SchamlosTabuisierte Leistungen und Produkte richtig präsentieren
Der Erotikhandel über das Internet boomt: Shops, in denen sich Kunden ihre geheimen Wünsche diskret erfüllen können, schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Hemmschwelle, direkt in einen Sex-Shop zu gehen und sich dort mit Erotik-Artikeln oder Filmen einzudecken, ist bei vielen Menschen immer noch hoch.
Auch wenn sich in unserer Gesellschaft in Hinsicht auf Toleranz und Aufgeschlossenheit schon viel getan hat, gibt es über derartige Angebote hinaus noch eine Reihe von anderen Produkten, deren sichtbarer oder öffentlicher Konsum mit einem Tabu behaftet ist. Sie sind verpönt oder werden ausschließlich heimlich in Anspruch genommen, da sich der Konsument des dahinter stehenden Bedürfnisses schämt. In diesem Beitrag soll es entsprechend um die werbliche Darstellung von Produkten gehen, die
- entweder gegen unangenehme Schwächen wirken, die man lieber verheimlicht (Potenzschwäche, Inkontinenz bei älteren Menschen, Damen-Hygieneartikel ...)
- oder auf die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse gerichtet sind, deren offene Befriedigung bei vielen Menschen verpönt ist (zum Beispiel erfüllte Sexualität)
Für Kommunikationsfachleute, die für Imagebildung und Produkt-PR entsprechender Anbieter zuständig sind, besteht die Herausforderung darin, an der Relativierung bestehender gesellschaftlicher Tabus mitzuwirken und Berührungsängste mit ihrem Angebot abzubauen. Dies ist in vielen Fällen nur langfristig und mit viel Geduld möglich.
Die strategische Ausrichtung der Unternehmenskommunikation
Von zentraler Bedeutung bei tabuisierten Produkten ist die Kommunikationspolitik. Die gesamte Kommunikationsstrategie muss an die Gefühlslage der Zielgruppe und an die gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Manche Produkte wie Mittel zur Potenzsteigerung erinnern an "peinliche" Schwächen – andere erzeugen darüber hinaus sogar Angst: So erwecken Inkontinenzprodukte für Senioren auch bei jungen Menschen unangenehme Assoziationen an Alterung, Hilflosigkeit und eine geringe Lebensqualität.
Eine weitere Produktkategorie erinnert viele Menschen an eigene, gegebenenfalls verdrängte Triebe und Sehnsüchte, die sie sich nicht trauen, auszuleben. Darüber hinaus ist insbesondere die vom Zeugungsvorgang losgelöste, auf reine Lusterfüllung gerichtete Sexualität wegen des Einflusses überkommener christlicher Wertvorstellungen immer noch mit einem Tabu behaftet.
Um die werbliche Kommunikation speziell an die besonderen Gegebenheiten anzupassen, sollte die Beantwortung der folgenden Fragen mit in das Kommunikationskonzept einfließen:
- Welche Vorurteile bestehen allgemein gegen die Produkte?
- Gibt es gesellschaftliche Gruppierungen, die besonders starke Vorbehalte gegen das Produkt haben? Welche sind das und wie groß sind ihr Ansehen und ihr Einfluss?
- Mit welchen Sanktionen muss die Zielgruppe gegebenenfalls rechnen, wenn sie das Produkt öffentlich oder deutlich erkennbar in Anspruch nimmt?
- Sollen Ängste, Vorbehalte und/oder mögliche gesellschaftliche Konsequenzen direkt in der werblichen Kommunikation angesprochen werden oder ist es besser, sie stillschweigend zu übergehen und den Konsum beziehungsweise die Inanspruchnahme des Angebots als "normal" darzustellen?
- Wie direkt soll das Produkt oder der Gebrauch bildlich dargestellt werden?
- Wie kann man beim Vertrieb des Produktes dem Bedürfnis der Anwender nach Diskretion nachkommen?
