Manager teilen Investoren und Analysten vertrauliche Informationen mit
Führungskräfte treffen sich regelmäßig zu persönlichen Gesprächen mit Analysten und institutionellen Großinvestoren, um sich über allgemeine Themen auszutauschen. Mit einigen Ausnahmen ist es Unternehmen allerdings verboten, bei diesen Treffen preissensitive Informationen weiterzugeben. Beweise zu erhalten, dass dies trotzdem geschieht, gestaltet sich schwierig, da oft nicht nachzuvollziehen ist, wer zu welchem Zeitpunkt mit wem gesprochen hat. Darüber hinaus sind die Grenzen zwischen vertraulichen und öffentlichen Informationen in der Praxis oft fließend. Mit dem Ziel, faire Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen, sollte hinsichtlich dieser Gespräche auf Unternehmerseite größere Transparenz herrschen.
Die wichtigsten Forschungsergebnisse kurz zusammengefasst:
- Rund 47 Prozent der befragten Investoren und Analysten geben an, oft in Vier-Augen-Gesprächen mit Unternehmensmanagern kursrelevante Informationen zu erhalten.
- In den USA und in Kanada liegt der Prozentsatz der Befragten, die vertrauliche Informationen erhalten haben, niedriger als in Asien, Südamerika und Europa. Dies ist wahrscheinlich zurückzuführen auf die striktere Gesetzgebung in den USA.
- Zirka 48 Prozent der Investoren und Berater wünschen sich, dass Unternehmen offener mit „One-on-One-Meetings“ umgehen.
Gespräche zwischen Investor und Unternehmen sind keine Seltenheit
Erik Roelofsen, Forscher an der RSM und Direktor der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in den Niederlanden, geht davon aus, dass das Ausmaß solcher Gespräche oft unterschätzt wird:
„Die Direktoren mittlerer und großer Unternehmen führen jedes Jahr 100 bis 150 persönliche Gespräche mit institutionellen Investoren. Ein Teil dieser Treffen wird von Brokern organisiert, die dafür ein Honorar beziehen. Die Themen, die behandelt werden, variieren, schließen allerdings oft die strategische Führung und Finanzierung des Unternehmens mit ein.“
Institutionelle Investoren stufen diese Gespräche als sehr nützlich ein, da sie die Möglichkeit schaffen, dem Unternehmensmanagement direkt gegenüberzusitzen und auch nonverbale Zeichen wahrnehmen zu können. Direktoren seien sich dessen nicht immer bewusst, aber ihr Verhalten in diesen Gesprächen werde genauestens beobachtet, so Roelofsen weiter. Einige Investoren und Analysten ließen sich sogar schulen, um diese Zeichen besser erkennen und deuten zu können, zum Beispiel ob ein Manager lügt oder sich unsicher fühlt. Tatsächlich investiert eine steigende Anzahl von Investoren ungern in Unternehmen, die nicht bereit sind, Gespräche unter vier Augen mit ihnen zu führen.
Doch welche Informationen sind kursrelevant? In einer Marktanalyse kann eine Unternehmensführung klare Andeutungen einer baldigen, noch nicht publik gemachten Umstrukturierung innerhalb des Unternehmens machen, ohne dass der Bericht selbst kursrelevant wäre. Investoren und Analysten können hieraus jedoch preissensitive Informationen gestalten. Dies ist erlaubt. Sollte das Unternehmen jedoch auch nur im Geringsten versuchen, diese externe Analyse zu beeinflussen, wird eine Grauzone betreten. Die befragten Investoren und Analysten geben nicht nur zu, dass vertrauliche Informationen oftmals herausgegeben werden, sondern deuten auch an, dass die Broker, die die Treffen organisieren, regelmäßig aus dem Raum geschickt werden, sobald das Gespräch mit den Investoren beginnt.
Weniger Regulierung, dafür mehr Transparenz
Aufgrund der fließenden Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten und auch aufgrund der geringen Kenntnis darüber, was genau während dieser Treffen besprochen wird, ist es für Behörden schwierig, die Einhaltung von Regeln durchzusetzen. Die strengen Regelungen der US-Behörden bezüglich der Herausgabe von Unternehmensinformationen scheinen einen gewissen Erfolg zu bringen: Im weltweiten Vergleich ist der Prozentsatz der Investoren und Analysten, die angeben, vertrauliche Informationen erhalten zu haben, in den USA um acht Prozentpunkte niedriger als der Durchschnitt. Die Geringfügigkeit dieses Unterschieds deutet allerdings bereits an, dass eine strengere Gesetzgebung allein keine Lösung darstellt. Erik Roelofsen sagt:
„Ich halte nichts davon, die Geschäftstreffen strikter zu reglementieren. Dies würde bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Diese Gespräche erfüllen einen wichtigen Zweck als Teil des Informationsflusses für den Aktienmarkt. Ich befürworte jedoch eine öffentliche Debatte über Regulierung, Kontrolle und Transparenz. Die Unternehmen könnten sich in Bezug auf ihre Vier-Augen-Gespräche offener zeigen.“
Einige Behörden würden etwas vorschlagen, bekannt zu geben ob, wann und unter welchen Bedingungen persönliche Treffen stattfinden. Aufgrund der großen Anzahl von Gesprächen und der damit zusammenhängenden Risiken der Marktverzerrung sollten Unternehmen deshalb dazu angehalten werden, die Namen ihrer Gesprächspartner und den Gesprächszeitpunkt beispielsweise auf der Unternehmenswebseite offen zu legen, meint Roelofsen. Dies werde auch von den Investoren und Beratern selbst begrüßt: Laut der Studie befürworten 48 Prozent von ihnen eine größere Offenheit, 22 Prozent lehnen dies ab. Der Anteil der Befürworter in Europa liegt bei 40 Prozent.
Über die Studie
Die „RSM Global Analyst and Investor Survey“ ist eine vierteljährlich durchgeführte, weltweite Umfrage unter Vermögensberatern und Analysten auf Käufer- sowie auf Verkäuferseite. Die Studie von RSM und PwC trägt Meinungen und Erwartungen bezüglich der globalen wirtschaftlichen Entwicklung zusammen. In der aktuellen Umfrage wurden vom 28.März bis zum 04.April 2011 insgesamt 400 Investoren und Berater befragt.
Quelle: Noir sur Blanc