KundenorientierungWerden Sie zum Kundenflüsterer!
Neulich wollte ich am Bahnhof Berlin-Spandau die Toilette benutzen. Vor dem Drehkreuz des „WC Center“ stand ein Koffer, mit dem ein Kleinkind gerade noch durch das Drehkreuz gepasst hätte. Ein erwachsener Mensch hingegen nicht. Die Botschaft: Es ist unmöglich, mit Gepäck durchs Drehkreuz zu gelangen. Welche Frage wirft das im Kopf eines Kunden auf? Ganz einfach: Wie um alles in der Welt kann man bei der Planung einer Bahnhofstoilette übersehen, dass Reisende in aller Regel Gepäck bei sich haben? Oder einfacher: Wieso ignoriert man die Perspektive der Kunden? Es ist nur eines von vielen Beispielen, in denen Unternehmen am Kunden vorbei handeln. Doch die Geschichte erfährt eine Wendung.
Kundenorientierung hängt von der Fantasie der Mitarbeiter ab
Nutze ich eben die Behindertentoilette, dachte ich. Die gibt es auch, mit einer großen Tür. Also frage ich am „Service Point“ nach dem Schlüssel. Doch den bekomme ich nur gegen Vorlage eines Behindertenausweises. Und so einen habe ich nicht. Natürlich wende ich mich an die Bahn und an den WC-Provider. Am Ende stehen zwei Ergebnisse:
- Die Bahn klärt intern, dass Reisende mit Gepäck am Bahnhof Spandau den Schlüssel ausgehändigt bekommen.
- Der WC-Provider schickt mir überraschend per Post einen Schlüssel – und der passt an jeder Behindertentoilette an deutschen Bahnhöfen.
Mir sagt diese Episode: Ob ein Unternehmen kundenorientiert handelt, hängt von der Fantasie der Mitarbeiter ab. Und: Oft sind Lösungen so naheliegend, dass man nicht darauf kommt. Nun stellt sich die Frage: Lässt sich kundenorientiertes Denken schulen? Ja, das geht, wenn wir öfter bestimmte Dinge beachten würden.
Wir sollten uns selbst nicht wichtig nehmen
Das allererste Prinzip für ein Denken im Sinne des Kunden ist es, sich zurückzunehmen. Ja, ich weiß: Sie haben allerhand geleistet, Sie sind spezialisiert, Sie sind großartig. Alles richtig. Doch versuchen Sie einmal, den Fokus von sich selbst wegzulenken. Wer sich nur mit sich selbst befasst, ist nicht offen für Signale von außen. Und hierauf gilt es die Aufmerksamkeit zu richten. Eine gute Wahrnehmung gelingt nur, wenn wir uns nicht ständig selbst betrachten. Betrachten wir uns also zunächst einmal als unwichtig. Gelingt Ihnen das?
Wir sollten mit einem anderen Kopf denken
Wichtig ist nicht, was wir schon wissen. Wichtig ist, was wir noch nicht wissen. Wenn Sie von dem ausgehen, was Sie schon wissen, werden Sie immer das Gleiche denken. Wer jahrzehntelang per Katalog verkauft hat, verpasst das Internet. Wer jahrzehntelang auf Negativfilme gesetzt hat, verpasst die Digitalfotografie. Jedenfalls dann, wenn er nur mit dem eigenen Kopf denkt. Können Sie mit einem anderen Kopf denken? Können Sie Ihr Denken zurückfahren und überlegen, wie andere Menschen ticken? Können Sie denken wie sie?
Wir sollten unsere Wahrnehmung verbessern
Was geht um Sie herum vor? Wenn Sie wissen wollen, was Kunden brauchen und wollen, sollten Sie hinhören. Welche Signale senden Menschen aus? Eine gute Wahrnehmung hat ein wenig mit ZEN-Buddhismus zu tun: Meinungen und Vorurteile stören, weil wir Neues damit sofort bewerten. Eine Wahrnehmung ist dann gut, wenn Sie vollkommen offen sind, und wenn nichts in Ihnen gleich kommentiert. Nur dann sind wir bereit, relevante Informationen aufzunehmen – zum Beispiel darüber, was unsere Kunden wünschen. Können Sie die Kommentarfunktion abschalten?
Wir sollten Lösungen statt Portfolios kommunizieren
Die meisten Unternehmen sprechen von sich selbst. Sie sagen beispielsweise: Wir verkaufen Sportartikel. Aber niemand sucht Sportartikel. Die Menschen suchen Fahrradhosen und Laufschuhe. Können Sie Ihr Portfolio abstrahieren? Nicht das Sortiment ist interessant. Interessant ist einzig, welchen Bedarf Sie mit welcher Lösung decken können. Erst im zweiten Schritt ergibt sich, mit welchem Teil Ihres Sortiments Sie das tun. Können Sie den Bedarf der Menschen nach vorne rücken statt Ihr Angebot?
