Rede haltenWarum Redner Klischees vermeiden sollten

Reden vor Publikum tragen zur Meinungsbildung bei. Dabei werden oft Klischees benutzt, um Thesen zu untermauern. Doch viele Klischees erzählen nur die halbe Wahrheit.

Unser Bild von Afrika ist ein Klischee. Es ist nicht die Wahrheit, weil es nicht die eine Wahrheit über Afrika gibt. Afrika ist mehr als sengende Hitze, exotische Tiere, Hunger und Elend, Krieg und AIDS. Afrika ist viele Geschichten.

Der Gefahr, nur eine einzige Geschichte zu erzählen, sind wir in jeder Rede ausgesetzt – jedes Mal, wenn wir Storytelling einsetzen. Auch das Publikum selbst ist dieser Gefahr ausgesetzt. Doch als Redner haben wir es in der Hand, diese Gefahr abzuwenden und das Publikum vor dieser Gefahr zu beschützen. Oder uns selbst – wenn das Publikum besser Bescheid weiß als wir und unsere Klischees entlarvt. Als Redner sollten wir also doppelt daran interessiert sein, nicht in die Klischee-Falle zu tappen.

Klischees durch kritisches Hinterfragen entlarven

Doch wie erkennt man Klischees? Dafür gibt es einige Anhaltspunkte: Eine Geschichte zu erzählen, die Sie so oder so ähnlich schon oft gehört haben – womöglich bei anderen Rednern – ist generell keine gute Idee. Eine Geschichte, von der Sie nicht wissen, ob sie zum Reich der Legenden gehört, sollten Sie ebenso meiden. Und: Sie sollten das Motiv des Erzählers immer genauso im Blick haben wie die Geschichte selbst. Möglicherweise leuchtet deren Botschaft nämlich nur denjenigen ein, die so denken wie der Erzähler.

Letztlich hilft nur kritisches Hinterfragen, um Klischees nicht auf den Leim zu gehen. Machen Sie sich immer die Mühe, den Faktengehalt und die logische Substanz von Geschichten zu durchleuchten. Das Risiko, nur die halbe Wahrheit zu erzählen, bleibt jedoch selbst dann: Auch eine wahre Geschichte kann ein Klischee transportieren. Natürlich gibt es in Afrika hungernde Kinder, von denen Sie berichten können. Ihrem Publikum ist mit solch einer Geschichte aber nicht geholfen, denn sie ist schon bekannt. Sie transportiert bestenfalls die halbe Wahrheit.

Sich beim Erzählen nicht selbst verleugnen

Und die andere Hälfte der Wahrheit? Oft geben wir uns damit zufrieden, sie einfach unter den Tisch fallen zu lassen – und geben damit bewusst oder unbewusst die Chance auf, Themen auf eine andere Art und Weise zu betrachten. Im schlimmsten Fall ignorieren wir damit sogar einen Teil von uns selbst, weil diese individuelle Sichtweise gerade vermeintlich nicht gefragt ist. Das ist dann Selbstverleugnung.

Ihre Wirkung als Redner ist aber dann am größten, wenn Sie sich treu sind und eine Botschaft verbreiten, für die Sie als Mensch stehen. Beschränken Sie sich nicht darauf zu erzählen, was gerade en vogue ist. Erzählen Sie lieber Ihre Geschichte, Ihre Hälfte der Wahrheit!

Gegen die Verbreitung von Klischees hilft, die Perspektive zu wechseln. Hinterfragen Sie jede Geschichte aus der Sicht eines Insiders. Oder: Fragen Sie einen. Was hätte etwa die Sekretärin über die Geschichten zu sagen, die ihr Chef seinen Manager-Kollegen über seine Mitarbeiter erzählt? Was ist die andere Hälfte der Wahrheit?

Auf Klischees aufbauende Botschaften sind nichts Neues

Die Suche nach der anderen Hälfte der Wahrheit lohnt sich noch aus einem weiteren Grund: Wir erzählen Geschichten, um dem Publikum etwas mitzuteilen. Erzählen wir ein Klischee, erzählen wir ihm jedoch nichts Neues. Eine Botschaft, die auf einem Klischee aufbaut, ist damit kein Alleinstellungsmerkmal.

Gerade im Geschäftsleben hält sich oft hartnäckig, was einmal als Mode begonnen hat. Manche Themen haben sich über die Jahre zu Klischees ausgewachsen, die scheinbar niemand mehr in Frage stellt. Ganze Generationen von Managern und Mitarbeitern werden so oft mit einer bestimmten Interpretation beschallt, dass sie in ihren Ohren zur einzigen Wahrheit geworden ist – weil Generationen von Rednern dieselbe Geschichte erzählt haben.

