FührungspraxisGute Führungskräfte sind weise
Dr. Ursula Wagner, Geschäftsführerin des Coaching Center Berlin, hat ihre Dissertation als empirische Studie angelegt. Zum ersten Mal überhaupt in einer europäischen Studie konnte Sie anhand von Einschätzungen von Führungskräften zeigen, was weise Manager von unweisen unterscheidet. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
Frau Wagner, der antike Philosoph Platon forderte, alle Könige sollten Philosophen werden, dann wäre es um Staat und Menschen gut bestellt. Müssen, analog gedacht, Führungskräfte Philosophen werden, damit es den Unternehmen und den Mitarbeitern gut geht?
Die Zahlen meiner Untersuchung zeigen, dass Reflexion in allen möglichen Spielarten zu einem erweiterten Horizont gerade bei Unternehmensleitern führt. Außerdem führt nur die Kombination aus hoher Führungsposition und Reflexion zu hohen Werten beim Faktor „Integrierende Führung“ sowie bei der Einschätzung als „weise oder weiser als es seinem Alter entspricht“ zu gelten. Reflexion oder auch Bewusstseinsbildung wurde in meiner Studie etwa als Beschäftigung mit Philosophie abgefragt, aber auch in Bezug auf selbstreflexive Methoden wie Coaching, musisch-künstlerische Aktivitäten, körperliche Betätigung, Meditation und religiöse Praxis. Philosophische Reflexion und Coaching erweisen sich dabei als statistisch signifikant bedeutsam. „Erkenne Dich selbst!“, kann also auch heute noch als Maxime gerade für global tätige Unternehmensleiter gelten.
Ihre Dissertation ist gleichzeitig die erste europaweite Studie zum Thema „Weisheit in Führung und Management“. Lässt sich Weisheit denn tatsächlich messen und wenn ja, wie?
In meiner Studie habe ich einen Fragebogen entwickelt, um das komplexe Phänomen von Weisheit in der Führung in seinen Dimensionen abzubilden, so dass man damit quantitative Studien durchführen und somit auch viele Führungskräfte erreichen kann. Dieser Fragebogen basiert nicht nur auf theoretischen Überlegungen, sondern auf Interviews aus der Praxis mit hochrangigen Führungskräften, darunter zwei DAX-Vorständen.
Es kam zunächst heraus, dass der Begriff Weisheit als sehr relevant eingeschätzt wird, gerade angesichts des törichten Verhaltens, wie es in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zum Ausdruck kam und kommt. In der Pilotversion habe ich außerdem Fragen zum gesamten Spektrum von Führungsverhalten einbezogen, also auch „hartes“ Führungsverhalten und unverhohlen unethische Aussagen. Mittels gängiger statistischer Verfahren konnte ich ein sehr klares Instrument mit insgesamt fünf Faktoren von Führungsverhalten ableiten. Es zeigte sich: Integrierende Führung, Offenheit und Integrität sowie organisationales Vertrauen machen den Erfolg weiser Führung aus. Beim Faktor „Bottom-Line-Management“ dagegen geht es nur um kurzfristiges Handeln, ohne eine statistisch positive Verbindung zu weiser Führung.
Aus den Werten lassen sich klar drei Gruppen von Managern unterscheiden: die harten Bottom-Line-Manager, die weisen, integrierenden und die farblosen reservierten Manager.
Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen: Macht Weisheit Unternehmen erfolgreicher?
Die positiven Auswirkungen von Weisheit lassen sich statistisch eindeutig beschreiben. Weise Führung wird assoziiert mit hoher Mitarbeiterbindung, Mitarbeitermotivation und Leistungsbereitschaft, dem Beitrag der Führungskraft zum nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens sowie ihrer Vorbildfunktion. Nun geht es in der Studie zunächst um Einschätzungen von Personen über die Auswirkung von Weisheit. Da es aber bereits eine andere Studie aus dem Jahr 2004 gibt, die einen Zusammenhang von tugendhaften Organisationen und wirtschaftlichem Erfolg auf Basis von Kennzahlen hergestellt hat, spricht Einiges dafür, dass weise Führung langfristig zu den wichtigen Erfolgskriterien für die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern sowie für die Nachhaltigkeit im Wirtschaften zählt.
Die Fehltritte von Unternehmensführern und Managern in der letzten Finanzkrise (Stichwort: Managerboni) lassen nicht gerade den Schluss zu, dass es in den oberen Firmenetagen weise zugeht. Oder waren diese Auswüchse eine unrühmliche Ausnahme?
An die Spitze gelangen offensichtlich zwei extreme Gruppen von Managern: Die ganz harten und auch unethischen Bottom-Line-Manager oder die Umsichtigen, integrierenden, weisen Manager. Erstere finden wir in Unternehmen, die solches Verhalten nicht nur nicht sanktionieren, sondern auch fördern. Dazu gehörten in den vergangenen Jahrzehnten sicher die Investmentbanking-Branche. Person und System verstärken sich hier auf ungute Weise.
