ImageschadenKommunikations-Gau bei Vattenfall führt zum Kundenverlust
In letzter Zeit häufen sich die Kommunikations-Desaster von Unternehmen in Deutschland. Ob Airbus, Siemens oder nun Vattenfall die Fehler in der Außen-Kommunikation sind immer dieselben. Die Unternehmen informierten Mitarbeiter, Partner und Öffentlichkeit zu ihren Problemen widersprüchlich, lückenhaft, scheibchenweise, zu spät oder gar nicht. Schnell sind sie, wenn es darum geht Dementis, Abwiegelungen und Entwarnungen zu verbreiten - ohne belastbare Untersuchungsergebnisse abzuwarten.
Doch manchen großen Unternehmen macht unangemessene Kommunikation mehr zu schaffen als anderen. Ob sich ein Kommunikations-GAU verhindern lässt, hängt stark von der Branche ab. Kann ein Konzern anderweitig schnell wieder Pluspunkte einheimsen? Sind seine Produkte einzigartig? Besonders gefährdet sind die Branchen:
- Energie,
- Chemie,
- Öl, Kohle, Gas und
- Pharma
Im Vergleich mit Technikkonzernen wie Airbus oder Siemens hat ein Kommunikations-Gau bei einem Energiekonzern wie Vattenfall langfristigere Auswirkungen auf das Konzern-Image. Und wenn das Image einmal nicht mehr stimmt, lassen sich verunsicherte Kunden nur mit deutlich niedrigeren Preisen gegenüber der Konkurrenz halten. Doch Vattenfall erhöhte Anfang Juni in Berlin und Hamburg die Preise um mehr als 6,5 Prozent, ähnlich wie die drei anderen großen Versorger EnBW, RWE und Eon. Sie erhöhten die Preise schon zum Jahreswechsel und wollen dies teils erneut zum September tun. Als Folge rufen das Bundeskartellamt und Verbraucherschützer immer wieder zum Anbieterwechsel auf.
Ökostrom-Anbieter melden seither einen starken Kundenzuwachs. Kunden, die seit Juni vor allem Vattenfall verloren gehen. Das bestätigten unter anderem Greenpeace Energy, die Naturstrom AG und Lichtblick. In den vergangenen Wochen hat allein Lichtblick dreimal mehr Neukunden registriert als sonst. Vattenfall hat nach eigenen Angaben binnen eines Jahres mehrere zehntausend Kunden an die Konkurrenz verloren. Der Marktanteil in Berlin sei von 90 auf 85 Prozent gesunken.
Über Vattenfall
Das schwedische Wort für Wasserfall ist der Name des staatlichen Energieversorgers. Die ehemals "königliche Wasserfallbehörde" gewann Strom ausschließlich aus Wasserkraft. Heute stammt ein großer Teil aus Atomkraft und Braunkohle. Seit 2002 gibt es Vattenfall auch in Deutschland. Die Konzerntochter Vattenfall Europe ist mittlerweile Nummer drei unter den vier Großen im deutschen Energiemarkt. Sie ist hervorgegangen aus Hamburger HEW, Berliner Bewag und ostdeutscher Veag und Laubag. Auch in Finnland, Polen und Dänemark betreibt Vattenfall Kraftwerke.
Was zählt: Image und Geld
Das Paradebeispiel für ein Kommunikations-Desaster lieferte hierzulande Shell. Bei der beabsichtigten Versenkung der Bohrinsel Brent Spar brachte Shell mit einer Mischung aus Arroganz und Ungeschick die Öffentlichkeit gegen sich auf. Die Folge: Umsatzeinbußen in Europa, vor allem in Großbritannien.
Denn qualitativ lassen sich Produkte wie Kraftstoffe, Strom und Wärme kaum verbessern. Und zuätzliche Serviceleistungen nehmen nur wenige Großkunden wahr. Der Masse der Kunden, dem Otto-Normal-Verbraucher, geht es bei Energie vor allem um den Preis oder um ein gutes Umweltgewissen durch Strom aus regenerativen Energien. Doch auf letzteren Zug kann Vattenfall kurzfristig nur schwer aufspringen; selbst wenn wahr würde, dass die Schweden ihre Betreiberlizenz für die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel an Eon abtritt, wie das Magazin Der Spiegel spekulierte. Image und Wirtschaftsgrundlagen eines großen Konzerns umzustellen, erfordert viel Zeit und das Lernen aus Fehlern.
Aus Kommunikationsfehlern lernen
Doch von Shell und Co. hat Vattenfall bisher nicht gelernt. Auf der Pressekonferenz am 10. Juli 2007 zeigte sich: Die Konzernführung ahnte nichts von der Wirkung ihrer Kommunikationsstrategie, die vor allem auf Verschwiegenheit setzte. Auf der Konferenz kritisierte der (nun ehemalige) Vorstand Klaus Rauscher noch offensiv Kernkraftgegner: Sie würden nur Stimmung gegen Laufzeitverlängerungen machen wollen.
