Ideen entwickelnFünf Irrtümer über Kreativität
Wenn Sie an Kreativität denken, fallen Ihnen möglicherweise folgende Aussagen ein:
- Brainstorming ist die beste Methode, um auf neue Ideen zu kommen.
- Nur Genies können kreativ sein und neue Ideen entwickeln.
- Kreatives Denken heißt, komplett frei und ohne jede Beschränkungen zu denken.
Doch das sind Klischees, die in der Praxis so nicht stimmen. Im Folgenden werden diese und andere Klischees beziehungsweise Irrtümer über Kreativität genauer unter die Lupe genommen:
Irrtum 1: Kreativität durch Brainstorming
Was tun Sie in Ihrem Unternehmen, um auf neue Ideen zu kommen? Womöglich tun Sie das, wovon viele Unternehmen sich einen Erfolg versprechen: Sie treffen sich im Team zum Brainstorming und formulieren ein Ziel. Außerdem formulieren Sie als einzige Regel, dass es keine Regeln gibt. Die Mitarbeiter dürfen auch die scheinbar absurdesten Ideen äußern. Dann werden alle Vorschläge gesammelt und als Ergebnis stehen die gewünschten, neuen Ideen.
Die Realität jedoch sieht in den meisten Unternehmen anders aus: Statt des erhofften Ideenflusses ist das Ergebnis des Brainstormings eher dünn. Alle gesammelten und zum Teil verrückten Ideen erweisen sich im Nachhinein als unbrauchbar. Das liegt daran, dass Brainstorming mehr ein Heilsversprechen als eine kreative Methode ist. Ideen kommen eben nicht von alleine, so wie es diese Methode suggeriert. Trotzdem gehört sie in vielen Unternehmen zum Standard-Repertoire bei der Suche nach neuen Ideen.
Für das Entwickeln qualitativ hochwertiger neuer Lösungen beziehungsweise Problemlösungen ist in der Regel jedoch ein anderes Vorgehen nötig. Sie müssen hierfür Probleme erkennen, die andere nicht sehen, und diese Probleme von verschiedenen Seiten angehen. Hierfür müssen Sie gezielt nach Inspirationen suchen und Ihre Ideen bis zum Ende durchdenken. Gemäß dem Motto des Erfinders Thomas Alva Edison: „Eine kleine Erfindung alle zehn Tage, eine große Erfindung alle sechs Monate.“
Irrtum 2: Nur Kreative sind kreativ
Kann man Kreativität lernen, oder ist die Gabe, neue Lösungen zu finden, nur außergewöhnlich begabten Menschen vorbehalten? Hirnforscher wie Gerhard Roth sagen: Ob jemand kreativ ist oder nicht, entscheiden alleine die Erbanlagen. Aber kreative Fähigkeiten alleine machen noch lange nicht kreativ. Umgekehrt: Selbst wer wenig kreativ veranlagt ist, kann sehr kreative Dinge vollbringen. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
Lange Zeit beschränkte sich die Kreativitätsforschung vor allem darauf, die Fähigkeiten des Menschen zu untersuchen. Andere Forschungsansätze, wie zum Beispiel der von der Harvard-Professorin Teresa Amabile, sagen, Kreativität sei eher ein bestimmtes Verhalten. Das heißt: Kreativ ist, wer kreativ handelt, und nicht, wer theoretisch dazu in der Lage wäre. In ihrem „Three Component Model of Creativity“ erklärt Amabile Kreativität als ein Konstrukt aus kreativen Fähigkeiten, Wissen und Motivation.
Kreative verknüpfen Wissen unterschiedlicher Bereiche
Zu den wichtigsten kreativen Fähigkeiten gehört die Verknüpfung von Wissen aus unterschiedlichen Bereichen. Ein Architekt zum Beispiel, der beim Entwerfen eines neuen Gebäudes Termitenhügel studiert, um aus deren Belüftungssystem zu lernen, hat nur niedrige assoziative Barrieren. Solche Menschen finden Lösungen, die wenig mit dem zu tun haben, was sie bisher erlebt haben, oder mit den Lösungen, die andere bereits entwickelt haben. Ihre Ideen sind neu und ungewöhnlich, und ihr Entstehen lässt sich oft nicht logisch nachvollziehen. Doch kreative Fähigkeiten alleine machen Sie nicht kreativ.
Um Lösungsansätze aus unterschiedlichen Wissensgebieten kombinieren zu können, müssen Sie sich in verschiedenen Wissensgebieten auskennen. Denn wo nichts ist, kann das Gehirn auch nichts finden – selbst wenn die assoziativen Barrieren noch so niedrig sind.
Motivation als Schlüssel für Kreativität
Neue Ideen entstehen meist im Grenzbereich verschiedener Wissensgebiete. Ein Beispiel: Die Suchmaschine Google ist deshalb so erfolgreich, weil sie sofort die wichtigsten Ergebnisse findet. Das sogenannte „Page Rank“ verhalf ihr zum Durchbruch. Die Grundidee von Google besteht also darin, ein bekanntes Produkt (Suchmaschine) mit einem wissenschaftlichen Prinzip zu kombinieren.
