StandortBrasilien und Serbien unter der Lupe
Anfang Juni machte eine Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young die Runde in der Presselandschaft. Die Schlagzeile: Deutschland sei für Investoren als Standort nicht mehr so reizvoll und Länder wie Polen oder Russland hätten ihm dahin gehend den Rang abgelaufen. Mangelnder Unternehmergeist, zu hohe Arbeitskosten und zu wenig Flexibilität lautete das vernichtende Urteil. Im Trend liegen danach die Schwellenländer. China auf Platz eins, gefolgt von Indien und Russland. Von insgesamt 834 befragten internationalen Unternehmen bezeichneten nur noch zehn Prozent Deutschland als einen der drei Top-Standorte weltweit. Im Vorjahr waren es noch 18 Prozent.
Die Autoren der Studie kommen zum Ergebnis, dass die etablierten großen Industrienationen wie die USA und eben auch Deutschland schlichtweg nicht mithalten könnten. Studienleiter Peter Englisch bringt die Stärken der aufstrebenden Schwellenländer gegenüber „Spiegel-Online“ auf den Punkt:
„Diese Länder bieten das, was Investoren suchen: große, unerschlossene Märkte und damit erhebliche Wachstumspotenziale.“
Hauptsache billig: Die Investoren-Karawane zieht weiter
Zwar spiele Deutschland angesichts gut ausgebildeter Beschäftigter, gut ausgebauter Infrastruktur und seiner Eigenschaft als bester Innovationsstandort Europas nach wie vor im Konzert der Großen mit, doch eine Heimat für die „Microsofts“ beziehungsweise „Googles“ zu sein, trauten die in der Studie Befragten dem Standort nicht zu. Will heißen: Es wird bezweifelt, dass es deutsche Unternehmen sein werden, die sich in relativ kurzer Zeit als Weltmarktführer im Bereich Software und Hochtechnologie durchsetzen können. Englisch ergänzt:
„Man traut den Deutschen den nötigen Unternehmergeist nicht zu.“
In Zeiten globalisierter Märkte spielt für die meisten Unternehmen das Argument der geringen Arbeitskosten bei gleich bleibender Qualität eine entscheidende Rolle für die Wahl eines geeigneten Standorts. China galt da lange als Paradebeispiel: Ein Produktionsstandort, an dem es sich billig herstellen lässt. Schon allein deshalb beschritten viele Hersteller den Weg nach Asien. Doch so langsam scheint die Karawane weiter zu ziehen. Der Grund: China wird vielen zu teuer und der anhaltende Wirtschaftsboom zeigt erste Schwächeerscheinungen. Steigende Energiepreise, schärfere Umweltauflagen und eine Aufwertung des Renminbi gegenüber dem US-Dollar machen ausländischen Investoren mehr und mehr zu schaffen.
Plötzlich sind andere Staaten opportun wie beispielsweise das von Armut geplagte Bangladesch, Laos, Vietnam oder Kasachstan. Jüngst kündigte Adidas-Geschäftsführer Herbert Hainer an, ihm werde die Produktion von Sportschuhen in China zu teuer. Momentan werden 50 Prozent seiner Produkte im Land des Lächelns gefertigt, doch die Löhne steigen. Jetzt will er auf alternative Standorte, unter anderem auch europäische Schwellenländer, die GUS-Staaten oder Osteuropa ausweichen. Nur an Deutschland denkt er dabei nicht, denn nach seinen Berechnungen müsste er hierzulande aufgrund der hohen Arbeitskosten 500 Euro für einen Schuh verlangen.
Viele Branchen kehren China bereits wieder den Rücken. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) rechnet sogar damit, dass dies bei etwa jeder fünften deutschen Firma, die derzeit mit rund 1.600 Produktionsstätten dort vertreten sind, der Fall sein könnte. Gerade die Konsumgüterindustrie und die Textilbranche seien betroffen, aber auch Unternehmen, die auf geringe Stückzahlen setzen und bei denen es um hohe Qualität geht.
