Personal braucht Stressmanagement statt Zeitmanagement

Immer erreichbar, immer neue Aufgaben. Um Stress vorzubeugen, brauchen Mitarbeiter die Grundzuversicht, Dinge bewältigen zu können. Unternehmen müssen mit Präventionsangeboten helfen.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten war es gang und gäbe, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitern den Rat gaben, bei zeitlichen Problemen mit der Aufgabenerledigung ein Zeitmanagementseminar zu besuchen. Zeit- und Selbstmanagementseminare entwickelten sich daraufhin zu einem Standardangebot im Weiterbildungsprogramm von Unternehmen. Dort lernten die Mitarbeiter, sich Ziele zu setzen, wichtige von dringlichen Aufgaben zu unterscheiden und in ihrem Arbeitsalltag Prioritäten zu setzen – was bei vielen Mitarbeitern auch tatsächlich zu einer Entlastung führte.

Kein Zufall ist jedoch, dass der Boom der Zeitmanagementseminare just zu diesem Zeitpunkt begann, als viele Unternehmen die Arbeitsabläufe in ihrer Organisation neu strukturierten, auch als Folge der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik. Erledigte zuvor, vereinfacht formuliert, jeder Mitarbeiter schlicht die in seiner Stellenbeschreibung definierten Aufgaben, so waren jetzt Team- und Projektarbeit angesagt. Hinzu kam, dass Kollegen, auch in anderen Bereichen, fortan als firmeninterne „Kunden“ gesehen wurden, denen man sich nicht mehr mit Bemerkungen wie „ich habe keine Zeit“ oder „das gehört nicht zu meinem Job“ verschließen konnte. Dadurch erhöhte sich nicht nur die Arbeitsbelastung. Für viele Mitarbeiter bedeutete es auch eine erhebliche mentale Umstellung, sich auf die neue Arbeitsform einzustellen.

Neue Medien: Veränderung des Mitarbeiterverhaltens

Die damalige Arbeitssituation in Unternehmen mag aus heutiger Sicht eher als geruhsam und entspannt anmuten. Zwar gab es bereits PCs in den meisten Büros, doch das Internet kannten nur einige Wissenschaftler. Geschweige denn das Versenden von E-Mails oder das Nutzen von Mobiltelefonen. Letztere waren damals außer Entscheidungsträgern bestenfalls einigen Außendienstmitarbeitern vorbehalten. Heute hingegen sind diese Medien ganz selbstverständlich in den Arbeitsalltag der meisten Berufstätigen integriert.

Im Berufsalltag ist uns oft nicht bewusst, wie stark diese Medien in sehr kurzer Zeit – nicht einmal zwei Jahrzehnte – neben unserem Arbeitsleben auch unser Verhalten verändert haben. Standen früher bei Seminaren die Teilnehmer in den Pausen bei einem Kaffee zusammen, checken sie heute oft noch im Seminarraum ihre E-Mails, Anrufe und SMS. Das Motto „stets und überall erreichbar zu sein und wenn nicht, dann wenigstens so schnell wie möglich zu reagieren“, hat sich nicht nur zu einem Lebensgefühl vieler Menschen entwickelt. In vielen Jobs sehen sich Berufstätige tatsächlich mit dieser Erwartung konfrontiert – sei es seitens ihrer Kollegen, Chefs oder Kunden.

Dies wächst sich zum Beispiel derart aus, dass Kunden nach Einholung eines Angebots schon nach wenigen Stunden telefonisch nachhaken und fragen, warum nicht reagiert wird. Sie sehen eine prompte Reaktion als selbstverständlich an. Werden ihre Erwartungen jedoch nicht erfüllt, stempeln sie das Ganze als schlechten Service ab. Früher war es gang und gäbe, dass ein Angebot mehrere Tage brauchte, um bearbeitet und mit der Post versendet zu werden. Zeit hatte eine andere Dimension.

