KundenmanagementZurück zum Tante-Emma-Prinzip

Prediktives und adaptives Entscheidungsmanagement ermöglichen ein Comeback der traditionellen Kundenbindung.

Natürlich war früher nicht alles besser – aber einiges durchaus. Zum Beispiel der Kundenservice. Im mittlerweile legendären Tante-Emma-Laden wurde man ja nicht nur mit Namen angesprochen; der Inhaber wusste auch, was man wann zu kaufen pflegte, er kannte die ganze Familie, er wusste, wo die Kinder in die Schule gehen und wenn jemand krank war. Seine „Business Intelligenz“ bestand darin, diese Informationen zu verknüpfen, sie mit aktuellen Informationen – etwa dem Wetter oder lokalen Ereignissen – zu kombinieren und so nicht nur ein angenehmes Einkaufserlebnis zu schaffen, sondern auch konkrete Kaufempfehlungen abzuleiten.

Ähnlich lief es in anderen Bereichen ab: In der Buchhandlung, im Blumenladen, am Kiosk, aber auch in der Bankfiliale oder beim Versicherungsvertreter in der Nachbarschaft – alle kannten die persönlichen Lebensumstände ihrer Kunden und stimmten ihre Angebote darauf ab. Dass die Konversionsrate dabei ziemlich hoch war, versteht sich. Umgekehrt war aber auch die Loyalität der Kunden keine Frage, man sprach nicht ohne Grund von „seinem“ Laden oder „seiner“ Bank.

Im Massenmarkt sind Kunden anonym

Der moderne Massenmarkt kann von so einer Kundenbindung nur träumen. Hier arbeiten auf höchste Effizienz getrimmte IT-Systeme, in denen der einzelne Kunde nur eine marginale Rolle als Transaktionsposten spielt. Die Kunden sind anonym, nicht nur im Internet, sondern auch in den großen Shops. Dass die Kunden ihrerseits nicht loyal, sondern auf ihre Weise ebenfalls „effizient“ agieren, verwundert dabei nicht. Da das nächste Angebot heutzutage nur einen Klick entfernt ist, sind sie in fast allen Branchen extrem wechselwillig.

So ist es beispielsweise bei Kfz-Versicherungen, die ein weitgehend standarisiertes und gut vergleichbares Produkt darstellen, längst üblich, jedes Jahr den Versicherer zu wechseln. Früher war das undenkbar. Unternehmen tragen zu diesem Wechselverhalten oft selbst bei, sei es dadurch, dass sie ihre Altkunden nicht pflegen oder Neukunden explizit bessere Konditionen einräumen.

Allerdings wissen Unternehmen auch, dass es um ein Vielfaches teurer ist, neue Kunden zu gewinnen als alte zu halten. Kundenloyalität ist also nicht nur ein romantisches Relikt aus der Tante-Emma-Ära, sondern ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Je weniger Produkte und Leistungen unterscheidbar sind wie beispielsweise in Märkten wie Sachversicherung oder Telekommunikation, je niedriger also die sachlichen Wechselhürden sind, desto wichtiger wird es für die Anbieter, Kunden zu halten.

Business Intelligence reicht nicht aus

Im Massenmarkt wird daher seit einiger Zeit versucht, das Loyalitätsdefizit durch intelligente IT-Systeme auszugleichen und den Kunden so zu erreichen und zu betreuen, als wäre er noch persönlich bekannt. Der Anspruch, den moderne Systeme für Kundenbetreuung damit stellen, wird in der Praxis jedoch meist nicht eingelöst: Auf der einen Seite (Outbound) werden die Kunden von Informationen überschwemmt, die sie gar nicht haben wollen; sie werden rücksichtslos mit Werbung zugemüllt. Diese Bedienung per Gießkanne ist für die verursachenden Unternehmen nicht nur höchst ineffizient, sondern am Ende ist der verärgerte Kunde auch nicht loyaler als zuvor.

