ProduktpiraterieIdeenklau mit System greift um sich
Krieg der Busse, nein, das ist kein neuer Science Fiction-Streifen, sondern lediglich die flapsige Bezeichnung einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Busherstellern MAN und Zonda. Für alle, die es noch nicht wissen: Zonda produziert in China Luxusreisebusse, genauso wie MAN. Und Zonda hat, so ist sich der Vizepräsident von MAN-China, Franz Neundlinger, sicher, eine exakte Designkopie des Neoplan-Luxusreisebusses Starliner angefertigt. Deshalb hat das Münchener Fahrzeug- und Maschinenbauunternehmen seinen chinesischen Konkurrenten wegen Patentverletzung verklagt. Laut Handelsblatt hat das Gericht angeordnet, dass beide Seiten bis Anfang Juli zu einer Einigung kommen müssen.
China: Ideenklau und Patentrekord
Was war passiert? Auf der Automesse in Hannover war der Starliner zum ersten Mal vorgestellt worden. Schon im März des darauf folgenden Jahres stand auf der Bus-Schau in Shanghai der A9, ein täuschend ähnlich aussehendes Modell des MAN-Produkts. Da schrillten in Deutschland die Alarmglocken. Denn nicht nur, dass die Variante aus Fernost dem Starliner äußerlich ähnelt, zu allem Überdruss für MAN kostet sie auch nur ein Drittel wie der echte Bus, den es hierzulande für satte 350.000 Euro gibt. MAN ist kein Einzelfall. Schon seit längerem ziehen ausländische Unternehmen vor Gericht und klagen ihre Patentrechte ein. Vor allem Luxusgüterhersteller wie Prada oder Gucci ließen sich ihre Rechte bereits erfolgreich bestätigen.
Zonda selbst gibt an, den „A9“ bereits 2003 selbst entwickelt zu haben, noch bevor MAN im August 2005 das Patent für sein Modell angemeldet hatte. Wie dem auch sei, Produkt- und Markenpiraterie ist schon länger ein Phänomen der wirtschaftlichen Globalisierung. Nicht umsonst stand das Thema auch auf der Agenda des gerade zu Ende gegangenen G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm, auf dem sich die Regierungschefs geeinigt haben, die Zusammenarbeit der Zollbehörden durch Leitlinien verbessern zu wollen. Bereits vor dem Treffen präsentierte die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa, OECD, eine Vorabversion ihrer Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Produktpiraterie. Darin wird der Schaden im internationalen Handel im Jahr 2005 auf rund 200 Milliarden Euro weltweit geschätzt. Schäden durch den Vertrieb von Fälschungen wie Software, Musik und Filme und illegale Digitalproduktionen über das Internet seien davon aber ausgeschlossen. Die Autoren der Studie gehen somit davon aus, dass die Schadenssumme bei Einberechnung dieser Bereiche leicht mehrere hundert Milliarden höher sein könnte. Dazu Wolfgang Hübner vom OECD-Department für Wissenschaft, Technologie und Industrie gegenüber heise online:
„Wenn wir ehrlich sind, ist die aktuelle Größenordnung nicht wirklich feststellbar.“
Produkt- und Markenpiraterie
Produkt- oder Markenpiraterie ist das Geschäft mit Nachahmer-Waren, die dem Original zum Verwechseln ähnlich sind. Dabei werden Markenrechte oder wettbewerbsrechtliche Vorschriften verletzt. Häufig geht Produktpiraterie mit Verletzungen von Urheberrechten, Geschmacksmustern, Patenten und sonstigen Rechten des geistigen Eigentums und gewerblichen Rechtsschutzes einher.
