HerausforderungPharmabranche vor dem Wandel im Vertrieb

Paradigmenwechsel im Pharmabereich. Die Gesundheitsreform zwingt Vertriebler zum Umdenken. Persönliche Umsatzzahlen fallen weg, individuelle Verträge mit Krankenkassen oder Ärzten sollen für mehr Wirtschaftlichkeit sorgen. Eine Herausforderung für die gesamte Vertriebssteuerung.

Gastbeitrag von Bodo Antonic, Inhaber der kontur Marketing- und Vertriebsberatung, Linthe*

Herausforderung Verkaufsproduktivität

Politisch gewollt ist die Deckelung des Gesundheitssystems. Diese Randbedingung des Marktes, die mehr und mehr in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, wird von denen durch traditionell geradezu phantastische Marktbedingungen verwöhnten Pharmaverkaufsleitern als eine dramatische Veränderung verstanden. Unabhängig von dem an sich fragwürdigen Einfluss der Politik auf diesen hochgradig durchorganisierten Markt, muss konstatiert werden, dass diese Deckelung an sich sehr wohl in anderen Märkten vorhanden ist. Die die Qualität der medizinischen Versorgung beeinflussende Deckelung des Marktes soll eingedenk der Überalterung unserer Gesellschaft jedoch an dieser Stelle nicht diskutiert werden. So sieht sich die Pharmaindustrie zum ersten Mal mit den klassischen verkäuferischen Herausforderungen, wie sie andere Branchen schon lange kennen, konfrontiert:

  • Verdrängung in gesättigten Märkten,
  • Steigerung der Verkaufsproduktivität,
  • Erkennen und Binden der hochperformanten Verkäufer.

Um in gesättigten Märkten erfolgreich zu verdrängen beziehungsweise weitere Marktanteile hinzugewinnen zu können, werden zumeist zwei, in seltenen Fällen drei Strategien angewandt:

  1. Mergers & Aquisitions (M&A)
  2. Hohe Marktpräsenz
  3. Verkaufsprozesse

So kaufen sich die an sich schon großen und finanziell gut positionierten Unternehmen weitere Marktanteile durch M&A-Aktivitäten hinzu. Der zweite traditionelle Ansatz verlangt ebenso nach einer guten finanziellen Ausstattung. Mittels einer hohen Marktpräsenz durch hervorragend ausgestattete Verkaufsmannschaften sowie einem ressourcenintensiven Umgang mit promotiven Mitteln werden Kunden dazu gebrachtt, sich dem jeweiligen Marktteilnehmer zuzuwenden. Erstaunlich ist, dass der dritte Weg, der gezielte Nutzen von Verkaufsprozessen, kaum beschritten wird. Die dabei relevanten Verkaufsprozesse müssen je nach Verkaufsumfeld des Klientenunternehmens folgende Bereiche abdecken:

  • Verkaufen in „Standardsituationen“,
  • Key Account Management,
  • Chanel Partner-Vertrieb.

Kommen geeignete Prozesse zur Anwendung, so sind die Ergebnisse eine deutlich gesteigerte Verkaufsproduktivität, eine höhere Transparenz sowie eine optimierte Genauigkeit der Vorhersage. Sekundäre Effekte, die sich en passant einstellen, dürfen jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, da sie für den Alltag des Verkäufers und seiner Vorgesetzten positive Effekte mitbringen. Verkaufsprozesse sind im Zusammenspiel mit dem empathischen Vermögen des Verkaufspersonals der Garant für das schnelle Erkennen der Rendite erzeugenden Kunden und „richtigen“ Verkaufsziele. Darüber hinaus führen Sie zu einer Fokussierung auf den Kundenwunsch, der in den Mittelpunkt der Handlungen gestellt wird. Weitere Effekte sind:

  • High Potentials lassen sich besser erkennen,
  • Mitarbeiterfluktuation der Hochleistungsmitarbeiter reduziert sich,
  • Die Führenden erhalten ein Indikatorsystem, welche Mitarbeiter an welcher Stelle zielgerichtet gefördert werden müssen.

