MitarbeiterbindungSie steht und fällt mit der Führungskraft
Der „war for talents“ wird mit neuen Strategien und Maßnahmen bestritten. Das Internet hat den Bewerbungsprozess umgekrempelt. Mit viel Energie wurde Employer Branding betrieben und Unternehmen zeigten sich in den Social Media oder auf YouTube von ihrer besten Seite. Nun müssen die mit viel Aufwand gewonnenen Leistungsträger gehalten werden. Es gibt schon erste Warnzeichen für mögliche Probleme: Laut der Studie „Trendence Young Professionals Barometer 2012“ des Forschungsinstituts trendence Institut GmbH will mehr als jeder Dritte Berufsanfänger in den nächsten zwei Jahren den Arbeitgeber wechseln.
Das war vorauszusehen, denn die gleiche Entwicklung zeichnete sich bereits vor 20 Jahren ab. Auch damals wurden qualifizierte Hochschulabsolventen knapp, weil die Universitäten zu wenig Ingenieure und Naturwissenschaftler hervorbrachten. So wurden Hochschulkontakte ausgebaut, etwa über die größte internationale Studentenorganisation AIESEC, und die Akquisition neuer Mitarbeiter forciert – das Bindungsproblem entstand ebenfalls. Damals lernten wir: Unabhängig von der Attraktivität des Unternehmens werden wirklich gute Mitarbeiter spätestens nach zwei bis drei Jahren „unruhig“. Sie haben den Einstieg in den Beruf geschafft, die Aufgaben im Griff und Erfahrungen gesammelt. Nun möchten sie einen Wachstumssprung erreichen und ihre persönlichen Investitionen belohnt sehen. Wechseln sie daraufhin das Unternehmen, hat das alte Unternehmen Investitionen in den Sand gesetzt.
Bei den heute vorgeschlagenen Aktivitäten zur Mitarbeiterbindung handelt es sich allerdings um die gleichen Maßnahmen wie vor 20 Jahren. Verblüffend ist die Tatsache, dass heute dieselben Fehler gemacht werden wie damals und anscheinend wenig daraus gelernt wurde. Was gelernt werden konnte soll an einem mittelfristig und einem kurzfristig wirksamen Schlüsselthema der Mitarbeiterbindung gezeigt werden.
Gruppenspezifisches Talentmanagement schafft Probleme
Heute wird wieder vorgeschlagen, Mitarbeiterbindung mitarbeitergruppenspezifisch auszurichten. Zuerst soll entschieden werden, welche Mitarbeiter „erfolgsrelevant“ sind, eine strategische Bedeutung haben oder schwer auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen sind. Die Bindungsbemühen sollen sich dann auf diese Gruppen konzentrieren. Das ist der klassische Ansatz, mit dem Personalentwicklungssysteme – heute Talentmanagement-Systeme – vor 20 Jahren aufgebaut wurden. Wer sich in der elitären Hochschulgruppe oder im Kreise der High Potentials befand, gehörte zu den Gewinnern.
Sehr schnell wurde deutlich, dass sich andere Mitarbeiter als Verlierer fühlten. Wenn die Auserkorenen dann noch eine eigene „Überholspur“ bezüglich ihrer Karriere erhielten, waren die negativen Effekte unübersehbar. Die Zusammenarbeit zwischen Gewinnern und Verlierern war angespannt, vor allem dann, wenn die Verlierer – meist langjährige, erfahrene Mitarbeiter – den „Potenzialträgern“ ihre Grenzen aufzeigen wollten. Einige dieser Mitarbeiter kündigten, manche verfolgten nun eine freizeitorientierte Schonhaltung.