Den größeren Schaden fügte sich Vattenfall mit seiner Kommunikationsstrategie jedoch selbst zu. Und mit jedem Störfall wurde die Kommunikationsaufgabe für alle involvierten Manager schwieriger. Entsprechend mussten in nur drei Tagen die beiden Spitzenmanager sowie der Chef der Firmenkommunikation der deutschen Vattenfalltochter gehen. Nicht jedoch, wie im Falle Rauscher, ohne Gehalt für weitere dreieinhalb Jahre einzukassieren, wie die Berliner Zeitung berichtet. Rauscher hat von seinem Fünf-Jahres-Vertrag erst eineinhalb Jahre abgeleistet. Bei einem Jahresgehalt von einer Millionen Euro bekommt er nun noch 3,5 Millionen Euro ausgezahlt, obwohl er zurücktritt und sich anderen Tätigkeiten zuwenden kann. Ein weiteres Detail, das die Öffentlichkeit ebenso wenig erfreut, wie die vielen widersprüchlichen und scheibchenweisen Aufklärungshappen, die die Manager täglich in Begleitung neuer Problemmeldungen präsentierten: Bedienungsfehler an Ventilen, unplanmäßiger Ausfall einer Wasserpumpe, Reaktor zeitweise ohne Eigenstromversorgung, falsche Dübel, Löcher im Turbinenbereich, Probleme beim Wiederanfahren eines Reaktors. Das waren zwar alles meldepflichtige Ereignisse, doch davon werden jährlich mehr als einhundert an das Bundesamt für Strahlenschutz weitergegeben. Die Vattenfall-Problemchen erreichten auf der Gefahrenskala von 0 bis 7 alle keinen Wert über 1.
Für Bevölkerung und Politik macht das die anfängliche Verschwiegenheit von Vattenfall um so unverständlicher. Sie fördert das Misstrauen gegenüber der Kernkraft insgesamt und dem Betreiber im Speziellen.
Das Spiel auf Zeit schafft Raum für schädliche Berichterstattung
Mehr als eine Woche zu spät entschloss sich Vattenfall - über die juristischen Pflichten hinaus - die Öffentlichkeit neben den Behörden zu informieren. So ließ sich der Konzern das Heft aus der Hand nehmen: Verbände und Politiker konnten die Öffentlichkeit nach eigenem Gutdünken informieren. Gegnern eines Unternehmens öffnet solches Stillschweigen Tür und Tor , der Imageschaden vervielfacht sich.
Selbst der Chef des schwedischen Mutterkonzerns, Lars Göran Josefsson, kritisierte die Kommunikationsstrategie seiner deutschen Tochter:
[Aus dem Umgang mit den Pannen ist] eine Frage des Vertrauens zu Vattenfall entstanden. Wir waren unfähig, richtig zu kommunizieren.
Als Vattenfall-Europa-Chef Klaus Rauscher am 10. Juli 2007 versprach, die Öffentlichkeit künftig schneller und umfassender zu informieren, war es zu spät. Der Kommunikations-GAU war Realität, das Vertrauen vieler Kunden dahin. Die Kunden fragen sich: Wenn Vattenfall schon kleine Vorfälle vertuscht, was passiert dann bei noch schwerwiegenderen?
Hinzu kommt, dass sich der Konkurrenz die Möglichkeit bietet, sich von Vattenfall abzugrenzen. Ein Sprecher von RWE Power erklärte laut FAZ.net, man beobachte die Entwicklung um das Atomkraftwerk Krümmel und dessen Betreiber Vattenfall mit großer Sorge:
Wir haben die Befürchtung, dass der ein oder andere die gegenwärtige Entwicklung nutzt, um die Kernenergie in Gänze zu diskreditieren.
Die Berliner Zeitung berichtete am Samstag von massiver Verärgerung bei RWE, aber auch bei der Eon AG, wegen des schlechten Krisenmanagements von Vattenfall. Eon ist Miteigentümer der Meiler Krümmel und Brunsbüttel und fühle sich von Vattenfall ebenso schlecht informiert wie Behörden und Öffentlichkeit. Vattenfall-Chef Josefsson erwiderte:
"Die kommenden Monate werden für Vattenfall in Deutschland im Zeichen eines Neuanfangs stehen. Viel Vertrauen wurde in den zurückliegenden Wochen verspielt."
Er verlangte eine neue Firmenkultur. Künftig würden alle Informationen über die Kernkraftwerke ins Internet gestellt. Er erkannte weiter
[Vattenfall hat] seine gesellschaftliche Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen [...]. Wer hochtechnologische Anlagen wie Kernkraftwerke betreibt, muss sich [...] durch vertrauensbildenden Dialog immer wieder auch die Zustimmung der Öffentlichkeit erarbeiten. Wir stehen in einer ganz besonderen Verantwortung."
Von der angestrebten Positionierung als akzeptiertes, kundenfreundliches Unternehmen sei die deutsche Tochter zur Stunde weit entfernt. Da erscheint es folgerichtig, dass Vattenfall erstmals zum kommenden Wintersemester Studierende des Masterstudiengangs Leadership in Digitaler Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin fördert. Vattenfall scheint einen Bedarf an Kommunikations-Fachkräften zu sehen.
Hinweis
Das lernen Sie
- In Krisensituationen gilt es, das Heft in der Hand zu behalten. Wer schweigt, überlässt das Feld anderen.
- Bei schlechter Kommunikation mit der Öffentlichkeit können selbst kleine Störungen zu erheblichen Imageproblemen führen.
- In einigen Branchen wirkt sich das schlechte Image sehr schnell auf den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen aus. Der Vertrieb kann Imageprobleme nicht wett machen.
Links und Quellen
http://www.goingpublic.de/news/...
http://www.welt.de/wirtschaft/...
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/...
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/...
[TL | Bilder: PhotoCase.de]