PersonalentwicklungHin zum engagierten, eigeninitiativen Mitarbeiter
In den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit war Mitarbeiterführung einfach. Jeder Mitarbeiter hatte seine klar umrissenen, in einer Stellenbeschreibung beschriebenen Aufgaben. Relativ einfach gestaltete sich auch die Personalentwicklung, da große Gruppen von Mitarbeitern weitgehend identische Tätigkeiten ausübten – sei es in der Produktion oder der Verwaltung. Entsprechende Maßnahmen konnten so von der Personalabteilung von langer Hand geplant werden. Hinsichtlich der Arbeitsstrukturen, -inhalte und -beziehungen änderte sich zumindest kurz- und mittelfristig meist wenig.
Heute, wo Mitarbeiter oft in netzwerkartigen Strukturen arbeiten und die Hierarchiestufen und Bereichsgrenzen in der Alltagsarbeit an Bedeutung verlieren, entwickelt sich Führung zur Kunst – auch weil viele klassische Führungsinstrumente, wie etwa das Führen mit Zielen, an ihre Grenzen stoßen. Zudem fordern Mitarbeiter Mitsprache, sehen ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr nur als Instrument, mit dem sie die Familie ernähren, sondern erwarten, dass die Arbeit auch sinnstiftend ist. Mit all diesen Erwartungen werden Führungskräfte konfrontiert. Den schlichten Vorgesetzten gibt es nicht mehr, gefragt sind „Leader“ und „Coaches“.
Personalentwicklung stößt an ihre Grenzen
Auch die Personalentwicklung in ihrer alten zentral und top-down organisierten Form stößt an ihre Grenzen. In unserer von permanenter Veränderung geprägten Welt wird der Veränderungs- und somit Lernbedarf der Unternehmen und ihrer Mitarbeitern immer größer. Mit zentral konzipierten Maßnahmen allein kann dieser immer seltener abgedeckt werden. Auch der Lernbedarf der Mitarbeiter wird individueller und kann immer schwieriger zentral erfasst und mit standardisierten Entwicklungsmaßnahmen befriedigt werden.
Die Folge: Personalentwicklung muss sich stärker auf die operative Ebene verlagern. Aus Mitarbeitern müssen „Selbstentwickler“ werden, die erkennen, wo sie Lern- und Entwicklungsbedarf haben und diesen entweder selbst befriedigen oder für sich die notwendige Unterstützung organisieren können. Die Führungskräfte an der operativen Front hingegen müssen zu Persönlichkeiten heranreifen, die diese Lern- und Entwicklungsprozesse bei ihren Mitarbeitern fördern und so dazu beitragen, dass die Performance ihres Bereichs kontinuierlich steigt und das Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren kann.
Erkannt haben diese Entwicklungslinien viele Personalmanager bereits vor Jahren. Stichwort: Employability. Doch in konkreten Konzepten schlugen sich diese Erkenntnisse im betrieblichen Alltag bisher kaum nieder. Noch ist weitgehend unklar, ob die Fähigkeit von Mitarbeitern, sowohl zu erkennen, was zum Erreichen gewisser Ziele notwendig ist, als auch eigeninitiativ aktiv zu werden, überhaupt entwickelt werden kann.
Mitarbeiter müssen mehr Eigenengagement zeigen
Viele Praktiker in den Betrieben haben die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Mitarbeiter per se wissen, was zum Erreichen bestimmter Ziele nötig ist. Sie werden auch eigeninitiativ aktiv, selbst wenn die damit verbundenen Tätigkeiten nicht unmittelbar in ihren Aufgabenbereich fallen. Anderen wiederum fehlt der Blick dafür. Sie sehen entweder nicht, was getan werden muss, oder sie fühlen sich nicht zuständig.
Dabei hat es weder mit Intelligenz noch mit einer entsprechenden Ausbildung zu tun, ob ein Mitarbeiter sieht, wie er ein Ziel erreichen kann. Jemand, der permanent eine straffe Führung braucht, um zu erkennen, wann Kunden etwa von einer Problemlösung begeistert sind oder wie eine angestrebte Rendite erzielt wird, strapaziert die Zeit und Geduld der Führungskräfte. Mitarbeiter, die stets detaillierte Vorgaben benötigen und deren Tun entsprechend oft kontrolliert werden muss, sind heutzutage immer weniger gefragt – gerade in High-Performance-Organisationen, wo in netzwerkartigen Strukturen komplexe Problemlösungen erarbeitet werden.
Viele Unternehmen hinterfragen daher verstärkt die Kompetenzanforderungen an ihre künftigen Mitarbeiter. Gefragt sind zunehmend Mitarbeiter, die nicht nur die Verantwortung für ihr Tun, sondern auch für die Weiterentwicklung ihrer Kompetenz übernehmen, die sich für das große Ganze und das Erreichen der übergeordneten Ziele mitverantwortlich fühlen – und zwar nicht nur darüber sprechen, sondern dies auch durch ihr Tun beweisen. Da solche Mitarbeiter (noch) rar sind, müssen sich Personalsuche, Personalauswahl und Personalentwicklung sowie Mitarbeiterführung neu orientieren.