Blick gen Westen: Top-Bedingungen am Zuckerhut
Bei der Suche nach optimalen Standorten haben viele Firmen in den vergangenen Jahren einseitig nach Osten geblickt. Asien, Asien und nochmals Asien, lautete die Parole. Dabei hätten sie den Kopf vielleicht einfach um 180 Grad drehen sollen, um in die andere Richtung zu schauen. Über dem Großen Teich wartet mit Lateinamerika eine Region, die enormes Potenzial besitzt. Zwar wächst der Subkontinent nicht in dem rasanten Tempo wie die Volkswirtschaften Asiens, doch eben kontinuierlich und beständig: Im Zeitraum 2002 bis 2007 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) für Lateinamerika ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr an.
Noch ist Deutschland einer der größten Handelspartner Lateinamerikas, doch laut einem Bericht der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) kam es hierbei in den letzten Jahren zu einem Rückgang. Es wird spekuliert, ob das Geschäftspotenzial der Region verkannt wird. Dabei verschaffen etwa reiche Rohstoffvorkommen der Bergbaubranche einen Schub. Nach bfai-Angaben darf sich Chile bis 2012 über 22 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen im Bereich Bergbau freuen. Peru in den kommenden drei Jahren über rund elf Milliarden und Brasilien sogar über 28 Milliarden US-Dollar. Im bevölkerungsreichsten Land Südamerikas herrscht Aufbruchstimmung. Spätestens seit die Rating-Agentur Standard & Poor’s im Frühjahr das Siegel „Investment Grade“ aus der Tasche zog, tanzte nicht nur die brasilianische Börse Samba.
Auch ausländische Investoren haben gute Chancen, am Zuckerhut ihr Glück zu finden. Die Zahlen der größten Wirtschaftsmacht Südamerikas beeindrucken. Die aktuellen Schätzungen und Prognosen sagen laut Bundesamt für Außenwirtschaft:
- BIP 2008: 1.621 Milliarden US-Dollar
- BIP pro Kopf 2008: 8.450 US-Dollar
- BIP-Wachstum 2008: 4,8 Prozent
- Export-Wachstum 2007: Rund 17 Prozent
- Handelsbilanzüberschuss 2007: 40 Milliarden US-Dollar
- Ausländische Direktinvestitionen 2007: 35 Milliarden US-Dollar
Hinzu kommt ein Wirtschaftswachstum, das zwar nicht die Turboraten à la China oder Indien erreicht, aber nachhaltig und stabil ist. Zudem ist die Nachfrage auf dem Binnenmarkt gefestigt, da die Realeinkommen angezogen haben. 6,5 Prozent gaben die brasilianischen Konsumenten 2007 deshalb mehr aus als im Vorjahreszeitraum und auch die privaten Investitionen stiegen um satte 13,4 Prozent.
Interview
Beatrice Kühne ist Leiterin der Abteilung „Außenwirtschaft und Internationale Beziehungen“ beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Im business-wissen.de-Interview mit David Wolf erklärt sie, warum Brasilien für deutsche Unternehmen ein lohnenswerter Standort sein kann und worauf diese bei einem Engagement achten müssen.
business-wissen.de:
Frau Kühne, Deutschland ist einer der zehn größten Handelspartner Lateinamerikas, hat aber in den letzten Jahren sein Augenmerk mehr auf Asien gelegt. Liegt das daran, dass wir das Potenzial Lateinamerikas unterschätzen?
Kühne:
Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor stark in Lateinamerika aktiv. Deutsche Unternehmen erwirtschaften etwa gegenwärtig mehr als acht Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern hat sich in den vergangenen zehn Jahren etwa verdoppelt. Die Investitionen deutscher Unternehmen in Brasilien sind auf Rekordhöhe, von Rückschritten kann keine Rede sein, auch wenn sie die absoluten Zahlen angesichts unserer Engagements in Asien relativieren können.
business-wissen.de:
Für deutsche Unternehmen welcher Branche lohnt jetzt und mittelfristig eine Investition in Brasilien?
