Prozessoptimierung und Produktoptimierung mit Kaizen
Frau Braun, in den Wirtschaftsteilen großer Tageszeitungen ist meist die Rede von Innovationsolympiaden, dem Wettstreit um neue Märkte, das Besetzen von Nischen und dem hektischen Treiben an der Börse. Woran denken Sie, wenn Sie so etwas lesen?
Die Variantenexplosion, die wirtschaftspolitischen Entwicklungen und der Wandel hin zum Kundenmarkt lässt das Karussell stetig schneller drehen – so schnell, dass sich viele nicht mehr halten können. Dieser Prozess des gegenseitigen Übertrumpfens wird sicherlich noch einige Zeit so weitergehen, auch wenn er nicht unserem Verständnis von Wachstum entspricht.
Damit liefern Sie bereits das Stichwort: Sie sagen, Wachstum hänge nicht davon ab, ob ein Unternehmen in kurzen Innovationsintervallen volatile Märkte bedient. Vielmehr sollten sich Unternehmen aus dieser Hektik zurückziehen und langfristig denken. Ist das noch zeitgemäß?
Wer mittel- und langfristig wachsen will, darf sich von dieser Hektik, ich möchte fast von Panik sprechen, nicht anstecken lassen. Sie führt zwar zu kurzfristigen Gewinnen, aber verleitet eben auch zu kurzfristigem Denken und Handeln. Je aufgebrachter und unvorhersehbarer die Meere sind, desto ruhiger und besonnener muss der Kapitän bleiben.
Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Methode Kaizen, nach der Unternehmen permanent nach Verbesserung streben sollten. Warum lassen sich trotzdem so viele Unternehmen von dieser Hektik mitreißen, wenn es doch anscheinend eine erfolgversprechende und langfristig ausgerichtete Alternative gibt?
Ungewissheit und Hektik sind Alltag eines Unternehmers. Kumulieren beide oder werden sie zum Dauerzustand, überträgt sich diese Unsicherheit auch auf den gelassensten Unternehmer. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmer aber auch nicht wirklich wissen, was Kaizen überhaupt ist oder wie es funktioniert. Gehört hat es womöglich jeder im Kontext mit Toyota schon einmal, aber es fehlt das Detailwissen.
Im Kaizen ist die Rede von Verschwendungen, die es kontinuierlich zu beseitigen gilt. Dem wird große Bedeutung zugesprochen und mit Wachstum gleichgesetzt. Wie kann ein Unternehmen wachsen, wenn ausschließlich Verschwendung reduziert wird? Wird es dadurch nicht einfach nur effizienter?
Wachstum findet statt, wenn ich einem System entweder mehr zuführe oder weniger wegnehme. Ein Unternehmen kann Millionen umsetzen, doch wenn es genauso viele Kosten verursacht, findet kein Wachstum statt, im Gegenteil. Wachstum können Sie nur generieren, indem Sie den Umsatz bei gleichbleibenden Ausgaben steigern. Oder Sie reduzieren die Kosten bei gleichbleibendem Umsatz, verschwenden also weniger Geld. Dann bleibt Kapital übrig und das Unternehmen wächst. Das Unternehmen wird also effizienter und es wächst.
Wenn alle Prozesse optimiert und jede Verschwendung auf ein Mindestmaß reduziert wurden, wie kann ein mittels Kaizen geführtes Unternehmen dann noch weiterwachsen?
Kaizen ist mehr als nur Prozessoptimierung, es ist beispielsweise auch Produktoptimierung. Wachstum findet also auch statt, indem Produkte kontinuierlich von Verschwendung befreit, weiterentwickelt und optimiert werden. Wir sprechen hier jedoch von langfristigen Verbesserungsprozessen und keinen Schnellschüssen. So wie das Unternehmen wächst, so reifen auch die Produkte dauerhaft.
Kaizen entstand in Japan. Ist es in unseren Kulturkreis überhaupt transferierbar?
Diese Frage wird oft gestellt. Natürlich unterscheidet sich die japanische Kultur von unserer. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass Kaizen sehr gut in unsere Arbeitsweise integrierbar ist. Kritikfähigkeit, Zuverlässigkeit, Begeisterungsfähigkeit oder Konsequenz sind zwar kulturelle Unterscheidungsmerkmale, aber keineswegs Ausschlusskriterien für Kaizen.
Können sie zum Abschluss noch einen Tipp geben: Was können Unternehmen schon morgen ändern, um im Sinne des Kaizen zu wachsen?
Sie können beispielsweise darauf achten, wie viel Zeit vergeht zwischen einer beschlossenen Maßnahme in einem Meeting und der praktischen Umsetzung. Nur eine umgesetzte Maßnahme ist eine erfolgreiche Maßnahme. Statt immer neue Maßnahmen zu beschließen, sollte zunächst Freiraum innerhalb des Tagesgeschäfts für die wirtschaftliche Umsetzung geschaffen werden.
Frau Braun, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.