SüdostasienWo Führung familiärer ist
Südostasien rückt verstärkt in den Fokus deutscher Unternehmen. Eine junge Bevölkerung und niedrige Lohnkosten schaffen ein großes Potenzial als Absatz- und Arbeitskräftemarkt. Doch westliche Managementkonzepte lassen sich dort nicht immer eins zu eins anwenden. Ein Interview mit Dr. Doris Gutting, Expertin für interkulturelles Management und Marketing und Professorin an der Hochschule für angewandtes Management (FH) Erding.
Frau Gutting, Tim Philippi, der Geschäftsführer der Deutsch-Singapurischen Industrie- und Handelskammer, sagte einmal in einem Interview mit dem Handelsblatt, Singapur sei der ideale Standort für Asien-Neulinge. Stimmt das immer noch und wenn ja, warum ist das so?
Ja, das stimmt immer noch: Singapur lockt nicht nur deutsche Unternehmen mit günstigen Standortfaktoren. Auch für deren Mitarbeiter zeigt sich Singapur als ausgesprochen angenehmer Standort: Es lässt sich hier in größtmöglicher Sicherheit in einem sauberen, grünen Umfeld leben. Alles ist gut geregelt, es gibt wenig Kriminalität. Die Gesundheitsversorgung liegt auf höchstem Niveau, ein breites Angebot an Schulen und Universitäten steht für die Familien der Expats zur Verfügung. Ein Heer von Hilfskräften aus den ärmeren asiatischen Nachbarstaaten ermöglicht preiswerte Diensleistungen und damit einen hohen Lebensstandard in der Tropenstadt. Die „fünf S“ – Sonne, Sicherheit, Service, Sauberkeit, Stabilität – versüßen die Entsendung nach Singapur.
Ein solcher Standard ist aber doch bestimmt mit hohen Kosten für die Unternehmen verbunden.
Der Luxus hat freilich seinen Preis. Mieten und Lebenshaltungskosten liegen auf sehr hohem Niveau. Singapur ist inzwischen eine der teuersten Städte der Welt. Den Unternehmen entstehen folglich hohe Kosten für jede Entsendung dorthin.
Worauf muss sich ein dorthin entsandter Mitarbeiter beim Kontakt mit seinen südostasiatischen Kollegen einstellen?
Zunächst erscheint Neulingen die Arbeitswelt in Singapur sehr westlich. Erst auf den zweiten Blick erschließen sich die vielfältigen Einflüsse. Rechnen sollten neue Mitarbeiter in jedem Fall damit, in einem multikulturellen Team zu arbeiten. Wenn sie sich bewusst machen, dass Menschen aus anderen Kulturen anders ticken könnten, lässt sich gut damit umgehen. Fallstricke drohen allerdings, wenn ihnen interkulturelle Unterschiede nicht bewusst sind: Missverständnisse, Integrations- und Koordinationsprobleme und leider auch Frustrationen sind dann häufig die Folge.
Von welchen kulturellen Unterschieden sprechen Sie?
Es wird hier beispielsweise anders beziehungsweise vorsichtiger kommuniziert. Unsere deutsche Art, Probleme oder Kritikpunkte offen anzusprechen, könnte Befremden oder Unsicherheit bei den asiatischen Kollegen hervorrufen. Zu einer solchen Reaktion könnte es auch kommen, wenn westliche Mitarbeiter mit Scherzen oder spaßig gemeinten Bemerkungen für ein entspanntes Arbeitsklima sorgen möchten. Auch Humor ist kulturspezifisch.
Gibt es in südostasiatischen Firmen strenge Hierarchien oder dominieren eher flache Strukturen?
Für die südostasiatischen Länder gilt ein von Geert Hofstede empirisch nachgewiesener Befund, den man hohe Machtdistanz nennt und der sich stark in den Unternehmen zeigt: Hierarchien und Statusunterschiede werden dort stärker akzeptiert als in Deutschland. Den Vorgesetzten wird ein hoher Respekt entgegengebracht, der aber umgekehrt einhergeht mit hohen Erwartungen seitens der Mitarbeiter an diese.
Die hohe Machtdistanz wirkt zusammen mit einer kollektivistischen Werteorientierung. Für die Unternehmen oder Organisationen bedeutet dies beispielsweise, dass tendenziell mehr Hierarchiestufen einbezogen werden und dass die Mitarbeiter eine hohe Bereitschaft zeigen, sich einzuordnen und gut zu kooperieren.
Welche Besonderheiten muss ein westliches Unternehmen beachten, wenn es ein Geschäft mit einem potenziellen Kunden aus Südostasien abschließen will?
Die Länder Südostasiens unterscheiden sich nicht nur in ihren kulturellen, sondern auch in ihren wirtschaftlichen, politischen und historischen Voraussetzungen stark voneinander. Deshalb muss man die Länder im einzelnen betrachten. Aus Thailand etwa werden häufig Probleme mit der Kommunikation in Englisch berichtet. Wegen der besonderen Geschichte des Landes konnte sich die englische Sprache nicht so verbreiten, wie dies in den ehemaligen Kolonien der Fall war. Deshalb muss man für die Arbeit dort zunächst ein hinreichendes Sprachverständnis sicherstellen.
