PersonalmanagementWie Talentmanagement funktioniert
Experten sagen, dass an folgenden personalpolitisch relevanten Entwicklungen kein Weg vorbei führt: Die Anforderungen an Mitarbeiter steigen; Unternehmen müssen sich auf Fachkräftemangel einstellen; gute Mitarbeiter und Führungskräfte werden nur über attraktive Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen gewonnen und an das Unternehmen gebunden. Ein Baustein der Mitarbeiterbindung ist, dass sich Mitarbeiter im Unternehmen persönlich entwickeln können. Deshalb wird Talentmanagement, früher als Personalentwicklung bezeichnet, immer wichtiger.
Welche Ergebnisse soll Talentmanagement bringen?
Im Mittelpunkt stehen nicht nur die Interessen der Mitarbeiter; auch das Unternehmen will mit Talentmanagement wichtige Ziele erreichen und erfolgreicher werden. Talentmanagement soll aus Unternehmenssicht dazu beitragen:
Die Stellen sind richtig besetzt
Alle Stellen im Unternehmen sind kontinuierlich und qualitativ gut besetzt. Deshalb wird der relevante Handlungsbedarf stellen-, funktions- und personenbezogen frühzeitig erfasst.
Die Nachfolge ist gesichert
Bei Nachfolgeentscheidungen werden zuerst Mitarbeiter oder Führungskräfte des Unternehmens berücksichtigt. Um Talent auszuschöpfen, delegieren Führungskräfte gezielt herausfordernde Arbeitsinhalte und Projekte an geeignete Mitarbeiter. Weil beides zur Unternehmenskultur gehört, ist Talentmanagement ein Argument für das Personalmarketing, und es fördert die Mitarbeiterbindung.
Die Mitarbeiter haben ihre Aufgaben im Griff
Über effektive Entwicklungsmaßnahmen und Entwicklungswege werden Mitarbeiter und Führungskräfte befähigt, ihr aktuelles Arbeitsgebiet noch besser in den Griff zu bekommen und neue Herausforderungen anzunehmen und zu bestehen. Das macht Veränderungsprozesse erfolgreich.
Talentmanagement ist eines der anspruchsvollsten HR-Themen. Das belegt die BCG-Studie „Creating People Advantage 2013“, an der über 2000 Führungskräfte teilnahmen. Danach ist Talentmanagement neben Leadership die wichtigste zukünftige HR-Herausforderung, bringt aber zurzeit im Vergleich zum eingesetzten Aufwand den geringsten Nutzen. Das ist nicht überraschend. Erst durch langjährige Erfahrungen sind Erfolgsfaktoren deutlich geworden, die eher indirekt wirken und die Konzeptqualität betreffen.
Im Folgenden werden vier wesentliche Faktoren und die daraus abzuleitenden Konsequenzen dargestellt.
1. Talentmanagement betrifft alle Mitarbeiter im Unternehmen
Viele klassische Konzepte für Talentmanagement konzentrieren sich auf die „High-Potentials“ und den „Goldfischteich“, in dem der Führungskräftenachwuchs und vielleicht noch Nachfolger für wichtige Expertenfunktionen schwimmen. Das hat katastrophale Folgen, denn die Belegschaft wird damit in drei Gruppen geteilt:
- Gruppe 1, die kleinste Gruppe, ist im Teich und vorerst zufrieden;
- Gruppe 2 will rein, kommt aber nicht rein und hadert;
- Gruppe 3 ist die größte Gruppe; sie setzt sich aus den einfachen, insbesondere älteren Mitarbeitern zusammen, und die verstehen die „versteckte Botschaft“ sehr gut: Sie sind eben Mitarbeiter zweiter Klasse – notwendig, aber für die Zukunft unwichtig.
Das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter der dritten Gruppe wird nachhaltig beschädigt. Deshalb muss Talentmanagement für alle Mitarbeitergruppen konzipiert sein. Neben klaren Nominierungsverfahren gibt es Wege zur Selbstnominierung, auch über Orientierungsseminare oder Development Center, und es muss dafür geworben werden, in den „Pools“ des Talentmanagements erfasst zu sein.
