LeistungsbeurteilungLeistungen zu bewerten ist out
Beurteilungssysteme sind nicht beliebt. Trotzdem gibt es sie in den meisten Unternehmen. Der Grund: Viele Personalverantwortliche sehen in Beurteilungssystemen ein wichtiges Tool, mit dem sie so genannte „High-Performer“ und „Low-Performer“, also Leistungsträger und Minderleister, identifizieren, die Leistung der Mitarbeiter transparent und vergleichbar machen, über Gehälter, Zulagen und Beförderungen entscheiden und die Mitarbeiter motivieren. Außerdem haben fast alle Wettbewerber ein Beurteilungssystem. Warum sollte also man selbst darauf verzichten?
Sind Beurteilungssysteme noch zeitgemäß?
Doch erfüllen Beurteilungssysteme noch die genannten Funktionen oder sind sie Relikte aus einer Zeit, in der die Betriebe noch weitgehend tayloristisch organisiert waren, Führung ausschließlich hierarchisch verstanden wurde und (fast) jeder Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung hatte, in der seine Aufgaben exakt definiert waren?
Personalexperten äußern zum Teil Bedenken, inwieweit traditionelle Beurteilungssysteme noch den Arbeitsinhalten und -beziehungen modern geführter und strukturierter Unternehmen sowie den Erwartungen autonomer Mitarbeiter gerecht werden. Viele befürchten sogar, dass bei zunehmender Team- und Projektarbeit über Bereiche und Hierarchien hinweg sowie bei den sich immer schneller wandelnden Herausforderungen an die Mitarbeiter, Beurteilungssysteme die Motivation der Mitarbeiter und somit auch deren Leistung eher mindern.
Beurteilungen entsprechen selten der Realität
Trotzdem halten viele Unternehmen an ihren Beurteilungssystemen fest, obwohl diese im Betriebsalltag zuweilen bizarr ausgeprägt sind. Vor allem dann, wenn von der Beurteilung eines Mitarbeiters auch die Höhe seines künftigen Gehalts, seiner Prämie oder gar seine Beförderung abhängt. Nicht wenige Unternehmen geben ihren Führungskräften dann vor, wie viel Prozent ihrer Mitarbeiter sie als „High-Performer“ einstufen dürfen und wie viel Prozent sie als „Low-Performer“ einstufen müssen. Damit soll auch verhindert werden, dass konfliktscheue Führungskräfte die Leistung nahezu aller Mitbewerber als „gut“ oder „sehr gut“ einstufen. Nicht selten werden die Beurteilungen bei den Einzelkriterien auch gemittelt, sodass aus einem Mitarbeiter mit einer geringen Kundenorientierung aber einem hohen Arbeitstempo unter dem Strich ein „guter“ Mitarbeiter wird.
Hinzu kommt: Beurteilungssystemen sind mit hohem administrativen Aufwand verbunden. Doch weil die Bezahlung der Mitarbeiter individuell erfolgt – selbst wenn die Leistung im Arbeitsalltag weitgehend im Team erbracht wird – halten viele daran fest. Gleichzeitig soll die individuell ausgehandelte Vergütung gerecht sein. Also muss, so das Credo, die Leistung individuell gemessen werden, damit sie bewertbar und vergleichbar wird. Diese auf dem Leistungsprinzip basierende Logik haben auch die Mitarbeiter verinnerlicht, weshalb sie Beurteilungssysteme und die damit verbundene Leistungsmessung und -bewertung als notwendiges Übel akzeptieren.
Beurteilungen sind wie Schulnoten
Damit ist jedoch noch lange nicht gesagt, dass dieses Verfahren auch die damit verbundenen Ziele des Unternehmens unterstützt. Leistungsmessungen unterliegen zum Beispiel folgender Problematik: Die ihr zugrunde liegenden Mitarbeitergespräche fokussieren sich nicht darauf, wie die Leistung des Mitarbeiters gesichert oder gar gesteigert werden kann. Also spielen in den Gesprächen mit dem Mitarbeiter auch folgende Fragen gar keine Rolle:
- Was erfordert die aktuelle oder künftige Arbeitssituation?
- Welche Ziele gilt es künftig zu erreichen?
- Was bedeutet dies für das Verhalten beziehungsweise Tun des Mitarbeiters?
- Bringt er hierfür die erforderlichen Voraussetzungen mit?
- Welche Unterstützung und Förderung benötigt er, um künftig seinen Beitrag zum Erreichen der Ziele zu leisten?
Stattdessen konzentriert sich das Gespräch auf die Leistung des Mitarbeiters in der Vergangenheit. Was für ihn zählt, ist nicht die Frage, wie er seine Leistung steigern und auch in einem veränderten Unternehmensumfeld erbringen kann. Wichtig ist für ihn primär die „Note“ für seine erbrachte Leistung. Denn sie entscheidet unter anderem darüber, ob er zum Beispiel eine Gehaltserhöhung oder Prämie erhält. Alle anderen Fragen, die in dem Gespräch mit seiner Führungskraft eventuell noch erörtert werden, sind für ihn von untergeordneter Bedeutung. Wäre es also vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, auf solche Beurteilungen zu verzichten, damit in den Mitarbeitergesprächen wieder die Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht, im Vordergrund stehen?