Wendet sich der Kunde jedoch mit einem Anliegen an das Unternehmen (Inbound), wird in der Regel nur sehr unzureichend darauf eingegangen. Erst recht nicht, wenn es sich um Anliegen handelt, die in den Standardverfahren nicht vorgesehen sind. Auch Business-Intelligence-Systeme können diese für alle Seiten unbefriedigende Situation nicht lösen. Sie arbeiten regelbasiert und sind damit letzten Endes zu statisch. Kurzfristige Reaktionen auf dynamisches Kundenverhalten – Kunden sind nun einmal so – lassen sich mit ihnen nicht abdecken; was außerhalb des Regelwerks steht, bleibt unberücksichtigt.

Momentane Kundeninteraktion für Informationen nutzen

Eine Lösung schaffen erst Kundenmanagement-Systeme auf Basis von prediktivem und adaptivem Entscheidungsmanagement (Decisioning). Sie sind in der Lage, unter Berücksichtigung der verfügbaren Informationen die nächstbeste Aktion auszuwählen und dem Berater interaktiv vorzuschlagen. In die Analyse gehen sowohl die Daten über das Kundenverhalten in der Vergangenheit ein – zum Beispiel wie lange eine Vertragsbeziehung bereits besteht – als auch kontextuelle Informationen, die erst im Moment der Kundeninteraktion entstehen. Zum Beispiel:

  • Anrufgrund des Kunden
  • Webseite, von der er weitergeleitet wurde
  • Wartezeit in der Warteschleife des Callcenters

An der Qualität der Vorschläge der Analyse zeigt sich, dass die kontextuellen Informationen von besonderem Wert für eine Entscheidung sind. Wichtig ist, aus den Ergebnissen der Analyse keine statischen Regeln abzuleiten. Vielmehr müssen Muster im Kundenverhalten stets aufs Neue überprüft werden, um kurzfristig auf äußere Einflüsse reagieren zu können. Kommt es beispielsweise in einer Stadt wiederholt zu Brandanschlägen auf parkende Autos und berichtet die lokale Presse ausführlich darüber, dann wird die Bereitschaft der Kunden vor Ort steigen, eine Vollkaskoversicherung für ihr Auto abzuschließen. 

Prediktive Modelle berücksichtigen im Wesentlichen die historischen Daten aus vorangegangenen Transaktionen, die hinsichtlich auftretender Muster und Fluktuationen analysiert und deren Ergebnisse in die operativen Systeme eingespeist werden; ausgewertet werden darüber hinaus alle verfügbaren Informationen, soweit sie relevant sein können – von der Familiensituation bis zu aktuellen Wetterdaten. Auf diese Weise lassen sich Schlüsse auf das wahrscheinliche Kundenverhalten ziehen.

Adaptive Analyse geht einen Schritt weiter

Nutzt die prediktive Analyse historische Daten aus der bisherigen Kundenbeziehung und dem Umfeld, um daraus Prognosen und Handlungsanweisungen abzuleiten, so geht die adaptive Analyse einen Schritt weiter: Es werden nicht nur historische Datenbestände analysiert, sondern auch kontextuelle Informationen zu den einzelnen Kundeninteraktionen. Jede Interaktion wird auf alle Eigenschaften abgeklopft und auf das Ergebnis der Interaktion projiziert. Dabei werden nicht nur alternative Produkte abgefragt, sondern auch verschiedene Ansprachen und Argumentationsmuster.

Das Ergebnis geht direkt in das analytische Model ein und steht bereits bei der nächsten Interaktion als Information zur Verfügung. Zunächst werden die jeweiligen Alternativen zufällig aufgerufen, aber nach einigen hundert Transaktionen hat das System gelernt, welche der alternativen Produkte oder Ansprachen es einem bestimmten Kunden präsentieren sollte, um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass der Kunde das Angebot annimmt.

