visualisiert. Wenn Betroffene zu Beteiligten werden sollen, müssen Analysen, Ziele und Pläne irgendwie dokumentiert werden. Nicht nur, um Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, sondern auch, um sie mit der eigenen Führungskraft abzustimmen. Der Vorgesetzte sollte seine Führungskomplexität senken, indem er Führungsverantwortung delegiert.
Wenn Führungskräfte ihre Führungsziele und -aktivitäten dann visualisieren, können sie Ziele besser auf die Kompatibilität mit Strategien überprüfen, Rahmenbedingungen für den Verantwortungsbereich optimieren oder Vorschläge zur Zielerreichung machen. Dokumentationen, Präsentationen oder Protokolle erstellen, um Entscheidungsgrundlagen präsentieren zu können, ist zeitaufwendig, bindet Arbeitskapazität und erzeugt Widerstände bei Führungskräften, die am liebsten sofort aktiv werden wollen. Die Konsequenz für Trainings: Der Aufwand zur Dokumentation und insbesondere Visualisierung muss optimiert werden.
4. Informationsflut bewältigen und neues Wissen erlernen
Wenn wesentliche Inhalte von relevanten Einflussfaktoren und Zusammenhängen erfasst werden, droht Informationsüberflutung. Das Treffen von Entscheidungen wird schwieriger. Um Führungskomplexität in den Griff zu bekommen, müssen sich Führungskräfte außerdem vielfältiges Führungswissen aneignen – von der Zielerarbeitung über Aufgabenableitung und Kompetenzanalysen, Kapazitätsplanung, Arbeitsverteilung, Schnittstellenanalysen bis zur Potenzialeinschätzung, Bildungsbedarfsanalyse und zur Steuerung von Veränderungsprozessen. Dafür gibt es erprobtes Know-how. Weiterhin ist es in komplexen Situationen sinnvoll, Entscheidungen erst zu simulieren und Konsequenzen von Alternativen zu durchdenken, um am Ende die beste auszuwählen.
Das alles funktioniert nicht über den Kopf oder nach Bauchgefühl. Die menschliche Informationsverarbeitungskapazität ist zu begrenzt und die Lernfähigkeit wird überfordert. Helfen kann hierbei IT-Technik. Intelligente Programme unterstützen überall, wenn Informationen gesammelt, strukturiert, dokumentiert und ausgewertet werden müssen. Sie schaffen Entscheidungsgrundlagen. Die Konsequenz für Trainings: Weil Führungskomplexität immer mit der Verarbeitung von vielen Informationen verbunden ist, muss Informationskomplexität mit computergestützten Werkzeugen bewältigt werden. Diese sollten bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
Führungsaufgaben und das notwendige Know-how enthalten und einfach erlernbar machen
Alle notwendigen Informationen dazu aufnehmen und dokumentieren
Verknüpfungen, Beziehungen und Konsequenzen aufzeigen
Simulation alternativer Lösungswege und ihrer Konsequenzen sowie inhaltliche Veränderungen einfach ermöglichen
Entscheidungsprozesse unterstützen
Dauerhaft einsetzbar sein und Lernprozesse ermöglichen
Ergebnisse dokumentieren und visualisieren
Führungskräfte müssen erleben, was Komplexität heißt
Trainingsziel ist, dass in komplexen Situationen keine oder nur wenige Fehler passieren. Mit den klassischen Trainingsmethoden lernen die Führungskräfte nicht, welche Bedingungen sie konkret dafür erfüllen müssen und welche Handlungsstrategien es dafür gibt. Denn dort stehen Vorträge, Fallstudien, „Spielsimulationen“ oder Teilnehmererfahrungen im Mittelpunkt. Komplexität wird so zwar erklärt und es werden allgemeine Hilfestellungen gegeben. Aber am Ende heißt es nur: „Gut, dass wir darüber mal gesprochen haben!“
Führungskräfte lernen den Umgang mit Komplexität erst dann, wenn es sie persönlich betroffen macht; wenn sie erleben, warum ihre Führungskomplexität so groß ist; wenn sie erfahren, wie sie ihre Komplexität mit Wissen gestalten können. Das setzt voraus, dass sie vielfältiges Wissen synchron lernen und sofort auf die eigene Führungssituation anwenden. Das funktioniert nur mit IT-Unterstützung.
Ein passendes IT-gestütztes Werkzeug ist die Voraussetzung, um Führungskomplexität über Training, Coaching oder E-Learning in den Griff zu bekommen. Dazu muss es die gerade beschriebenen Voraussetzungen erfüllen. Dann können Teilnehmer mit den eigenen Daten die eigenen Führungsthemen bearbeiten und im Plenum Methoden, Anwendung aber auch Hintergrundwissen diskutieren. Weil sie sofort umsetzungsfähige Handlungspläne erarbeiten, wird die knappe Zeit fürs Lernen optimal genutzt. In Ergebnissen zu denken, muss Konstruktionsmerkmal des Werkzeugs sein. Betroffene zu Beteiligte zu machen beziehungsweise Zeit zu finden für Analyse, Zielfindung und Planung, müssen das Führungshandeln nach dem Training kennzeichnen.
Staffort Beer, einer der Väter der Kybernetik und Komplexitätsforschung sagte einmal: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist mit Sicherheit falsch.“ Es gibt aber einfache Wege, um komplexe Lösungen für komplexe Probleme zu finden.