Personalauswahlverfahren überdenken
Früher liefern Personalauswahlverfahren oft folgendermaßen ab: Bevor ein Bewerber den Raum betrat, legte ein Mitarbeiter ein Blatt Papier oder einen Stift auf den Fußboden. Dann warteten alle gespannt: Bemerkt der Bewerber den Gegenstand und hebt er ihn auf, während er auf die Personaler zugeht? Solche Tests zur Bewertung er Eigeninitiative reichen heute nicht mehr aus. Wenn jedoch Eigenengagement und der Blick fürs Ganze zu Schlüsselkompetenzen von Mitarbeitern werden, sollten Unternehmen das auch im Bewerbungsprozess berücksichtigen.
Am ehesten dürfte dies im Rahmen von Assessment Centern möglich sein, bei denen mehrere Kandidaten gemeinsam eine (Projekt-)Aufgabe lösen. Eine weitere Möglichkeit: Das Unternehmen stellt dem Bewerber im Auswahlgespräch eine Aufgabe, deren Lösung automatisch eine „Insellösung“ mit den entsprechenden Folgeproblemen darstellt – wenn gewisse externe Rahmenbedingungen nicht mitbeeinflusst werden. Aus der Beobachtung heraus, ob und wie eigeninitiativ der Kandidat die Rahmenbedingungen thematisiert, die es beim Streben nach der besten Lösung zu berücksichtigen gilt, können folgende Rückschlüsse gezogen werden:
- Wie geht der Kandidat eine Aufgabe an?
- Inwieweit denkt er bei deren Lösung über den Tellerrand hinaus?
- Was würde er alleine oder im Team tun, damit die Lösung im Einklang mit den Bereichs- oder Unternehmenszielen steht?
Mitarbeiter brauchen regelmäßiges Feedback
Wenn die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, und die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren, Schlüsselkompetenzen für den Erfolg von Unternehmen sind, sollte den Mitarbeitern künftig auch ein Feedback nicht nur bezüglich der Qualität ihrer Arbeitsergebnisse gegeben werden. Sie brauchen auch Rückmeldung über:
- Wurden die Arbeitsergebnisse weitgehend eigenständig oder unter mehr oder minder straffer Führung erreicht?
- Passierte das bereits im ersten Anlauf oder erst nach mehreren Korrekturschleifen oder Interventionen – seitens der Führungskraft oder von Kunden?
Das heißt: Den Mitarbeitern sollte auch regelmäßig ein klares Signal gesendet werden, dass von ihnen ein selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln erwartet wird, und dass das ein zentrales Kriterium für die Bewertung ihrer Leistung ist. Auch der Wert ihrer Arbeitskraft wird hieran gemessen, weshalb sich der Grad der Eigenverantwortlichkeit auch in der Entlohnung widerspiegelt.
Führung muss sich neu positionieren
Mitarbeiter bringen bezüglich ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, bei ihrer Arbeit das große Ganze im Blick zu haben und sich dafür zu engagieren, unterschiedliche Startvoraussetzungen mit. Auch ihre Entwicklungspotenziale variieren. Doch auch diese Kompetenz kann entwickelt werden. Der Schlüssel hierzu: Den Mitarbeitern im Arbeitsalltag immer wieder aufzeigen, wie viele Kleinigkeiten es beispielsweise braucht, damit Qualität entsteht und die Kunden begeistert sind; wie sich die unterschiedlichen Ziele, die ein Unternehmen oder Unternehmensbereich anstrebt, wechselseitig beeinflussen, und wie sich der Markt des Unternehmens entwickelt, weshalb bestimmte Verhaltensänderungen notwendig sind.
Mitarbeitern diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen immer wieder vor Augen zu führen, ist eine künftige Kernaufgabe von Führung. Es geht darum, mit den Mitarbeitern beispielhaft zu reflektieren:
- Warum haben wir bei der schwierigen Aufgabe eine sehr gute Lösung entwickelt?
- Warum war die Lösung bei einer anderen Aufgabe aus Kundensicht unbefriedigend?
- Warum reichen bestimmte Lösungen, die irgendwann einmal zum Ziel führten, aus Kunden- oder Unternehmenssicht heute nicht mehr aus, weshalb sich unser Verhalten ändern muss?
Nur wenn eine Führungskraft mit ihren Mitarbeitern in einem permanenten Dialog darüber steht, können sich bei jenen entsprechende Kompetenzen entwickeln. Diese Entwicklung zu fördern, liegt im Eigeninteresse der Führungskräfte. Denn je ausgeprägter die Kompetenz ihrer Mitarbeiter zur Selbstführung und -entwicklung ist, umso stärker werden sie entlastet. Sie müssen weniger straff führen und seltener unterstützend, kontrollierend und korrigierend eingreifen. Hinzu kommt: Die Leistung einer Führungskraft wird stets an der Leistung ihres Teams beziehungsweise Bereichs gemessen. Auch deshalb sollten Führungskräfte an der kontinuierlichen Steigerung der Kompetenz und somit der Performance ihrer Mitarbeiter ein Eigeninteresse haben.