ScheiternAus Misserfolgen lernen
Studienabbruch, Arbeitslosigkeit, Insolvenz: Schmerzhafte Erfahrungen, die den einen oder anderen zum Aufgeben bewegen. Unsere Gesellschaft orientiert sich an Leistung und Erfolg. Karriere, Ergebnisse und Umsätze müssen stimmen. Doch parallel zum Druck, diese Ziele zu erreichen, steigt auch das Risiko des Scheiterns. Wer sie nicht erreicht, gilt als erfolglos, als gescheitert.
Dem Scheitern haftet also etwas Negatives an. Die Wenigsten sprechen gerne über persönliche Niederlagen wie etwa Kündigungen oder eine abgelehnte Bewerbung. Dabei ist Scheitern unvermeidlich, es gehört zum Leben selbstverständlich dazu. In Unternehmen wird das oft verdrängt. Gerade für Führungskräfte ist Erfolg ein Zustand, an dem man sich misst. Ein Scheitern kann und will sich niemand erlauben.
Scheitern ist Persönlichkeitsentwicklung
Wenn Menschen scheitern, zeigen sie bestimmte Verhaltensweisen: Sie verdrängen es, verlieren ihr Selbstwertgefühl oder machen den gleichen Fehler noch einmal. Etwa dann, wenn Unternehmer ihre Firma geradewegs in die Pleite führen, weil sie an bewährten, aber nicht erreichbaren Zielen festhalten. Andere wiederum denken, ständig etwas falsch zu machen und treffen deshalb keine Entscheidungen. Wer so mit Misserfolgen umgeht, verspielt wertvolle Erfahrungen. Stattdessen sollte Scheitern als Herausforderung akzeptiert und als ein bewusster Lernprozess verstanden werden. Die persönliche Erfahrung wird für weiteres Handeln wichtig und nützlich. Misserfolge sind dann eine Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung.
Wenn Menschen scheitern, laufen bestimmte innere Prozesse ab:
- Schock: Orientierungs- und Fassungslosigkeit, Erregung oder Erstarrung
- Verleugnung: Hoffnung auf Rückgängigmachen
- Aggression: Phase des Sichwehrens
- Depression: Reaktion auf ein Verlusterlebnis mittels Hemmung, Selbstanklage und Herabsetzung des Selbstwertgefühls
- Trauerarbeit: Trauer um die alte Realität und Abschied von lieb gewordenen Idealvorstellungen, Personen und Objekten
Bevor Menschen sich und ihre Ziele neu definieren, müssen sie ihr Scheitern akzeptieren und ursprüngliche Ziele loslassen. Der Psychologe und Business-Coach Markus Väth rät Gescheiterten zunächst zu einer Pause, um sich neu zu sortieren. Eine bestimmte Zeit der Trauer ist nötig, um sich Fehler einzugestehen und daraus zu lernen.
Misserfolge analysieren und gescheiter scheitern
Die individuelle Perspektive beeinflusst den Prozess des Scheiterns. Führungskräfte sollten sich damit auseinandersetzen, denn so wie Menschen ihr eigenes Scheitern bewerten, bewerten sie auch gescheiterte Projekte oder Mitarbeiter. Wer alles als eine persönliche Niederlage erlebt, wird im Berufsalltag kaum zwischen Sachebene und persönlicher Ebene unterscheiden können. Erst eine konstruktive Sicht auf das Scheitern erzeugt einen Lernprozess. Um gescheiter zu scheitern, hilft eine Analyse der Situation und des Kontextes:
Zwischen Person und Situation differenzieren
- Was hätte ich ändern können, was nicht?
- Für welchen Bereich des Scheiterns bin ich verantwortlich?
Fähigkeiten und Grenzen kennen
- Wo liegen meine Potenziale, Kompetenzen und Grenzen?
- Wo liegt der blinde Fleck?
Aufrechte Haltung einnehmen
Kann ich Scheitern als Weiterentwicklung empfinden und akzeptieren?
Erst danach kann ein Erneuerungsprozess beginnen, ist ein Richtungswechsel möglich.
Vorsicht beim Überbringen schlechter Nachrichten
Auch Führungskräfte sollten das beherzigen, wenn sie zum Beispiel schlechte Nachrichten wie etwa Kündigungen überbringen oder über schlechte Umsatzzahlen informieren. Wer verantwortungsvoll mit seinen Mitarbeitern umgeht, sollte folgende Regeln für das Überbringen schlechter Nachrichten einhalten:
- Die Information direkt und unmissverständlich aussprechen.
- Die schlechte Nachricht vorher ankündigen. Zum Beispiel: „Ich muss Ihnen etwas sehr Unangenehmes mitteilen.“
- Die Information gegebenenfalls wiederholen und sich Zeit lassen, falls der Mitarbeiter unter Schock steht.
- Aggression und Depression aushalten statt abwehren.
