Social-Media-MarketingRisiko und Chance zugleich
Die vielfältigen Dialog-Möglichkeiten des Web 2.0 - also Foren, Blogs, Meinungsportale, Facebook, Twitter & Co. - haben die Beziehungen zwischen Kunde und Unternehmen grundlegend verändert. Innerhalb kürzester Zeit haben sich die Menschen in Social Networks (social heißt übrigens gesellschaftlich und nicht sozial) zu mächtigen Gruppen organisiert. So haben die Unternehmen die Kontrolle über ihre Kommunikation längst verloren.
Nicht, worauf die Unternehmen so stolz sind, sondern einzig und allein, was die Kunden über deren Produkte und Angebote, Services und Marken sagen, was auf der Straße hinter vorgehaltener Hand geredet und in den Medien an die große Glocke gehängt wird, entscheidet über das Wohl und Wehe am Markt. In unserer neuen Social Media Welt wird Minderwertiges gnadenlos ausgesondert. Und die Menschen machen rigoros Gebrauch davon.
Gewinner und Verlierer im Social Web
Unternehmen benehmen sich also besser ordentlich und behandeln ihre Kunden gut, denn in der Web-2.0-Welt kommt alles raus. Wer schlechte Leistungen erbringt, verheimlicht, verschleiert, bei Leistungsfeatures lügt oder bei der Preisgestaltung betrügt und so den Kunden über den Tisch ziehen will, hat in Zukunft ein echtes Problem. Der Kunde nämlich, der nur pariert und ohnmächtig jegliche Form von "Un-Service" über sich ergehen lässt, gehört endgültig der Vergangenheit an.
Es wird also Gewinner und Verlierer geben in dieser spannenden neuen Welt des vernetzten Miteinanders. Erik Qualman listet sie in seinem Buch Socialnomics so:
- Die Gewinner: Unternehmen, die wertvolle Produkte anbieten, Unternehmen, die offen, ehrlich und vertrauenswürdig kommunizieren, die Gesellschaft, die Kunden, die Demokratie, das Empfehlungsmarketing.
- Die Verlierer: Unternehmen, die viel Lärm um Nichts produzieren, Unternehmen, die abwarten, anstatt sich mit Social Media vertraut zu machen, traditionelle Medien, Mittelsmänner, Menschen ohne Talente.
Das Web 1.0 stand für Produkte und Handel, für Einweg-Kommunikation und Hierarchien. Das Web 2.0 steht für Menschen und Gespräche, für Transparenz, Kooperation und Gleichrangigkeit. Social Media bedeutet Vernetzung und Interaktion. Vor allem aber: Die Kunden geben dort die Marschrichtung vor. Wer nicht spurt, dem kehrt man den Rücken. Das Verhältnis hat sich umgekehrt: Die Unternehmen wurden vom Jäger zum Gejagten. Der Kunde ist der wahre Boss.
Die Macht der Vielen
Eine einzelne Stimme erreicht meist wenig, doch die Stimmen vieler verhallen nicht lautlos. Gebloggter bzw. getwitterter Unmut erreicht wie ein Lauffeuer oft innerhalb weniger Stunden die breite Öffentlichkeit – und wird von den sensationshungrigen Medien dankbar aufgenommen. Auf diese Weise haben schon wenige Unzufriedene so manches Unternehmen in die Knie gezwungen: Rentierliche, jedoch für die Kunden unangenehme Entscheidungen mussten wieder zurückgenommen werden. Das ist zum Beispiel der Deutschen Bahn, SAP, Sixt, Facebook und Xing so passiert. Andere wie Nestlé und Pampers erlitten, weil minderwertige Produktqualität lautstark publik gemacht wurde, schmerzliche Umsatzeinbußen und massiven Kundenschwund.
Suchmaschinen sehen alles – und vergessen nichts. Von vielen Managern wird diese Gefahr allerdings immer noch nicht wahrgenommen - oder aber heruntergespielt. Man hält die Meinungsäußerungen für gefälscht - oder für irrelevant. In Wirklichkeit ist der Einfluss bereits riesig. Zunehmend folgen die Menschen den Stimmen auf Meinungsportalen mehr oder weniger blind.
So haben schon 19 Prozent aller Reiselustigen, wie die 2009er FUR-Reiseanalyse herausfand, ein anderes als das zunächst beabsichtige Hotel gebucht. Das heißt, schlecht bewertete Hotels verlieren jeden fünften Gast allein durch das Internet – ohne es zu wissen. Und dem Online-Shopper-Report der European Interactive Advertising Association (EIAA) zufolge erwerben fast 60 Prozent der Konsumenten nach ihren Web-Recherchen einen anderen als den ursprünglich geplanten Elektro-Artikel.
Eine Multiplikatoren-Strategie entwickeln
Unternehmen müssen alles daransetzen, ihre Online-Reputation zu stärken. Sie ist ein zunehmend wichtiger Kaufauslöser, fördert die Kundenloyalität und intensiviert das Empfehlungsverhalten. Interessante, originelle und wertvolle Themen verbreiten sich in Social Networks fast wie von selbst. Wer hingegen nach alter Manier weiterhin werblich geschöntes Eigenlob ins Web drücken will, wird scheitern. Denn Konsumenten glauben nicht länger den Hochglanzbroschüren der Anbieter am Markt. Vornehmlich trauen wir dem, was glückliche oder unglückliche Anwender sagen.