Individuelle Leistung ist schwer messbar
Die den Beurteilungssystemen zugrunde liegende individuelle Leistungsmessung und -bewertung wird der Arbeitssituation in modern geführten und strukturierten Unternehmen, die zunehmend vernetzte Systeme sind, immer weniger gerecht. Hier werden die Leistungen, zumindest in den Kernbereichen, zunehmend in Teams erbracht. Die Leistung des einzelnen Mitarbeiters hängt immer stärker von der Zuarbeit sowie Qualität der Leistung von Kollegen oft auch aus anderen Unternehmensbereichen ab. Daher ist es immer schwieriger, den Beitrag, den ein Bereich zum Erreichen der Unternehmensziele leistet, zu messen und zu quantifizieren. Auch, weil die Arbeitsinhalte und -prozesse in den Bereichen kaum vergleichbar sind. Noch schwieriger ist dies bezogen auf die einzelnen Mitarbeiter, selbst wenn sie anscheinend identische Aufgaben haben. Denn meist sind die Rahmenbedingungen verschieden, unter denen sie diese wahrnehmen.
Das heißt: Die Unternehmen agieren bei ihren Beurteilungssystemen oft mit einem vagen Leistungsbegriff. Dieser wird als Basis für aus Mitarbeitersicht so weitreichenden personalwirtschaftlichen Entscheidungen wie Gehaltserhöhungen und Prämien, Beförderungen und Versetzungen sowie im Extremfall sogar Kündigungen herangezogen. Deshalb werden die Beurteilungen gerade in Unternehmen, in denen die Leistungen weitgehend im Team erbracht werden, immer häufiger als ungerecht und demotivierend empfunden. Die Mitarbeiter haben das Gefühl, ihr Beitrag, den sie zum Erreichen der Ziele leisten, wird nicht adäquat wahrgenommen und geschätzt. Gleiches denken sie über sich selbst als Persönlichkeit.
Zahl der Beurteilungsfehler steigt
Wenn aber die Leistung einzelner Mitarbeiter nicht eins zu eins zugeordnet werden kann und Führungskräfte womöglich noch aus der Ferne führen, erhöht sich die Zahl der Beurteilungsfehler automatisch. Somit steigt auch die Zahl der als ungerecht empfundenen Gehaltserhöhungen, Prämien oder Beförderungen, was wiederum zu Disharmonien und auch Konflikten im Team führt. Führungskräfte sehen daher in der Beurteilung ihrer Mitarbeiter oft auch nur eine lästige Pflicht, die es ausschließlich für die Personalabteilung zu erfüllen gilt, nicht jedoch für ihre Mitarbeiter.
Ein weiteres Manko von Beurteilungssystemen zeigt sich bei schwachen Führungskräften. Sie neigen dazu, sich mit ihren Personalentscheidungen hinter dem Beurteilungs- und dem damit verbundenen Verteilsystem zu verstecken. Sie entschuldigen ihre Entscheidung, Mitarbeitern zum Beispiel Prämien, Beförderungen oder Entwicklungsmaßnahmen zu verwehren, mit dem Beurteilungssystem, statt den schwierigen, aber offenen und produktiven Dialog mit ihren Mitarbeitern zu führen.
In Anbetracht der Schwierigkeiten, die Bewertungssysteme mit sich bringen, sollten sich Unternehmen kritisch fragen:
- Welche Ziele verfolgen wir heute noch mit unserem Beurteilungssystem?
- Werden diese Ziele tatsächlich erreicht?
- Wenn ja: Welchen Preis bezahlen wir dafür und ist dieser noch gerechtfertigt?
So manch ein Unternehmen dürfte dann zur Erkenntnis gelangen: Der Aufwand ist zu hoch und die negativen Nebenwirkungen sind höher als der Nutzen.
Dialog führen statt Beurteilungen abgeben
In der heutigen Arbeitswelt ist es eine zentrale Aufgabe von Führung, die Mitarbeiter durch regelmäßige Reflexion und Feedback in ihrer Entwicklung zu fördern und sie bei Bedarf beim Erfüllen ihrer aktuellen und künftigen Aufgaben zu unterstützen. Das setzt voraus, dass die Führungskräfte in einem Dialog mit ihren Mitarbeitern stehen – und zwar kurzfristig-operativ und mittelfristig-entwickelnd. Dieser Dialog sollte von wechselseitigem Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägt sein. Voraussetzung dafür: Die Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sollten, soweit möglich, vom Element der rückwärts gewandten Bewertung und Beurteilung befreit werden.
Ein solcher Dialog sollte kontinuierlich geführt, über einen standardisierten Prozess im Unternehmen verankert werden und sich vorwiegend auf die Aufgaben, Werte und die angestrebte Entwicklung statt auf das bewertbare Verhalten des Mitarbeiters beziehen. Dabei kann es um folgende Themen gehen:
- Klarheit über die Vision des Unternehmens sowie Ziele und Aufgaben (Beitrag des Mitarbeiters dazu)
- Identifikation mit den Zielen und Ergebnissen
- Was sind die zentralen Aufgaben des Mitarbeiters an seiner Arbeitsstelle?
- Was macht dem Mitarbeiter (keinen) Spaß? Was (de-)motiviert ihn?
- Was ist dem Mitarbeiter wichtig (individuelle Werte)?
- Wie erlebt der Mitarbeiter die Arbeitssituation und die Zusammenarbeit im Team und mit seinem Vorgesetzten?
- Wie lernt der Mitarbeiter?
- Wie könnte beziehungsweise sollte er sich weiterentwickeln?
- Wie möchte er sich entwickeln und was hilft ihm dabei?