Entwickelte Talentmanagement-Systeme beziehen deshalb alle Mitarbeitergruppen ein und legen Wert darauf, dass Mitarbeiter selbst Entwicklungsinteressen anmelden können. Stellen werden aus einem Pool geeigneter Mitarbeitern besetzt, statt individuelle Nachfolger herauszuheben. Es werden auch Erfahrungen berücksichtigt, die bei der Einführung von Fach- und Projektleiterhierarchie als zusätzliche Entwicklungswege gemacht wurden. Bemerkenswert war, wie viel Zeit es brauchte, damit Führungskräfte diese Karrierewege akzeptierten. Das zeigte sich am Vorschlag mancher Führungskräfte, zum Beispiel aus der Führungshierarchie in die Fachhierarchie wechseln zu wollen, um sich wieder ausschließlich fachlichen Herausforderungen zu widmen. Viele Führungskräfte trauten diesen Karrierewegen nicht, auch, weil sie als Abstellgleis und „Elefantenfriedhof“ genutzt wurden, um Führungspositionen neu besetzen zu können. Der Wert dieser Karrierewege musste sich erst bestätigen.
Wenn Talentmanagement-Systeme richtig konzipiert werden, entfalten sie eine starke Bindungswirkung und machen das Unternehmen attraktiv. Allerdings benötigen sie Zeit und wirken niemals kurzfristig. Hier greift der Immitationsschutz von Know-how: Darunter wird die Zeit verstanden, die ein anderes Unternehmen benötigt, um das gleiche Know-how einzuführen und erfolgreich in Gang zu setzen. Bei Talentmanagement-Systemen beläuft sich der Zeitbedarf auf mindestens zwei bis drei Jahre – ein Wettbewerbsvorteil, der nur schwer aufzuholen ist. Selbst wenn diese Systeme richtig konzipiert, von der Unternehmensleitung mit Verbindlichkeit versorgt und erfolgreich umgesetzt werden, lösen sie kurzfristig keine Bindungsprobleme. Deshalb bietet sich ein anderer Ansatzpunkt an.
Mitarbeiterbindung steht und fällt mit dem Vorgesetzten
Es obliegt dem direkten Vorgesetzten, Arbeit und Zusammenarbeit so zu gestalten, dass neue Mitarbeiter gerne ins Unternehmen kommen und nicht das Gefühl haben, ein Drittel ihrer Tageszeit zu vergeuden. Dafür können wirksame Maßnahmen ergriffen werden:
- Einarbeitungs- oder Integrationspläne
- Flexible Arbeitszeitmodelle
- Weiterbildung
- Work-Life-Balance-Aktivitäten
- Mitarbeitergespräche
- Zielvereinbarungen mit oder ohne variable Entgeltbestandteile
Einige dieser Maßnahmen können ebenfalls kaum aus dem Stand eingeführt und sofort umgesetzt werden. Irritierend ist jedoch die große Anzahl an Studien, die von einem Abschmelzen der Mitarbeitermotivation berichten, weil diese Maßnahmen kaum oder unprofessionell eingesetzt werden. Wenn diese Aktivitäten schon bei den bestehenden Mitarbeitern nicht funktionieren, dann stellen sie für neue Mitarbeiter eher Lösungs- als Bindungsargumente dar. Das schon zitierte „Trendence Young Professionals Barometer 2012“ beschreibt außerdem Bindungshemmnisse, die Führung betreffen aber in den Vorschlägen zur Mitarbeiterbindung überhaupt nicht vorkommen. Rund ein Viertel dieser jungen Mitarbeiter fühlt sich demnach unterfordert und sieht kaum Spielraum für eigene Ideen. Jeder Siebte denkt sogar, die Aufgaben seien nicht sinnvoll. Auch an Anerkennung soll es mangeln.
