KonsumentenenergieWenn der Kunde das Sagen hat
Das Phänomen des emanzipierten Kunden gewinnt im Zeitalter von Digitalisierung und Web 2.0 für Unternehmen immer mehr an Bedeutung und macht ein Überdenken der bisherigen Unternehmensstrukturen notwendig. Während derzeit erst 17 Prozent der Unternehmen der neuen Macht der Kunden eine hohe bis sehr hohe Bedeutung beimessen, wird die „Customer Energy“ bis 2015 bereits für drei Viertel der Unternehmen zum kritischen Erfolgsfaktor.
Unternehmen, denen es nicht gelingt, Kunden in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren, müssen bis 2015 mit Umsatzeinbußen von bis zu 16 Prozent rechnen. Dies geht aus einer internationalen Studie der Top-Managementberatung A.T. Kearney hervor, für die gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut IPSOS branchenübergreifend 3.000 Verbraucher sowie Unternehmen befragt wurden. Durch die Nutzung der „Customer Energy“ können enorme Umsatzsteigerungen sowie Kostenoptimierungen von durchschnittlich 5 bis 7 Prozent auf jeder einzelnen Wertschöpfungsstufe erzielt werden. Um diese weitreichenden Möglichkeiten zu nutzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sollten Unternehmen
- Kunden nach ihrem Energiepotenzial segmentieren,
- ihre Unternehmensstrategie radikal überdenken und
- ihre Kunden beispielsweise durch offene Plattformen vor allem besser in die Produktentwicklung einbinden.
Dr. Martin Fabel, Principal bei A.T. Kearney und Leiter der Studie, beschreibt die Customer Energy so:
„Das Phänomen der Customer Energy an sich ist nicht neu, hat durch die Digitalisierung und Web 2.0 jedoch eine andere Qualität erhalten. Zielte Web 2.0 auf den Austausch zwischen den Internet-Usern, beschreibt Customer Energy die Beziehung von Kunden und Interessenten zum Unternehmen. Beispiele wie Wikipedia, Tripadvisor, YouTube oder Ebay verdeutlichen, dass sich das Verhalten der Konsumenten in den letzten Jahren verändert hat. Der moderne, emanzipierte Kunde akzeptiert nicht mehr länger stillschweigend als reiner Konsument seinen Platz am Ende der Wertschöpfungskette, sondern nutzt vor allem das Internet aktiv für seine neue Rolle als Entwickler, Produzent und Kritiker von Produkten. Auf diese neue Macht des Kunden müssen sich Unternehmen einstellen und ihr begegnen, wollen sie wettbewerbsfähig bleiben.“
Die Bedeutung von Customer Energy und die Chancen, die sich aus deren Nutzung ergeben, haben viele Unternehmen zwar bereits erkannt – das damit verbundene Potenzial jedoch in den wenigsten Fällen bereits ausgeschöpft. Die A.T. Kearney-Studie zeigt, dass bereits heute etwa jedes fünfte Unternehmen (17 Prozent) der Customer Energy einen erfolgskritischen Stellenwert beimisst und dieser weiter signifikant steigen wird.
Für 2010 halten 43 Prozent und für 2015 sogar 75 Prozent der befragten Unternehmen das Nutzen der Kundenenergie für sehr wichtig. Insbesondere der Handel, Unterhaltungselektronik-, Telekommunikations- und Medienindustrie erwarten, dass Customer Energy immer mehr an Bedeutung gewinnt, während für die Energie- und Versorgungswirtschaft, die Automobilindustrie und den Bereich Banken die Bedeutung geringer eingeschätzt wird.
Die Studie macht deutlich, dass sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette Kostenoptimierungen durch die Nutzung der Customer Energy realisieren lassen. Für jede einzelne Stufe belaufen sich diese auf durchschnittlich 5 bis 7 Prozent. Für den Handel ergibt sich beispielsweise durch die Einbindung der Kunden in den Bereich Innovation und Sortimentsbildung ein Kostenverbesserungspotenzial von 17 Prozent.
Branchenübergreifend sehen die Unternehmen bis 2015 insbesondere in den Bereichen Customer Care und Marketing das größte Potenzial und rechnen bis 2010 mit einer Umsatzsteigerung von durchschnittlich 7 beziehungsweise 4 Prozent. Die Kunden selbst wünschen allerdings bereits viel früher in den Wertschöpfungsprozess einbezogen zu werden. Dies gilt insbesondere für Innovation, in die 39 Prozent einbezogen werden möchten, und den Bereich Qualitätsmanagement (47 Prozent).