Ein Problem sei der Mangel an Statistiken und unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe. Auch sei es noch immer unzureichend empirisch untersucht, ob ein hohes Maß an Fälschungen und Piraterie für Firmen den Anreiz senkt, in die Entwicklung neuer Produkte und Prozesse zu investieren. Beispiel China: Trotz einer relativ hohen Zahl an Piraterie und Ideenklau verzeichne das Land auch eine Rekordzahl an Patentanmeldungen. Generell lassen sich vier verschiedene Arten von Produktpiraterie unterscheiden:
Sklavische Fälschung
- Versucht, das Original eins zu eins zu kopieren
- Verpackung und Markenname sind häufig gleich
- Bei Kosmetika oder Pharmazeutika sind die Inhaltsstoffe möglicherweise sogar identisch
- der Ertrag oft langjähriger Entwicklungs- und Forschungszeit des Originalerzeugers wird durch die Fälscher zunichte gemacht
Klassische Fälschung
- Inhaltsstoffe sind trotz der gleichen Verpackungen und des gleichen Namens minderwertig, nicht vorhanden oder sogar gesundheitsschädlich
- Zusätzliche Gefahr für den Hersteller des Originals wegen Imageschäden und Produkthaftungsverfahren
Plagiate
- Oft geringfügig geänderte Markennamen, hinter dem sich teilweise Produkte verbergen, die es vom Originalhersteller gar nicht gibt
Raub- oder Schwarzkopie
- Umgangssprachliche Bezeichnung für rechtswidrig hergestellte oder verbreitete Kopien von urheberrechtlich geschütztem Material
- bezieht sich in der Regel auf Produkte der Medienbranche, die sich mittels Reprotechnik reproduzieren lassen
Die Wirtschaft geht in die Offensive
Eng verbunden mit der Problematik der Produkt- beziehungsweise Markenpiraterie ist der Begriff des geistigen Eigentums. Nach der Weltorganisation für geistiges Eigentum ist dies die übergeordnete Bezeichnung für Schutzrechte an kommerziell genutzten Schöpfungen des Geistes. Folgende Schöpfungen kann man sich als geistiges Eigentum schützen lassen: Erfindungen, literarische und künstlerische Werke, Symbole, Namen, Bilder und Designs. Geistiges Eigentum im gewerblichen Bereich bezeichnet geschützte Gebrauchsmuster-, Patent- und Geschmacksmusterrechte sowie Marken. Diese Rechte werden als gewerbliche Schutzrechte bezeichnet. Das Urheberrecht (Copyright) dagegen schützt literarische und künstlerische Werke. Dazu gehören auch sogenannte verwandte Rechte, die zum Beispiel darstellenden Künstlern ihre Auftritte oder auch Rundfunksprechern ihr Radioprogramm sichern.
Die nationale Gesetzgebung kennt eine Reihe von Vorschriften, die das geistige Eigentum schützen. Die folgende beispielhafte Aufzählung verschafft einen Überblick:
- Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG)
- Gesetz Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG)
- Patentgesetz (PatG)
- Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (GeschmMG)
- Gebrauchsmustergesetz (GebrMG)
- Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG)
- Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG)
- Produktpirateriegesetz (PPG)
Daneben existieren unzählige europäische und international gültige Vorschriften und sogar internationale Abkommen, die Vielen zum größten Teil wohl nicht bekannt sein dürften. So zum Beispiel die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ), die neben dem Patent-, Kennzeichen- und Musterrecht auch die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs umfasst. Unter anderem werden einheitliche Regeln für Patente und Handelsmarken vereinbart. Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum ist eine Vereinbarung auf dem Gebiet der Immaterialgüterrechte. Es legt minimale Anforderungen für nationale Rechtssysteme fest.
Trotz dieser umfassenden Schutzvorkehrungen ist der Markt der Produktpiraterie enorm. Und vor allem unübersichtlich. Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass Produktpiraterie die deutschen Unternehmen jährlich 25 Milliarden Euro kostet und 70.000 Arbeitsplätze gefährdet. Der BDI-Mittelstandsexperte Klaus Bräunig sagte gegenüber der Financial Times Deutschland (FTD):
„2006 beschlagnahmte allein der deutsche Zoll illegal kopierte Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro – und damit fünf Mal so viel wie noch im Vorjahr.“
So machte zum Beispiel der US-Konzern Apple Bekanntschaft mit Produktpiraten oder vielmehr mit einem Produkt, das seinem MP3-Spieler „iPod-Nano“ täuschend ähnlich sah. Beim Auktionshaus Ebay sollen die Elektrogeräte zum Stückpreis von 15 Euro angeboten worden sein. Zehn Mal so preiswert wie das Original. Jetzt schlägt die deutsche Wirtschaft Alarm. Anfang April legten Wirtschaftsverbände gemeinsam mit der Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenbündel vor, um den Piraten in Zukunft Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das Bundeswirtschaftsministerium, der Bundesverband der deutschen Industrie und der Verband des Deutschen Groß- und Außenhandels planen unter anderem folgendes:
- Aufklärungskampagnen der Verbraucher
- stärkere Zusammenarbeit der nationalen und internationalen Handelskammern
- Entwicklung von standardisierten Verfahren zur Erkennung von Piratenware
- Fahndung von Außendienstlern nach Fälschungen
- Durchsuchung von Messen und Internetangeboten nach Piratenware
- bessere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Zoll
Hinweis
Textilien machen etwa ein Drittel aller Fälschungen aus. Auf Platz zwei folgen Maschinen und elektronische Geräte wie Fernseher, Software oder DVDs. Spiele, Spielzeug und Möbel belegen Platz drei.