Wir sollten den Nutzen statt das Produkt kommunizieren
Der Obi-Gründer Manfred Maus sagte einmal: „Der Kunde will keinen Bohrer. Er will ein Loch in der Wand.“ Was ist das „Loch in der Wand“ bei Ihrem Produkt? Ein Zahnarzt bekommt keine Kunden, wenn er mit dem wirbt, was er tut. Er bekommt Kunden, wenn er mit dem Effekt wirbt, also mit dem, was der Kunde am Ende davon hat. Kommunizieren Sie den Nutzen?
Wir sollten Relevanz aus Kundensicht erzeugen
Sicherlich kennen Sie Einladungen zum Tag der offenen Tür. Vielleicht haben Sie selbst schon einmal welche an die Presse gegeben. Als Redakteur (Perspektivenwechsel!) sitzt man dann davor und fragt sich: Was soll ich in diesem Möbelhaus? Intern denken Ihre Mitarbeiter, der Tag der offenen Tür sei ein riesiges Projekt und mega-wichtig. Ist er aber draußen nicht. Relevanz funktioniert also nicht, indem Sie etwas kommunizieren, was für Sie relevant ist. Es muss für Externe relevant sein. Wie erzeugen Sie Relevanz aus Kundensicht?
Wir sollten uns allgemeinverständlich ausdrücken
Untereinander sprechen Fachleute Fachsprache. Dagegen spricht nichts. Aber gegenüber dem Publikum sollten wir uns klar ausdrücken – denn ansonsten verringern wir die Reichweite. Sicher haben Sie schon mal von gesättigten und ungesättigten Fettsäuren gelesen. Welche noch mal sind gesund? Ich verrate Ihnen ein simples Geheimnis: Halten Sie sich vorwiegend an pflanzliche Fette, und Sie sind im Großen und Ganzen auf der richtigen Seite. Welche Fette nun gesättigt oder ungesättigt sind, ist in dem Augenblick egal – die wissenschaftliche Einordnung ist in der Anwendung nicht wichtig. Drücken Sie sich so aus, dass die Leute Sie verstehen?
Wir sollten vom Unwissen der Menschen ausgehen
Ruft ein Kunde den Support an, hat er einen Grund dazu. Zahlreiche Unternehmen behandeln Anrufer so, als seien sie Mitarbeiter mit internem Wissen. Doch der Anrufer kann nicht wissen, wie Sie Ihre Routinen programmiert haben. Und wenn Sie ihm mailen, dass Sie sich gerne um sein Anliegen kümmern und im nächsten Absatz auf die FAQ im Internet verweisen, dann weiß der Kunde nicht, ob Sie sich nun kümmern oder nicht. Setzen Sie draußen internes Wissen voraus? Vielleicht sollten Sie eher vom Unwissen der Menschen ausgehen. Können Sie das?
Wir sollten Feedback qualitativ erfassen
Gewiss kennen Sie die üblichen Feedback-Bögen und Kundenbefragungen. In aller Regel haben Sie einzelne Punkte, die Sie per Skala bewerten sollen. Doch was bringt es, wenn Sie erfahren, dass der Kunde „im Großen und Ganzen“ mit einer Leistung zufrieden ist? Perfekt ist die Leistung dann offenbar nicht. Doch was fehlt? Skalen sind nur begrenzt brauchbar. Gehen Sie prinzipiell davon aus: Nur ein Mensch kann wirklich sinnvoll qualitativ denken. Eine Maschine denkt eher quantitativ. Sprechen Sie mit den Leuten, statt sie IT-Routinen zu unterwerfen?
Wir sollten Kunde spielen
Eine Empfangsdame, die Sie in die falsche Tiefgarage schickt, weil sie selbst noch nie da unten war. Ein Hoteldirektor, der von seinem funktionierenden Internet-Anschluss darauf schließt, dass auch Sie im Hotelzimmer eine Verbindung haben. Mitarbeiter von Unternehmen, die nicht wissen, dass ihre Anmelde-Routinen im Internet ins Nirvana führen. Woran liegt das? Es liegt daran, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur selten den Prozess des Kaufs durchspielen. Dabei würden sie dadurch erst von den wirklich wichtigen Dingen erfahren. Spielen Sie Kunde?
Wir sollten den Kunden von heute würdigen
„Na ja“, sagt da mancher Manager alten Schlages. „Wir bieten eben etwas an. Ist doch Sache der Kunden, ob sie sich dafür oder dagegen entscheiden! Warum sollen wir die Perspektive wechseln?“ Sehen Sie, genau das denke ich nicht. Ich denke, es gibt zwei Arten von Kunden: Für den Kunden von früher zählt, was ihn erwartet. Der Kunde von heute ist anders: Für ihn zählt, was er erwartet. Wer auch künftig noch Kunden haben will, sollte das vielleicht berücksichtigen.