- Was sind die zentralen werblichen Botschaften, die nach außen übermittelt werden sollen?
Je nach Sachlage, ob sich der Anbieter auf tabuisierte Produkte spezialisiert hat oder ob er daneben noch eine Reihe "unverfänglicher" Angebote in seinem Programm aufgenommen hat, wird die Kommunikationsstrategie angelegt.
Produktpräsentation: Einen glaubwürdigen, überzeugenden und seriösen Kommunikator wählen
Da sich die Zielgruppe tabubehafteter Produkte in den meisten Fällen schämt, "so etwas nötig zu haben", wählen manche Anbieter einen sympathischen Kommunikator für die werbliche Inszenierung ihres Angebots. Das Ziel ist, entweder ein Vorbild oder eine Identifikationsfigur aus der Zielgruppe zu präsentieren, um die Inanspruchnahme des Produktes als verbreitet und allgemein akzeptiert darzustellen. Die Botschaft lautet: "Dieser nette Mensch nimmt völlig selbstverständlich das gleiche Produkt wie Sie in Anspruch und schämt sich dessen nicht."
Bei der Auswahl des Kommunikators (oder der Kommunikatoren) ist Folgendes zu beachten:
- Er muss einerseits selbst zur Zielgruppe gehören beziehungsweise Werte repräsentieren, die sowohl in der Zielgruppe als auch in der Öffentlichkeit anerkannt sind.
- Zum anderen darf er aber auf keinen Fall einem negativen Klischee entsprechen.
Es geht hier um einen goldenen Mittelweg: Der Abstand zur Realität der Zielpersonen darf auf der anderen Seite nicht zu groß sein. In vielen Anzeigen für Mittel zur Gewichtsreduktion wird mit gertenschlanken und attraktiven jungen Frauen geworben. Ein möglicher Effekt kann dabei sein, dass bei der Zielperson ein Gefühl der Frustration entsteht ("Das schaffe ich doch nie!").
Das Tabu behaftete Produkt in Zusammenhang mit nicht tabuisierten Angeboten zeigen
Wird das tabuisierte Produkt gemeinsam mit anderen, akzeptierten und/oder alltäglichen Artikeln beworben oder auch in Verkaufsräumen ausgestellt, erfolgt dadurch seine Anhebung auf die gleiche Ebene. Die Hemmschwelle, das Produkt zu ordern oder es zusammen mit anderen Waren in den Einkaufswagen zu legen, sinkt.
Ein passendes Beispiel sind Kondome: Früher war der Erwerb von Verhütungsmitteln ein gesellschaftliches Tabu – inzwischen gibt es sie in fast jedem Supermarkt zu kaufen. Sie hängen entweder direkt am Zigarettenregal, stehen in unauffälligen Schachteln zwischen anderen Drogerieprodukten oder man kann sie diskret im Automaten ziehen.
Eine spielerische und ungefährliche Annäherung ans Thema
Auf das Thema Erektionsstörungen reagieren viele Männer verständlicherweise sehr empfindlich. Gerade in unserer auf Leistung in jeder Lebenslage ausgerichteten Gesellschaft ist es ein schwerwiegendes Problem, nicht mehr "seinen Mann stehen" zu können. Laut eines Fernsehberichtes gibt es deutschlandweit nur eine offizielle Selbsthilfegruppe, in der sich Betroffene und Partner über das Problem austauschen. Aus diesem Grund ist eine besonders behutsame Vorgehensweise gefragt, wenn es um die werbliche Kommunikation für Mittel zur Potenzsteigerung geht.
