PreissystemeDas Problem mit dem Wildwuchs
Herr Lüring, warum ist ein systematisches Preismanagement so wichtig und in welchem Zusammenhang stehen historisch gewachsene Preissysteme dazu?
Alexander Lüring: Unsere Erfahrung durch regelmäßig erhobene Studien zu aktuellen Trends in klassischen B2B-Branchen wie Chemie, Baustoff oder Maschinenbau zeigt: Für viele Unternehmen sind schwankende Rohstoffpreise ein Problem. Um trotz steigender Kosten die Erträge zu verbessern, versuchen sie durch Aktivitäten auf der Umsatzseite die Ertragssituation zu optimieren. Und es ist ja kein Geheimnis, dass der Preis die wichtigste Stellschraube dabei ist. Um aber steigende Kosten durch Preiserhöhungen abzufedern, dürfen Preisstrukturen nicht nur nebenbei überarbeitet werden. Dieses Thema muss systematisch angegangen werden, ansonsten entsteht Wildwuchs. Wir sprechen dabei von historisch gewachsenen Preisstrukturen, die den Unternehmen mehr schaden als helfen.
Herr Elbel, können Sie dieses Problem an einem Beispiel erörtern?
Sebastian Elbel: Ja. Während unserer Beratertätigkeit hatten wir einmal mit einem Unternehmen zu tun, das mit sinkenden Erträgen zu kämpfen hatte und zu vorschnell glaubte, die Vertriebsmitarbeiter könnten die erwünschten Margen nicht durchsetzen. Bei der Überprüfung der Vertriebsstrategie stellten wir aber fest, dass das Problem ein komplexes Rabatt- und Boni-System war, wodurch ein starker Preisverfall entstand.
Diese Rabatt- und Boni-Vergabe erfolgte insgesamt auch unsystematisch und willkürlich. An manchen Stellen wies das Preis-Mengen-Gerüst hohe Rabatte für geringe Absatzmengen und zugleich niedrige Rabatte für Großkunden auf, doch niemand wusste, warum und wie solch ein hoher Nettopreis durchgesetzt werden konnte. Es fehlten klare Richtlinien für die Rabattvergabe und die Ertragseinbußen waren auf offensichtlich historisch gewachsene Preisstrukturen zurückzuführen.
Wie können Preissysteme überhaupt ungewollt wachsen?
Lüring: Preissysteme werden im Laufe der Jahre oft neuen Marktgegebenheiten angepasst, jedoch nie wirklich grundlegend überarbeitet. Zudem besteht teilweise eine zu starke Fokussierung auf die Preisdifferenzierung, um die Zahlungsbereitschaft einzelner Kunden abzuschöpfen. Dadurch entstehen Preissysteme, bei denen sogar unterschiedliche Preislisten für das gleiche Produkt existieren. Zusätzlich werden dann Nachlässe wie Boni, Gratisprodukte, Rabatte oder Skonti angewandt und miteinander kombiniert. Diese historisch gewachsen Preisstrukturen sind vermeidbar.
Welche Risiken ergeben sich durch undurchschaubare Preisstrukturen?
Elbel: Es gibt leider eine Reihe von Risiken, die durch historisch gewachsene Preisstrukturen entstehen können, da nicht nur die Absatzmenge und der Preis, sondern auch die Kosten sowie die Motivation der Vertriebsmitarbeiter davon betroffen sind. Heute ist es üblich, dass Kunden über das Internet Preise miteinander vergleichen. Wenn nun aber diffuse und intransparente Preissysteme diesen Prozess erschweren, kann dies zwangsläufig zu einer Verärgerung von Kunden und sinkenden Absatzmengen führen.
Auch undurchschaubare Preislisten und die nicht explizite Regelung von Rabatten schaffen für die Mitarbeiter eine schlechte Verhandlungsbasis, die dazu führt, dass nur suboptimale Preise durchgesetzt werden. Letztlich entstehen auch unnötige Kosten, denn viele Preise und Rabattmöglichkeiten bringen einen hohen Aufwand mit sich, wenn die Preissysteme beispielsweise aktualisiert werden müssen. Darüber hinaus lähmen die vielen Rückfragen des Vertriebs die allgemeine Effizienz, wodurch wiederum intensive Schulungen notwendig sind, um die Mitarbeiter mit den komplizierten Preislisten vertraut zu machen.