Doch nicht nur wegen der permanenten „Rufbereitschaft“ fällt es immer mehr Mitarbeitern schwer, abzuschalten. Zusätzlich stehen sie tatsächlich in immer kürzeren Zeitabständen vor neuen Herausforderungen, da Unternehmen heute in immer kürzeren Intervallen ihre Strategien und ihre Art, Aufgaben zu lösen, überdenken müssen. Für die Mitarbeiter bedeutet das: Mehr und öfter neue Anforderungen zu erfüllen und häufiger gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufzugeben. Dies führt bei vielen Mitarbeitern zu einem Gefühl der Überforderung. Die Folge: psychische Probleme nehmen zu, die Zahl der Burnout-Fälle steigt.

Die meisten Burnout-Erkrankungen resultieren jedoch nicht daraus, dass die Betroffenen vor einem Berg Herausforderungen stehen, den sie mengenmäßig nicht bewältigen können. Sie ergeben sich vielmehr daraus, dass sie vor Herausforderungen stehen, für deren Lösung sie entweder noch keine Strategien besitzen oder noch keine Routine entwickelt haben – weshalb es sie auch eine sehr große mentale Kraftanstrengung kostet, diese zu meistern.

Zeitmanagement reicht nicht aus

Die Folge: Die Betroffenen schieben einen Berg unbewältigter Aufgaben vor sich her, werden permanent durch ein schlechtes Gewissen geplagt und können sich immer schlechter konzentrieren. Mit dem klassischen Zeit- und Selbstmanagement ist es daher heute nicht mehr getan. Zwar wird es auch künftig ein hilfreiches und nützliches Instrument sein, um Routineaufgaben zu lösen. Was viele Mitarbeiter heute jedoch brauchen, ist eine aktive Unterstützung beim Lösen neuer Aufgaben und Herausforderungen. Sie müssen sozusagen die Grundzuversicht entwickeln, Aufgaben bewältigen zu können – alleine oder mit selbstorganisierter Unterstützung. Sie müssen sich bewusst werden, in ihrem Leben schließlich schon viele, zunächst scheinbar unlösbare Herausforderungen, gelöst zu haben. Schaffen sie dies nicht, wird sie die moderne Lebens- und Arbeitswelt immer wieder in Situationen führen, in denen sie sich nicht nur überfordert fühlen, sondern es faktisch auch sind.

Unternehmen müssen mit maßgeschneiderten Präventionsangeboten, die auf das individuelle Arbeitsumfeld und die jeweils zu bewältigenden Aufgaben Rücksicht nehmen, auf diese Herausforderung reagieren. Geeignet sind beispielsweise Angebote zur Work-Life-Balance wie Stressmanagementseminare, Entspannungstrainings oder solche Veranstaltungen, die die Resilienz, also die Widerstandskraft der Mitarbeiter, stärken. Wichtig dabei: Die Präventionsangebote sollten individualisiert daherkommen: Bei einem Finanzdienstleister tauchen andere gesundheitsbelastende Faktoren auf als in einem Produktionsunternehmen. Also müssen den Mitarbeitern auch andere Präventionsangebote unterbreitet werden.

Hinter solchen Präventionsangeboten stecken nicht nur altruistische Motive, sondern auch handfeste betriebswirtschaftliche Erwägungen. Denn mittelfristig – davon sind die Personalverantwortlichen überzeugt – rechnen sich diese Ausgaben für Unternehmen, nicht nur aufgrund der geringeren Zahl krankheitsbedingter Fehltage. Diese Annahme ist nicht unbegründet, denn ein Mitarbeiter, der beispielsweise an einem Burnout-Syndrom erkrankt ist, wird mindestens ein halbes Jahr ausfallen. In dieser Zeit ist völlig unklar, ob er wieder in seinen Job einsteigt und falls ja, wie stark er anschließend belastbar ist.

Handelt es sich bei dem Mitarbeiter um einen mit Leitungsfunktion, etwa einen Bereichsleiter, entstehen Unternehmen durch diese Art der Erkrankung schnell unmittelbare Kosten in Höhe von 80.000 Euro. Werden die so genannten Chaoskosten hinzugerechnet – Kosten, die dadurch entstehen, dass aufgrund der Abwesenheit des Bereichsleiters gewisse Vorhaben nicht, mit Zeitverzögerung oder mit fehlender Sorgfalt umgesetzt werden – können sich die Ausfallkosten auf mehrere hunderttausend Euro belaufen. Dies zeigt, wie wichtig es für Unternehmen ist, präventiv aktiv zu werden.

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