Malaysia oder die Philippinen wiederum gehen anders mit Zeit um als Deutschland. Während Unternehmen hierzulande versuchen, Zeit stets gut zu nutzen und davon ausgehen, dass es für jedes Geschäft ein bestimmtes Zeitfenster gibt, nimmt man sich in diesen Ländern mehr Zeit. Die Menschen gehen flexibler und sorgloser mit ihr um. Um Frustrationen und Reibungsverluste zu vermeiden, sollten sich Unternehmen dieses unterschiedliche Verständnis klar machen, wenn sie mit Kunden aus solchen Ländern ins Geschäft kommen wollen.
Solche interkulturellen Unterschiede verstärken sich, wenn mehrere gleichzeitig wirken und diese Verhaltensnormen auch noch mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Gesellschaft zusammentreffen. Beispiel Vietnam: Die vietnamesischen Wertvorstellungen unterscheiden sich stark von den deutschen. Hinzu kommt, dass sich die vietnamesische Wirtschaft noch in einem völlig anderen Entwicklungsstadium befindet als die hochentwickelte deutsche. Das Zusammenwirken dieser Umstände bedeutet, dass westliche Managementkonzepte dort kaum greifen können.
Sie haben in Interviews mit Managerinnen und Managern gesprochen, die schon länger in Südostasien tätig sind. Welches Verständnis von Führung herrscht dort vor?
Ich habe ungefähr 20 Interviews und viele spontane Gespräche geführt. Allerdings wäre es wissenschaftlich nicht haltbar, aus dieser relativ geringen Fallzahl allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. Die Interviews haben in meinem Buch eine andere Funktion: Ich nutze sie vor allem, um zuvor recherchierte Tatbestände an Beispielen oder Kommentaren von Praktikern plastisch erläutern zu können.
In der Tat nannten mir die Manager viele Beispiele, die die unterschiedlichen Vorstellungen ihrer südostasiatischen Teams im Vergleich zu den deutschen sehr gut zeigen: Von den Vorgesetzten erwarten die Mitarbeiter vor Ort meist fürsorgliche und umfassende Anweisung sowie kontinuierliche Begleitung. Anders als in Deutschland gilt etwa die Aufforderung zu eigenständigem Handeln oder Entscheiden nicht als Vertrauensvorschuss, sondern kann von den Mitarbeitern leicht als mangelnde Zuwendung oder sogar Desinteresse der Führungskraft aufgefasst werden.
Stimmt es, dass asiatische Führungskräfte blitzschnell Entscheidungen treffen und kompromisslos verhandeln, dabei aber stets das Unternehmen und die Mitarbeiter im Blick haben?
Dieser Eindruck lässt sich erklären durch die Verbindung folgender Wertedimensionen, die Hofstede für die meisten asiatischen Länder empirisch nachgewiesen hat: hohe Machtdistanz, niedrige Unsicherheitsvermeidung und Kollektivismus. Die ersten beiden Werteprädispositionen ermöglichen es den Führungskräften, schnelle Entscheidungen zu treffen. Kollektivismus hat in Organisationen die Wirkung, dass Arbeitsverhältnisse tendenziell familiären Verhältnissen ähneln und so das Wohl der Mitarbeiter im Blick bleibt.
Allerdings muss man mit solch pauschalen Erklärungsmustern vorsichtig umgehen. Es ist wahrscheinlicher, dass sich ein Angehöriger des Kulturkreises X entsprechend solcher Normen verhält als ein Angehöriger des Kulturkreises Y. Jedoch zeigen einzelne Führungskräfte aus diesen Kulturen manchmal auch ein ganz anderers Verhalten.
Zum Beispiel?
Asiatische Führungskräfte möchten dem Idealbild der wohlmeinenden, ruhigen Vaterfigur entsprechen. Die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern haben also auch eine starke emotionale Komponente. So wird einem schwachen Mitarbeiter beispielsweise nicht gleich gekündigt, sondern er wird erst einmal aufgefangen. Man findet aber auch asiatische Chefs, die sich nicht nach diesem Muster verhalten, sondern mit ihren Mitarbeitern sehr stark rational umgehen.
Gibt es etwas, was westliche Manager von Führungskräften aus Südostasien unbedingt lernen sollten?
In der Marketingwissenschaft hat das Beziehungsmarketing traditionelle Konzepte mit ihrem Fokus auf Produkt und Preis abgelöst. Es stellt die Beziehungen zu Kunden, aber auch zu weiteren Stakeholdern eines Unternehmens wie zum Beispiel Mitarbeitern oder Lieferanten in den Mittelpunkt. Mir ist wiederholt aufgefallen, dass die den Asiaten nachgesagte Beziehungsorientierung im Unterschied zur westlichen Sachorientierung hervorragend zu diesen moderneren Vorstellungen des Marketingmanagements passt.
Ansonsten glaube ich, dass grundsätzlich alle Führungskräfte aus der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen aus anderen Ländern profieren können, wenn sie entsprechend offen sind. Indem sie die eigenen Vorgehensweisen in Frage stellen, lernen, mit uneindeutigen Situationen umzugehen und neue Impulse aus dem anderen Umfeld in die eigene Arbeit aufnehmen.
Frau Gutting, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mit Dr. Doris Gutting sprach business-wissen.de-Redakteur David Wolf.
Dr. Doris Gutting ist Professorin an Hochschule für angewandtes Management (FH) Erding und lehrt dort interkulturelles Management und Marketing. Von 1998 bis 2002 lebte sie in Singapur, wo sie die Marketing-Kommunikation eines Fernsehtechnologie-Unternehmens leitete. Derzeit hält sie sich im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes in Singapur auf.