GehaltAuch ein Mindestlohn ist nie gerecht
Der eine oder andere Silvester-Böller wurde sicher auch in die Luft geschossen, um die Einführung des Mindestlohns zu feiern. Endlich können sich Millionen von Menschen mit dem Nötigsten des Lebens ordentlich versorgen. Und das ohne staatliche Zuschüsse. Endlich hört die Ausbeutung auf. Aber stimmt das auch? Sind Mindestlöhne tatsächlich gerecht?
8,50 Euro sind mitunter zu wenig
Eine Lohnuntergrenze zielt darauf ab, sein Leben unabhängig von staatlichen Unterstützungen finanzieren zu können. Das ist mit dem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro nicht möglich. Nicht für Singles, und erst recht nicht für Familien mit nur einem Verdiener. Schon 2004 lag die Niedriglohn-Schwelle bei 1.704 Euro brutto im Monat. Das entsprach einem Stundenlohn von 9,78 Euro. Damals gab es 44.000 Lohnempfänger, die einen höheren Monatslohn bekamen und gleichzeitig auf staatliche Unterstützung angewiesen waren. Das neutrale Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) formulierte daher schon 2005 recht konsequent: „Je nach Haushaltskontext (kann) selbst bei Lohnsätzen über 7,50 Euro Bedürftigkeit bestehen.“
Der Familienstand ist also entscheidend, wenn es um staatliche Hilfe geht. Hat jemand einen Partner, der kein Geld verdient, und darüber hinaus noch zwei Kinder, kann er oder sie alleine auch mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro die Familie nicht ernähren. Dies in der öffentlichen Debatte zu verschweigen ist vielleicht Volksverdummung, unredlich ist es allemal.
Mindestlöhne können zu Schwarzarbeit führen
Eine gesetzlich vorgeschriebene Lohnuntergrenze unterstützt darüber hinaus die marxistische Idee, dass Leistung unabhängig vom Nutzen entlohnt werden soll. Das mag menschlich verständlich sein, verstellt jedoch gleichzeitig den Blick für die wahre Ursache der Entlohnung. Damit muss die Frage beantwortet werden, ob eine Lohnuntergrenze finanzierbar ist. Mindestlöhne, die Unternehmen nicht zahlen können, da die Auftragslage nicht die notwendige Rendite ausweist, leisten letztlich Schwarzarbeit oder Scheinselbständigkeit Vorschub. Wird Arbeit nicht nachgefragt, weil sie dem Unternehmer zu teuer ist, verschwindet sie vom Arbeitsmarkt und der Unternehmer mit ihr. Das ist zwar bitter, gehorcht jedoch einer äußerst einfachen marktwirtschaftlichen Logik.
Lohn entsteht durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sowie durch den Wertschöpfungsbeitrag, den die Arbeit erzielt. Liegt der Lohn über dem Wertschöpfungsanteil, kann er nicht mehr finanziert werden – die Nachfrage stirbt. Wird nun ein Unternehmer gezwungen Löhne zu zahlen, die er mit seinen Aufträgen nicht erwirtschaften kann, wird er sein Unternehmen schließen müssen oder der Staat subventioniert ihn. Das haben wir reihenweise erlebt, als nach der Wende in den Einigungsverträgen zwischen Ost und West Tarifangleichungen zwingend vorgeschrieben wurden. Am Ende gab es Tarifgebiete mit nahezu 40 Prozent Arbeitslosigkeit.
Gleiches Geld für gleiche Leistung?
Nehmen wir das Beispiel Zeitarbeit: Fürs Einräumen von Stoßdämpfern in Regale erhält ein Zeitarbeitnehmer, der an einen Fahrzeugbauer in der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) überlassen ist, den hohen M+E-Lohn. Wenn er nun eine Woche später statt Stoßdämpfer Wasserkisten im Einzelhandel in Regale einräumt, bekommt er – für die gleiche Tätigkeit – weniger Geld.
Sofort wird angemahnt, das sei nicht gerecht. Das Dumme ist nur: Löhne sind nicht gerecht – und werden es auch niemals sein. Die Bemessungsgröße für Löhne ist die Angemessenheit, aber leider nicht die Gerechtigkeit. Die Angemessenheit richtet sich nach Angebot und Nachfrage und nach Wertschöpfungsbeiträgen. So kann der Wertschöpfungsbeitrag für das Einräumen von Wasserkisten nun einmal deutlich geringer sein als das Einräumen von Stoßdämpfern. Neben der Gerechtigkeit ist auch die Leistung nicht die Grundlage der Entlohnung. Wäre sie es, dann sind das Einräumen von Stoßdämpfern und das von Wasserkisten leistungsmäßig eher identisch.
Das Leistungsprinzip ist Marxismus pur
Der Leistungslohn und mit ihm das Leistungsprinzip ist keine Erfindung des Kapitalismus, sondern eine Erfindung von Karl Marx, der damit gegen das Marktwert-Nutzwert-Prinzip des Kapitalismus polemisierte. Das haben wir inzwischen leider vergessen. Das Leistungsprinzip ignoriert, dass der Nutzen einer Arbeit die entscheidende Größe bei der Entlohnung ist. Wäre Leistung die entscheidende Größe, dann müsste ein Vorstandsvorsitzender bei 100-prozentiger Erfüllung seines Leistungssolls weniger bekommen als ein Facharbeiter, der sein Leistungssoll um 130 Prozent erfüllt.
Ich denke, in diesem ideologischen Streit um Lohngerechtigkeit halten sich viele Menschen an die Maxime: Ich weiß zwar nichts über das Leistungsprinzip, bin aber bereit, es zu verteidigen. Obwohl es, wie oben dargelegt, gerade nicht Grundlage der Entlohnung ist.