Kühne:
Der Investitionsbedarf in Brasilien ist vor allem in den Bereichen Verkehrs- und Energieinfrastruktur groß. Dies gilt besonders hinsichtlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2014. Hier können deutsche Unternehmen Erfahrung und hochmoderne Technik anbieten.
business-wissen.de:
Auf welche Schwierigkeiten müssen sich deutsche Unternehmen bei einem Engagement in Brasilien einstellen?
Kühne:
Die brasilianische Bürokratie stellt ausländische Unternehmen durchaus vor gewisse Herausforderungen. Aber gerade die langjährige Erfahrung deutscher Unternehmen in Lateinamerika hilft, bestehende Hürden zu überwinden.
business-wissen.de:
Es wird gesagt, die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Lateinamerika seien nicht so groß wie etwa die zwischen Deutschland und Asien. Würden Sie dem zustimmen und ist das ein Plus für Geschäftsbeziehungen?
Kühne:
In Brasilien gibt es es mittlerweile rund 1.200 deutsche Unternehmen. Viele davon sind schon seit über 50 Jahren im Land. Natürlich verschafft diese lange Einbettung Vorteile bei neuen Geschäftsbeziehungen. Wichtig für investierende Unternehmen sind aber auch ein funktionierender Rechtsstaat und wirtschaftliche Freiheit. Vor diesem Hintergrund können deutsche Unternehmen in Brasilien in eine vielversprechende Zukunft blicken.
business-wissen.de:
Wie sieht es konkret mit der brasilianischen Mentalität aus? Auf welche Besonderheiten müssen deutsche Unternehmen hierbei achten?
Kühne:
In Brasilien spielt der persönliche Kontakt eine wichtige Rolle. Offenheit im persönlichen Umgang mit Geschäftspartnern ist manchmal entscheidender als ökonomische Einzelheiten.
Wie die deutschen Unternehmen ihre Zukunftsperspektiven in Brasilien beziehungsweise Lateinamerika sehen, wird die kommende Lateinamerika-Konferenz in Santiago de Chile im September 2008 zeigen. Dann wird man sehen, ob sie die Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel teilen, die noch im Mai kurz vor ihrer Reise zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Peru meinte:
„Wir müssen uns sputen, nicht zu spät zu kommen.“
Serbien: Steuerdumping und EU-Beitritt
Ganz andere „Sorgen“ hat derzeit ein Land, das noch vor rund neun Jahren mitten im Kosovo-Konflikt steckte. Serbien hat enormen Bedarf beim Aufbau seiner Infrastruktur – eine Tatsache, die auch für potenzielle Investoren aus dem Ausland interessant ist. Ernst Bode, Geschäftsführer bei Messer Technogas, einer serbischen Tochter des Gaskonzerns Messer aus Sulzbach und Präsident der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Belgrad, bringt es auf den Punkt:
„Allein um auf den Stand von vor 20 Jahren zu kommen, gibt es ein Wachstumspotenzial von 100 Prozent.“
Das Land auf dem Balkan tut momentan einiges, um ausländische Investoren anzulocken. So leistet es sich beispielsweise die niedrigste Körperschaftssteuer Europas mit einem Steuersatz von gerade mal zehn Prozent. Zudem befreit es Unternehmen, die mindestens acht Millionen Euro im Land investieren und 100 Arbeitsplätze schaffen, für zehn Jahre von der Besteuerung. Für manchen Investor ein Traum, doch Bode, dessen Unternehmen im letzten Jahr rund 46 Millionen Euro erwirtschaftete, warnt:
„Sollte Serbien der EU beitreten, wird es wahrscheinlich einige Steueranreize streichen müssen.“
Hintergrund: Die im Frühjahr 2008 neu gewählte Regierung unter dem liberalen Präsidenten Boris Tadić fährt einen pro-europäischen Kurs und strebt einen Beitritt zur EU an. Wirtschaftsminister Mladja Dinkic hingegen bekräftigte laut der Financial Times Deutschland:
„Dass wir kein EU-Mitglied sind, wird unser Vorteil sein.“
Was ein EU-Beitritt alles bewirken kann, zeigt sich bei Serbiens Nachbarn Rumänien. Seit dem Beitritt zu Beginn des Jahres 2007 haben die Löhne im Land angezogen. Der durchschnittliche Brutto-Monatslohn lag laut Angaben der bfai im vergangenen Jahr bei 1340 Lei, das entspricht rund 380 Euro. 2005 lag er noch bei rund 274 Euro. Ein Grund, warum zahlreiche Unternehmen mittlerweile nach Serbien schielen. Hier locken nicht nur relativ niedrige Einstiegsgehälter von etwa 250 Euro, sondern auch Freihandelsabkommen mit anderen Westbalkanstaaten oder mit Russland.