- Einfühlungsvermögen und Verständnis für den Betroffenen zeigen.
- Bagatellisieren vermeiden, das heißt nicht von den möglichen Vorteilen eines für den Mitarbeiter negativen Ereignisses sprechen.
- Hilfe erst anbieten, wenn sie gewünscht wird.
Mut zu Fehlern haben
Jedes Projekt kann scheitern. Unternehmen sollten deshalb die Möglichkeit des Scheiterns einplanen. Wenn ein Projekt gescheitert ist, muss ein ehrlicher Aufklärungsprozess folgen: Was hat den Erfolg des Projekts womöglich verhindert? Dabei ist es nicht zielführend, nach Schuldigen zu suchen. Bei Innovationen verhält es sich ähnlich: Bis zu 95 Prozent aller technischen Entwicklungen werden nie marktreif, sind aber für weitere Entwicklungen wichtig. Scheitern kann demnach eine Chance für Erfolg sein, oder, wie IBM-Gründer Thomas Watson meint: „Wenn du Erfolg haben willst, dann verdopple deine Fehlerrate!“
Beispiel Toyota: Der Automobilhersteller fordert seine Mitarbeiter geradezu auf, Misserfolge zu thematisieren und Hindernisse als Herausforderung anzunehmen. So könnten scheinbar unerreichbare Ziele realisiert werden. Eine interne Regel lautet: Mitarbeiter dürfen keine Fehler vertuschen, weil sonst nichts daraus gelernt werden kann. Im Gegenzug müssen diese bei Fehlern keine Sanktionen fürchten. Sanktionen folgen jedoch dann, wenn sie Fehler vertuschen. Denn je später ein Fehler erkannt wird, desto höher sind die Kosten für seine Behebung. Ein Beispiel für ein zunächst gescheitertes Projekt ist die Modellreihe „Prius“. Erst sprang das Auto mit Hybridantrieb nicht an, heute ist es weltweit erfolgreich.
Fehlertoleranz in Forschung und Entwicklung
Eine Forschergruppe um die Berater Lars Baumeister und Leila Steinhilper plädieren in diesem Zusammenhang für eine Unternehmenskultur, die ein angstfreies Arbeiten zulässt und von Schuldzuweisungen und Bestrafungen ablässt. Mitarbeiter und Führungskräfte sollten Fehler erkennen können und gemeinsam aufarbeiten. Motto: Versuch und Irrtum. Mögliche Lösungswege werden ausprobiert, bis die gewünschte Lösung gefunden ist. Dabei wird bewusst die Möglichkeit von Fehlschlägen in Kauf genommen, was jedoch nicht heißt, absichtlich Fehler machen zu wollen.
Wenn die Firmenleitung eine Fehlertoleranz in Bezug auf Forschung und Entwicklung fördern will, sollte sie sich fragen:
- Was dürfen meine Mitarbeiter ausprobieren?
- Welche Befugnisse haben sie?
- Gibt es Anreize, Ideen einzubringen oder existieren eher Blockaden, dies zu tun?
- Werden Vorschläge und Ideen von Mitarbeitern gehört?
- Werden sie ermutigt, diese für eine Umsetzung zu Ende zu denken?
- Welche Mittel werden ihnen zur Verfügung gestellt, um ausreichend, aber nicht verschwenderisch experimentieren zu können?
- Sollen alle möglichst viele Ideen entwickeln und prüfen oder werden von vorn herein alle Ressourcen auf ein Projekt konzentriert?
- Werden die Mitarbeiter bei Fehlschlägen verwarnt oder zu weiteren Versuchen ermutigt?
- Werden erfolgreich umgesetzte Ideen prämiert?
Fazit
Scheitern ist in vielen Unternehmen noch immer ein Tabuthema, denn es wird mit Status- und Gesichtsverlust verbunden. Abstieg oder Ausschluss drohen. In diesem Zusammenhang scheint Erfolg die einzige Variable zu sein, an der man sich orientiert. Doch Scheitern gehört zum Alltag dazu, passiert jeden Tag. Umso wichtiger erscheint es, einen konstuktiven Umgang damit zu finden und Scheitern als eine Chance zur persönlichen Entwicklung wie auch zur Entwicklung von Unternehmen insgesamt zu erkennen.
Richtiger Umgang mit Misserfolgen
- Verinnerlichen, dass Scheitern und Erfolg zusammen gehören.
- Loslassen und Misserfolg eingestehen; nicht um jeden Preis am eigentlichen Ziel festhalten.
- Zwischen der gescheiterten Sache und der Person dahinter differenzieren: Misserfolge haben viele Gründe.
- Nicht die Schuldfrage stellen und sich selbst verzeihen.
- Sich fragen, welche Schlüsse aus dem Scheitern gezogen werden können.
- Sich nicht zu viel vornehmen oder Ziele korrigieren.
- Selbstwertgefühl aufbauen und soziale Kontakte suchen, die einen unterstützen.