Eines der größten Probleme komplexer Preissysteme ist jedoch der Verlust der Steuerungsfunktion der Preise für den Vertrieb. Aufwendige und komplexe Preissysteme verhindern das schnelle Einarbeiten in die Preissystematik von neuen Produkten und demotivieren die Mitarbeiter. Somit werden „altbewährte“ Produkte verkauft, deren Preise bekannt sind, wodurch ertragsstarke, aber unbekannte Produkte unberücksichtigt bleiben.
Wie können die Unternehmen die beschriebenen Gefahren und Risiken vermeiden und erfolgreich gegensteuern?
Lüring: Zunächst einmal sollte eine Kundensegmentierung auf Basis geeigneter Faktoren wie etwa Unternehmensgröße, Absatzmenge, Bedürfnisse, Zahlungsbereitschaft sowie strategischer Bedeutung umgesetzt werden. Danach erfolgt eine entsprechende Unterteilung der Produkte in segmentspezifische Kern- und Randprodukte. Kernprodukte sind die Produkte, die für den Kunden äußerst wichtig sind, bei denen er sich auskennt und die auch gerne verhandelt werden. Randprodukte hingegen sind Produkte, die nur nebenbei mitgekauft werden und denen der Kunde tendenziell keine große Beachtung schenkt.
Produkte werden somit anhand der Preissensitivität unterteilt und meistens sind die Kernprodukte dabei die Schnittmenge aus den meistbestellten und den umsatzstärksten Produkten. Im nächsten Schritt geht es um die Definition einer produktspezifischen Preisunter- und Preisobergrenze. Im Zuge dessen wird ein weiter Preiskorridor für die Kernprodukte und ein enger für die Randprodukte festgelegt. Der Vorteil: Die Vertriebsmitarbeiter sind flexibel und haben Verhandlungsspielraum bei den Kernprodukten. Bei den Randprodukten sind sie stärker angehalten, eine hohe Marge durchzusetzen.
Am wichtigsten aber sind klare Richtlinien für die Rabattvergabe und für die Durchführung von Preisaktionen. Zudem sollten den Mitarbeitern Orientierungshilfen, etwa in Form von empirischen Durchschnittspreisen und auf dem Nutzenversprechen aufbauende Preisargumente zur Verfügung gestellt werden. Abschließend ist es wichtig, die Preisdurchsetzung quartalsweise zu kontrollieren, um nicht ein erneutes ungehindertes Wachstum der Preisstrukturen zu riskieren.
Was sind die Erfolgsfaktoren bei der Konzeption und Implementierung des optimierten Preissystems?
Elbel: Der Erfolg des zukünftigen Preissystems wird maßgeblich durch die Güte der Kunden- und Produktsegmentierung und insbesondere durch die Kenntnis der Preissensitivität bestimmt. Entscheidend ist daher, dass preisbezogene Markt- und Kundeninformationen berücksichtigt werden. Die entsprechende Informationsbasis ist in den Unternehmen zwar meist vorhanden, doch wir stellen fest, dass bisher nur wenige Unternehmen systematisch Gebrauch davon machen und demnach Marge verschenken.
Außerdem ist das Vorhandensein eines leistungsfähigen Controllingsystems unabdingbar. Nur wenn durch entsprechende IT-Systeme die Möglichkeit zur Kontrolle von Preisdurchsetzung und Margen besteht, können frühzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Auch für die Incentivierung der Mitarbeiter ist eine entsprechende Datengrundlage notwendig.
Der wichtigste Faktor ist allerdings die frühzeitige Integration des Vertriebs in den Prozess. Nur dadurch können interne Barrieren gegenüber dem zukünftigen Preissystem vermieden und rechtzeitig abgebaut werden. Ebenso reduziert die Einbeziehung des Vertriebs den späteren Schulungsbedarf, da die Mitarbeiter durch ihr aktives Mitwirken bereits Vorkenntnisse über die neuen Abläufe besitzen.
Herr Lüring, Herr Elbel, wir danken Ihnen für das Gespräch.