Nicht umsonst zählt Serbien nach dem von Pricewaterhouse Coopers (PwC) herausgegebenen „Emerging Markets Index“ neben Polen, Bulgarien und den BRIC-Staaten zu den aussichtsreichsten Investitionszielen. In der Rangliste der 20 aussichtsreichsten Industriestandorte liegt das Land hinter Ägypten und Bulgarien auf Platz drei. Ein Sprung um 22 Plätze nach vorne im Vergleich zu 2004. Und auch die mittlerweile ansässigen deutschen Unternehmen sind nach der aktuellen Umfrage der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Belgrad und des Delegiertenbüros der Deutschen Wirtschaft (AHK) mit ihrer Geschäftssituation zufrieden. 97 Prozent waren der Meinung, Serbien erneut als Investitionsstandort wählen zu würden.
Heckenschützen-Image und Klientelpolitik
Bei aller Euphorie: Die Initiatoren der Umfrage bemängeln, dass immer noch zu wenig deutsche Unternehmen den Weg nach Serbien einschlagen würden. Grund dafür ist laut einer Studie von Ernst & Young die immer noch zu geringe Wahrnehmung des Landes als attraktiver Investitionsstandort. Für Ernst Bode ist das vor allem ein Imageproblem, das vorwiegend in Deutschland gepflegt wird:
„Leider gibt es ein Imageproblem in Deutschland – dies liegt meiner Ansicht nach eher an der wenig reflektierten oder tatsachenorientierten Berichterstattung vieler deutscher Medien als an den harten Fakten.“
Doch was sind die Fakten? In der Pressemeldung zur Umfrage des AHK ist zu lesen, dass es die nicht immer optimalen Rahmenbedingungen gerade zu Beginn eines Engagements in Serbien seien, die ausländische Unternehmen abschrecken. Die teilnehmenden Unternehmen verteilen vor allem bei den Faktoren „politische Stabilität“, „Effizienz der öffentlichen Verwaltung“, „Bekämpfung von Korruption und Kriminalität“, „Rechtssicherheit“ sowie „Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen“ schlechte Noten.
Zudem tut sich das Land bei der Regelung der Besitzverhältnisse von Grund und Boden schwer. Diese sind oft ungeklärt und Grundstücke können oft nur verpachtet anstatt gekauft werden. Laut einem Bericht der Financial Times Deutschland sind Liegenschaften für die serbischen Parteien ein Instrument der Macht, ein Instrument, um Klientelpolitik zu betreiben. Dazu noch einmal Ernst Bode von Messer Technogas:
„Das kann im Einzelfall vorkommen, ist aber kein generelles Problem. Grundsätzlich kann hier jeder Grundstücke kaufen, pachten beziehungsweise Nutzungsrechte erwerben. Belgrad ist ein Spezialfall, in dem direkter Erwerb an Grundbesitz oftmals noch nicht möglich ist.“
Wie es weitergeht auf dem Balkan, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Ehrgeiziges Ziel jedenfalls ist der EU-Beitritt bis zum Ende der Legislaturperiode 2012.