TarifeinheitNach der Abschaffung des einheitlichen Tarifvertrags lauern Gefahren

In deutschen Unternehmen kann es ab sofort mehrere Tarifverträge nebeneinander geben, denn das Prinzip „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ gilt nicht mehr. Wir zeigen, welche Gefahren damit verbunden sind.

Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) stärkt kleine Spartengewerkschaften und schwächt die Position der großen DGB-Gewerkschaften. Er macht den Weg frei für die Einführung von unterschiedlichen Tarifverträgen in den Betrieben. Die Richter in Erfurt argumentierten:

„Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können.“

Schon forderten Arbeitgeberverbände, Deutscher Gewerkschaftsbund, Linkspartei und SPD unisono von der Bundesregierung, die Tarifeinheit gesetzlich abzusichern. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit kündigte für diesen Fall eine Klage vor dem Verfassungsgericht an.

Bisherige Regelung

Bislang wurde von Seiten der Rechtsprechung über die Tarifeinheit die sogenannte Tarifpluralität unterbunden. Es war nicht möglich, dass der Arbeitgeberverband oder der Arbeitgeber selbst mehrere Tarifverträge mit unterschiedlichen Gewerkschaften abschloss mit der Folge, dass für verschiedene Arbeitnehmer unterschiedliche Tarifverträge gegolten hätten. Dies ist nun mit dem aktuellen Beschluss des BAG durchaus möglich, denn der Grundsatz der Tarifeinheit gilt nach richterlicher Meinung als unvereinbar mit der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz (Artikel 9).

Potenzielle Gefahren

Experten weisen schon jetzt auf mögliche Schwachstellen beziehungsweise Gefährdungspotenziale hin, die dieser Beschluss mit sich bringen kann. Zum einen geht es um das Streikrecht, denn wer könnte es einer bestimmten Sparten-Gewerkschaft verbieten, die gleichen tariflichen Forderungen zu stellen, auf die sich der Arbeitgeber mit einer bestimmten anderen Sparten-Gewerkschaft im Betrieb geeinigt hat? Hier könnte es im Extremfall zu Dauerstreiks kommen, die die wirtschaftliche Tätigkeit des gesamten Unternehmens in Gefahr bringt.

Außerdem lauert ein immenser bürokratischer Aufwand in Bezug auf Gehaltsabrechnungen und bei Regelungen zu Arbeitsbedingungen wie Kündigungsfristen oder auch Rationalisierungsvorschriften. Jeder Einzelfall muss dann gesondert berücksichtigt werden. Experten fürchten darum nichts Geringeres als eine Spaltung der Belegschaft und ein Auseinanderdriften der Arbeitsbedingungen.

Hinweis

Die Entscheidung des BAG wird heiß diskutiert. Sogar eine Änderung des Artikels 9 des Grundgesetzes wird in Erwägung gezogen, um die Tarifeinheit in der Praxis weiterhin zu gewährleisten. Manfred Löwisch von der Universität Freiburg spricht sich gegen eine Grundgesetzänderung aus und empfiehlt stattdessen, an der tariflichen Friedenspflicht anzusetzen. Das Interview mit ihm zum Thema können Sie hier lesen.

Schlussendlich droht durch den Beschluss Rechtsunsicherheit, denn grundsätzlich sollten in einem Unternehmen alle Beteiligten wissen, welcher Tarifvertrag angewendet wird. Gilt die Tarifeinheit jedoch nicht mehr, drohen auch sozialversicherungsrechtlich höhere Risiken. Der Hintergrund: Rentenversicherungsträger überwachen bei Betriebsprüfungen, ob die im Betrieb zustehenden, rechtlich beanspruchten Entgelte für die Beitragsberechnung zugrunde gelegt wurden.

Tauchen hier Unregelmäßigkeiten auf, drohen Nachzahlungen für den Arbeitgeber. Experten verweisen hierbei auf das Prüfungsverhalten beziehungsweise die Anwendung der Rechtslage durch den Rentenversicherungsträger. Besteht künftig keine Tarifeinheit mehr, könne sich auch das Prüfungsverhalten nicht mehr nur auf die Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen beziehen. Die Folge: höhere Risiken, auch von Seiten des Sozialversicherungsrechts.

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