HalbleitermarktChiphersteller müssen sich konsequent fokussieren

Der Halbleitermarkt unterliegt extremen Schwankungen. Gerade deshalb haben fokussierte Unternehmen eine wesentlich bessere finanzielle Performance, hat die Unternehmensberatung Oliver Wyman herausgefunden. Das klassische Geschäftsmodell habe auf Dauer keinen Bestand.

Die Zeiten des Hoch und Tief in der weltweiten Halbleiterbranche sind so legendär wie die finanziellen Höhenflüge und Abstürze ihrer Akteure. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Extreme Schwankungen bei Angebot und Nachfrage,
  • gnadenlose Preiskämpfe vor allem bei Speicherchips,
  • kurze Innovationszyklen und
  • eine äußerst kostspielige Fertigung.

Sie setzen alle Unternehmen in dieser Branche immer wieder unter Druck, ihre strategische Ausrichtung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. In der aktuellen Studie „Erfolgsmodelle in der Halbleiterindustrie“ hat Oliver Wyman im Rahmen eines umfangreichen Benchmarkings die Geschäftsmodelle von 23 weltweit führenden Chipherstellern untersucht.

Ein Ergebnis: Fokussierung ist der Schlüssel zum finanziellen Erfolg in der Halbleiterindustrie. Noch aber lassen gerade die sogenannten Broadliner die nötige Konsequenz vermissen. In vielen Fällen bleibt es bei punktuellen Portfoliobereinigungen. Organisation und Prozesse verharren in überholten Mustern. Die Spezialisierung muss konsequent entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen.

Stichwort

Integrated Device Manufacturer

Ein Integrated Device Manufacturer (IDM) entwickelt nicht nur Halbleiter, sondern produziert und vermarktet diese auch selbst. Dabei decken Broadliner eine breite Palette an Geschäftsfeldern ab, während sich Focused IDMs auf bestimmte Produktbereiche spezialisiert haben.

Ein Fabless-Unternehmen entwickelt und vermarktet Bauteile, ohne eigene Produktionsstätten zu haben. Im Gegensatz dazu konzentriert sich ein Foundry- Unternehmen auf die Produktion, entwickelt und vermarktet jedoch keine eigenen Bauteile.

Der Begriff Dynamic Random Access Memory (DRAM) und bezeichnet eine Technologie für einen elektronischen Speicherbaustein, der vor allem in Computern eingesetzt wird.

Nach Kollaps und Stagnation stehen die Zeichen im Weltmarkt für Halbleiter seit 2003 kontinuierlich auf Wachstum. Im Jahr 2007 erreichten die Chipverkäufe laut Branchenverband SIA (Semiconductor Industry Association) international ein Rekordhoch von 255,6 Milliarden US-Dollar.

Eine Garantie, dass der Aufwärtstrend anhält, gibt es indes nicht. Kaum ein anderes Hightechsegment bringt seine Akteure so häufig an ihre Grenzen wie der Halbleitermarkt. Die Gründe dafür sind vielfältig. So ist das Chipgeschäft äußerst unberechenbar, weil es dem sogenannten Schweinezyklus unterliegt. Ist das Angebot an Halbleitern geringer als die Nachfrage, steigen die Preise und die Branche boomt. Fertigungskapazitäten werden massiv ausgebaut, was zu einem schlagartigen Überangebot führt. In der Folge kommt es zu einem dramatischen Preisverfall und starken Umsatz- und Gewinnabstürzen. Gerade bei Speicherchips, den DRAMs, sind immer wieder Preiseinbrüche von bis zu 80 Prozent innerhalb eines Jahres zu beobachten.

Der technologische Lifecycle treibt alle an

Darüber hinaus ist der technologische Ehrgeiz im Semiconductor-Markt seit jeher hoch. Die Halbleiter werden immer kleiner, Mikroprozessoren immer schneller, Chipsätze immer komplexer, Speicherbausteine immer leistungsfähiger – und der technologische Lifecycle beläuft sich auf weniger als ein Jahr. Die Fertigung ist extrem kapitalintensiv. Für eine neue Chipfabrik sind derzeit Investitionen zwischen zwei und drei Milliarden US-Dollar erforderlich. Schließlich herrscht im Halbleitergeschäft durch die Vielzahl der Player ein sehr harter Wettbewerb.

