MarkenführungKeine Marke ohne Identität
Der Philosoph René Descartes hätte seine Erkenntnis „Ich denke, also bin ich” besser ergänzt um eine weitere: „Ich fühle, also bin ich.” Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass Entscheidungen zu über 90 Prozent auf Emotionen beruhen. Nicht nur die Aufklärung, sondern auch die Ökonomie hat uns das mathematische und rationale Denken und Handeln gelehrt. Sie lehrt uns jedoch nicht, wie wir mit emotionalen Entscheidungsprozessen umgehen sollen.
Produkte sind oft austauschbar
Emotionale Entscheidungsprozesse spielen für Marketing, Vertrieb und die Unternehmensmarke eine zentrale Rolle. Scheint es ökonomisch betrachtet primär darum zu gehen, Produkte oder Leistungen mit Gewinn zu verkaufen, scheitern viele Marketingkonzepte oft an emotionalen Barrieren wie Reizüberflutung, Massenkommunikation, Austauschbarkeit und übersättigten Märkten. Offensichtlich wirken noch viele andere Kräfte auf den Entscheidungsprozess, die wir nicht steuern können.
Beispiel: Ein Verkäufer hat die besten Argumente für ein Produkt, bietet großzügige Rabatte an – und der Kunde kauft dennoch nicht. Anschließend werden der Werbedruck und die Anzahl der Maßnahmen erhöht, doch es lässt sich trotzdem immer noch nicht genau sagen, welche Maßnahmen in welcher Kombination eine Reaktion ausgelöst haben oder nicht. Warum das so ist, ist einfach zu beantworten: Menschen treffen wichtige Entscheidungen erst dann, wenn ihnen ihr Bauchgefühl ein positives Signal gibt.
Zusätzliche Komponenten im Marketing-Mix
Die Komponenten Produkt-, Preis-, Distributions- sowie Kommunikationspolitik im Marketing-Mix, im Englischen „Product“, „Price“, „Place“ und „Promotion“, sollten um die Komponenten „Process“, „People“ und „Personality“ ergänzt werden. „People“ und „Personality“ beziehen sich dabei auf die von Unternehmen und ihren Mitarbeitern gelebte Kompetenz und Kultur („People“) sowie auf eine identitätsstiftende Unternehmenspersönlichkeit („Personality“.
Marketing-Mix
Der klassische Marketing-Mix besteht aus den vier Marketinginstrumenten Produktpolitik, Preispolitik, Distributionspolitik sowie Kommunikationspolitik. Konkret geht es darum, das richtige Angebot für die Zielgruppe zu angemessenen Konditionen anzubieten, über die richtigen Vertriebskanäle zu vertreiben und der Zielgruppe mitzuteilen, dass es das Angebot gibt und es einen Mehrwert liefert.
Verkaufen hat immer etwas mit Vertrauen zu tun. Die Bausteine Identität und Kultur sind neben der vom Begründer der Markentechnik Hans Domizlaff gepredigten Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte wesentliche Grundlagen für einen erfolgreichen Verkauf und die Gewinnung öffentlichen Vertrauens. Sie sind wichtige Schlüssel zu den Entscheidungsprozessen, die nicht rational, sondern emotional stattfinden.
Jedes Unternehmen hat eine eigene Identität
Beim Gedanken an ein Unternehmen gehen einem wahrscheinlich in erster Linie die Produkte, der Verkauf und die Umsätze durch den Kopf. Doch es gibt noch eine zweite Perspektive: Ein Unternehmen hat auch eine Seele und einen Geist. Es hat eine eigene Ausstrahlung und eine Anziehungskraft, die unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Es gibt eigene Wesenszüge und Charakteristika, die von außen wahrgenommen und identifiziert werden. Alles, was im Unternehmen geschieht, was das Unternehmen kommuniziert oder nicht kommuniziert, definiert seine Identität.
In einigen Unternehmen werden Mitarbeiter als Humankapital oder als Kostenfaktor gesehen. Doch es sind Menschen, die das Unternehmen prägen und die helfen, die gemeinsamen Ideen zu verwirklichen und erfolgreich zu werden. Diese Sichtweise teilen gerade viele mittelständische Unternehmer. Ein großer Vorteil, denn nur was innen brennt, kann außen leuchten.
Große Persönlichkeiten prägen oft große Unternehmen
Darüber hinaus nehmen Geschäftsführer oder leitende Mitarbeiter oft selbst eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Unternehmensidentität ein. Denn sie stehen nicht nur mit ihrer Funktion, sondern auch als Person und Mensch mit ihren Meinungen, Überzeugungen, Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen im Zentrum des Geschehens. Oft haben große Persönlichkeiten wie etwa Ferdinand Porsche oder Steve Jobs große Unternehmen geprägt. Personen sind und waren Teil der Marke und ihres Kults.