Eine Möglichkeit besteht darin, das schwierige Thema mit einem positiv besetzten zu verknüpfen und den Konsumenten damit einen spielerischen Zugang zum Produkt zu ermöglichen. Auf der Website www.mann-info.de des Viagra-Herstellers Pfizer finden sich neben harten Fakten zum Thema Erektionsstörungen eine Reihe von unterhaltsamen und spielerischen Online-Aktionen, mit denen sich der Pharmakonzern an das Thema Impotenz annähert, ohne das Kind zunächst direkt beim Namen zu nennen. Unter dem Aufhänger "Fußball" beispielsweise fanden Männer vor einiger Zeit Informationen zu verschiedenen Fußballstadien. Im Text hieß es:
"Die schönste Nebensache der Welt ist ... Fußball natürlich. Wie bei jedem Genuss ist auch beim Fußballspiel der Rahmen wichtig. … Gemeinsam ins Stadion ziehen und 90 Minuten seinen Favoriten anfeuern, das ist ein Gefühl, mit dem nur wenig konkurrieren kann. Es sei denn, Sie kennen noch eine schönste Nebensache der Welt."
Über das Fußballthema, das nicht nur durch die Weltmeisterschaft sehr populär und angesehen ist, wurde durch die Anspielung "Die schönste Nebensache der Welt" eine Analogie zu einem beglückenden Sexualerlebnis aufgebaut. Aktuell befindet sich unter dem Titel "Kniffelige Kopfbälle" ein Fußballquiz, bei dem man(n) so schnell wie möglich Fragen rund um das Leder beantworten muss.
In die gleiche Richtung ging auch eine Pfizer-Biergartenaktion "Echte Kerle gesucht": An vier Wochenenden führte der Konzern eine Umfrage in den Biergärten von Großstädten durch: Männer sollten den Satz "Ich bin mit Leib und Seele Mann, weil …" mit einem originellen Spruch ergänzen. Die so entstandenen lustigen Statements der Biergartenbesucher wurden mit Schnappschüssen ergänzt und konnten auf der Website www.mann-info.de eingesehen werden.
Eine betont sachlich-wissenschaftliche Darstellungsform wählen
Stehen tabuisierte Produkte in Zusammenhang mit Körperflüssigkeiten, werden diese grundsätzlich nie in ihrer eigentlichen Farbe gezeigt. Die Verwendung der Originalfarben von Blut und anderen menschlichen Ausscheidungen könnte etwa bei der Lektüre bebilderter Produktbeschreibungen oder Bedienungsanleitungen Ekelgefühle hervorrufen und abschreckend wirken. Aus diesem Grund stellen viele Hersteller – so auch Procter & Gamble die Funktion von Always-Damenbinden mit blauer Flüssigkeit dar.
In Verbindung mit sachlichen Erläuterungstexten bekommt der mit dem Produkt verbundene, für viele Frauen unangenehme Körpervorgang einen sehr neutralen Bezug. Die Darstellung in Form von Grafiken weckt Assoziationen an eine Forschungsabteilung, die wissenschaftlich-fundiert eine Lösung gegen die bei der Periode entstehende Nässe entwickelt.
Sich einen Namen als anerkannter Experte für die Probleme der Zielgruppe machen
Unter der Domain www.beinggirl.de unterhält Procter & Gamble eine sehr ansprechend gestaltete Spezial-Website für junge Mädchen, die als Online-Magazin aufgebaut ist. Dort geht es nicht nur um die körperlichen Veränderungen, die die Pubertät mit sich bringt (und die entsprechenden Hygieneartikel), sondern es werden Geschichten rund um Liebe und Freundschaft präsentiert, Schönheitstipps und Ratschläge in Bezug auf Sexualität (zum Beispiel Saver Sex und Verhütung) gegeben und aktuelle Musiktipps gegeben.
Alles, was sich um das für weibliche Jugendliche neue Thema "Menstruation" und "Erwachsen werden" dreht, wird auf dieser Website thematisiert. Hinzu kommen weitere interaktive Angebote wie ein Quiz und Gewinnspiele. Die Zielgruppe wird also genau wie bei der Pfizer-Website nicht nur bei ihrem eigentlichen Bedarf abgeholt, sondern durch weitere Zusatzangebote und Expertentipps an die Marke "Always" und ihre Produkte gebunden.
[Bild: Fotolia.com]