Rhetorik und Reden halten ist Schlüsselkompetenz
Mit großen Persönlichkeiten verbinden wir oft ihre eindrucksvollen Reden oder einzelne Schlüsselsätze daraus. „Ich bin ein Berliner“, „I have a dream“, „Yes we can“ – einfache Worte, die Weltgeschichte geschrieben und sich dauerhaft ins Gedächtnis ganzer Generationen eingebrannt haben. „Wir sind das Volk“, vier einfache Worte, aber sie haben die Mauer zum Einsturz gebracht.
Unterhaltung auf hohem Niveau bieten
Man stelle sich folgendes Szenario vor: 300 Kunden sitzen im Saal, alle Augen sind gespannt auf das Podium gerichtet. Die Unternehmensleitung hat zu einer Produktpräsentation eingeladen. Was alle sofort spüren: Der Redner ist nervös, räuspert sich. An sein Pult geklammert, beginnt er schließlich zu sprechen, leise und hastig. Seite für Seite rattert er monoton herunter, ohne Ausdruck und auch nur den Hauch von Lebendigkeit. 30 Minuten dauert das Ganze – für die Zuhörer fühlt es sich an wie Stunden, denn es springt kein Funke über. Im Saal wird getuschelt, sogar gegähnt. Am Ende schließlich nur müder Applaus.
Eine grausame Vorstellung für die Zuhörer, und eine Horrorvision für jeden Redner. Dabei möchte dieser doch eigentlich nur, dass die Zuhörer vom ersten bis zum letzten Satz an seinen Lippen hängen. Fragt sich nur, wie sich der Schlüssel zum Herzen der Zuhörer finden lässt und vor allem wie es geht, diesen dann auch noch ins Schloss zu stecken, um den Zaubergarten einer begeisternden Rhetorik zu betreten? In Amerika gibt es dafür eine Erfolgsformel. „They won’t like you, if they don’t like your show.” Frei übersetzt heißt das: Zuhörer werden einem Redner nur dann folgen, wenn es ihm gelingt, eine gute Show zu zeigen. Dieser Meinung war übrigens auch Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der einmal sagte:
„Ein Rednerpodium war für mich immer auch Bühne. Eine Bühne, auf der ich inszeniert habe. Zu jeder guten Inszenierung gehört aber ein gutes Drehbuch. Ich habe Wert darauf gelegt, nicht nur die Inhalte rüberzubringen, sondern meinen Zuhörern auch - auf hohem Niveau - Vergnügen zu bereiten.“
Zuhörer lassen sich folglich nur dann erobern, wenn ihnen Vergnügen bereitet wird und sie auf einem hohen Niveau unterhalten werden.
Der erste Satz einer Rede ist entscheidend
Reden ist ein permanenter Kampf gegen Langeweile, Desinteresse und Müdigkeit. Vielleicht sind zu Beginn der Rede einige der Zuhörer gedanklich gerade im Büro? Oder vielleicht ist so manch einer gedanklich schon wieder auf der Autobahn? Wenn es dem Redner nicht gleich zu Beginn gelingt, das Interesse zu wecken, die Zuhörer aus ihrer Gedankenwelt herauszureißen, kann er sagen, was er will: Niemand hört ihm zu! Die ersten Sätze verpuffen. Deshalb sollten Redner für den ersten Satz all ihre Mühe, all ihre Phantasie einsetzen. Der erste Satz muss ein „Ohrenöffner“ sein. Redner müssen ihrem Publikum Lust aufs Zuhören machen, es mit Neuigkeiten überraschen. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er neugierig ist, gierig auf Neues. Davon lebt die ganze Kommunikationsindustrie.
Genau genommen gibt es nur zwei Gründe, warum jemand einem Redner zuhört: Weil er entweder etwas Neues oder es auf eine neue Weise sagt. Redner müssen ihren Zuhörern so früh wie möglich deutlich machen, warum es sich heute für sie lohnt, zuzuhören. Sie müssen erkennen, dass es um ihre Interessen geht. Konkrete Einzeltipps sind hierfür ebenso hilfreich wie klare und einfache Lösungsvorgaben, an die die Zuhörer sich halten können. Noch besser ist es, wenn Redner es schaffen, dem Zuhörer zu helfen, selbst Lösungswege für sein Problem zu finden. Wann immer das gelingt, ist dem Redner der erste Zwischen-Applaus sicher.