Defizite im Managen der Kundenbeziehungen
Laut Fabel zeige die Studie, dass die Unternehmen ihr aktiven und kreativen Kunden vielfach gar nicht erreichen. 54 Prozent der befragten Unternehmen kennen ihre Kunden nicht, die über eine hohe Customer Energy verfügen und bieten weder einen Kanal noch einen Prozess an, um mit ihnen in Interaktion zu treten. Im Bereich Banken und Versicherungen sowie in der Telekommunikationsindustrie ist der Anteil mit 80 beziehungsweise 70 Prozent noch viel höher. Fabel führt weiter aus:
„Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, da insbesondere Branchen wie Banken und Versicherungen, Telekommunikation, Travel und Transportation sowie Energie- und Versorgungswirtschaft durch ihre Vertragskundenstruktur und Customer Relationship Management (CRM) ihre Kunden besser kennen müssten.“
Diese Ergebnisse decken sich mit der Einschätzung der Konsumenten und offenbaren enorme Defizite im Management der Kundenbeziehungen: Vier von fünf der befragten Endverbraucher sind der Meinung, dass 81 Prozent der Unternehmen ihr produktives Potenzial noch nicht erkannt haben. 60 Prozent der Konsumenten ist schlicht nicht bekannt, wie sie zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen können. Vor allem die Medienindustrie scheint auf den Austausch und den Dialog mit den Kunden noch nicht vorbereitet zu sein: Hier wissen 80 Prozent der befragten Konsumenten nicht, über welche Kanäle sie Kontakt zu den Unternehmen aufnehmen können. Lediglich 11 Prozent der Befragten gaben an, zu wissen, dass ihre Anregungen und Beiträge auch angenommen wurden. Fabel stellt fest:
„Welche Folgen es haben kann, die Bedürfnisse und Fähigkeiten seiner Kunden nicht zu kennen und ihnen nicht auf Augenhöhe zu begegnen, hat die Musikindustrie in den letzten Jahren leidvoll erfahren müssen und letztlich mit einem enormen Umsatzeinbruch bezahlt. Die Musikindustrie hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und es versäumt, die Energie ihrer Kunden in ihre eigenen Geschäftsprozesse einzubinden. Die bessere digitale Vernetzung hat es den Kunden ermöglicht, eigene Wege bei der Produktion und dem Vertrieb von Musik zu beschreiten.“
Immerhin 5 Prozent aller Konsumenten sind bereit, eine Stunde oder mehr ihrer Zeit für „ihr“ Unternehmen zu investieren – unter den ganz aktiven potenziellen Content-Lieferanten sind es sogar 11 Prozent. Die Motivation hierfür ist insbesondere Neugier, die über 50 Prozent der befragten Konsumenten als Hauptgrund angeben. Aber auch soziale Anerkennung (30 Prozent) und finanzielle Motive (31 Prozent) sowie Spaß (26 Prozent) spielen eine große Rolle. In dieser Frage überschätzen sich die meisten Unternehmen allerdings: Sie sehen vor allem die Identifizierung mit der Marke und Verbraucherfreundlichkeit als zentrale Beweggründe an.
Eine wichtige Erkenntnis für viele Unternehmen: Ohne gezielte Aktivierung der Content-Ersteller bleibt eine Web 2.0-Plattform eine IT-Investitionsruine. Erst wenn die Angebote für die eigene Einbringung auch ausreichend genutzt werden, entsteht auf einer Internetseite Traffic, der sehr schnell für das Unternehmen wirtschaftlich bedeutsam wird.
Ein Beispiel für die Integration und Umsetzung von Kundenwünschen
Um die Vorschläge von Kunden zu bündeln, hat der Computer-Hardware-Hersteller Dell im Internet die interaktive Plattform "Dell Idea Storm" eingerichtet. Dort können Nutzer ganz unkompliziert Ideen für neue Produkte und Services vorschlagen. Sie können auch Ideen von anderen Nutzern kommentieren und deren Ideen "promoten" (positiv bewerten) oder "demoten" (negativ bewerten).
Durch die Zählung von positiven und negativen Bewertungen schwimmen gute Ideen auf und sind in der Kategorie "Popular Ideas" gesondert abrufbar. Dell gibt auch Feedback, welche Ideen bereits aufgegriffen wurden beziehungsweise in nächster Zeit berücksichtigt werden. Diese Rückkoppelung ist enorm wichtig und zudem vertrauensbildend.
Dell Idea Storm ist eine simple – aber gut umgesetzte – Lösung, um Kunden und Interessierte in die stetige Verbesserung des Angebots einzubinden. Über 9.000 Ideen und konstruktive Kritiken hat das interaktive Forum bereits generiert. Darunter mögen zwar wenig bahnbrechende Innovationen sein, aber doch eine ganze Menge an Dingen, die Dell aufgreifen und verbessern kann.
[Quelle: Beratungsletter von Förster & Kreuz]
Wettbewerbsvorteile schaffen durch Customer Energy
„Unternehmen, die ihre Kunden kennen und denen es gelingt, die Customer Energy gezielt zu nutzen, können nachhaltige Wettbewerbsvorteile entlang der gesamten Wertschöpfungskette erzielen. Sie müssen sich die Chancen, die die Nutzung der Customer Energy birgt, bewusst machen und bereit sein, einen Teil der Kontrolle und Verantwortung auf die Kunden zu übertragen“,
so Fabel. Dabei gilt es, Risiken und Vorteile entlang der verschiedenen Wertschöpfungsstufen zu bewerten und eine Strategie zu definieren und zu implementieren, die auf den Grundsätzen der Customer Energy basiert und über die herkömmlichen Formen des Kundenmanagements (CRM) hinaus geht. Zudem sollten Unternehmen ihre Internetstrategie überdenken, um die Kunden beispielsweise über offene Plattformen besser in die Produktentwicklung zu integrieren und damit zu einer nachhaltigen Verbesserung des Innovationsmanagements beitragen.
[po; Quelle: A.T. Kearney; Bild: Fotolia.com]