Wie lassen sich dadurch nun Dramen in Chancen umwandeln? Zum einen muss konstatiert werden, dass der rechtzeitige Einsatz von Verkaufsprozessen – vor entsprechenden Aktivitäten des Mitbewerbs – schlichtweg dem Vertrieb einen zeitlichen und qualitativen Vorsprung verleiht, der sich letztendlich in gesteigerten Umsätzen, verbesserten Renditen und einer somit gestiegenen Verkaufsproduktivität ausdrückt. Zum anderen, indem die Bedrohung als Herausforderung zur Veränderung verstanden wird, die dem Unternehmen die Chance zur Weiterentwicklung bietet. Es ist also nicht die Anwesenheit von Veränderungen und Herausforderungen, die uns zum Schwitzen bringen sollte, sondern die Abwesenheit von äußeren und inneren Auslösern, die gefährlich werden können.

Prämiensysteme: Neues Prinzip der Vertriebssteuerung

Ein Blick auf die pharmazeutische Industrie zeigt: Vertriebssteuerung erfolgt primär über die Schlüsselkennzahl Umsatz. Dabei wird der persönliche Umsatz des Mitarbeiters als Bewertungsgrundlage herangezogen. Angeblich werden die Mitarbeiter mittels der marktüblichen variablen Einkommensanteile motiviert. Dieses Verfahren hat sicherlich den Vorteil, dass es leicht zu erfassen und zu messen ist. Jedoch führt es nach dem Prinzip des „Was man sät, das erntet man“ eben auch genau zu dem, was sich dann quer durch alle Branchen als Ergebnis zu beobachten ist – Umsatz. Umsatz hat jedoch mit Verkaufsproduktivität verhältnismäßig wenig zu tun.

Was ist nun in Anbetracht der anstehenden Gesundheitsreform (§ 305 SGB V) zu tun, wenn plötzlich keine Umsatzzahlen mehr zur Verfügung stehen? Ein erschreckendes Szenario: 20 Außendienstmitarbeiter in einer Umsatzregion, denen keine persönlichen Umsatzzahlen zugewiesen werden könnte zur Folge haben, dass keiner mehr etwas arbeitet, sondern sich alle auf den Leistungen der Kollegen ausruhen. Es gibt jedoch auch Chancen: Zum einen kann das Zusammenspiel der Verkäufer als Team eine große Dynamik entwickeln Eine Teamprämie zum Beispiel könnte ein deutlich stärkeres Miteinander bewirken. Die positiven Folgen: Ein deutlich verbesserter Austausch kundenrelevanter Daten sowie – und dies ist nicht zu vernachlässigen – eine signifikant bessere Stimmung und Motivation in der Verkaufsmannschaft.

Jedoch sollte ein allzu fröhliches und gemeinsames „Kuscheln“ vermieden werden. Das könnte der Mitbewerb sofort ausnutzen. Daher gilt es, im Sinne einen gesunden Wettbewerb unter den Mitarbeitern zu fördern. Nur dieser wird die Organisation als Ganzes nach vorne bringen. Doch wie kann das ohne Umsatzzahlen funktionieren? Die Antwort liegt in den Verkaufsprozessen. Sie liefern Schlüsselkennzahlen, die in die Zukunft weisen und die Performance des einzelnen Verkäufers transparent machen. Das können sein:

  • „Gesundheit“ des Verkaufstrichters,
  • Qualität und Quantität der erzielten Gewinne,
  • Qualität und Quantität des Kundenkonzeptes.

Bei der Präsentation im Team-Meeting lässt sich so sehr schnell erkennen, welcher von den Kollegen seinen Teil zur Gesamtleistung beiträgt oder wer die Gruppenprämie gefährdet. Es ist also sinnvoll, individuelle und gruppenbezogene gekoppelte Prämiensysteme als neues Prinzip der Vertriebssteuerung einzuführen. Den Rest erledigen gruppendynamische Effekte, ohne dass die Verkaufsleitung eingreifen muss.