Authentizität ist für Redner wichtig. Nur so können sie Zuhörer als Mensch erkennen und einschätzen. Authentische Menschen gewinnen meist sehr schnell die Sympathie der Zuhörer und erzielen eine hohe Glaubwürdigkeit. Authentisch zu sein ist allerdings nicht immer ganz einfach – vor allem auf der Bühne. „Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“, lautet der legendäre Satz aus einem Stück des Dramatikers Ödon von Horváth. Im Berufsalltag neigen Menschen dazu in Rollen zu schlüpfen, die ihnen wesensfremd sind. Redner fühlen sich auf der Bühne oft genauso: Fern der eigenen, ansonsten souveränen Persönlichkeit, weil ein Vortrag für sie extrem anstrengend und Kräfte zehrend ist. Wie also lächeln, wenn die Nervosität dominiert und der Redner gar nicht weiß, wie er die nächsten Sekunden überstehen soll?
Ohne Vorbereitung kein Ergebnis
Zuhörer sind wählerisch. Sie hören nicht jedem gerne zu und sie interessieren sich nicht nur für das eine Thema. Außerdem lassen sie sich nur auf die Rede ein, wenn sie unterhaltsam ist. Gute Redner sollten deshalb bei Köchen in die Schule gehen. Dort könnten sie lernen, wie eine Rede zubereitet, schmackhaft gemacht und garniert wird, denn auch das Auge will mit essen. Doch vielen Reden fehlt es an Würze. Auch eine Rede braucht ihre Zeit, deshalb sollten Redner diese, im Vergleich zum Koch, nie zu früh aus dem Ofen holen. Oder das Ergebnis der Kochkunst zu früh vorwegnehmen. So wie der Reiter sein ungestümes Pferd mit dem Zaumzeug leichter bändigt, bändigen auch Redner die ungestüme Vielfalt ihrer Gedanken, Ideen und Vorstellungen, indem sie beim Vorbereiten einer Rede mit folgender Systemformel arbeiten:
Ziel: Was will ich mit meinem Vortrag überhaupt erreichen?
Adresse: Wer sind meine Zuhörer? Wen will ich mit meinem Wort erreichen?
Umfeld: Wie sieht das Kommunikationsumfeld aus, der Ort, an dem ich rede?
Mittel: Welche Mittel kann ich einsetzen? Wie schaffe ich den Weg vom ersten Arbeitstitel bis zum fertigen Manuskript?
Am Ende die Zuhörer noch einmal mitreißen
90 Prozent aller Redner hören gewöhnlich auf, indem sie ihr Manuskript zusammenklappen und etwa mit folgenden Worten enden: „Das war’s“, „Das wäre es gewesen“, „Das war eigentlich das Wichtigste“ oder „Danke für Ihre Aufmerksamkeit.“ Alles Phrasen und verstaubte Floskeln. Ein Grundsatz erfahrener Schauspieler heißt: „Reiße sie noch einmal von den Stühlen, bevor der Vorhang fällt.“ Für den Redner gilt das Gleiche. Der Schluss muss ein strategischer Höhepunkt sein, er muss den gesamten Redebeitrag überstrahlen. Am Schluss überreichen Redner den Zuhörern sozusagen das Produkt ihrer Gedankenarbeit. Kaum ein Mensch weiß noch, was J. F. Kennedy 1963 bei seiner berühmten Berliner Rede alles gesagt hat. Aber an den Schluss kann sich auch nach Jahrzehnten fast jeder noch erinnern: „Ich bin ein Berliner!“ Oder auch der ehemalige Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni, der seine äußerst emotionale Wutrede auf einer Pressekonferenz mit den Worten schloss: „Ich habe fertig!“ Noch heute ist das unvergessen und im Gedächtnis nicht nur der Zuhörer, die dabei waren.