Managementdenker als Hilfe für Manager

Managementdenker sind heute wichtiger denn je. Warum und welchen Einfluss sie auf Unternehmenslenker haben, lesen Sie in unserem Interview.
Von Dr. Winfried W. Weber

Herr Weber, Sie sind Initiator des Rankings Managementdenker, das alle zwei Jahre aufs Neue erhoben wird. Wie fällt das letzte Ranking aus, gibt es Besonderheiten im Vergleich zu den letzten Jahren?

Bislang geben insbesondere Klassiker wie Peter Drucker deutschen Managern Impulse. Bei den TOP 5 – Drucker, Hermann Simon, Fredmund Malik, Günter Faltin und Michael Porter – gab es keine Veränderung. Aber auf den Rängen dahinter kann man zwei klare Trends erkennen: die Inder kommen und die nächste Generation der Managementdenker kristallisiert sich heraus.

Wie lässt sich dies Ihrer Ansicht nach erklären?

Neue Themen und Herausforderungen stehen auf der Agenda. Die Strategie- und Innovationsexperten Vijay Govindarajan und C.K. Prahalad beschreiben eindringlich die Wirtschaft des „Bottom of the Pyramid“, die Wirtschaft der Schwellenländer, und lenken den Blick nach Osten. Der dritte mit indischen Wurzeln ist Ram Charan, ein Workaholic unter den Managementdenkern, der weltweit bestens vernetzt ist.

Auch die Generation der jüngeren Managementdenker setzt sich langsam durch. Berater Jim Collins, Jahrgang 1958, schafft es unter die TOP 10. Der Soziologe und luzide Managementbeobachter Dirk Baecker, Jahrgang 1955, von der Zeppelin University, erreicht Rang 11 – ein Hinweis auf die zunehmende Bedeutung des systemischen Ansatzes hierzulande. W. Chan Kim und Renée Mauborgne, geboren 1952 und 1963, von der Business School „Insead“, sind mit ihrem „Blue-Ocean-Ansatz“ auf Rang 15 geklettert.

Stichwort

Blue-Ocean-Strategie

Die „Blue-Ocean-Strategie“ stammt aus Analysen über erfolgreiche Unternehmen und Produkte der Vergangenheit und ist der Versuch, aus ihren Erfolgen eine Strategie und Vorgehensweise abzuleiten, um die Erfolge zu wiederholen.

Quelle: Wilfried Henseler

Managementdenker oder Managementphilosophen sind ein noch junges Phänomen der letzten Jahrzehnte. Sie behaupten, deren Erfolg liege auch in einem verstärkten Bedürfnis von Unternehmen oder Unternehmensführern nach Halt und Orientierung begründet, also nach der Frage: Was tue ich, wenn ...?“ Warum gibt es heute dieses starke Bedürfnis? 

Wissenschaftlich gesprochen liegt es am Verlust des Kontingenzschutzes. Je mehr Optionen Sie haben und je unerwartbarer das Umfeld des Unternehmens wird, desto mehr müssen Sie sich von außen Informationen holen – bei Kollegen, Beratern, Wissenschaftlern, Ihrem hoffentlich weitläufigem Netzwerk und wem auch immer. Nur wissen Sie nie, von welchem dieser Zuflüsterer Sie wirklich relevante Information bekommen. Diesen Bedarf decken eben insbesondere die Managementdenker ab. Ich habe bei einem der Gurus, bei Tom Peters, einmal gearbeitet, und am Anfang kaum verstanden, was eigentlich sein Job war. Er war und ist ein sogenannter „Cool Hunter“, der laufend nach neuen Ideen und Managementmodellen sucht und sie unter die Leute bringt.  

Liegt das auch an – ich darf Sie zitieren – den „Zeiten großer Unsicherheiten“, in denen wir uns befinden, und was meinen Sie konkret mit Unsicherheit? 

Das 21. Jahrhundert ist ein Komplexitätszeitalter: Die Gesellschaft, Technik, Organisationen, Berufe, Szenen, ja Individuen werden immer vielfältiger. Keiner hat mehr den Durchblick. Wissen und Moden veralten immer schneller. Trotzdem erwarten wir insbesondere von Organisationen und ihrem Management, dass sie zuverlässig ihre Aufgaben erfüllen und erwartbare Ergebnisse liefern. Sie sollen ein Hort der Stabilität bleiben und Produkte und Dienstleistungen marktfähig liefern. Nur vergleichen Sie doch mal die Listen der größten europäischen Unternehmen von vor fünfzig Jahren und heute. Nicht einmal die Hälfte taucht heute noch auf der Liste auf. Viele Unternehmen gibt es nicht einmal mehr. Wenn Sie als Manager gegenwärtig Entscheidungen treffen, haben Sie weder den Überblick noch so viel Zeit wie damals, um ihre Entscheidungen abzuwägen.

Wenn Unternehmer zunehmend Ratgeber brauchen, die ihnen sagen, welche Richtung sie einschlagen sollen, wo bleiben dann die intuitiven, aus dem Bauch heraus entscheidenden Manager?

