GleichgestelltDie Organisation bei Gore-Tex ist ein lockeres Netzwerk
Gore's Mitarbeiter suchen sich ihre Aufgaben selbst oder bestimmen demokratisch einen Teamleiter aus den eigenen Reihen. Was sich anhört, als wäre es zu schön um wahr zu sein, ist nach Gore's Vorgaben für die Organisationsstruktur Realität. Der weltweit bekannte Erfinder der Kunstoffmembran Gore-Tex will, dass sich seine Mitarbeiter ausschließlich gegenseitig und ihren Projekten verpflichtet fühlen. Es gibt weder Titel noch Stellenbeschreibungen.
Verantwortungsbewusstsein und Kompetenz sollen für Entscheidungen ausschlaggebend sein nicht die Weisungen eines Vorgesetzten innerhalb einer hierarchischen Beziehung. Die existiert bei Gore im klassischen Sinne überhaupt nicht. Statt formeller Organisationsstrukturen gibt es informelle, an die Stelle von Vorgaben und Anweisungen treten kulturelle, auf Vertrauen basierende Abmachungen unter den Mitarbeitern.Seine Organisationsstruktur vergleicht Gore mit einem winzigen einzelligen Lebewesen: der Amöbe.
Klein aber oho
Die Amöbe ist innen stabil und außen anpassungsfähig. Ständig kann sie ihre Form wechseln. Haben Amöben eine gewisse Größe erreicht, teilen sie sich. Zwei neue, eigenständige Zellen entstehen. Genauso funktioniert es bei Gore. In Deutschland hat der Mittelständler über sieben Werke ausschließlich in Bayern. Jedes Werk bildet eine eigenständige Zelle von maximal 200 Mitarbeitern. Der Vorteil dieser kleinen, eigenständigen Werke: höhere Effizienz . Denn schon bei mehr als 150 Mitarbeitern kann es schwierig werden, mit allen Arbeitskollegen schnell und unmittelbar zu kommunizieren und sich umeinander zu kümmern. Deshalb ist die Größe der einzelnen Werke begrenzt. Wächst ein Werk über 200 Personen im Schichtbetrieb hinaus, muss ein Neues her oder die Arbeit wird in ein anderes verschoben.
Jedes Werk vereinigt mehrere der notwendigen Funktionen unter einem Dach, um den Mitarbeitern ein breites Betätigungsfeld zu bieten:
- Forschung und Entwicklung,
- Fertigung und Qualitätssicherung,
- Vertrieb und Marketing,
- Einkauf und Logistik,
- kaufmännischer Bereich.
Die Nähe der Werke zueinander und die flache Hierarchie, ermöglicht es den Mitarbeitern, sich auch zwischen den Zellen schnell und direkt auszutauschen. Jeder kann mit jedem sprechen und jeder soll jedem behilflich sein. Barrieren durch vorgegebene hierarchische Strukturen werden vermieden.
Über W. L. Gore & Associates
Neben Gore UK, ist Gore Deutschland, der zweite wichtige Produktionsstandort in Europa. Das erste deutsche Werk wurde 1966 gegründet. Inzwischen ist hier das ganze Produktspektrum vertreten: elektronische und medizinische Produkte, Industrieprodukte, Textil-Laminate und Funktionstextilien. Bekannt geworden ist das Unternehmen mit der Marke Gore-Tex.
Jährlich macht das Unternehmen einen Umsatz von circa 2 Milliarden US-Dollar und beschäftigt mehr als 7.300 Mitarbeiter in 45 Werken. Das Ehepaar Wilbert L. und Genevieve Gore gründete das Unternehmen 1958 in Delaware, USA, und legten vier Grundsätze der Unternehmenskultur fest:
- Fairness untereinander und gegenüber allen anderen.
- Freiheit, Mitarbeiter zu ermutigen, ihnen dabei zu helfen und es ihnen zu erlauben, sich Wissen, Fähigkeiten und Verantwortung anzueignen.
- Fähigkeit zur Übernahme von Verpflichtungen und deren Einhaltung.
- Beratung mit anderen Mitarbeitern vor dem Ergreifen von Maßnahmen, die dem Ruf des Unternehmens schaden könnten.
Statt einer Erlaubnishierarchie gibt es eine Verantwortungshierarchie
Um die lockere Organisationsstruktur Wirklichkeit werden zu lassen, setzt Gore auf kontinuierliches Lernen und leistungsbezogene, flexible Gehälter.
Das kontinuierliche Lernen wird aktiv gefördert. Schon beim Einstieg in das Unternehmen erhält jeder einen so genannten Initial Sponsor, vergleichbar mit einem Mentor oder Ansprechpartner bei allerlei Problemen. Ein zweiter Sponsor ist für die Weiterentwicklung des neuen Mitarbeiters verantwortlich. Sollte der Neue das Gefühl haben, dass er nicht mehr von seinem Sponsor lernt oder profitiert, darf er sich jederzeit einen anderen suchen.