Zugleich werden die Chipanbieter immer wieder durch ihre Abnehmer aus der Computer-, Telekommunikations-, Unterhaltungselektronik- oder Automobilbranche im Preis gedrückt. Lutz Jäde, Director bei Oliver Wyman, stellt fest:

„Eine derartige Kombination extrem schwieriger Faktoren ist in der gesamten Hightechindustrie nicht nur einzigartig, sondern auch der pure Albtraum. Wer heute im Chipbereich ein Gewinner ist, kann morgen schon ein Verlierer sein.“

Klassische Anbieter denken zunehmend um

Noch immer nimmt das klassische Geschäftsmodell der Integrated Device Manufacturer (IDM) in der internationalen Semiconductor-Szene breiten Raum ein. Als Vollhersteller entwickeln diese Anbieter nicht nur Halbleiter, sondern produzieren und vermarkten sie auch selbst. Viele decken dabei eine möglichst breite Palette an Geschäftsfeldern ab – seien es DRAMs für PCs, Flashspeicher für Digitalkameras oder MP3-Player, Chipsätze für Handys und Netzwerktechnologie oder anwendungsspezifische ICs für Auto- und Industrieelektronik.

Zwar können diese Broadliner auf diese Weise in einzelnen Chipbereichen Absatz- und Preisschwankungen kompensieren, doch entsprechend groß ist auch die Zahl der Wettbewerber. Zudem wird es bei zunehmender Breite im Portfolio immer schwieriger, in jedem der Marktsegmente am Puls der Zeit zu sein. Damit entsteht ein Teufelskreis. Wenn auf Dauer der Cashflow zu gering ist, fehlen die Mittel für Innovationen und die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Dies hat eine noch schlechtere finanzielle Performance zur Folge. Inzwischen haben sich einige der IDMs, beispielsweise Intel oder Texas Instruments, auf bestimmte Produktbereiche spezialisiert und sind damit zu „Focused IDMs“ geworden.

Darüber hinaus haben sich weitere Geschäftsmodelle etabliert. So bewähren sich zunehmend Fabless- Unternehmen, die keine eigenen Produktionsstätten unterhalten, sondern sich ausschließlich auf die Entwicklung applikationsspezifischer Chips konzentrieren. Zu ihnen zählt beispielsweise der US-Halbleiterhersteller Qualcomm, der vor allem Mobilfunkchips entwickelt und über die vergangenen sechs Jahre eine durchschnittliche Profitmarge von 33 Prozent erzielte.

Wichtige Marktakteure sind auch die Foundries geworden. Dabei handelt es sich um Halbleiterfabriken, die sich auf die Auftragsfertigung spezialisiert haben und ihre Dienste einer breiten Kundenschicht anbieten. Die größte und profitabelste Foundry ist die taiwanesische TSMC. Das Unternehmen erzielte in den Jahren 2001 bis 2006 nach Qualcomm die zweithöchste durchschnittliche Umsatzrendite.

Die profitabelsten Unternehmen haben ein fokussiertes Geschäftsmodell

Im Rahmen eines umfangreichen Benchmarkings hat Oliver Wyman Wachstum, Profitabilität, Cashflow, Kapitalrendite und Wertzuwachs der 23 größten Halbleiterunternehmen der Jahre 2001 bis 2006 untersucht und miteinander verglichen. Dabei zeigt sich, dass eine gute finanzielle Performance in direktem Zusammenhang mit einer deutlichen Fokussierung steht. Der Semiconductor-Experte Jäde sagt:

„Anbieter, die sich auf ein bestimmtes Marktsegment oder einen bestimmten Wertschöpfungsschritt konzentrieren, können sich im Wettbewerb besser behaupten. Sie haben mehr Marktverständnis, treffen schnellere Entscheidungen und sind näher am Kunden. Die eigene Fertigung ist nur noch Mittel zum Zweck. Der Spruch ‚Real men have fabs’ gilt nicht mehr.“

Wertschöpfungskette wird aufgespalten

Gerade die Broadliner-IDMs geraten immer mehr unter Zugzwang, ihre Geschäftsmodelle unter die Lupe zu nehmen. Mit ihren breiten Produktangeboten und kostspieligen Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten haben viele von ihnen über die vergangenen sechs Jahre nur eine geringfügige Profitabilität oder gar Verluste ausgewiesen. Auch beim Free Cashflow liegen Broadliner-IDMs im Minusbereich, während Foundries beispielsweise mit durchschnittlich 2,9 Milliarden US-Dollar aufwarten und damit ein ausreichendes Finanzpolster für den nächsten Marktabschwung haben.

Ganz oben auf der Agenda muss deshalb bei breit aufgestellten Unternehmen wie Infineon, STMicroelectronics oder NXP Semiconductors stehen, die wirtschaftliche Attraktivität der einzelnen Wertschöpfungsstufen genau zu überprüfen. Dazu gilt es, die viel versprechendsten Zielsegmente festzulegen und die dafür notwendigen Kernkompetenzen und Produkte zu identifizieren. Auch bedarf es konsequenter Entscheidungen für oder gegen Entwicklungs- beziehungsweise Fertigungsaktivitäten. Ganz wesentlich ist schließlich die Anpassung von Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozessen.