2. Talentmanagement beginnt auf der untersten Führungsebene
Nicht nur in Zeiten flacher Hierarchien sind die vertikalen Entwicklungen, auch Karrieren genannt, beschränkt. Außerdem verfügen viele Unternehmen auf Grund der Größe nicht über Parallelhierarchien, zum Beispiel für Führungskräfte, Spezialisten, Projektleiter oder Systemintegratoren. Wenn sich Talentmanagement nur auf Karriere bezieht, setzt sich das Unternehmen selbst unter Druck, denn Karriereerwartungen sind immer größer als Karrierechancen.
Fast an jeder Stelle, auch auf unteren Ebenen, gibt es immer wieder neue, herausfordernde Aufgaben, die Mitarbeit an (bereichsübergreifenden) Projekten oder der (horizontale) Wechsel in andere Stellen oder Bereiche. Das sind Entwicklungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter. Talentmanagement besteht deshalb nicht nur aus Nachfolgeplanung, sondern löst ein Passungsproblem: Wie passen Erwartungen des Unternehmens und Erwartungen des Mitarbeiters am besten zusammen?
Talentmanagement ist ein Führungsprinzip, das jeder Mitarbeiter bei seinen Arbeitsinhalten konkret erleben sollte. Wird es auf der Mitarbeiterebene nachvollziehbar umgesetzt, steigert es Mitarbeiterbindung insbesondere von neuen Mitarbeitern.
3. Beim Talentmanagement gibt es Verlierer
Karrieren, aber auch horizontale Entwicklungen sind gut für betroffene Mitarbeiter und gut für das Unternehmen, das nun offene Positionen schnell mit Personen besetzen kann, denen man etwas zutraut und die im Unternehmen schon zu Hause sind. Neben nicht berücksichtigten Mitarbeitern, die glauben, geeigneter zu sein, ist die abgebende Führungskraft der „Verlierer“; sie verliert den vielleicht besten Mitarbeiter und muss nun dieses „Loch“ stopfen. Der Gau entsteht, wenn die so frei gewordene Stelle nicht wieder besetzt werden darf.
Die abgebenden Führungskräfte tragen die „Kosten“ und dagegen wehren sich erfahrungsgemäß die meisten mit allen Mitteln. Wenn im Talentmanagement dieses Problem nicht gelöst wird, dann sind die Widerstände und Reibungsverluste hoch. Die Zusammenarbeit mit dem HR-Bereich ist beschädigt und wird durch taktische Spielchen dominiert.
4. Mitarbeiterpotenzial und Personalbedarf richtig bewerten
Wie gut das Potenziel eines Mitarbeiters eingeschätzt wird, hängt nicht von der Differenziertheit eines Kompetenzmodells und der IT-unterstützten Auswertung ab. Viel entscheidender ist es, Führungskräfte durch Einschätzungsprozesse zu leiten, die sich an Anforderungen von konkreten Zielpositionen orientieren. Potenzialeinschätzung ist eine nicht delegierbare Führungsaufgabe, denn wer für Zielerreichung verantwortlich ist, muss auch die Ressourcenauswahl verantworten.
Eine ebenso große Herausforderung besteht darin, den zukünftigen quantitativen und qualitativen Personalbedarf aus Geschäftsplänen und Strategien zu ermitteln und dann personalrelevante Entscheidungen zu treffen, die in der Regel Kosten produzieren. Auch das ist Aufgabe der Führungskräfte, die dabei ebenfalls vom HR-Bereich unterstützt werden.
Wenn Talentmanagement funktionieren soll, dann führt das zu folgenden Konsequenzen.
Talentmanagement muss als Führungssystem konstruiert sein
Führungssysteme besteht immer aus drei Elementen:
- Gesamtkonzept und Regeln
- Prozesse und Maßnahmen
- Instrumente und Methoden
Dabei handelt es sich um eine Wertschöpfungskette, die mit Personalmarketing und Recruiting beginnt und zu effektiven Entwicklungsmaßnahmen führt. Mitarbeiterbindung entsteht, wenn die Versprechen bei der Einstellung des Mitarbeiters auch umgesetzt werden.