Reaktion auf dynamisches Kundenverhalten

Dabei können sich adaptive Modelle selbst überprüfen: Die Frage, ob der Kunde beispielsweise auf lokale Schadensereignisse reagiert, kann wiederum in die Daten für künftige Entscheidungsstrategien eingehen. Zugleich muss das System offen für Zufallsentscheidungen sein. Ein intelligentes Modell reserviert daher einen kleinen Anteil von Entscheidungen, um mögliche Verhaltensvarianten der Kunden auszutesten: Bietet der Konkurrent besonders günstige Konditionen, dann erwarten die eigenen Kunden ebenfalls Preissenkungen. Bei statischen Regelwerken erfährt man dagegen nie, was sonst noch möglich gewesen wäre, es sind also keine Reaktionen auf dynamisches Kundenverhalten möglich.

Bei diesen Analysen geht es jedoch nicht darum, sichere Eintrittsvorhersagen zu treffen oder gar Kunden mittels Datenanalyse zu manipulieren. Vielmehr geht es darum, unter Nutzung der gesammelten Informationen Veränderungen im Kundenverhalten zu antizipieren und die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung zu den eigenen Gunsten zu verschieben – und sei es nur ganz geringfügig. Wer zum Beispiel den Abschluss einer Hausratversicherung schon erwogen hat, wird – sofern er im richtigen Moment auf die richtige Weise angesprochen wird – unter Umständen positiv reagieren. So sind etwa auch Service- und Garantiefälle Situationen, in denen Kunden sehr sensibel auf die richtige oder falsche Ansprache reagieren.

Adaptive und prediktive Analyse sollten sich ergänzen

Der Vorteil der adaptiven Analyse gegenüber der prediktiven liegt im geringeren Aufwand, denn die adaptive Analyse optimiert sich automatisch und kann auch schneller auf unbekannte Trends reagieren. Vergleicht man beide Verfahren durch die Einführung einer Test- und einer Kontrollgruppe und betrachtet eine für das jeweilige Unternehmen relevante Geschäftskennzahl, zeigt sich, dass die adaptive Analyse zu besseren Ergebnissen führt. Allerdings ist die prediktive Analyse in der Anfangsphase von Projekten, wenn die adaptive Analyse noch keine Erfahrungsfälle aufweisen kann, überlegen. Insgesamt sollten sich beide Modelle also ergänzen.

Adaptives Entscheidungsmanagement ist dabei immer abhängig von den Unternehmenszielen: Das Modell muss abbilden, ob das Ziel primär Kundenbindung heißt oder ob Umsatz beziehungsweise Profit maximiert werden sollen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Kundengruppen: in einem Fall wird man einem wechselwilligen Kunden vielleicht ein attraktives Angebot machen, im anderen Fall wird die kostbare Zeit am Telefon auf ein Minimum reduziert und die Kündigung des Kunden bereitwillig akzeptiert. 

Kunden individuell ansprechen

Durch die große Zahl der Entscheidungen, die durch solche Analysen gestützt werden, ergeben sich in der Summe dramatische Auswirkungen auf relevante Geschäftskennzahlen wie Kundenzufriedenheit, Umsatz oder Marge. Durch die Fülle von Daten, die heute grundsätzlich zur Verfügung stehen, lassen sich sehr differenzierte Entscheidungsstrukturen aufbauen.

Mit prediktivem und adaptivem Entscheidungsmanagement müssen Unternehmen ihre Kunden nicht mehr segmentieren, sondern können sie – unter Berücksichtigung kontextueller Informationen – individuell ansprechen. Das Ergebnis ist 1:1-Marketing mit minimalen Streuverlusten, das sich flexibel auf die jeweiligen Unternehmensziele abstimmen lässt. Klingt gut, ist im Grundsatz aber alles andere als neu, denn 1:1-Marketing war in der Tante-Emma-Ära das übliche Verfahren, um Kunden zu erreichen.

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