PräsentierenPowerPoint ist nicht der Feind

PowerPoint ist das erklärte Feindbild vieler Präsentierender. Dabei kann die Software gar nichts dafür. Sie ist immer nur so überzeugend wie der, der sie einsetzt. Ein Plädoyer gegen PowerPoint-Bashing.

Zwei Redner, zwei Bühnen, zwei Präsentationen. Redner Nummer eins – schwarzes Jackett, blaues Hemd, Föhnfrisur – betritt die Bühne und erweckt mit einem routinierten Tastendruck auf seinem Notebook den Beamer zum Leben. Der erste Slide erscheint auf der Leinwand: eine Überschrift. Schon dieser Titel, der auf der Leinwand fünf Zeilen braucht und die Gesetze der Grammatik neu interpretiert, lässt die Anwesenden Böses ahnen. Die ersten gähnen, während der Redner ein zweites Mal klickt.

Die Erwartungshaltung der Zuhörer wird nicht enttäuscht: Die Aneinanderreihung kaum unterscheidbarer Diagramme und Stichpunktlisten, die nun folgt, ist so aufregend wie eine Kneipentour in „Hinterpfuiteufel“, wo es nur eine Kneipe gibt. Irgendwann ist der Spuk vorbei. Zwei Männer aus der letzten Reihe verlassen den Raum gemeinsam und gaukeln einander vor, sie hätten die Präsentation mit wachem Verstand verfolgt. Um der Behauptung ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit zu verleihen, raunt der eine dem anderen hinter vorgehaltener Hand zu: „Scheiß PowerPoint!“ Der andere nickt verschwörerisch und ergänzt: „Und die Summen in den Torten-Diagrammen haben auch nicht gestimmt.“

Was für eine Rede!

Die andere Bühne. Redner Nummer zwei – schwarzes Jackett, blaues Hemd, Föhnfrisur. Während er spricht, werden an die Leinwand hinter ihm Slides mit animierten Grafiken projiziert. Der Mann brennt kein rhetorisches Feuerwerk ab; er beschränkt sich weitestgehend auf Fakten. Sachlich, fast nüchtern, trägt er eine Tatsache nach der anderen vor – ohne emotionale Tricks, ohne große Gesten, ohne seine Botschaft zu tanzen.

Während die Zuhörer seiner Stimme lauschen, sehen sie aus der Satellitenperspektive, wie auf der Leinwand hinter ihm ein beträchtlicher Teil der Niederlande unter einer blauen Schicht verschwindet. Als nächstes wird der Großraum Schanghai mit animiertem Blau übergossen, und dann verschwinden weite Flächen der Region um Kalkutta unter den blauen Pixeln. Am Ende verlassen die Zuschauer mit der gleichen ernsten Miene den Saal, mit der zuvor der Redner die Bühne betreten hatte. Kaum einer erwähnt die Technik, aber in den nächsten Tagen ist sich die Weltöffentlichkeit einig: Was für eine Rede!

Mit PowerPoint-Charts in die Kino-Charts

Sie ahnen es: Redner Nummer eins ist kein Redner aus Fleisch und Blut, sondern der Redner als solches, wie er in vielen Klageliedern aus der Karriere- oder Business-Spalte als Spezies dargestellt wird. Er und seine rhetorischen Fertigkeiten werden in diesen Artikeln in der Regel nicht näher beschrieben, denn dort geht es um etwas anderes. Redner Nummer zwei ist zufällig Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Er hat mit der oben beschriebenen Präsentation „Eine unbequeme Wahrheit“ und dem dazugehörigen Kinofilm das unangenehme Thema globale Erwärmung weltweit wieder in die Schlagzeilen gebracht. Er wurde in den meisten Artikeln über diesen Vortrag auch nicht näher beschrieben, denn er ist Al Gore.

Erste Frage: Was haben die beiden Reden gemeinsam? Einen Redner mit schwarzem Jackett, blauem Hemd und akkurater Frisur, richtig. Und noch etwas: PowerPoint. Zweite Frage: Was hat in beiden Fällen in hohem Maße über die Wahrnehmung des Vortrags beim Publikum entschieden? Noch einmal lautet die Antwort: PowerPoint. Dem einen Redner bringt die Präsentationssoftware, so die urbane Legende, den Hohn und Spott seiner Kollegen ein. Täglich, überall. Dem anderen einen millionenschweren Buchvertrag und einen Dokumentationsfilm, der weltweit zum Kassenschlager wurde – und sich der gleichen grün-blauen, visuell verlängerten Rhetorik bedient.