Die Mitarbeiter bekommen die Freiheit, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in der Breite weiterzuentwickeln. Dazu können sie zahlreiche hauseigene Seminare besuchen. Auch bei der Auswahl externer Weiterbildungsangebote werden sie vom Sponsor aktiv beraten. Im Gegenzug sollen sie mehr Verantwortung übernehmen. Zum Teamleiter oder zu einer führenden Kraft wird aber nur der, der von allen anerkanntermaßen dazu am besten geeignet ist.
Ähnlich werden Gehälter festgelegt. Ihre Höhe wird nicht nach der Beurteilung durch eine oder zwei Personen bestimmt - oder allein nach der Meinung eines Vorgesetzten. Vielmehr werden zahlreiche Mitarbeiter an dem Prozess beteiligt. Ziel ist es, die interne Fairness und externe Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Jedes Jahr bewerten Teamkollegen gegenseitig ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg auf einer Rangskala. Die Begründung der Bewertung, das Aufzählen von Stärken oder Verbesserungsmöglichkeiten ist keine Pflicht, aber erwünscht. Ergänzend werden unternehmensübergreifend Benchmarking-Untersuchungen durchgeführt, um eine wettbewerbsfähige Vergütung mit vergleichbaren Unternehmen sicherzustellen.
Außerdem sind alle Angestellten so genannte Associates (Teilhaber), die über Aktien am Unternehmen beteiligt sind. Jeder erhält jährlich 11 Prozent seines Bruttogehalts in Unternehmens-Aktien.
Was Vorteile hat, hat auch Nachteile
Gore's Unternehmens-Philosophie ist in dieser Form wohl in keinem Management-Lehrbuch zu finden. So musste man sich für verschiedene Probleme eigene Lösungen ausdenken.
Beispielsweise sind die fehlenden Titel und Stellenbeschreibungen außerhalb des Unternehmens ein Hindernis, wenn der Gesprächspartner ein hochrangiger Konzernmanager ist und wissen will, ob er einem gleichrangigen Gesprächspartner gegenübersitzt. Die pragmatische Lösung: Jeder Mitarbeiter hat Visitenkarten, auf die er je nach Situation unterschiedliche Titel einträgt. Das Ergebnis solcher Freiheiten: Bei einer Umfrage der Sunday Times in den englischen Gore-Werken stellte sich heraus, dass fast allen Mitarbeitern die Arbeit Spaß macht. Und das können nicht allzu viele Firmen für sich behaupten.
Ausgezeichneter Arbeitgeber
Jeder verpflichtet sich selbst, Aufgaben zu übernehmen. Das kann bedeuten, weit entfernt vom ursprünglich gewählten Betätigungsfeld zu arbeiten. Oder: Auf dem Gebiet, in dem man seine Stärken sieht, wird man zum Experten . Das macht Gore zu einem attraktiven Arbeitgeber. Zwei Mitarbeiter beschreiben ihre Situation so:
"Ich freue mich, dass es in meinem Job keine Standardlösungen gibt. Denn es macht Spaß, sich immer wieder neue Wege auszudenken."
"Selbständiger Unternehmer im Unternehmen - durch die Freiheiten bei Gore kann ich meine Kreativität und Stärken einbringen und umsetzen."
Unterstrichen werden solche Aussagen durch die zahlreichen Auszeichnungen:
- In den USA erreicht Gore seit 1984 immer wieder hohe Platzierungen in der Fortune-Liste 100 Best Companies to Work for.
- Capital wählte Gore zu Deutschlands bestem Arbeitgeber 2006 in der Kategorie mittlere Unternehmen.
- In Großbritannien siegt Gore zum dritten Mal in Folge bei dem Wettbewerb "100 Best Places to Work in the U.K.", veranstaltet durch die Sunday Times.
- In Italien belegt Gore Platz 16 unter den 35 besten Arbeitgebern.
Hinweis
Das lernen Sie
- Organisation muss nicht immer Hierarchie und starre Strukturen bedeuten.
- Eine Organisationsstruktur ist für effiziente und profitable Leistung notwendig. Bei Gore handelt es sich jedoch um eine natürlich gewachsene, anstatt einer künstlich entwickelten Struktur.
- Wer unkonventionelle Strukturen entwickelt, muss trotzdem sicherstellen, dass die Kommunikation nach innen und außen funktioniert.
- Lernen, Kompetenzentwicklung und Engagement sind wichtige Erfolgsfaktoren in flexiblen Organisationen.
- Mitarbeiter, die am Unternehmenserfolg beteiligt werden, arbeiten zufriedener und effizienter. Das lässt sich am besten in kleinen Firmen und Familienunternehmen realisieren.