Unternehmen sind also zwangsläufig ein Raum, in dem Emotionen, Überzeugungen, Werte und Identität gelebt werden. Leider wissen nur wenige Unternehmer, wie sie mit diesem wichtigen Kapital wertschöpfend umgehen sollen.
Marke und Produkt sind nicht dasselbe
Eine starke Marke und ein starkes Produkt sind als Team unschlagbar. Schwächelt jedoch das Produkt, schwächelt auch die Marke. Und wenn die Marke schwächelt, beeinträchtigt dies auch das Produkt. Marke und Produkt hängen eng zusammen und sind trotzdem nicht dasselbe. Der Kunde identifiziert sich mit der Marke, ihren Werten, ihrer Kultur und ihren Überzeugungen. Das Produkt erfüllt „nur” das konkrete Erlebnis- oder Nutzenversprechen. Diese Priorisierung, nämlich dass die Marke sozusagen das Produkt trägt, erklärt auch die unverrückbare Treue der Apple-Fans zur Marke – obwohl das Unternehmen auch schwache oder gar fehlerhafte Produkt im Markt hatte.
Eine Marke ist also belastbarer und zukunftsfähiger als das Produkt. Der unternehmerische Erfolg hängt quasi an der gesunden Co-Existenz von Marke und Produkt. Doch die meisten Unternehmer denken immer noch produktzentriert. Apple hat es vorgemacht, das dem nicht so ist: An nur einem Wochenende im Sommer 2013 verkaufte der Konzern neun Millionen seiner Smartphone-Modelle „iPhone 5s“ und „iPhone 5c“. Bei einem Verkaufspreis von rund 600 Euro ist das kein Erfolg des neuen Modells, sondern ein weiterer Beweis dafür, dass die Menschen überzeugt sind, mit der Marke Apple glücklicher zu sein. Ein Ergebnis, das nicht der werblichen Kommunikation, sondern der Wirkung einer substanziellen und kontinuierlichen Arbeit an der Marke mit einer starken Identität und ausgeprägten Kultur zuzuschreiben ist.
Marken werden top-down geführt
Als Vorstandsvorsitzender, Geschäftsführer oder Inhaber eines Unternehmens nehmen Menschen allein durch ihre Präsenz Einfluss auf die Unternehmensidentität und die Unternehmenskultur. Sie sind also in der Lage, sowohl das Produkt als auch die Marke zu prägen und weiterzuentwickeln. Markenführung fängt tatsächlich bei der Unternehmensführung an. Bei den Überzeugungen, Grundsätzen, Werten und Einstellungen der leitenden Personen. Inhabergeführte Unternehmen haben es hier deutlich leichter als Konzerne, da es hier in der Regel stärkere Identifikationsfiguren gibt.
Identifizierungsprozesse haben im Kern etwas mit Wahrheit, mit Integrität, also mit Glaubwürdigkeit zu tun. Wenn sich das Markenimage zu weit von der Markenidentität entfernt, leidet oder zerbricht die Marke. Ein Beispiel dafür sind Schlecker und Opel. Integrität kann man niemals von der Person trennen, so dass eine starke Unternehmerpersönlichkeit oft ein elementarer Bestandteil einer Unternehmensmarke ist. Bei Konzernen lässt sich das an der Bedeutung ihrer Führungspersönlichkeiten gut nachempfinden (etwa Josef Ackermann). Aber gerade im Mittelstand gibt es unzählige Beispiele starker Unternehmerpersönlichkeiten, die auch heute noch die Unternehmensmarke prägen.
Marken repräsentieren Erwartungen und Sehnsüchte
Es gibt keine starke Marke ohne eindeutige Identität und ohne gelebte Kultur. Marken sind abstrakte Gebilde, ein Gedächtnisprodukt, aber sie funktionieren nach uralten, zutiefst menschlichen (psychologischen) Mustern. Jede Marke repräsentiert nicht nur eine Absenderpersönlichkeit, sondern auch die Erwartungen und Sehnsüchte, die der Kunde oder der Mitarbeiter mit ihr verbindet. Zusammen mit den Eindrücken, die Menschen sich durch Kommunikation, Berichte und Erfahrungen von und mit der Marke sammeln, bildet sich ein imaginäres Bild einer Persönlichkeit, das Sympathie, Vertrauen und Kaufbereitschaft auslöst.
Ziel ist eine möglichst weit- und tiefgehende Identifikation von Kunden und Mitarbeitern mit der Marke sowie eine hohe Übereinstimung zwischen dem emotionalen Angebot und der emotionalen Erwartung. In der Markenführung sprechen wir von Widerspruchsfreiheit. Die vielen Signale, Botschaften und Markenbotschafter (Repräsentanten und Weiterempfehler) sollen möglichst wenig Widersprüche aufweisen. Umso stärker ist der Eindruck, den die Marke hinterlässt.