Wir sollten aber nicht vergessen, dass sich 80 Prozent der deutschen Wirtschaft im Mittelstand abspielt. Inhabergeführte Unternehmen haben in meiner Studie bezüglich Ethik und Vorbildfunktion die Nase vorn, vor allem, wenn Mitarbeiter ihre Führungskräfte einschätzen. Diese „Hidden Champions“ werden überwiegend sehr gut geführt. Für sie gehört ethisches Verhalten zum Geschäftsmodell, weil man sich auf dem Markt mit Wettbewerbern immer zweimal sieht und Mitarbeiter ein hohes und rares Gut sind. Die Presse thematisiert natürlich vor allem die Exzesse, wie etwa den von Richard Fuld, der die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers mit seiner gigantischen Egomanie versenkt hat und so die Weltfinanzkrise mit auslöste.
Eine traurige Tendenz zur Selbstzerstörung bei unweiser Führung in törichten Systemen beobachten wir gerade in den letzten Wochen. In der Finanz- und Versicherungswirtschaft in der Schweiz haben sich zwei hochrangige und bis dahin höchst fähige Topmanager selbst umgebracht. Gerade hat Josef Ackermann, Aufsichtsratsvorsitzender einer der Konzerne, dafür seinen Hut genommen. Hier werden Auswüchse inhumaner Rahmenbedingungen sichtbar, die einzelne Personen offensichtlich nicht mehr aushalten können.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach ein besseres Führungsverhalten aus?
Es ist vor allem flexibel und hat eine Bandbreite. Natürlich kann und muss ich auch als weise Führungskraft manchmal „Bottom-Line-Management“ praktizieren, kurzfristig denken sowie Kontrolle ausüben. Langfristig erfolgreich bin ich aber nur dann, wenn ich Vertrauen zu Mitarbeitern herstellen kann. Und das läuft nun einmal über die angemessene Integration von Denken, Fühlen und Handeln.
Als erfolgreiche Führungskraft muss ich auch eine Bandbreite menschlicher Vielfalt kennen und anerkennen. Schließlich brauche ich das, was man in der Forschung auch organisationale Klugheit nennt. Ich muss mich also in Systemen bewegen können, andere Personen verstehen und sie für mich gewinnen können.
Der Managementforscher Ikujiro Nonaka erklärte einmal, was er unter einer weisen Führungskraft versteht: Eine praktische Weisheit in Anlehnung an Aristoteles, also die Fähigkeit, in einer konkreten Situation das moralisch Gute und Angemessene zu erkennen und danach zu handeln. Stimmen Sie dieser Sichtweise zu?
Meine Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Diese Erklärung entspricht dem Modell des sogenannten Weisheitsdreiecks. Eine weise Person muss in einer gegebenen Situation die eigenen Grenzen, die Eingebundenheit in die Komplexität ihres Umfelds erkennen und sich dann in ihrem Handeln auf Sinn, Wesentlichkeit und Gemeinwohl ausrichten. Erst dann nennen wir diese Person weise.
Immer wieder wird der mittlerweile verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs als Paradebeispiel eines visionären Unternehmensführers dargestellt. War Jobs auch weise und wenn ja, warum?
Visionär in Bezug auf Produkte war Steve Jobs mit Sicherheit. Insofern war er sicher auch sehr intuitiv veranlagt und in der Lage, Intuition als Teil seines Denkens anzuerkennen und bewusst einzusetzen. Von allem, was wir hingegen von Steve Jobs als Führungsperson wissen, war er wohl ein eher ein schwieriger Zeitgenosse, der Mitarbeiter regelrecht verschlissen hat. Vermutlich hatte er aber die Weisheit, die Grenzen seiner Fähigkeiten hier zu erkennen und die Führungsaufgabe Andere machen zu lassen.
In Ihrer Studie betonen Sie auch Aspekte der Lebensführung wie zum Beispiel Selbstreflexion, die förderlich für weises Verhalten sei. Sollten sich Manager von heute mehr mit sich selbst und ihrem Verhalten befassen?
Die Daten belegen das einwandfrei. Integrierend denkende und handelnde Führungskräfte mit hohen Werten auf den weisheitsrelevanten Faktoren sind umfassend gebildet. Sie nehmen Gefühle wahr und können diese bei sich selbst und anderen adäquat adressieren. Sie sind „People Manager“, weil sie mit sich selbst wahrnehmend umgehen. Dazu schulen sich solche Führungskräfte vor allem privat in allem, was Verstand, Herz und Sinne bildet. Sie betätigen sich musisch oder künstlerisch, treiben Sport, suchen in Coachings oder Philosophie Anregungen und haben eine spirituelle oder religiöse Praxis. So bildet sich ein Wertesystem, das sie auch in ihrem beruflichen Handeln leitet. Dies bestätigen ganze 97 Prozent der Manager aus der „weisen“ Gruppe.