Mehr als 80 Prozent aller Plagiate kommen aus zehn Ländern: China liegt mit 32 Prozent aller gefundenen Fälschungen vorn. Gefolgt von Thailand (13 Prozent), Korea (neun Prozent), Hongkong (acht Prozent), Taiwan (vier Prozent), die Türkei, Malaysia, Vietnam, die Philippinen und Pakistan.
So kann man sich vor Fälschern schützen
Nach Angaben des BDI stammen 60 Prozent der gefälschten Waren aus Asien, verstärkt aber auch aus Russland und der Türkei. Gerade Messen werden für Fälscher immer beliebter, denn nicht mehr allein die Konsumgüterindustrie ist von Produktpiraterie betroffen, auch den Maschinen- und Anlagenbau hat es erwischt. Das Absurde daran: Oft erfahren Firmen erst auf Messen von der Fälschung ihrer Produkte.
Der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft hat deshalb reagiert und zwei Infoblätter herausgegeben, die Unternehmen davor schützen sollen. Das Infoblatt Plagiate auf deutschen Messen richtet sich primär an deutsche Aussteller, die an internationalen Messen und Ausstellungen in Deutschland teilnehmen. Sie erhalten Tipps, wie sie sich bereits im Vorfeld einer Messe um den Schutz ihres geistigen Eigentums kümmern können etwa durch Anmeldung von Patenten, Gebrauchs- und Geschmacksmustern. Außerdem wird erläutert, wie man effektiv gegen Verletzungen der Schutzrechte vorgehen kann.
An deutsche Aussteller, die im Rahmen des Auslandsmesseprogramms an deutschen Gemeinschaftsständen teilnehmen, richtet sich das Infoblatt „Plagiate auf Auslandsmessen und ausländische Produkte in German Pavillons“. Neben generellen Informationen zu internationalen Schutzrechten informiert das Blatt über die Unterstützungsleistungen der Durchführungsgesellschaften und Fachverbände beim Vorgehen in Streitfällen. Um die eigene Marke vor Fälschern zu schützen, ist es für Unternehmen ratsam, die Marke möglichst frühzeitig von einer staatlichen Stelle schützen zu lassen. Die Anmeldung von Markenschutzrechten ist für Markenhersteller unbedingt nötig, da nur durch den Übergang der Marke in geistiges Eigentum auf rechtlichem Weg gegen Fälschungen vorgegangen werden kann. Schutzrechte können auf drei Ebenen angemeldet werden, die sich durch den territorialen Umfang des Schutzgebietes unterscheiden:
- Deutschland: Eintragung ins Markenregister des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA)
- EU: Anmeldung und Eintragung einer sog. Gemeinschaftsmarke beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt im spanischen Alicante
- International: Eintragung bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf und Veröffentlichung im internationalen Markenregister
Neben der Anmeldung von Schutzrechten können Unternehmen auch zu praktischeren Mitteln greifen, um sich vor unliebsamen Kopien ihrer Produkte zu schützen. Folgende technische Möglichkeiten stehen beispielhaft zur Verfügung:
- Produktindividuelle Buchstaben-Zahlen-Kombinationen und Validierung durch ein IT-System
- Hologramme
- Mikropartikel
- molekulare Markierungssysteme
- Funk-Chips, die die Rückverfolgung der Ware über die gesamte Herstellungs- und Lieferkette erlauben
- Hardwareschutz durch einen sogenannten Dongle, bei dem die Benutzung eines Produktes nur mit einem speziellem elektronischem Zusatz möglich ist
Neben der Politik und der Wirtschaft sind aber auch die Verbraucher gefordert. Über die Nachfrage nach gefälschten Produkten haben die nämlich keinen geringen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Piratenmarktes. Denn wird beim nächsten Strandurlaub auf die Designerbrille von Gucci für zehn Euro verzichtet, wird den Praktiken der Fälscher nicht weiter Vorschub geleistet.