Das Klischee vom Charisma

Charisma etwa ist ein solches Thema. Es ist für bestimmte Menschen in bestimmten Positionen wichtig, und trotzdem ist es nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist die Substanz. Ohne Substanz ist Charisma nichts wert, kann sogar zum Risiko werden. Charismatische Menschen sind nicht automatisch gute Führungspersönlichkeiten. Zum Thema Charisma fehlt in der öffentlichen Diskussion die ausgleichende andere Hälfte der Wahrheit.

Auch Work-Life-Balance gehört dazu. Für viele, vor allem ältere Arbeitnehmer, ist sie möglicherweise die Geschichte, die ihnen zu mehr Lebensglück verhilft. Bei der Generation Y dagegen – von der Generation Z ganz zu schweigen – können Sie als Redner mit dieser Theorie keinen Blumentopf mehr gewinnen. Die jüngeren Generationen wollen Arbeit und Privatleben nicht gegeneinander abwägen. Sie wollen ihren Job in ihren Lebensentwurf integrieren können und ihre persönliche Erfüllung keinesfalls nur in ein mit der Stechuhr abgegrenztes Privatleben auslagern.

Wenn Sie sich abheben und als Redner in der Masse der Geschichtenerzähler auffallen wollen, erzählen Sie eine andere Geschichte. Bringen Sie den Mut auf, Ihrem Publikum die andere Hälfte der Wahrheit zu servieren!

Wo Klischees in einer Rede auftauchen

Klischees gehen wir in den meisten Fällen nicht absichtlich auf den Leim und haben auch nicht vor, der öffentlichen Wahrnehmung eines Themas gezielt Schlagseite zu verpassen. Kein Redner lässt andere Theorien in böser Absicht weg, sondern erzählt in guter Absicht und mit guten Argumenten seine Geschichte. Um uns aber ein differenziertes Bild von einem Thema machen zu können, brauchen wir viele verschiedene Geschichten.

Gerade Storytelling als Methode darf nicht auf einen Blickwinkel reduziert werden, sonst trägt es möglicherweise zur Klischeebildung bei. Aber können wir Klischees bei der Formulierung unserer Botschaften und beim Storytelling überhaupt vermeiden? In der freien Rede begegnen uns Klischees auf drei Ebenen: bei der Vorbereitung, der Formulierung und der Schlussfolgerung. Bei der Vorbereitung lassen sich Klischees nur durch Tiefe entlarven und umgehen.

Beispiel

Klischees bei der Vorbereitung einer Rede

Wer sich auf eine Rede vor Personalern vorbereitet und einfach davon ausgeht, dass diese es permanent mit gestressten Angestellten zu tun haben, kommt möglicherweise gar nicht auf alternative Ideen zu Work-Life-Balance. Wer aber vorher in Erfahrung bringt, dass der Altersdurchschnitt in diesen Unternehmen 30 ist, kann noch einmal überlegen.

Beim Formulieren der Rede verbergen sich die Klischees oft in der Wortwahl.

Beispiel

Klischees beim Formulieren der Rede

Redner können zum Beispiel das Klischee von den faulen Griechen bedienen, weil das einfach ist und es ihnen möglicherweise den einen oder anderen Lacher einbringt. Sie können aber auch genauer hinschauen und stattdessen einmal die Geschichte der vielen tapferen Griechen erzählen, die viele nicht kennen und die allein schon deshalb gern weggelassen wird.

Echte Meinungsbildung kann erst stattfinden, wenn die Geschichten verschiedener Protagonisten gehört worden sind. Ihr Vorteil als Redner: Sie bleiben Ihrem Publikum als derjenige in Erinnerung, der es anders sieht. Nicht nur wünschenswert, sondern von entscheidender Wichtigkeit ist die Vermeidung von Klischees aber aus einem grundlegenden methodischen Grund: Storytelling in der freien Rede dient der Veranschaulichung und Verstärkung von Botschaften.

Wer seine Rede auf einer klischeehaften Story aufbaut, der stellt seine Schlussfolgerung möglicherweise auf ein morsches Fundament. Klischees können nicht nur dafür sorgen, die halbe Wahrheit auszublenden; sie können auch dazu führen, grundlegend falsch zu argumentieren und dem Publikum schlicht einen Bären aufzubinden.

Checkliste

So vermeiden Sie Klischees in einer Rede

  • Jede Interpretation eines Themas kritisch hinterfragen, anstatt sich unreflektiert auf einen Trend einzulassen.
  • Die Perspektive ändern und sich fragen: Was ist die andere Hälfte der Wahrheit?
  • Andere Protagonisten in Erwägung ziehen, deren Sichtweise auf das Thema bisher unterbelichtet geblieben ist.
  • Keine Geschichten erzählen, die gerade alle erzählen.
  • Klischeehafte Formulierungen vermeiden und das Publikum mit einer alternativen Wortwahl überraschen, die die Botschaft trägt.

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