Intuition beziehungsweise Bauchentscheidungen sind Begriffe für ein Denken und Handeln, das noch nicht explizit ist. Wenn Sie in einem unsicheren Umfeld agieren, achten Sie neben ihren klassischen Quellen mehr auf Informationen von den Rändern, auf Details, auf unerwartete Erfolge oder unerwartete Misserfolge. Dass die Umwelt anders reagiert, als Sie es erwarten, ist der Schlüssel zum Verständnis des Innovativen. Und diese Achtsamkeit und Intelligenz müssen Sie entwickeln, auch in der Diskussion mit Leuten, die sich außerhalb ihrer Praxis bewegen, die Ihre blinden Flecken erkennen und Ihnen neue Impulse geben können.

Es gibt unzählige Unternehmensberater und auch so genannte Trendforscher, die Managementthemen weiterdenken. Was unterscheidet die von einem Managementdenker beziehungsweise wo verlaufen hier die Grenzlinien?

In der Leitkultur des Managements, bei den Angelsachsen, geht man ja recht locker mit solchen Grenzlinien um. Es gibt dort inzwischen bereits Ratgeberbücher, die beschreiben, wie jemand ein Management-Guru werden kann. Guru-Status erreichen Sie, wenn Ihnen die so genannten „Managerial Masses“ folgen. Es geht um Anschlussfähigkeit. Meines Erachtens sollte man Motivationstrainer, Börsenprofis oder Trendforscher nicht dazu zählen. Managementdenker sind keine Spezialisten oder Hellseher, sie müssen richtige Fragen stellen und Orientierung geben.

Zum praktischen Philosophen wird jemand, der uns zum Nachdenken bringt und uns bisweilen sagt, was wann zu tun ist. Wer Anregungen geben kann, wie ein soziales System verändert werden kann und wie Manager ihre nicht nur betriebswirtschaftliche sondern auch soziale Funktion erhalten können, hat das Potenzial dazu. Schon Sun Tsu, Machiavelli oder Baltasar Gracián haben vor Jahrtausenden beziehungsweise Jahrhunderten diese Rolle erfolgreich ausgefüllt.

Managementdenker, sagen Sie, revitalisieren das Unternehmerische über einen offenen Diskurs. Zunächst zum Stichwort „unternehmerisch“. Wie definieren Sie diesen Begriff in diesem Zusammenhang?

Routine, Stabilität und der Erhalt bewährter Erfolge sind die eine Seite der Medaille aller Organisationen. Die andere Seite ist die Veränderung und der Wandel. Ein Unternehmer muss die Fähigkeit entwickeln, die routinierten Prozesse zu steuern und, wo sinnvoll, zu bewahren. Gleichzeitig muss er diese Stabilität in Frage stellen können, sie irritieren oder gar Teile davon zerstören, ganz im Schumpeterschen Sinne.

Ist uns das Unternehmerische tatsächlich verloren gegangen, wie sich aus der Formulierung „revitalisieren“ vermuten lässt?

Im Gegenteil, die Krisengesellschaft bringt immer wieder vitale Entscheider hervor. Sie können innerhalb der Organisation sitzen, sie gerade verlassen haben oder von außen angreifen und damit Dynamik hereinbringen. Allerdings besteht in den Zeiten der Krise die Gefahr, dass die Kultur des Unternehmerischen aus dem Blick des gesellschaftlichen Mainstreams gerät. Sie ist selbst dann aber immer noch da, zumindest an den Rändern. Jedes Land der Erde befindet sich heute in einem Wettbewerb der Vitalisierung des Unternehmerischen. In einer Welt, in der es immer mehr auf produktives Wissen ankommt, muss inzwischen jeder Einzelne herausfinden, was seine Stärken sind und wie er diese einbringen kann. Das hat eine ganz neue Qualität für jeden von uns.

Wer sein Leben lang nicht nur auf austauschbare Routinearbeiten angewiesen sein will, kann nicht wie unsere Großväter darauf spekulieren, ein „Corporate Man“ eines großen Unternehmens zu werden und bei diesem bis zur Rente zu bleiben. Dazu passt ein Gedanke von Goethe: Produktive Leute, zu denen er sich selbst zählte, erlebten, „eine wiederholte Pubertät, während andere Leute nur einmal jung sind.“ Gedanklich jung bleiben ist der Schlüssel. Sich mit ungewöhnlichen Ideen auseinandersetzen und vor allem die Nicht-Kunden im Blick zu haben.

Zum guten Schluss: Was verstehen Sie ganz persönlich unter einem guten Manager?

Meine Erfahrungen und Kompetenzen als früherer Klinik- und Bildungsmanager habe ich durch Versuch und Irrtum gesammelt. Ein mühsamer, aber typischer Weg. Für mich gibt es nicht die gute Managerin oder den guten Manager. Management ist eher Handwerk und Kunst als Theorie und rationales Entscheiden. Es gibt viele unterschiedliche Lösungen und professionelle Ansätze, die selbst in ihrer Widersprüchlichkeit gültig sein können. Ob Sie nach jahrzehntelanger Ochsentour und mit mikropolitischen Erfahrungen einen Konzern führen, ob Sie mit langem Atem aus einem krisenanfälligen Mittelständler einen Hidden Champion machen oder ob Sie aus einer lustlosen Verwaltungseinheit eine schlagkräftige öffentliche Einrichtung formen, das hängt heute vor allem von einem guten Management ab. Und dazu braucht es heute insbesondere eine zentrale Aufgabe und Fähigkeit: kommunizieren können.

Herr Weber, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Hinweis

Hier können Sie die aktuellen Ergebnisse des Rankings Managementdenker nachlesen.

Dazu im Management-Handbuch

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