Der wichtigste Punkt aber ist Motivation. Bis zu einem gewissen Grad kann Motivation fehlendes Wissen und fehlende kreative Fähigkeiten kompensieren. Und so liegt das Geheimnis vieler Genies in ihrem Tatendrang: Sie hatten einfach Lust auf Ideen. Auch Unternehmen können ihre Mitarbeiter mit Hilfe von Teresa Amabiles Komponenten-Modell zu mehr Kreativität bringen, indem sie eine Atmosphäre schaffen, die es ermöglicht, Wissen aus verschiedenen Bereichen zu erlangen und Ideen auszuarbeiten, die im ersten Moment vielleicht schräg klingen.
Irrtum 3: Kreativitätstechniken machen kreativ
Hinter dem Begriff „Kreativitätstechnik“ verbirgt sich die Illusion, alleine mit der Wahl der richtigen Technik könne man schnell kreativ sein. Aber Kreativitätstechniken sind nur Denkstützen. Ohne Wissen aus verschiedenen Bereichen und ohne eine klare Motivation, Bestehendes infrage zu stellen, gibt es keine Kreativität.
Kreativitätstechniken helfen nur, den Rahmen für die Ideenfindung zu schaffen und Gedanken so zu strukturieren, dass Wissen neu kombiniert werden kann. Kreativitätstechniken funktionieren ähnlich wie ein Computerprogramm: Dateien werden auf der Festplatte immer wieder neu und anders zusammengesetzt – das ist erfolglos, wenn die Festplatte leer ist.
Vom eigenen Erfahrungsschatz profitieren
Die Grundlage für Kreativität tragen Sie in sich. Stellen Sie sich das, was Sie wissen – Erfahrungen, die auch aus Fehlern resultieren – als eine Sammlung von Puzzleteilen vor. Sie waren zum Beispiel früher Verkäufer, haben danach ein Jahr als Tauchlehrer gearbeitet und lassen sich jetzt zum Programmierer ausbilden. Damit haben Sie gute Voraussetzungen, um Computerprogramme zu entwickeln, die sich durch neue Ideen zur Nutzerfreundlichkeit auszeichnen. Denn Sie wissen, wie Kunden an neue Produkte herangehen und wonach sie suchen. Außerdem haben Sie als Tauchlehrer gelernt, Menschen die Angst vor Neuem und Ungewöhnlichem zu nehmen.
Kreativitätstechniken helfen, die Puzzleteile Ihres Lebens zusammenzusetzen und neu zu nutzen. Eine klassische Technik, die durch Kombinationen funktioniert, ist die Morphologische Matrix, wie das folgende Beispiel zeigt:
Durch die entsprechenden Querkombinationen lassen sich neue Lebensmittel erfinden, also beispielsweise Omega 3-Butter gegen Herzkrankheiten. Die dahinterliegende Kreativitätstechnik ist eine klassische Kombinationstechnik. Sie funktioniert nur, wenn Sie das notwendige Vorwissen haben. Das ist der zentrale Grund, warum Techniken wie Brainstorming oft wenig Früchte tragen. Den Teilnehmern fehlt das notwendige Wissen.
Irrtum 4: Kreativität heißt freies Herumspinnen
Ein von sämtlichen Restriktionen freies und losgelöstes Denken soll oft zu neuen Ideen führen. In Wahrheit führt es in eine Kreativ-Blockade. Pauschale Fragen wie: „Welche neuen Produkte können Sie sich vorstellen?“, oder: „Wie können wir unsere Produktivität steigern?“ überfordern uns, wenn sie sozusagen inhaltsleer im Raum stehen. Kreativität bedeutet, Wissen neu zu vernetzen. Um dabei effektiv zu sein, müssen wir zielgerichtet nach Puzzleteilen suchen können. Sind die Fragestellungen aber zu offen formuliert, fällt uns das Suchen schwer.
„Ich mag die Herausforderung, etwas Künstlerisches zu tun, das gleichzeitig als Uhr nützlich sein muss“, sagte einmal der Skulpturen-Künstler Paul Beckett. Er forcierte seine Kreativität, indem er sich klare Beschränkungen auferlegte. Bei der Entwicklung strategisch wichtiger Ideen wie der „Toolbar“ ging Google den gleichen Weg. Die verbindliche Vorgabe lautete: Die „Toolbar“ muss für alle Browser und Auflösungen passen und darf in der ersten Version 625 Kilobyte nicht überschreiten. Das Unternehmen schaffte so erst gar keinen Raum für technische Spinnereien.
Irrtum 5: Kreativität macht erfolgreich
Kreativität gilt als wirtschaftlicher Erfolgsgarant. In kaum einer Rede von Managern fehlen deshalb Begriffe wie Kreativität oder Innovationsgeist. Doch die Tatsache, dass jemand kreativ denkt und neue Ideen entwickelt, hat zunächst keinerlei wirtschaftlichen Wert. Käme jemand auf die Idee, alle Züge der Deutschen Bahn AG durch einen Künstler gestalten zu lassen, wäre das äußerst kreativ. Doch wie viele Menschen würden deshalb beschließen, ab sofort öfter die Bahn zu nutzen? Ungelenkte Kreativität kann mehr schaden als nützen. Kreativität ist nur dann eine wertvolle Ressource, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt wird.
Fazit
Seien Sie skeptisch, wenn Sie wieder einmal Sätze hören wie: „Wir brauchen mehr Ideen“. Formulieren Sie ihn stattdessen für sich wie folgt um: „Wir brauchen weniger Ideen, aber dafür bessere.“ Klasse statt Masse. Gute Ideen sind produzierbar, vorausgesetzt, Sie gehen systematisch vor.