Personalmanagement und insbesondere Arbeitsinhalte sind Motivatoren, auf die schon der US-amerikanische Arbeitswissenschaftler Frederick Herzberg vor über 50 Jahren hinwies. Dabei handelt es sich um Motivations- und damit Bindungsgrundlagen für alle Mitarbeiter, nicht nur für neue. Warum setzen Führungskräfte mit direkter Mitarbeiterverantwortung dieses Wissen und die daraus entwickelten Instrumente nicht oder nur unwillig ein? In den letzten 20 Jahren haben wir gelernt, dass ein gut konzipiertes Instrument wichtig ist, der Engpass besteht jedoch auf der Seite der Führungskräfte mit direkter Mitarbeiterverantwortung. Diese wollen sie oft nicht anwenden und können dies nicht. Soll Mitarbeiterbindung funktionieren, müssen diese Probleme gelöst werden. Aus Erfahrungen können bessere Lösungswege abgeleitet werden:
Talentmanagement ist für Führungskräfte oft problematisch
Gerade Talentmanagement und innerbetriebliche Nachfolgeplanung sind für diese Führungskräfte ein gravierendes Problem, denn: Nur die besten Mitarbeiter machen Karriere. Damit gewinnen der Mitarbeiter und das Unternehmen, während die den Mitarbeiter abgebende Führungskraft verliert; wenn der beste Mitarbeiter fehlt, gefährdet das die Zielerreichung. Außerdem muss ein neuer Mitarbeiter gesucht und eingearbeitet oder der zweitbeste Mitarbeiter entwickelt werden. Führungskräfte, die karrierefähige Mitarbeiter entwickeln, benötigen Anerkennung und Unterstützung. Unterstützung bedeutet etwa, dass diese Führungskräfte die frei werdende Stelle in jedem Fall wieder besetzen dürfen und zusätzliche Mittel zur Weiterbildung und Teamentwicklung erhalten.
Von diesen Führungskräften mehr Zeit und Aktivitäten zur Bindung, Personalentwicklung und Motivation zu verlangen, steht im direkten Gegensatz zu den Erwartungen ihrer Vorgesetzten. Immer schwierigere fachliche Ziele sollen in kürzerer Zeit, kostengünstig und mit hoher Qualität erreicht werden. Eine gründliche Einarbeitung neuer Mitarbeiter wird da oft nur als störend empfunden. Einarbeitung ist dann gut, wenn der Mitarbeiter direkt Aufgaben abwickeln kann – folglich wird mit einfachen Aufgaben begonnen, manchmal mit solchen, die Kollegen nicht mehr bearbeiten wollen. Der Weg in die Unterforderung ist damit vorgezeichnet. Wenn der Erfolg dieser Führungskräfte nur daran gemessen wird, wie gut sie Fachziele erreichen, bleiben Personalführungsziele zweitrangig und werden nur dann realisiert, wenn Zeit übrig ist. Wer mehr Aktivitäten in Personalführung erwartet, sollte auch beurteilen, wie Personalführungsziele erreicht werden und dies möglicherweise beim variablen Entgelt berücksichtigen.
Mitarbeiterbindung beugt Führungsproblemen vor
Führungskräfte auf den unteren Führungsebenen, die in der Regel vor ihrer Beförderung sehr gute Fachkräfte waren und sich bei Fachthemen wohlfühlen, tragen die Hauptlast der Bindungsaktivitäten. Wenn sie die Zielerreichung des eigenen Verantwortungsbereichs mit den Interessen der Mitarbeiter bezüglich Arbeitsinhalte, Einarbeitung, Entwicklung und auch Bindung verknüpfen sollen, dann müssen sie das dazu notwendige Know-how auch anwenden.
Anforderungsgerechte Arbeitsinhalte für Mitarbeiter zu organisieren, Entwicklungsperspektiven über Arbeitsinhalte im eigenen Verantwortungsbereich zu gestalten, notwendige Bildungsanstrengungen zu realisieren, absehbare individuelle Veränderungsprozesse erfolgreich zu lenken und trotzdem oder gerade deshalb die Ziele des Bereichs zu erreichen, kann nicht aus dem Bauch heraus realisiert werden. Diese Führungskräfte benötigen praktikable Instrumente, um zusammen mit den Mitarbeitern Arbeitsinhalte, Arbeitsverteilung und Veränderungsprozesse zu gestalten. So kann auch ein wesentliches Problem gelöst werden, nämlich sich trotz operativer Hektik bewusst Zeit zu reservieren für mittelfristig wirkende Führungsaufgaben. Denn es lohnt sich in Mitarbeiterbindung zu investieren. Diese löst zwar direkt keine dringenden Fachprobleme, beugt aber zeitintensiven Führungsproblemen wie Motivationsdefiziten oder unerwünschten Kündigungen vor.