Verzerrte Wahrnehmung von PowerPoint

Jeder Trend hat seinen Gegentrend. Galt PowerPoint bei seiner deutschen Markteinführung 1988 als Revolution, hält sich nun seit einigen Jahren hartnäckig der Trend zum PowerPoint-Bashing. Offenbar, ich lese es immer wieder, leidet die ganze Business-Welt unter den drögen Präsentationen. Was ist dran an der These, dass PowerPoint der Publikumsschreck Nr. eins ist?

Wenn über den Erfolg von Al Gores Vortrag „Eine unbequeme Wahrheit“ gesprochen wird, findet PowerPoint keine Erwähnung – oder Keynote, oder Impress, oder irgendeine andere Präsentationssoftware. Wenn es allerdings um nicht näher definierte Vorträge nicht näher definierter Rednerinnen und Redner mit nicht näher definiertem Inhalt geht, geht es irgendwie ständig um PowerPoint. Das liest sich dann etwa so: „Kürzlich habe ich den Vortrag einer Managerin erlebt. […] Vor lauter PowerPoint kam keine Power rüber.“ Auch von „optischen Hilfsmitteln auf Kindergarten-Niveau“ ist dort die Rede. Und dann, ein paar Absätze später, auch vom entgegengesetzten Extrem: dem „multimedialen Overkill“ mit Filmausschnitten, dröhnenden Bässen und einer explodierenden Welt. Das Fazit: All die modernen Präsentationstechniken haben sich abgenutzt. Wer heute mit seinem Vortrag glänzen will, sollte ohne Technik vor sein Publikum treten.

Über die Qualität einer Rede entscheidet nicht PowerPoint

Mir drängt sich eine Frage auf: Was ist mit all den Fällen, die auf der Skala zwischen diesen realitätsfernen Extremen liegen? Mit all den Präsentationen, deren Inhalte durch PowerPoint noch besser oder überhaupt erst richtig zur Geltung kommen? Mit – ich wage es zu schreiben – dem Großteil der PowerPoint-Präsentationen, die sicher verbesserungsfähig wären, aber durchaus ihren Zweck erfüllen? Was ist mit denen, die mal eben einen Welterfolg zeitigen?

Ob eine Rede oder Präsentation gut ist oder schlecht, wird nicht durch PowerPoint entschieden. Ob von einer guten und einer schlechten Rede irgendetwas beim Publikum hängen bleibt, darüber kann PowerPoint durchaus entscheiden. Oder, genauer gesagt: die Umsetzung der Inhalte in PowerPoint. Warum wird der Grund ignoriert, aus dem PowerPoint überhaupt erfunden wurde, nämlich um Rednerinnen und Redner zu unterstützen? Mehr noch: Warum wird der Eindruck erweckt, PowerPoint sei der Sargnagel der freien Rede?

„Eine unbequeme Wahrheit“ war 2006. Ich für meinen Teil habe das Bild der vom Wasser weitgehend ausradierten Metropolregion Schanghai mit ihren 40 Millionen Einwohnern noch lebhaft vor Augen. Sogar die Zahl habe ich mir gemerkt. Al Gores Formulierungen hingegen – und das sage ich als Fan und Verfechter der freien Rede – könnte ich nicht aus dem Gedächtnis reproduzieren. Ich wage zu behaupten: Eine freie Rede von Al Gore hätte, gemessen an der Resonanz auf „Eine unbequeme Wahrheit“, kaum jemanden interessiert.

Wer nur Fehler sucht, ist ein schlechter Zuhörer

Zum Schluss ein Signal der Sympathie an die verunsicherten Opfer des PowerPoint-Bashings: Wer seine Zeit in einer Präsentation damit zubringt, nach Additionsfehlern in den Torten-Diagrammen zu suchen anstatt dem Redner oder der Rednerin zuzuhören, darf sich hinterher nicht über die Qualität des Vortrags beschweren. Kommunikation, auch in einer Präsentation, hat immer zwei Stationen: Sender und Empfänger. Und in diesem Punkt bin ich mir mit den PowerPoint-Bashern einig: Menschen, die auf Torten starren, sind schlechte Empfänger.

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