Marketing-Expertin Anne M. Schüller im Interview
Frau Schüller, wenn Sie 10 Jahre zurückblicken: Welche Entwicklungen waren in Ihrem Fachbereich wichtig?
Die wohl wichtigste Entwicklung ist das Entstehen der Web-2.0-Welt mit ihren dialogischen Mitmachmöglichkeiten in Social Networks und Communities, in Foren und Blogs, auf YouTube & Co. Hierdurch haben sich die Kunden von passiven Befehlsempfänger-Konsumenten („Kaufen! Sie! Jetzt!“) zu aktiven Marktgestaltern und Kaufverhaltensbeeinflussern gewandelt. Gute wie auch schlechte Taten können innerhalb kürzester Zeit weltweit bekannt gemacht und diskutiert werden. Das bedeutet: Nicht länger die Unternehmen, sondern deren Kunden bestimmen inzwischen die Spielregeln, nach denen 'verkaufen' gespielt wird. Die Kunden geben nun die Marschrichtung vor. Die Unternehmen wurden vom Jäger zum Gejagten. Der Kunde ist der wahre Boss.
Welche Themen wurden in der Vergangenheit und aktuell Ihrer Meinung nach überschätzt?
Ich denke, wir haben alle gesehen, was passiert, wenn der schnelle Dollar mehr wert ist als der treue Kunde. Die Kurzzeitdenke des „alten“ Marketings und alle selbstzentrierten Management-Moden können nun getrost eingemottet werden – ebenso wie die damit verbundene arrogante Sicht der Unternehmen auf die Kunden. Doch leider: Man kann nur mit den Waffen kämpfen, die man kennt. Oder, wie es die Autorin Gertrud Höhler sagt: „Männer wollen Schlachten wiederholen, in denen sie siegreich waren.“ Und so ist Rückfall vorprogrammiert. Nach wie vor werden Kundeninteressen auf dem Altar kurzatmiger Gewinne gnadenlos geopfert. Und auch die Medien sind von solchem Denken nicht verschont, sie schreien nach 100-Tage-Ergebnissen – immer noch!
Welche Themen wurden/werden unterschätzt?
Unternehmen haben es heute mit einem neuen Phänomen zu tun: dem flüchtenden Kunden. Und das hat nicht nur äußere Ursachen, sondern ist im Wesentlichen hausgemacht. Denn bislang zieht sich die Vernachlässigung der Bestandskunden als „2.-Klasse-Kunden“ und die parallel verlaufende Vernachlässigung ihrer Betreuer als „2.-Klasse-Verkaufsmitarbeiter“ wie ein roter Faden durch die Managementdenke der letzten Jahrzehnte. Obwohl die meisten Märkte rückläufig sind, steht das Kundenjagen höher im Kurs. Doch das größte Vermögen, das ein Unternehmen besitzt, ist die Loyalität seiner Kunden. Hohe Kundenloyalität und niedrige Abwanderungsraten sichern den dauerhaften Geschäftserfolg. So heißt die wohl größte unternehmerische Herausforderung der nahen Zukunft: Loyalität, also die freiwillige Treue seiner Kunden, zu erreichen. Kundenbindungsinstrumente, also Fesselspiele mit Kunden, funktionieren nicht mehr.
Welche Rolle spielt business-wissen.de für Sie als Gastautorin?
Hier kann ich meine Gedanken einer hochkarätigen Leserschaft zeitnah und ausführlich vermitteln.
Welche Trends sehen Sie in Ihrem Fachbereich?
Es ist die "Net Generation", die den Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Gesellschaft vorantreibt. Sie ist dabei, das Berufsleben und die Art, wie man Geschäfte macht, neu zu definieren.
Was für Stärken hat diese „Net Generation“?
Ihre größte Stärke ist das Wissen, wie sich aus vernetzten Strukturen Vorteile schöpfen lassen. So zeigt sie den "Analog Seniors", wo es in Zukunft langgeht:
- Kooperation statt Konfrontation;
- Gleichrangigkeit und Selbstorganisation;
- Dialog und Interaktion;
- Teilen und Partizipation;
- Transparenz und Wahrhaftigkeit;
- Kreativität und Schnelligkeit sowie
- Beiträge leisten und helfen wollen.
Gut, wenn die Unternehmen und ihre Manager darauf vorbereitet sind.
Auf welches Thema von Ihnen können sich die Leser freuen?
Gerade ist mein neues Buch „Kunden auf der Flucht? Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten“ erschienen. Deshalb werden die vielfältigen Facetten des Loyalitätsmarketings meine publizistische Arbeit in diesem Jahr bestimmen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schüller!