Tatsächlich zeigen einige Broadliner inzwischen erste Ansätze, ihre Wertschöpfungskette neu zu ordnen. Infineon hat seine Kernkompetenzen mit den beiden Produktbereichen „Automotive, Industrial & Multimarket“ sowie Kommunikation festgelegt und die Speicherchipaktivitäten in das eigenständige Unternehmen Qimonda ausgegliedert. Darüber hinaus sollen Entwicklungsaktivitäten über Divestments und Akquisitionen neu ausgerichtet und Fertigungen ausgelagert werden. Noch keine Strategie ist bei der Anpassung des Geschäftsmodells mit Blick auf Organisation, Prozesse und Strukturen erkennbar.

NXP, die verselbstständigte Halbleitersparte von Philips, legt den Schwerpunkt vorerst auf Reduzierung der Eigenfertigung. Rund 30 bis 40 Prozent der Produktion soll an Foundries ausgelagert werden. Zudem überdenkt NXP seine Strategie in Bezug auf Entwicklungspartnerschaften. Das Produktspektrum allerdings bleibt zunächst reichhaltig.

Einzelmaßnahmen aber werden nicht ausreichen, wollen die Broadliner-IDMs im Halbleitergeschäft auf Dauer erfolgreich sein. Die Fokussierung darf sich nicht auf die Spezialisierung im Markt beschränken, sondern muss konsequent entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis in Organisationsstrukturen und Prozesse hinein erfolgen. Jäde ist überzeugt:

„Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Denn nachhaltige Transformationsprozesse erfordern Bereitschaft zur Veränderung, Mut zum Risiko und Disziplin in der Umsetzung – Eigenschaften, die erfahrungsgemäß mit der Zeit auf der Strecke bleiben. Jeder Anbieter aber, der sich nicht fokussiert, verschenkt bares Geld.“


Handlungsempfehlungen für die Halbleiterindustrie

  1. Das Spielfeld wählen: Attraktivität und Erreichbarkeit möglicher Zielsegmente sind systematisch und faktenbasiert zu bewerten. Dabei kann es sich um eine Applikation, ein Produktsegment, aber auch um Dienstleistungen wie Design-Services oder Auftragsfertigung handeln.
  2. Innovationen ausrichten: Anforderungen im Sinne von Funktionalitäten und Technologien müssen in den Zielsegmenten angenommen werden. Zugleich ist das Forschungs- und Entwicklungs-Portfolio darauf auszurichten. Alle Projekte, die nicht die Kernfähigkeiten stärken, stehen auf dem Prüfstand und werden gegebenenfalls eingestellt oder an Entwicklungspartner abgegeben.
  3. Die Produktion optimieren: Die strategische und kommerzielle Bedeutung der eigenen Fertigung ist objektiv zu prüfen. Festgelegt werden müssen Technologie-Roadmaps und der Anteil der Fertigung bei Foundry-Partnern. Produktionslinien und Fabriken gilt es, gegebenenfalls zu schließen.
  4. Die Organisation anpassen: Die nachhaltige Fokussierung muss durch Regelung der Kompetenzen und Entscheidungsprozesse im Unternehmen sichergestellt werden. Schnelligkeit, Flexibilität und dezentrales Unternehmertum sind die Maximen.

Oliver Wyman-Studie „Erfolgsmodelle in der Halbleiterindustrie“

In der aktuellen Studie hat Oliver Wyman im Rahmen eines umfangreichen Benchmarkings die Geschäftsmodelle der führenden Chiphersteller untersucht. Betrachtet wurden dabei die finanziellen Ergebnisse der 23 größten eigenständigen Halbleiterunternehmen im Zeitraum von 2001 bis 2006. Im Einzelnen handelte es sich um Wachstum und Profitabilität, Cashflow, Kapitalrendite und Wertzuwachs. Die Unternehmen wurden in vier Cluster mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen gruppiert: „Broadliner-IDMs“, „Fokussierte IDMs“, „Fabless“ und „Foundries“.

Neben dem Vergleich einzelner Unternehmen erfolgte auch ein Vergleich der durchschnittlichen finanziellen Performance innerhalb der vier Cluster. Die quantitativen Ergebnisse wurden mithilfe von Fallstudien interpretiert. Darüber hinaus floss die Projekterfahrung von Oliver Wyman in der Hightech- und Halbleiterindustrie in die Studie ein.

[jf; Quelle: Oliver Wyman; Bild: Fotolia]

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