Wer dabei für Sie am Wertvollsten ist? Die "Alphas" und Opinion-Leader, also Multiplikatoren und Meinungsführer. Das sind Menschen, die im Rampenlicht sehen, die hohes Ansehen genießen, die einen Expertenstatus besitzen und deshalb eine Leitfunktion einnehmen: Eliten, Autoritäten, Funktionäre, Mentoren, Unternehmer-Persönlichkeiten, Journalisten, anerkannte Stars, bekannte Sportler, Vordenker, Entscheider und Macher.
Im Internet kommen Foren-Moderatoren, Profi-Blogger und Twitterer mit einer hohen Anzahl an wertigen Followern hinzu. Solche Menschen können die öffentliche Meinung stark prägen und Anbietern, die sie schätzen, schnell zum Erfolg verhelfen. Aufgabe ist es also, gut vernetzte "Alphas" zu finden - und für sich zu gewinnen. Und wie? Alles, was ihre Position stärkt, was sie gut aussehen lässt, was ihre Expertise untermauert, hat Chancen, von ihnen weitergereicht zu werden. Man muss sich mit Ihnen und Ihren Angeboten schmücken können.
Lauschangriff auf Online-Buzz
Zunächst geht es allerdings darum, dem Online-Buzz (Gerede im Web) zu lauschen, um Schwachstellen aufzuspüren und auf diese Weise seine Angebote verbessern zu können. Hierzu braucht es Online-Monitoring. Einen ersten und vielfach ausreichenden Überblick geben kostenlose Services wie Google Blog Suche, Technorati, Yahoo Pipes‚ Google Alerts, Yasni & Co.
Profis verwenden spezielle Programme, die das Internet oder zuvor definierte Webseiten mit "Spidern" durchsuchen und relevante Informationen herausfiltern. Dabei wird eine Stimmungsklassifizierung (positiv, negativ, neutral) betrieben. Bei dieser semantischen Version des Social Media Monitoring (SMM) können die Quellen der Online-Äußerungen identifiziert und angesteuert werden. Schließlich wird dokumentiert, ob diese Quellen eine Multiplikatoren-Rolle haben, also im positiven Fall sehr nützlich beziehungsweise im negativen Fall extrem gefährlich sind. So lassen sich Missstände erkennen, Krisenherde herausfiltern und Trends entdecken. Auf Basis all dessen können dann passende Strategien entwickelt werden, um dem Ganzen die gewünschte Richtung zu geben.
Die Erkenntnisse aus solchen Untersuchungen sind geeignet, zu völlig neuen Einsichten zu gelangen. So glaubten die Manager eines Versicherungskonzerns, dass im Web die teuren Tarife kritisiert würden. Nach dem Monitoring war hingegen klar: Die Kunden waren vor allem sauer über die Penetranz des Außendienstes. Mit entsprechenden Schulungsprogrammen konnte schließlich gegengesteuert werden.
Wie sich Online-Monitoring nutzen lässt
Schon dieses eine Beispiel zeigt, wie wertvoll ungefilterte Echtzeit-Meinungen aus dem Web für die Früherkennung von Problemen sind. Vor allem das Top-Management sollte sich dafür rege interessieren. Denn aus dem eigenen Haus erhält es ja meist nur solche Informationen, von denen, die "weiter unten" glauben, dass man sie "oben" hören will. Insgesamt lassen sich die Erkenntnisse aus dem Online-Monitoring in den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen sinnvoll nutzen:
- in Forschung & Entwicklung: Anstöße für neue Produktideen;
- in der Rechtsabteilung: Aufspüren von Markenmissbräuchen etc.;
- in der Marktforschung: Früherkennung von Trends im Kundenverhalten;
- im Marketing: Vorbereiten, Testen und Optimieren von Kampagnen;
- im Brand Management: Einblick in die Kundenseele (Customer Insights);
- in der Öffentlichkeitsarbeit: Krisenherde aufspüren und schnell reagieren;
- im Vertrieb: Konkurrenzbeobachtung, Markt- und Wettbewerbsanalysen;
- im After Sales Service: etwaige Probleme zügig erfassen und beheben;
- in der Finanzabteilung: Früherkennung von Bonitätsproblemen.
So kann Social Media Marketing schließlich sogar dazu beitragen, das oft immer noch vorherrschende Silo-Denken in den Unternehmen zu überwinden und alle Bereiche stärker miteinander zu vernetzen. Kunden jedenfalls nehmen ein Unternehmen immer als Einheit wahr.
Fazit
Unternehmen sollten dort sein, wo die Kunden sind. Wer nicht im Social Web präsent ist und dort nicht diskutiert wird, der existiert gar nicht – und wird auch nicht gekauft. Schon allein aus diesem Grund gehört ein sorgfältig abgestimmter Social-Media-Marketingplan heute zu jeder guten Vertriebsstrategie. So lassen sich passende Themen besetzen, Marken ausbauen, Reputation und Image stärken, Kundenbeziehungen festigen und völlig neue Kundensegmente erschließen. Wer mit interessanten Alleinstellungsmerkmalen und beeindruckenden Spitzenleistungen transparent und glaubwürdig am Markt agiert, sorgt schließlich für exzellente Kommentare sowie für Fans, Fürsprecher und Mundpropagandisten. Und diese sind bekanntlich die besten Verkäufer.
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