Der Teil von Talentmanagement, der sich auf die operative oder strategische Unternehmensentwicklung bezieht, organisatorische Veränderungen mit personalrelevanten Auswirkungen berücksichtigt und die quantitative und qualitative Personalplanung enthält, muss verbindlich festgelegter Bestandteil der Unternehmens- oder Budgetplanung sein. Die dafür geeignete Maßnahme ist eine Personalplanungsklausur oberer Führungskräfte, die vom HR-Bereich vorbereitet, moderiert und nachbereitet wird.
Potenzialeinschätzungen werden auf Basis des Mehr-Augen-Prinzips durchgeführt und der zukünftige Personalbedarf aus Plänen und Einschätzungen gemeinsam abgeleitet. Hier werden Entscheidungen getroffen, ob Mitarbeiter in Pools für entwicklungsfähige und entwicklungsbereite Mitarbeiter aufgenommen werden, aber nicht zu konkreten Stellenbesetzungen. Dieser praktikable Weg hat sich in Unternehmen jeder Größe bewährt und macht den HR-Bereich zum Businesspartner.
Talentmanagement ist überprüfbares Führungsprinzip
Talentmanagement, das sich rechnen soll, schafft mehr als Karrieren für Einzelne. Es synchronisiert Erwartungen des Unternehmens und Erwartungen der Mitarbeiter. Das erfordert gerade auf unteren Ebenen Vorgesetzte, die dieses Führungsprinzip umsetzen können und wollen. Diese Passungsprobleme bekommen Führungskräfte nur mit geeigneten Werkzeugen in den Griff, denn sie müssen bei der Zielerreichung und Aufgabenverteilung in ihrem Team zusätzlich die Entwicklungspotenziale und Entwicklungserwartungen der Mitarbeiter berücksichtigen. Wenn sie es tun, so zeigen Erfahrungen, steigt direkt die Mitarbeitermotivation.
Wenn sie sich frühzeitig auf potenzielle Entwicklungsinteressen ihrer Mitarbeiter einstellen und hinsichtlich der Konsequenzen unterstützt werden, sinken die Widerstände gegen Karrieren oder bereichsübergreifende Entwicklungen. Dann bringen auch Mitarbeitergespräche oder Jahresgespräche eine Wertschöpfung, denn hier können Passungsprobleme oder Erwartungen ermittelt und Maßnahmen geplant werden. Mitarbeiterbindung entsteht eben nicht durch eine Hochglanzbroschüre, sondern durch konkretes Tun des Vorgesetzten.
Talentmanagement erfordert einen professionellen HR-Bereich
Der Schlüssel für den Erfolg von Talentmanagement liegt in der Arbeitsteilung zwischen Unternehmensleitung, Führungskräften und HR-Bereich.
Die Unternehmensleitung ist der Auftraggeber für dieses System
Da es dafür keine externen Zwänge gibt, wie zum Beispiel für das Rechnungswesen die Pflicht, einmal im Jahr Bilanz und Erfolgsrechnung zu erstellen, hängen Existenz und Verbindlichkeit allein von der Leitung ab.
Die Führungskräfte setzen Talentmanagement um
Der Erfolg hängt dabei nicht nur von der Bereitschaft, sondern von Personalmanagementfähigkeiten ab. Dafür müssen insbesondere operativ arbeitende Führungskräfte nicht theoretisch geschult werden, sondern praktische Umsetzungshilfen bekommen.
Der HR-Bereich ist Konstrukteur des Systems
Er ist Verantwortlicher des Gesamtprozesses, inhaltlicher Lenker von Abläufen, zum Beispiel in der Personalplanungsklausur, sowie Umsetzungscoach. Dazu sind professionelles Know-how und die entsprechende Zeit notwendig.
Sehr oft müssen sich HR-Bereiche zuerst fragen, wie viel ihrer meist knappen Personalkapazitäten sie in „Verwaltungsarbeit“ stecken und wie viel Zeit sie in wertschöpfende Arbeit stecken sollten. Wenn der HR-Bereich wertschöpfende Aufgaben wie Talentmanagement in den Mittelpunkt stellt, Erfahrungen berücksichtigt und eigene Kompetenzen aufbaut, sind alle Voraussetzungen geschaffen, damit die Ergebnisse von Talentmanagement nachweisbar den Aufwand übersteigen.