Paradigmenwechsel für den Verkauf

Auch hier hält das aktuell in der Diskussion stehende Referentenpapier zur Gesundheitsreform einige Besonderheiten für die am Verkauf Beteiligten bereit. So wird zum Beispiel das direkte Kontraktierungsrecht zwischen den Parteien Pharma, Arzt, Apotheke und Krankenkassen erweitert. Damit soll, so die Intention des Gesetzgebers, die Wirtschaftlichkeit gesteigert werden. Leider ist bisher keine der Vertragsparteien dazu wirklich in der Lage. So verfügen nur wenige über Prozesse, die eine effiziente Abwicklung gewährleisten können. Zudem stellt sich die Frage, ob dies auch an sich gewollt sein kann, denn die Kernkompetenzen des Arztes und der Apotheker liegen in der medizinischen Versorgung und nicht in der preislichen Ausgestaltung von Individualverträgen.

Dennoch wird diese Reform mehr oder weniger umgesetzt werden. Für die Pharmaindustrie bedeutet das: Hätte sie früher auf den sich ankündigenden gesteigerten Verkaufseinfluss der Krankenkassen reagiert, so müsste würde sie sich heute leichter mit diesen Veränderungen tun. Die Lernbotschaft für alle im Verkauf Tätigen, auch jenseits der pharmazeutischen Industrie, muss also lauten:

  • Potenzielle Gefahrenmomente antizipieren,
  • das Buying Center analysieren,
  • sich nicht auf dem Status quo ausruhen,
  • Kreative Unruhe gezielt als Führungselement zur Steigerung und Sicherung der Produktivität nutzen.

Die zentrale Herausforderung der pharmazeutischen Industrie ist der Aufbau von Außendienstmannschaften die in die Lage versetzt werden, Krankenkassen als Chanel Partner beziehungsweise Key Accounts zu verstehen und effektiv und effizient zu betreuen. Dieser Paradigmenwechsel – Verkauf statt Lobbying – zieht zugleich ein verändertes Mitarbeiterprofil nach sich: Eine tief gehende Prozesskompetenz in Bezug auf Krankenkassen sowie ein nicht zu verachtendes Komposit aus juristischem, verkäuferischem und medizinischem Grundwissen.

Die pharmazeutische Industrie steht wie andere Branchen nun auch vor einem Potpourri an Veränderungen. Den medizinischen Märkten geht es jetzt so wie anderen Branchen in der Vergangenheit, die es verpassten, sich den veränderten Marktbedingungen anzupassen. Die Ursachen liegen in den aus der Sicht der Rentabilität nicht akzeptablen Gründen wie beispielsweise dem Erhalten von Pfründen. Es liegt in der Eigenart des Menschen, nach Ruhe und selten nach Veränderung zu streben. Das Ausblenden des evolutionären Drucks ist ein probates Mittel, um sich eine Wirklichkeit zu erschaffen, in der es keine Fressfeinde und Bedrohungen gibt. Die Lösung: Führungskräfte müssen für eine kreative Unruhe sorgen.

Zudem muss der prozessuale Gedanke im Verkauf eine größere Rolle spielen. Will man Produktivität erzeugen, wird Transparenz und Messbarkeit und nicht die Glorifizierung des angeblich nahezu mystischen Vorgangs Verkaufen benötigt. Der Nutzen der Verkaufsprozesse trägt somit zur Produktivitätssteigerung, zur Emanzipation der Beteiligten sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei.

*Kontakt:
die kontur Marketing- und Vertriebsberatung
Deutsch Bork 24
14822 Linthe
Tel.: 033748-21248
E-Mail: bodoantonic@vertriebsprozess.com
Web: www.die-kontur.com

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