In diesem Zusammenhang kritisieren Sie auch die Managerausbildungen als zu faktenorientiert beziehungsweise „weisheitsvernichtend“. Was muss sich konkret ändern?
Gerade in der anglo-amerikanischen Ausrichtung der Führungsausbildung, dem MBA, werden Führungskräfte in der Illusion bekräftigt, die Welt sei ein Business Case, der sich bis zwei Stellen hinter dem Komma ausrechnen lasse. In diesem MBA-Weltbild sind Menschen in Organisationen brav in ein Organigramm eingebunden und erfüllen ihre Funktion. Ein solches mechanistisches Menschenbild ist in einer dynamisch-komplexen Welt fatal. Führungstrainings, die ausschließlich auf Fakten und „Cases“ beruhen, verfehlen das Ziel. Einer der größten Kritiker dieser Art von Ausbildung ist übrigens der Management-Vordenker Henry Mintzberg.
Heute braucht es Manager, die in ihrer Selbstreflexion geschult sind und umfassend wahrnehmen können, was als nächstes zu tun ist. Es geht um die Integration von Kopf und Intuition. Das sollten Führungsausbildungen auch leisten. In Deutschland hat sich für eine solche, reflektierende Managerausbildung vor allem der ehemalige Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger, stark gemacht. Er förderte ja auch maßgeblich Frauen in Führungspositionen.
Welche Rolle spielt Macht in Ihrem Ansatz?
Interessanterweise zeigen die Führungskräfte mit den höchsten Weisheitswerten auch hohe Werte bei Fragen zu positiver Machtausübung, vor allem bei der Einschätzung durch Andere. Eine Führungskraft wird in den Augen der Mitarbeiter als jemand gesehen, der die „Wege“ in der Organisation kennt und sich klar mit Macht auskennt. Das ist eine klare Botschaft, gerade für Frauen in Führungspositionen, die sich nach meiner Erfahrung häufig schwer mit dem Begriff der Macht tun. Natürlich, weil Macht auch so häufig missbräuchlich ausgeübt wird, was wiederum nicht weise wäre.
Sind Sie überzeugt, mit Ihrer Studie die Elite in den Unternehmen wachrütteln zu können?
Ich habe ja selbst mit Führungskräften in Coachings und in der Karriereberatung zu tun. Von daher kenne ich unterschiedliche Unternehmen aus der Innensicht sehr gut. Aus meiner Erfahrung bewegt sich am ehesten dort etwas, wo es weh tut. Meine Studie hält da einige Aussagen parat, die weh tun können. Zum Beispiel, dass gerade „High Potentials“ eher unverhohlen unethischen Aussagen zustimmen wie: „Die Diskussion um ethische Richtlinien halte ich für unrealistisch angesichts der Härte des globalen Wettbewerbs“.
Nachwuchsmanager mit solchen Einstellungen kann sich angesichts der globalen Transparenz heute kein Unternehmen mehr leisten. Hier sind eine klare Vorbildfunktion und Mentoring durch die älteren Führungskräfte ein Muss. Unternehmensweite Fehltritte wie in der Historie bei Siemens zeigen dies deutlich. Hier geht es nicht um einzelne „faule Äpfel“, sondern um „faule Körbe“, die man von Grund auf neu aufstellen und ausrichten muss.
Die Studie hat auch ergeben, dass männliche und weibliche Eigenschaften in der Führung zum Zug kommen müssen. Frauen liegen bei der Integration im Führungsstil zumindest in meiner Stichprobe vorn. Sie sind sozusagen die besseren Männer, weibliche und männliche Aspekte besser in ihrer Persönlichkeit vereinen, während überproportional viele Männer dem harten und einseitigen „Bottom-Line.Management“ zugeneigt sind. Diese Fakten belegen: Es müssen mehr Frauen in Führungspositionen und Frauen und Männer müssen beide Führungsstile beherrschen können.
Auch die daraus abzuleitenden Folgen für die Überlebensfähigkeit in längerfristigen wirtschaftlichen Zyklen ist interessant für Unternehmen. Weisheit ist gerade in der Wirtschaft mehr denn je nötig, um einen angemessenen Umgang mit den Megatrends Informationstechnologie, globale Wertschöpfungsketten sowie demografischen Wandel zu finden. Von daher ist Weisheit moderner denn je.
Frau Wagner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mit Ursula Wagner sprach business-wissen.de-Redakteur David Wolf.