Starke Marken wie etwa Miele, Otto oder Daimler haben die starke Ausstrahlung ihrer Unternehmerpersönlichkeiten auch über deren Tod beibehalten und leben vom Mythos, dem abgespeicherten Wert, mit dem die Marken aufgeladen wurden. Irgendwann wurden die damals gültigen Werte fest in der Markenführung verankert und sichergestellt, dass die Marke nach diesen Werten lebt und diese konsequent und nachhaltig kommuniziert.
Marken werden von innen stark
Die Arbeit an der Marke erfordert grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Überzeugungen und eine Definition der Werte und Grundsätze. Was man nicht kennt, kann man auch nicht definieren oder als Botschaft kommunizieren. Noch wichtiger: Die Grundlage für einen gezielten Abgleich der Werte mit den Mitarbeitern im Unternehmen oder mit den Marketing- und Vertriebsaktivitäten fehlt. Diese „Selbstähnlichkeit” wird aber benötigt, um Kräfte und Überzeugungen zu bündeln und zunächst intern eine starke Identität – ein klar umrissenes Selbstbild – herauszuarbeiten und dies im zweiten Schritt klar und wirksam nach außen zu transportieren und ein eindeutiges Markenimage aufzubauen.
Je klarer das Selbstbild, desto mehr Charakter und Kraft bekommt es und formt dabei eine einzigartige Identität und Unternehmenskultur, die sich im Verhalten, in der Sprache, in Symbolen und Artefakten ausdrückt. Ein definierter Markenkern schafft somit viele Ausdrucksformen, die dazu beitragen, dass der Kunde oder der potenzielle Mitarbeiter sich mit der Marke identifizieren kann und die Ausstrahlung der Marke an Wert gewinnt.
Vom Produkt-Wettbewerb zum Marken-Wettbewerb
Die meisten Unternehmer und Marketeer wissen, dass sie ein Alleinstellungsmerkmal (USP) benötigen, um sich im Wettbewerb behaupten zu können. Doch viele Produkte unterscheiden sich nicht mehr vom Wettbewerb. Wie soll sich der Kunde entscheiden, wenn ähnliche Produkte zu ähnlichen Preisen angeboten werden? Also braucht es weitere Differenzierungsmerkmale, die dem Kunden helfen, eine Entscheidung zu treffen. Bei der Erarbeitung einer differenzierenden Positionierung sollten deshalb nicht nur das Produkt und die Mehrwerte betrachtet werden, sondern auch die Differenzierung der Marke mit ihrer Persönlichkeit vom Wettbewerb.
Tatsächlich haben Kunden schon eine Vorentscheidung getroffen, bevor ein Vertriebsmitarbeiter mit ihm spricht. Alle zuvor geflossenen Informationen und Eindrücke haben bereits zu einer Vorannahme geführt, bevor der rationale Entscheidungsprozess auf der Produktebene stattgefunden hat. Der Experte für Markenführung Klaus Brandmeyer nennt dies „das positive Vorurteil”, auf das ein Unternehmen zurückgreifen kann, wenn es eine Marke mit starker Ausstrahlungskraft entwickelt hat. Weit vor den rationalen Argumenten hat die Wirkung der Marke bereits das Spielfeld emotional für sich eingenommen.
Der Kunde stellt sich unbewusst drei Fragen: Interessiert es mich? Vertraue ich? Begeistert es mich? Gute Verkäufer wissen das und steuern diese Themenfelder im Gespräch intuitiv an. Sie langweilen nicht, bauen Vertrauen auf, schaffen Identifikation und können begeistern. Diesem Prinzip muss auch die strategische Markenführung folgen.
Markenbotschafter sind die besten Werber
Ein letzter wichtiger Erfolgsbaustein sind Markenbotschafter. Nicht zu verwechseln mit den Methoden des Empfehlungsmarketings, obwohl es um ähnliche Dinge dabei geht. Ein Markenbotschafter spricht von der Marke aus Überzeugung und Begeisterung. Sein Ziel ist nicht der Verkauf, die Provision oder die Gutschrift. Ein Markenbotschafter ist authentisch und baut Vertrauen auf. Vertrauen, das auf die Marke einzahlt. Beispiel: Fans von Marken, die sich so stark damit identifizieren, dass sie diese nicht nur empfehlen, sondern auch verteidigen. Marken, die emotional derart stark werden, nennt die internationale Agentur Saatchi & Saatchi „Lovemarks”. Ein höheres Gütesiegel gibt es nicht.
Die Stärke inhabergeführter Unternehmen liegt besonders dort, wo Persönlichkeit und Verantwortung substanziell und nachhaltig gelebt werden. Aus dieser Quelle entsteht eine einzigartige Unternehmenspersönlichkeit, die Grundlage der Marke. Unternehmen, die sich sowohl um eine differenzierende Unternehmens- und Produktpositionierung als auch um eine Marke mit hoher Attraktivität und Identifizierungskraft bemühen, können Kunden und Mitarbeiter dauerhaft überzeugen und begeistern und sind nachweislich erfolgreicher.